„Ich begegnete einmal im Walde zwei Holzhauern, welche mit der dem gemeinen Manne eigenen Liebhaberei für allgemeine moralische Betrachtungen über ihre eigene Armut philosophierten. Der eine meinte, Armut sei ein böser Stand, der andre aber, nein, Armut sei der beste Stand und die armen Leute die besten Leute; denn wäre Armut nicht der beste Stand, so würde ihn Christus nicht vor allen andern sich erwählt haben und aus freien Stücken ein armer Mann geworden sein. Darauf erwiderte, der zuerst gesprochen: Eben darum, weil unser Herr Christus aus freien Stücken arm geworden, sei er gar kein rechter armer Mann gewesen, denn wer arm sein und bleiben wolle, der höre damit schon von selber auf, ‚arm’ zu sein; nur wer arm sei und reich werden wolle, ohne es zu können, der sei der rechte arme Mann.
Vervollständigt man die Theorie dieses Holzhauers, dann gibt es zweierlei Armut, die eigentlich nicht arm ist; die freiwillige und die naturnotwendige. Die letztere kann wiederum eine unbewußte sein wie bei ganz rohen Naturvölkern und Naturmenschen, oder eine bewußte, die sich aber in ihrer Naturnotwendigkeit erkennt oder ahnt. Mit diesen beiden Arten der gezwungenen und doch nicht armen Armut haben wir es hier zu tun.“
Mit diesen Sätzen beginnt Wilhelm Heinrich Riehl seine erwanderte Volkskunde: „Das Land der armen Leute“. Dieses fußt auf Erfahrungen seiner Wanderungen durch den Westerwald, den Vogelsberg und die Rhön und ist enthalten in dem mehrbändigen Werk „Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Socialpolitik“, das zwischen 1851-1869 erschienen ist. Ich werde die Passagen, die sich speziell auf seine Erlebnisse in der Rhön beziehen, nach und nach in diesem Weblog zitieren, da sie die Lebensverhältnisse in der damaligen Rhön sehr lebendig und selbst noch uns Heutigen nachfühlbar schildern. Weiterlesen