J. S. Bach und der Luther-Choral „Vom Himmel hoch …“

Magnifikat BWV 243a, Nr. 3 Choral „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ (Link zu Wikipedia)
Weihnachtsoratorium BWV 248, Teil I, Nr. 9 Choral „Ach mein herzliebes Jesulein“ (Link zu Wikipedia)
Weihnachtsoratorium BWV 248, Teil II, Nr. 8 Choral „Schaut hin, dort liegt im finstren Stall“ (Link zu Wikipedia)
BWV 738a, Choral, BWV 606, Choral, BWV 738 Choralvorspiele „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ und Choral aus BWV 248,Teil I, Nr.9  für Orgel
BWV 700 Fuga sopra „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ für Orgel
BWV 701 Fughetta: „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ für Orgel
BWV 769 Canonische Veränderungen über „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ für Orgel (Link zu Wikipedia)

Luthers Weihnachtslied zählt bis heute zu den meistgesungenen geistlichen Weinachsliedern. Auch Bach hat dessen einprägsame Melodie (Ohrwurm) in mehren Kompositionen verarbeitet. In der Tabelle oben habe ich alle mir bekannten Bearbeitungen Bachs aufgeführt. Die für Orgel gesetzten Stücke habe ich mit Samples der historischen Orgel in Forcalquier eingespielt.

Im Choralvorspiel BWV 606 bewegen sich die Mittelstimmen lebhaft auf und ab (die »figura suspirans« der barocken Lehre). Darunter schreitet der Baß in gravitätisch großen Schritten einher, bis die Bewegung über den Schlusston des Cantus hinaus zum Stillstand gelangt.

Das Choralvorspiel BWV 638 (und dessen frühere Fassung BWV 738a) steigert sich zu geradezu hymnischen Figurationen, die alle Stimmen durchziehen und sogar den Cantus firmus erfassen.

Die Fuga sopra „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ BWV 700 ist eine vierstimmige Fuge mit Baß-Cantus firmus zu Martin Luthers Melodie.

In der Fughetta BWV 701 tritt  zum Thema sogleich ein „von oben herabströmendes“ Kontrasubjekt. Die motivische Arbeit und die Bildung der Gegenthemen weisen bereits auf die kunstvollen Canonischen Veränderungen (BWV 769) voraus. Es ist eine Fuge en miniature; obwohl mit der Verkleinerungsform »Fughetta« bezeichnet, weist sie doch alle Merkmale vollendeter Kontrapunktik auf.

Am Schluß von Bachs Orgelschaffen stehen so disparate Werke wie die Fantasie und Fuge c-Moll BWV (17’47-48) sowie die sog. Schübler-Choräle (Bearbeitungen nach Kantaten-Solosätzen) und die Kanonischen Veränderungen „Vom Himmel hoch“ ( (BWV 769). Letztere, nach 1747 für die Mizlersche Sozietät gedruckt, liegt in zwei Versionen vor (Druck und Autograph), aus deren unterschiedlicher Satzfolge Bachs Experimentieren mit Steigerungs- und Symmetrieformen hervorgeht und  in dem er erstmalig ein mehrsätziges monothematisches Werk streng kanonisch konzipierte, ebenfalls mit von Satz zu Satz fortschreitendem Schwierigkeitsgrad.


Heinz Erhardt

Ein Weihnachtslied

Ein Weihnachtslied
Es ist Weihnachten geworden.
Kalter Wind bläst aus dem Norden
und hat Eis und Schnee gebracht.

Doch am Weihnachtsbaum die Kerzen,
die erwärmen unsre Herzen,
und des Kindes Auge lacht.

Und man sieht auf den verschneiten
Straßen weiße Engel schreiten
durch die stille, heil’ge Nacht.


Wolfgang Borchert
Die drei dunklen Könige

Er tappte durch die dunkle Vorstadt. Die Häuser standen abgebrochen gegen den Himmel. Der Mond fehlte, und das Pflaster war erschrocken über den späten Schritt. Dann fand er eine alte Planke. Da trat er mit dem Fuß gegen, bis eine Latte morsch aufseufzte und losbrach. Das Holz roch mürbe und süß. Durch die dunkle Vorstadt tappte er zurück. Sterne waren nicht da.
Als er die Tür aufmachte (sie weinte dabei, die Tür), sahen ihm die blaßblauen Augen seiner Frau entgegen. Sie kamen aus einem müden Gesicht. Ihr Atem hing weiß im Zimmer, so kalt war es. Er beugte sein knochiges Knie und brach das Holz. Das Holz seufzte. Dann roch es mürbe und süß ringsum. Er hielt sich ein Stück davon unter die Nase. Riecht beinahe wie Kuchen, lachte er leise. Nicht, sagten die Augen der Frau, nicht lachen. Er schläft.
Der Mann legte das süße mürbe Holz in den kleinen Blechofen. Da glomm es auf und warf eine Handvoll warmes Licht durch das Zimmer. Die fiel hell auf ein winziges rundes Gesicht und blieb einen Augenblick. Das Gesicht war erst eine Stunde alt, aber es hatte schon alles, was dazugehört: Ohren, Nase, Mund und Augen. Die Augen mußten groß sein, das konnte man sehen, obgleich sie zu waren. Aber der Mund war offen, und es pustete leise daraus. Nase und Ohren waren rot. Er lebt, dachte die Mutter. Und das kleine Gesicht schlief. Da sind noch Haferflocken, sagte der Mann. Ja, antwortete die Frau, das ist gut. Es ist kalt. Der Mann nahm noch von dem süßen weichen Holz. Nun hat sie ihr Kind gekriegt und muß frieren, dachte er. Aber er hatte keinen, dem er dafür die Fäuste ins Gesicht schlagen konnte. Als er die Ofentür aufmachte, fiel wieder eine Handvoll Licht über das schlafende Gesicht. Die Frau sagte leise: Kuck, wie ein Heiligenschein, siehst du? Heiligenschein! dachte er, und er hatte keinen, dem er die Fäuste ins Gesicht schlagen konnte.
Dann waren welche an der Tür. Wir sahen das Licht, sagten sie, vom Fenster. Wir wollen uns zehn Minuten hinsetzen. Aber wir haben ein Kind, sagte der Mann zu ihnen. Da sagten sie nichts weiter, aber sie kamen doch ins Zimmer, stießen Nebel aus den Nasen und hoben die Füße hoch. Wir sind ganz leise, flüsterten sie und hoben die Füße hoch. Dann fiel das Licht auf sie.
Drei waren es. In drei alten Uniformen. Einer hatte einen Pappkarton, einer einen Sack. Und der dritte hatte keine Hände. Erfroren, sagte er, und hielt die Stümpfe hoch. Dann drehte er dem Mann die Manteltasche hin. Tabak war darin und dünnes Papier. Sie drehten Zigaretten. Aber die Frau sagte: Nicht, das Kind.
Da gingen die vier vor die Tür, und ihre Zigaretten waren vier Punkte in der Nacht. Der eine hatte dicke umwickelte Füße. Er nahm ein Stück Holz aus einem Sack. Ein Esel, sagte er, ich habe sieben Monate daran geschnitzt. Für das Kind. Das sagte er und gab es dem Mann. Was ist mit den Füßen? fragte der Mann. Wasser, sagte der Eselschnitzer, vom Hunger. Und der andere, der dritte? fragte der Mann und befühlte im Dunkeln den Esel. Der dritte zitterte in seiner Uniform: Oh, nichts, wisperte er, das sind nur die Nerven. Man hat eben zuviel Angst gehabt. Dann traten sie die Zigaretten aus und gingen wieder hinein.
Sie hoben die Füße hoch und sahen auf das kleine schlafende Gesicht.
Der Zitternde nahm aus seinem Pappkarton zwei gelbe Bonbons und sagte dazu: Für die Frau sind die.
Die Frau machte die blassen blauen Augen weit auf, als sie die drei Dunklen über das Kind gebeugt sah. Sie fürchtete sich. Aber da stemmte das Kind seine Beine gegen ihre Brust und schrie so kräftig, daß die drei Dunklen die Füße aufhoben und zur Tür schlichen. Hier nickten sie nochmal, dann stiegen sie in die Nacht hinein.
Der Mann sah ihnen nach. Sonderbare Heilige, sagte er zu seiner Frau. Dann machte er die Tür zu. Schöne Heilige sind das, brummte er und sah nach den Haferflocken. Aber er hatte kein Gesicht für seine Fäuste.
Aber das Kind hat geschrien, flüsterte die Frau, ganz stark hat es geschrien. Da sind sie gegangen. Kuck mal, wie lebendig es ist, sagte sie stolz. Das Gesicht machte den Mund auf und schrie.
Weint er? fragte der Mann.
Nein, ich glaube, er lacht, antwortete die Frau.
Beinahe wie Kuchen, sagte der Mann und roch an dem Holz, wie Kuchen. Ganz süß.
Heute ist ja auch Weihnachten, sagte die Frau.
Ja, Weihnachten, brummte er, und vom Ofen her fiel eine Handvoll Licht hell auf das kleine schlafende Gesicht.

aus Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür.


Heinz Erhardt

Weihnachten 1944
(Als ich keinen Urlaub bekam)

Wenn es in der Welt dezembert
und der Mond wie ein Kamembert
gelblich rund, mit etwas Schimmel
angetan, am Winterhimmel
heimwärts zu den Seinen irrt
und der Tag stets kürzer wird —
sozusagen wird zum Kurztag —
hat das Christkindlein Geburtstag!
Ach, wie ist man dann vergnügt,
wenn man einen Urlaub kriegt.
Andrerseits, wie ist man traurig,
wenn es heißt: »Nein, da bedaur ich!
Also greift man dann entweder
zu dem Blei oder der Feder
und schreibt schleunigst auf Papier
ein Gedicht, wie dieses hier:

Die Berge, die Meere, den Geist und das Leben
hat Gott zum Geschenk uns gemacht;
doch uns auch den Frieden, den Frieden zu geben,
das hat er nicht fertiggebracht!
Wir tasten und irren, vergehen und werden,
wir kämpfen mal so und mal so …
Vielleicht gibt’s doch richtigen Frieden auf Erden?
Vielleicht grade jetzt? — Aber wo? …


An Weihnachten 1979 marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein, um der dortigen kommunistischen Regierung »brüderliche Hilfe« zu leisten. Die meisten westlichen Politiker wurden von der Invasion völlig überrascht. Sie waren im Weihnachtsurlaub.


 

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