Marin Marais: Les folies d’Espagne (Orgelfassung)
Von mir für Orgel bearbeitet und eingespielt mit Samples der Riegerorgel des Konzerthauses Wien (Vienna Konzerthaus Organ).
Les folies d’Espagne (wörtlich übersetzt: Die Torheiten oder Verrücktheiten Spaniens), Thema und 31 Variationen (Couplets) über die Folia, hat Marin Marais 1701 im zweiten Buch der „Pièces de Viole“ veröffentlicht. Er widmete den Band Philippe d’Orléans (auch genannt „Monsieur“), dem Bruder des damaligen französischen Königs. In seinem Vorwort schrieb Marais:
Diese Stücke sind anders geschrieben als die meines ersten Bandes. Ich habe große Sorgfalt darauf verwendet, sie so zu komponieren, dass sie mit allen möglichen Instrumenten gespielt werden können, darunter Orgel, Cembalo, Laute, Violine und Flöte. Ich wage zu erklären, dass diese Absicht erfolgreich war, da ich sie selbst auf beiden letztgenannten Instrumenten gespielt habe.
Marais veröffentlichte fünf Bücher von gesammelten Werken, die mehr als fünfhundertfünfzig Kompositionen für ein, zwei und drei Bassgamben mit figürlichem Bass enthalten. Er veröffentlichte ursprünglich alle fünf Bücher selbst. Diese „Pièces de Viole“ stellen eine Errungenschaft von großem Umfang und Originalität dar. Historisch gesehen sind sie Beginn der Blüte einer etablierten französischen Musiktradition, der Höhepunkt einer Kunst, die bereits im 16. Jahrhundert Wurzeln geschlagen hat.
Die Variationenfolge:
min:sec | Variation | „poetische“ Interpretationsanweisungen´ |
00:10 | Thema | noble, gracieuse (edel, anmutig) |
00:51 | 1. Variation | belle mais triste (schön, aber traurig) |
01:24 | 2. Variation | doucement provocatrice (sanft provozierend) |
01:54 | 3. Variation | avec chagrin (traurig) |
02:19 | 4. Variation | en soupirant (seufzend) |
02:45 | 5. Variation | en portant un fardeau (eine Last tragend) |
03:10 | 6. Variation | une danse élégante (ein eleganter Tanz) |
03:36 | 7. Variation | une danse avec des révérences (ein ehrfurchtsvoller Tanz) |
04:01 | 8. Variation | élégante, positive, fière (elegant, positiv, stolz) |
04:20 | 9. Variation | séduisante, captivante (verführerisch, fesselnd) |
04:54 | 10. Variation | nostalgique avec mal du pays (nostalgisch mit Heimweh) |
05:27 | 11. Variation | sur la pointe des pieds avec espièglerie (spielerisch auf Zehenspitzen) |
05:44 | 12. Variation | dramatique, en suppliant (dramatisch, bettelnd) |
06:40 | 13. Variation | avec intrigue (intrigant) |
07:09 | 14. Variation | avec regret (bedauernd) |
07:51 | 15. Variation | les jacasses bavardent en chuchotant (plappernde Klatschbasen flüstern miteinander) |
08:12 | 16. Variation | avec supplication (bittend) |
08:55 | 17. Variation | positivement (positiv) |
09:15 | 18. Variation | avec joie (freudig) |
09:45 | 19. Variation | avec conspiration (verschwörerisch) |
10:11 | 20. Variation | avec amour et sensualité (liebend und sinnlich) |
11:02 | 21. Variation | avec une douce ironie (mit süßlicher Ironie) |
11:28 | 22. Variation | avec outrage (mit Verachtung) |
11:54 | 23. Variation | aver ésignation devant l’inéluetable (resignierend vor dem Unvermeidlichen) |
12:26 | 24. Variation | avec insolence (mit Unverschämtheit) |
12:50 | 25. Variation | avec tendresse et séduction (mit Zärtlichkeit und Verführung) |
13:20 | 26. Variation | dimanche matin, au petit galop (Sonntagmorgen, im Galopp) |
13:55 | 27. Variation | avec insistence et colére (mit Beharrlichkeit und Wut) |
14:17 | 28. Variation | en parallele solitude (in der parallelen Einsamkeit) |
14:47 | 29. Variation | dans les jardins à minuit (in den Gärten um Mitternacht) |
15:32 | 30. Variation | autour du manége (Ritt um die Manege) |
16:05 | 31. Variation | en se pavanant fierement à la maison (selbstbewusst nach Hause stolzieren) |
Die Anpassung dieser Variationen an die Orgelist ist meine eigen, die poetischen Anweisungen zu ihrer Interpretation sind von Jennifer Paull. Sie schreibt dazu: „Inspiriert wurde ich von der Vielfalt der Stimmungen und der verschiedenen Stimmungen innerhalb der Variationen. Jede Variation bringt mir ein Bild in Erinnerung. Ich stellte mir diese im Rokokostil der Zeit als Tableaux galants vor.”
Über das Satzmodell der Folia kann der interessierte Besucher zusätzlich Interessantes in meinem Beitrag Juan Cabanilles: Diferencias de Folias primer tono finden.
Ich habe übrigens eine weitere Variationenfolge über die Folia für Orgel bearbeitet und auf YouTube veröffentlicht: „Fray Antonio Martín y Coll: Diferencias Sobre Las Folías”. Fray Antonio Martin y Coll war ein spanischer Franziskaner, Musiker und Komponist (wahrscheinlich zwischen 1733 und 1735 gestorben). Martín y Coll wuchs in einem Kloster auf und wurde schließlich Franziskaner. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er im Kloster San Francisco el Grande in Madrid.
Obwohl Martín y Coll hauptsächlich Organist war, schrieb er auch zwei musikalische Abhandlungen (1714 und 1734). Sein heutiger Ruhm beruht jedoch auf vier Bänden Flores de Música (Musikalische Blumen), einer Zusammenstellung von Hunderten von Stücken für Tasteninstrumente, fast alle ohne Angaben ihres Autors. Da die Stücke zum Zeitpunkt der Zusammenstellung wohl berühmt waren, kannten die Zuhörer den Komponisten ohenhin. Die moderne Wissenschaft hat Komponisten wie Corelli, Händel, Frescobaldi, Cabanilles und Cabezón eine große Anzahl dieser Werke zuordenen können.
Der fünfte Band der Flores de Música, Ramillete oloroso genannt, enthält hauptsächlich Orgelmusik (wie der Titel andeutet). Die Werke in diesem Band werden allgemein als eigene Kompositionen von Martín y Coll bezeichnet. Zwei dieser Werke sind Variationen über La Folia, eine lange, die oben verlinkten „Diferencias sobre las Folías” und eine kürzere „Folías”.