eingespielt mit Samples der Riegerorgel im Großen Saal des Konzerthauses Wien (Vienna Konzerthaus Organ).
Hanns Dennerlein: Die vierstimmige g-moll-Fuge (KV 401)
Auch von dem Geschlecht der vierstimmigen Fuge ist ein Großwerk Mozarts bis auf wenige von Stadler hinzuergänzte Schlußtakte zur Vollendung gekommen. Es ist die g-moll-Fuge, von der auch das in Basler Privatbesitz befindliche Autograph offenläßt, ob sie als zweihändiges oder vierhändiges Werk geplant wurde. Nissen rühmt es als besonderes Verdienst Mozarts, der schwierigen Spielweise vierstimmiger Fugen durch Übertragung auf vier Hände begegnet zu sein, und so ist die vierhändige Fassung, wie sie sich auch bei Peters findet, sicherlich im Sinne Mozarts.
Der vermehrten Stimmenzahl entspricht ein erhöhter Gehalt und einzig diesem ist es zu verdanken, wenn Mozart sich die Zeit zur Niederschrift nahm. Er hatte sich Schweres von der Seele zu schreiben.
Die Analyse anzeigen
Das Thema kommt offensichtlich von Seb. Bach her. Schiedermair hat auf die b-moll-Fuge des Wohltemperierten Klaviers I aufmerksam gemacht. Noch stärker ist die Verwandtschaft mit dem ersten Kontrapunkt aus der Kunst der Fuge. Im 2-Takt-Abstand bringt die Exposition in der Normalfolge Diskant — Alt — Tenor — Baß das nach d-moll kadenzierte Thema, um sofort nach vier ½ Modulationstakten unter Stimmentausch eine Wiederholung auf der freundlichen B-dur-Stufe zu bringen und nach Zurückgleiten nach Moll und zwei ½ Takten Modulation in dritter Intonation und unter Beibehaltung des Mollcharakters den unerbittlichen Ernst des Themas darzutun.
Mit dem Takt 36 setzt der Durchführungsteil ein und die Gegenkräfte erwachen. Während der Baß das Thema in dmoll intoniert, wird es vom kontrapunktierenden Alt und Diskant zerspalten, indes der Tenor ein bedeutsames chromatisches Abwärtsmotiv entwickelt, das alsbald von den beiden Oberstimmen im Sextengang aufgegriffen wird. Über der Fortspinnung des Hauptthemas, die aus dem e moll-Einsatz des Basses erwächst, stimmt der Tenor in Takt 46 in der g-moll-Grundtonart ein optimistisch aufwärtsstrebendes Gegenthema an, das auf alle übrigen Stimmen übergreift.
Jedoch das rhythmisch belebte Aufwärtsdrängen erfährt in Takt 57 den Widerstand des Hauptthemas, das freilich sich nach B- und Es-dur aufhellt. In dreimaliger Sequenz erscheint in neuer Gestalt (Takt 69 ff.) das Abwärtsmotiv. Erneut strebt (Takt 73) das Gegenthema im Tenor aufwärts. Sofort antwortet hinabziehend im Diskant das Hauptthema und auch dem Alt widerfährt das gleiche von seiten des Basses. Noch einmal versucht es der Diskant im hoffnungsfrohen F-dur-Aufschwung des Taktes 73. Allein in der abwärtsschreitenden Sekundimitation des Taktes 74 liegt die stärkere Gewalt. In gesteigertem Rhythmus stellt sich das Abwärtsmotiv ein. Wohl wird noch ein Aufwärtsstreben versucht. Ein chromatisches Absinken und ein erschöpftes Innehalten ist die Folge (Fermate auf der g-moll-Dominante).
Der Schlußteil scheint den Sieg der aufwärtsstrebenden Kräfte zu bringen. In den Takten nach der Fermate behauptet in der Abfolge Tenor/Gegenthema — Diskant/Thema — Alt/Thema — Baß/Gegenthema das Gegenthema das Feld, ja quillt in den Takten 89/92 in dichter Folge noch dreimal empor — da bringt der Baß erneut und an entscheidender Stelle das alte leidvolle Hauptthema und der Tenor folgt ihm auf Taktabstand in der None. Ausgerechnet hier bricht das Autograph ab. Die acht Schlußtakte mit den Zuckungen des Abwärtsmotivs und dem Themazitat des Tenors über dem Tonikaorgelpunkt sind, einer Mitteilung Andres bzw. Constanzes zufolge, eine Ergänzung Maximilian Stadtlers.
Ein ungeheuerer Ernst spricht aus diesem Werke. Wir wissen nicht, welcher Karfreitagsbekümmernis Mozart darin Ausdruck gegeben hat. Unendliches Leid wird vernehmbar aus diesem Auf und Ab ringender Kräfte, in dem die herabziehenden Gewalten die Oberhand behalten. Ist es der Tod Raimund Leopolds, des Erstgeborenen unter Mozarts sechs Kindern, der am 21. 8. 1783 nach knapp drei Monaten Leben die Eltern verwaist zurückließ? Die herkömmliche Datierung setzt das Werk allerdings in das Jahr 1782. Einstein wie St. Foix folgen in der vermuteten Entstehungszeit Köchel. Es läßt sich jedoch recht wohl denken, daß dieses ausgereifte, nahtlose Opus tatsächlich am Ende der Wiener Fugenzeit, also in der Nachbarschaft von Raimund Leopolds Tod, der kurz nach der Rückkehr der Eltern aus Salzburg erfolgte, entstanden ist. Satzkunst und Gefühlsdichte dieser Schöpfung sind so bedeutend, daß es ebenbürtig neben Joh. Sebastians Alterswerk steht und besteht. In den Spätwerken, in den beiden tiefsinnigen f-moll-Trauermusiken für Spielorgel aus dem Jahre 1791 hat Mozart noch einmal verwandte Töne angeschlagen.
Wie alle anderen großen Mozart-Fugen verlangt auch die g-moll-Fuge nach einer Introduktion. Sollte dieses Werk als einziges ohne solche isoliert stehen oder gehört zu diesem Komplex jenes Allegro in g-moll K.V. 312, das bereits bei den Heimatsonaten (S. 59) genannt wurde und dessen Hauptthema in der aufsteigenden pentatonischen Linie g-a-b-c-d und dem anschließenden verminderten Septenschritt es“-fis echte Fugenkeime enthält, die an das Thema der g-moll-Fuge anklingen. Der Kontrast des ¾–Taktes zu dem geraden der Fuge sowie jener der sonatischen Form wären ein Parallelfall zu der verwandten Kopplung solcher Gegensätze in a-moll- Tripelfuge und Einleitung KV 402.
Der Gegenwart ist die g-moll-Fuge noch ein Stück des „unbekannten“ Mozart. Selbst Abert konnte sich mit ihr nicht befreunden. Wieder war es St. Foix, der „force“ und „grandeur“ dieser Fuge erkannt hat. Es wird die Zeit kommen, die einmal gerade diesen, allen überlieferten Anschauungen widersprechenden abseitigen und abgründigen Mozart als kostbares Vermächtnis schätzen wird.
Zitiert aus
Hanns Dennerlein
„Der unbekannte Mozart Die Welt seiner Klavierwerke“
Seiten 165-167
Leipzig 1955