Alte Kirchtürme und Friedhöfe

In der vorhin geendigten Um- und Rundschau auf ältere Kirchen sind wir bei verschiedenen Ortschaften bereits auf ihre Türme, Glocken und Friedhöfe aufmerksam gemacht worden. Ueber eigentliche, ursprüngliche Bestimmung und bezw. Einrichtung derselben u. a. m. konnten wir uns bei dem Wandelgange nicht weiter aussprechen; möge es nun in diesem besondern Abschnitte (und zwar unter Benutzung des „Reallexikon deutscher Altertümer“ von Dr. Götzinger) geschehen.

Die Kirchtürme sind, wie es scheint, ursprünglich nicht der Glocken wegen errichtet worden, sondern entweder als Treppengehäuse zu der Kirche oder auch als Wachtstätte für den gesammten Ort entstanden. Türme der ersten Art finden wir mehrfach auch im Tullifeld bei älteren Kirchen; Wachttürme hingegen waren gewöhnlich die neben den Klosterkirchen und Burgkapellen erbaueten Rundtürme. Isolierte d. h. vom Gotteshause entfernt und ganz freistehende Glockentürme, die besonders in Italien sich häufig finden, gab und giebt es im mittleren Deutschland nur vereinzelt. Die Bauart der älteren tullifeldischen Kirch- und Glockentürme ist selbverständlich so wenig übereinstimmend als die der neuen Kirchen unserer Heimat, welche Behauptung ein Blick auf den Kirchturm von z. B. Kaltensundheim und Helmershausen oder von Urspringen bestätigt. Die Türme der Stadt-, Marktflecken-, oder Dorf-Ringmauern, so unter andern die von Fladungen, fanden zu kirchlichen Vorgängen keine An1vendung; sie dienten ja zunächst zum Schutze oder zur Verteidigung gegen feindliche Anläufe, am Ende aber auch zu vermeintlicher Verschönerung des städtischen Mauerringes. Die stolzen, baukünstlerischen Prachttürme der Dome oder Münster entziehen sich hier unserer Beurteilung.

Die Kirchglocken (mittelhochdeutsch=glogge, althdtsch=klocca, später (clocca geschrieben) haben ihren Namen wohl von dem Worte „klopfen“ oder anschlagen. Als Zeit der allgemeinern Verbreitung der Kirchglocken in Deutschland wird die Mitte des 9. Jahrhunderts angenommen; man unterschied damals genietete, geschmiedete und gegossene Glocken. Die meisten älteren Kirchen Tullifelds haben sich mit kleinern der letztern Art, mit Glöckchen, gern begnügt; zur Anschaffung größerer fehlte ihnen ja das klingende Metall.

Jm Jahre 1660 kaufte z. B. die Gemeinde Kaltennordheim eine in Würzburg gegossene, 7¾ Ctr. wiegende „große“ Glocke, à Centner zu 27 Thlr. Das war eine starke Ausgabe für den Stadtflecken, und die Glockengröße stand doch zu der Domglocke von Erfurt (die 286 Ctr. schwer sein soll) wie auch mit dem Glockenklang in einem so „himmelanschreienden“ Widerspruche, wie das Kaltennordheimer Kilians-Kirchtürmchen zum Stefansturme in Wien! — In der alten Bischofsstadt des Tullifeldes, in Würzburg, soll die Burchardikirche noch eine Glocke aus dem Jahre 1249 besitzen.

Frühzeitig hatte man die sogenannte Glockentaufe oder Glockenweihe eingeführt, die aber bald zu einer Feier wie eine Kindtaufe oder wie ein fröhliches Kirchweihfest ausartete. Schon Karl der Große soll 789 die zu Papst Gregor des Großen Zeit bereits ausgebildete Ceremonie der Glockenweihe wegen des daran geknüpften Aberglaubens verboten haben, ohne aber damit durchzudringen. Wahrscheinlich wäre auch Schillers Glockenspruch: „Concordia soll ihr Name sein!“ nicht immer zur Geltung bei dem Glockenfestmahl gekommen. Gemäß der eigentlichen Bestimmung über den Gebrauch der Kirchglocken dienten dieselben ursprünglich doch nur zum Zeichengeben für den Beginn des Gottesdienstes. Späterhin unterschied man, wie auch in vielen tullifeldischen Orten: Gebetglocke, Totenglocke, Predigtglocke, Wetterglocke, Stunden- oder Uhrglocke, Schul- und Taufglöckchen; mit letzterm wurde nur „geklängelt.“

Daß bis in unsere Zeit aber auch in gar mancher Gemeinde unserer Gegend Mißbrauch mit den Glocken getrieben worden ist, daß vielleicht bei Berufung der Gemeindeversammlung zu profanen Verhandlungen, zu politischen Wahlen, zum Beginn des Jahrmarkts, zur Hirtenschutt oder zum Einheben des Ochsenhafers, ja wohl auch zum Schafbaden u. a. das Taufglöckchen läutete, bedarf keiner weitern Erwähnung. Freilich heißt es in einem Schulliedchen:

Die Glocken der Dörfer erschallen,
Verkünden erquickende Ruh’,
Und läutende Heerden, sie wallen
Dem schützenden Dache nun zu. –

(Schwabe).

Wie melodisch schön singt aber auch Franz Abt:

Glockenklänge rufen hin zu Gottes Haus,
In der Schöpfung Tempel dringt der Ruf hinaus,
Und in frommer Andacht glüht das Menschenherz;
Schwing am Tag des Ew’gen, schwing dich himmelwärts.

Glockenklang und Kirchensang stimmen uns bald froh, bald bang! – Das Kirchenlied kam spät zur Geltung. Von einem eigentlichen Kirchengesang des Volkes konnte bis ins Mittelalter gar keine Rede sein, da die römische Kirche ausdrücklich den Gebrauch der einheimischen Sprache bei liturgischen Handlungen untersagt hatte. Das Volk sollte schweigend beten, nur im Herzen singen; den Geistlichen allein kam es zu, heilige Gesänge anzustimmen. Das einzige, was man Jahrhunderte lang dem Volke beim Gottesdienste hören zu lassen erlaubte, war der Ruf: Kyrié, Kyrié eléison (Herr, erbarme Dich!) Dieser wurde, und zwar oft wiederholt, nach der Predigt, zu der Vesper und besonders bei Leichenbegängnissen angestimmt, gerufen und gesungen. – Sollte vielleicht das deutsche Volk allmählich von diesem Kyrie den Namen „Kirche“ für das Gotteshaus entlehnt haben? Die Ableitung dieses Wortes von einem andern ist wohl nicht erwiesen; das Wort Kyrie galt auch als Ruf zur Andacht, zur Kirche.

Im Kirchvorhofe war ehedem, wie man es auch in tullifeldischen Orten noch findet, die Begräbnisstätte nahe an oder hinter der Kirche, ein eingefriedeter Raum, der Friedhof, Totenhof, oder seit dem 14. Jahrhundert volkstümlich „Gottesacker“. Ursprünglich besaß jede, selbst die größte Stadtgemeinde nur einen Gottesacker, hingegen oft mehrere Dorfgemeinden einen solchen Begräbnisplatz gemeinschaftlich; so z. B. Schafhausen und Melpers, oder Gert- und Aschenhausen bis zu Anfang des 17. Jahrhunderts, früher sogar wohl noch gemeinsam mit Wombach und Pfaffenhausen. Der Friedhof mancher Dorfkirche hatte nicht nur im Mittelalter, sondern bis in die neuere Zeit auch im Tullifeld sogar eine strategische d. h. kriegswichtige Bedeutung, weil doch diese Kirche auf einem freiern und höhern, also zu Umschau und Verteidigung günstigen Punkte stand. (s. S. 61 Gaden). Ja, der Gottesacker war’s, wo manch’ blutiges Gefecht stattfand. – Inmitten des Gaues Tullifeld tobte 1634 auch die Wut des dreißigjährigen Krieges so, daß die Friedhöfe für die Gefallenen nicht mehr ausreichten; die Ueberlebenden mußten Massengräber anlegen, in denen eingeengt die vorher Streitenden in Frieden ruhten. Haben doch auch vor erst 30 Jahren, gottlob nach nur dreitägigem Kriegen, im Friedhofe von Zella, Wiesenthal und Roßdorf wie im Gefilde von Dermbach die auf der Walstatt Gebliebenen, welche als Söhne des gemeinsamen Vaterlandes beiderseits für ihren König die Waffen erprobten, auf ehrengleiche Weise gemeinsam ihre Gräber und ihre Denkmale erhalten! –

Die eben gepflogene stille Betrachtung leitet mich und von selbst wohl manchen Leser auf eine andere Art von Gräbern, nämlich zu den in Sagen und Chronik erwähnten Hünengräbern. Hünengrab, auch Hünenbett, ist (nach Götzinger) im engem Sinne ein solches Grab, das ein aus großen Felsstücken erbauetes längliches Viereck als Kern birgt, mit mächtigen platten Felsstücken bedeckt, über welchen meist ein Grabhügel aufgeschüttet ist. Manchmal führt ein Steingang zur Grabkammer; außerdem umgiebt das Grab oft noch ein Steinkreis. Das Innere birgt Skelette, Gefäße, Waffen. Seit dem 13. Jahrhundert war das mittelhochdeutsche Wort Hiune von dem Begriff des Hunnen auch auf den eines Riesen übertragen worden und hielt sich bis ins 16. Jahrhd., ober- und schriftdeutsch als Heune, mittel- und niederdeutsch als Hûne. Während nun dieser Wortlaut ausstirbt, bewahren die niederdeutschen Gegenden mit der Sprachform Hüne einen reichen Sagenschatz; norddeutsche Gelehrte verwendeten später das Wort Hünengrab oder Hünenbett für die Stelle archäologischer (d. h. ältstzeitlicher) Funde, die teils einzeln auf Anhöhen oder in Wäldern, teils in Reihen geordnet sich vorfinden. Binder, der in seiner Beschreibung von Sondheim auch Hünengräber in dortiger Flur angiebt, sagt kurz: Hünen bedeutet die großen Toten; er bemerkt dabei, daß Professor Klopfleisch aus Jena 1882 auch in der Rhöngegend umhergereist sei, um (mit Hilfe der Keramik, =Scherbenkunde) die vermeintlichen Hünengräber zu untersuchen.

An der Oberwaldbehrunger Flurgrenze, am Ostende des „Hunsrück“, habe schon 1830 Professor Recknagel Ausgrabungen vorgenommen gehabt. Klopfleisch fand aber hier nur noch ein unberührtes Feld (8½ m langer, 5½ m breiter Steinbau von Erdschicht bedeckt und umgeben) und darin Tierknochen von Opfermahlen, sinnbildliche Donnerkeile, 12 zerdrückte Urnen u. a. Ein besonders interessantes Einzelgrab fand sich zwischen Urspringen und Stetten; es barg 5 Skelette auf dem ausgeplatteten Grunde, anscheinend die des Helden, eines jugendlichen Sklaven, die seiner Frau und ihrer beiden Dienerinnen; die weiblichen Skelette waren, durch eine Schicht schwerer Basaltsteine von den männlichen abgesondert, höher gelegt. Der Hügel enthielt an 30 Fuhren Basaltsteine. Ein sehr ausgedehntes Gräberfeld birgt wohl noch das Stettener Wäldchen; interessant ist dieses schon durch schönen Eichenwuchs. –

Kulturhistorische Merkmale, die sich in den Hünengräbern finden, lassen auf die Zeit ihrer Entstehung schließen. Nach Klopfleisch giebt es sechs bezw. neun Perioden von der Vorzeit bis zur Einführung des Christentums; die erste z. B. zeigt mühsam gefertigte Steinwerkzeuge, die vierte, zur Zeit Salomos, ist die der Bronzewaaren, die fünfte zeichnet sich durch hohe Hügelbauten aus, in der sechsten beginnt die Eisenzeit und ist die Leichenverbrennung allgemein. Die Hünengräber gehören der heidnischen Zeit an; in ihnen sich findende Symbole (Sinnzeichen) des Blitzes deuten auf die Verehrung des Donar oder Thor (s. S. 49).

Wennschon das liebe Tullifeld nach Nordwest hin an den Haun-, Hain- oder Hüngrund (mit der alten Stadt Hünfeld) grenzt, und wenn auch nach Nordost zu das tullifeldische Querthälchen der „Hunna“ (jetzt Pfitz-Gründchen). mit seinen Hügelwellen in der nördlichen Bleß-Niederung zu finden ist, so ist damit doch wohl nicht ohne Weiteres eine Beziehung auf Hünen und Hünengräber gegeben. Immerhin sind seltsam erscheinende Stein- und Mooshügel einer Feldmark oder eines Waldstrichs, oder auch Sagen, die sich an die Flurbezeichnungen von „Höhn, Hauck, Hain, Haun, Hun und Hün“ anknüpfen, oft die ersten Anlässe zu erfolgreichen Nachgrabungen gewesen. In der Kaltennordheimer Flur, zwischen dem Altenberg und der Mittelsdorf-Westheimer Grenze ist eine hügelreiche, einst waldige Strecke, jetzt zum Teil Gemeindehuth, welche auf der Karte die Bezeichnung „am Höhngraben und am Höhnhauck“ trägt, im Volksmunde aber „am und vorm Hönn oder Hünn“ genannt wird. Ohnweit davon, westlich, stand die S. 18 und 65 erwähnte alte Kirche oder Kapelle. Ob in der Nähe derselben auch eine oder mehrere Begräbnisstätten für die kleinen Dörfer oder Höfe waren, die zu jenem Kirchlein sich hielten, das bleibe dahin gestellt; Hünengräber aber sind da wohl vergeblich zu suchen. Ebenso zweifelhaft ist es, ob der an der alten Flur- und Centgrenze von Kaltennordheim und Kaltenlengsfeld, an der sogenannten „Stehde“ (Stätte, d. i. ehemalige Galgenstätte) isoliert gelegene längliche Basalthügel beim „Guntermannshölzchen“ für eine Hünenstätte zu halten ist. Vielleicht berechtigen die jenseits des „Streitgrundes“ am nahen Hahnberg, im Riederholz, inmitten hoher Buchen gelegenen, mit Basalten und Erde ausgeführten Einzelhügel zu größerer Erwartung. Doch könnten dieselben auch von der großen Schlacht herrühren, die, wie manche Chronisten behaupten, 1078 Kaiser Heinrich IV. in der Lengsfeld-Roßdorfer Gegend gegen die Sachsen verloren haben soll. Brückner erzählt unter anderm in seiner Landeskunde, daß 1754 „am Hain“ in der Kaltenlengsfelder Flur altdeutsche Gegenstände, kupferne und silberne, teils vergoldete Zierrate und auch Knochen ausgegraben wurden. Uebrigens wollen wir hier nicht unerwähnt lassen, daß bis an die Riederholz-Waldung, ja bis hinein Feldstücke liegen, die zu den S. 18 genannten Wüstungen Sonnhof und Rieden gehörten. –

Wenden wir uns aus dem oben erwähnten Pfitzgrund etwa von Langenfeld nordwestlich nach der Werra hin, so gelangt man bald in ein ganz anderes altes Gräberfeld, über welches Postdirektor Dreißigacker-Meiningen 1888 in einem dem Henneberger altertumsforschenden Verein gehaltenen Vortrage berichtet: ,,Zwischen Leimbach und Kaiserrode, links der Werra ist das Gelände eines Gräberfeldes; rechts gegen 150 m abseits der (tullifeldischen) Sekundärbahn, aber links der Werrabahn, die hier in weiter Kurve das Werrathal zu überschreiten beginnt, liegt eine etwas aufgehäufte Terrasse des Ackerfeldes im sogenannten „Kies.“ 1856-58, bei dem Bauen der Werra-Eisenbahn ist das Lager angegraben worden. Die ·Fundstücke bestehen in Urnen, Urnentrümmern, Metallgeräten und Schmuckgegenständen. Unverbrannte Teile menschlicher Skelette oder Tierknochen wurden nicht bemerkt« Da letzteres nun der Fall war, dürfte es immer noch zweifelhaft sein, ob jenes Gelände wirklich ein Gräberfeld ist. Die aufgefundenen Dinge können dereinst auch durch Ueberschwemmung der alten Wirraha (Werra) – an einem „kritischen Tage erster Ordnung“ – aus den Ansitzen der Chatten und Theuringer hinweggerafft und in den Kies vergraben worden sein. Diese Vermutung wird durch Kronfelds Angabe aus einer spätern Zeit unterstützt, wonach nicht weit von Kaiserrode an der Werra das Dörfchen Vockenrode gestanden habe. Wegen öfterer Ueberschwemmung brachen die Einwohner 1736-49 ihre Gebäude ab und baueten sie beim „Kaiserhofe“ auf, welchen 1709 ein Johannes Kaiser unter Genehmigung des Herzogs Johann Wilhelm von Weimar mit Wirtschaftsgerechtigkeit hergestellt hatte, wo jetzt das Dorf Kaiserrode liegt. (vergl. S. 19).

Ende des ersten Teils.

Es bedarf wohl keiner Entschuldigung, daß unsere Umschau schon im ersten Hefte den Rahmen des beim Vorwort gegebenen Planes hie und da überschritten hat; umstehend folgt aber noch ein genaues Inhaltsverzeichnis. (es entspricht den Überschriften in dieser Website).


aus
C. E. Bach
„Im Tullifeld“
Eine historisch-landschaftliche Umschau in engerer Heimat
– der Vorderrhön –


Bücher und DVD über Geschichte, Landschaft und Kultur der Rhön und Thüringens
– nach Themen sortiert –


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