Yourcenar über geistige Einsicht

thomas-carlyle»Jede geistige Einsicht[1] stützt sich auf willkürliche Fundamente; Jede Lehre, die sich bei den Massen durchsetzt, muß der menschlichen Dummheit Vorschub leisten: es käme auf das gleiche heraus, wenn Sokrates morgen zufällig den Platz von Mohammed oder von Christus einnähme. Aber wenn dem so ist, warum auf das leibliche Wohl und auf die Wonnen der Übereinstimmung verzichten? Es dünkt mich, als hätte ich all das schon seit Jahrhunderten erwogen und nochmals erwogen. …
Jeder von uns ist sein einziger Lehrer und sein einziger Jünger. Die Erfahrung fängt jedesmal wieder bei Null an. «
Zitat aus dem Roman „Die schwarze Flamme“ von Marguerite Yourcenar.
So wie Marguerite Yourcenar mit diesem Zitat kann man die Essenz des Beitrages „Bielefeld gibt es nicht”, auch in Knappe Worte fassen, der mit dem weisen Satz endete:

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Bielefeld gibt es nicht

bielefeld gibt es nicht
oder Variationen über das Thema
 
Nicht die Dinge an sich bewegen uns, sondern die Bedeutung, die wir ihnen geben.
 
Von Dietrich Dörner haben wir aus dem Blogbeitrag „Bauplan für eine Seele“ und den darauf folgenden Beiträgen zum gleichen Thema lernen können, dass die Motive, die einen Menschen zum Handeln in und somit zur Wechselwirkung mit seiner Umgebung veranlassen, von seinen fünf Grundbedürfnissen veranlasst werden, als da sind: Existenzerhaltung, Sex, Gesellung, Bestimmtheit und Kompetenz. Ich verweise zur Definition dieser Begriffe auf den verlinkten Blogbeitrag, da ich darauf im Folgenden aufbauen will.
Diese fünf Grundbedürfnisse begründen zwar die Welt der Gefühle und Gedanken des Menschen, sind Grundlage jeder menschlichen Aktivität, ja der gesamten gesellschaftlichen Wirklichkeit, doch definieren sie weder eindeutig bestimmte Ziele noch Ursachen seiner tatsächlichen Handlungen in einer konkreten Situation. Diese biologisch fundierten Motive bilden aber den emotionalen Hintergrund, der dann im konkreten Handlungsprozess definiert, d.h. mit Bedeutungen ausgestattet wird, nämlich dann, wenn Akteure sozial anerkannte Werte schaffen und „subjektive Wertungen“ formulieren. Wie im Gefolge einer sozialen Wechselwirkung neue Bedeutungen und Tatsachen der  gesellschaftlichen Wirklichkeit konstruiert werden, hat Herbert Blumer in seinem Aufsatz „Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus“ dargelegt.

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Yourcenar über die Freiheit

Man ist nicht frei, solange man Wünsche hat, solange man etwas will, etwas fürchtet, vielleicht solange man lebt. Die lästige Hülle, die gewaschen, gefüttert, im Ofenwinkel oder unter dem Fell eines toten Tieres erwärmt, abends wie ein Kind oder ein blöder Alter ins Bett gebracht werden mußte, dient wider Willen der gesamten Natur und, schlimmer noch, der Gesellschaft der Menschen als Geisel.

Marguerite YourcenarDie schwarze Flamme”.
Roman („L’Oeuvre au Noir“).
Dtv, München 2003

Man ist nicht frei, solange man Wünsche hat, solange man etwas will, etwas fürchtet, vielleicht solange man lebt, sagt Frau Yourcenar. Man fühlt sich nur dann frei, wenn wir unsere Grund-Bedürfnisse befriedigen können, steht hier im Blog. Ist „Man“ denn dann nicht nur der Geist oder Wille, den es ohne den Körper und seine Bedürfnisse gar nicht gäbe? Damit beißt sich doch die Katze „Freiheit“ in den Schwanz!
Naja, der Begriff (absoluter) Freiheit, der von Frau Yourcenar – unterschwellig – gedacht wird, würde bedeuten, dass man, um „frei“ zu sein, auch frei von sich selbst, seinem Körper, sein müsste.
Sinnliche Erfahrungen kann ich jedoch nur durch die (Sinnes-)Organe des Körpers machen, der Geist oder Verstand ordnet ihm Bedeutungen hinsichtlich meines Wohl oder Wehe zu, um mit meinem Körper angemessen darauf reagieren zu können. Ohne sinnliche Erfahrungen des Körpers wäre mein Gehirn nur eine Daten verarbeitende Maschine, für die diese Daten vollkommen ohne Belang für sie selbst, ohne Glückszustände aber auch ohne Leid wären. Warum sollte dann dieses Gehirn für „Die Seele“ belanglose Daten (Wahrnehmungen, Seelenzustände, Handlungsmuster)  verarbeiten?
Nur die Gedanken sind frei, so fanden wir es schon im Beitrag „Dialiektik der Wahrheit” heraus: „Es gibt nichts, was wir uns nicht vorstellen könnten. So absurd und unglaublich ein Gedanke auch sein mag, so sehr er jeder Logik und jedem Naturgesetz widerspricht oder der Menschheit als nutzlos erscheint – in dem Moment, in dem er gedacht wurde, ist er wahr geworden!
Aber wenn wir daran denken, was wir selbst tun sollten, dann sind die Gedanken egoistisch, auf den eigenen Vorteil bedacht, selbst wenn sie den Umweg über Altruismus und Nächstenliebe nehmen.


Es geht nicht darum, das Ego zu heilen, sondern davon zu genesen, nicht darum, das Ich zu erlösen, sondern sich davon zu befreien. Jedes Ego ist abhängig, immer. Wenn es keine Abhängigkeit mehr gibt, gibt es kein Ego mehr. Philosophieren heißt, sich lösen lernen.

André Comte-Sponville:
Woran glaubt ein Atheist? Spiritualität ohne Gott.
Zürich 2008, S. 219


Nun folgt das vollständige Zitat aus dem historischen Roman „Die schwarze Flamme”:

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Der freie Wille

homunkulus_kSchau dir das Bild meines Gehirns an, gell du siehst darin einen Homunkulus, tief in Gedanken versunken? 😉

Was er wohl denkt? Ist er es, der meine Gedanken steuert, sozusagen mein freier Wille? Fasst er unabhängig von den Bedürfnissen meines Körpers und überhaupt losgelöst von all meinen bisherigen Erfahrungen (meiner Biografie) und meiner Umwelt zufällige Entschlüsse zum Handeln? Hat also mein Wille keine Ursache in mir überhaupt etwas zu wollen, existiert er unabhängig von den Bedürfnissen meines Körpers? – So einleuchtend dieser Gedanke im ersten Moment auch erscheinen mag, im nächsten Moment wird er zum Alptraum werden, denn ich wäre Sklave meines freien Willens, sofern er unabhängig von meinem Körper agierte. Aber ist andernfalls mein ICH dann nicht auch nur Sklave meines Körpers?
Tun wir denn nichts aus freien Stücken? Was zwingt uns dazu, überhaupt etwas zu tun? – nun, von außen nichts und niemand. Aber ganz sicher ist ein ganz spezieller Mix der fünf Grundbedürfnisse des Menschen die Ursache all dessen, was wir empfinden und wollen. Erinnere dich daran, was Dietrich Dörner unter „Gefühle? Gefühle!“ ausgeführt hat, dann wirst du mich besser verstehen können.
Wir handeln frei, so jedenfalls fühlen wir es, wenn wir unsere fünf Grundbedürfnisse: Existenzerhaltung, Sexualität, Affiliation, Bestimmtheit und Kompetenz befriedigen. Handeln wir unseren Bedürfnissen zuwider, dann fühlen wir uns unfrei, durch Ursachen gezwungen, die nicht in unserem Selbst (d.h. nicht im Einklang mit unserer Seele, wie sie Dörner versuchte zu konstruieren) ihre Ursache haben.
Aber lies selbst: Weiterlesen

War & Peace 1614-1714 (Krieg und Frieden)

DieseDoppel-CD ist das Ergebnis eines Projekts von Jordi Savall, das sich dem Thema Krieg und Frieden sowohl musikalisch als auch mit philosophisch-politischen Texten widmet. Wenn man dem Link zu Amazon folgt, kann man in die einzelnen Titel der CD’s „reinhören“ und wird dann feststellen, dass diese Musik äußerst lebendig interpretiert wird. Sofort beim „reinhören“ in das erste Stück der zweiten CD, dem wohl jedem bekannten Eurovisions-Thema aus dem Te Deum von Marc Antoine Charpentier wird man feststellen, dass diese Musik auch wesentlich feuriger interpretiert werden kann, als man sie im Eurovisions-Fernsehen gehört hatte.

So exzellent wir die Musik dargeboten wird, so engagiert und weise sind auch die Texte zum Thema Krieg und Frieden im Booklet verfasst:

Booklet

 

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