Gehaus im 19. & Anfang des 20. Jh.

Inhalt

 

Das Wachsen des Dorfes zu Beginn des 19. Jh.

Obgleich niemals Schauplatz der Weltgeschichte geht diese nicht spurlos an unserem Dorf vorüber. In ihrem Verlauf kündigt sich mit den napoleonischen Eroberungskriegen die „Franzosenzeit“ und mit ihr auch unwiderruflich das Ende der Boineburgschen Herrschaft an.
Mit der Übereignung des Fürstentums Fulda (seit 1750 Bischofssitz) an das vom Sturm der französischen Revolution hinweg gefegte holländische Fürstenhaus Oranien als Erbland, „verordnet“ uns Napoleon 1802 eine neue Obrigkeit, was ihn jedoch nicht daran hindert, 1806 die holländische Herrschaft wieder zu beseitigen und gleichzeitig zugunsten seiner im \“Rheinbund\“ zusammengeschlossenen Verbündeten 112 deutsche Kleinstaaten von der Landkarte verschwinden zu lassen (Reichsdeputations-Hauptschluss von 1803). Darunter die kirchlichen Kleinstaaten und reichsritterschaftlichen Ämter.
Fulda wird 1806 seiner weltlichen Macht entkleidet. Die Familie Müller in Lengsfeld und die Boineburgs bei uns verlieren ihre Selbständigkeit. Ihre Herrschaft wird beseitigt, bis auf die „Patrimonialgerichtsbarkeit“, eine zur Erhaltung ihrer Vormachtstellung den Großgrundbesitzern zustehende untere Gerichtsbarkeit, die erst 1849 nach der Revolution aufgehoben wird.
Politischen Machtinteressen ausgeliefert, geraten wir in die Mühle rasch wechselnder Herrschaftsverhältnisse. Wir sind 1803 Opfer einer zeitweisen Annexion durch den Kurfürsten von Hessen, der 1806, nach dem Zusammenbruch des deutschen Reiches, bis zu seiner Vertreibung erneut vom Amt Lengsfeld Besitz ergreift. Bei der politischen Neuordnung von Napoleon vergessen und daher herrenlos, sind wir vorübergehend Untertanen des Weimarer Herzogs Carl-August, der sich selbstherrlich das Amt aneignet.
1808 durch französisches Mandat als dem Fürstentum Fulda zugehörig erklärt, sind das Amt Lengsfeld und wir mit ihm als Kanton Lengsfeld, Distrikt Hersfeld, Departement „Werra“ ab 1810 Teil des neu errichteten Großherzogtums Frankfurt/Main.
Tatsächlich sind wir jedoch Untertanen des von Napoleon eigens für seinen Bruder Jerome geschaffenen Königreich Westfalen, der sich eigenmächtig und selbstherrlich das Fürstentum Fulda aneignet, dort den berüchtigten General La Grange schalten und walten lässt und der erst abtritt, als er 1813 von den verbündeten Preußen, Russen und Österreichern außer Landes gejagt wird.
Die erneute und wiederholte Besitzergreifung des Amtes 1814 durch den Kurfürsten von Hessen wird von Reichs wegen für null und nichtig erklärt. Ab Juli 1815 ist der König von Preußen, der das Fürstentum Fulda samt dem Amt Lengsfeld in Besitz nimmt, unser oberster Landesherr. Bevor im Ergebnis des Wiener Kongresses, der nach den napoleonischen Kriegen das Machtgefüge des damaligen Deutschlands neu ordnet, durch Staatsvertrag das Amt im Febr.1816 und wir mit ihm endgültig an das Großherzogtum Sachsen-Weimar kommen.
Auch unser Schultheiß Adam Johann. Steitz und die beiden Gerichtsschöppen Johann Adam Lückert und Simon Wiegand sind dabei, als im November 1815 der Weimarer Großherzog im Schlosshof von Dermbach von Behörden und Untertanen als künftiger Souverän sich huldigen lässt.
Innerhalb der „Kleinen Eiszeit“ (1550 – 1850) treten auch mildere Abschnitte und sogar sehr warme Einzeljahre auf. Klimatisch ist die Phase durch eine merkliche Unbeständigkeit und damit durch ein großes Ernterisiko gekennzeichnet. Damit steigen (gegenüber stabilen, „berechenbaren“ Klimasituationen) Lebensbedrohung und Zukunftsangst. Spontane wie auch prophylaktische Auswanderungswellen in die „Neue Welt“ sind die verständliche Folge.
1810 rückt im Kanton Lengsfeld eine königlich-westfälische Jägerkompagnie ein, die ein Vierteljahr lang auch auf Kosten unseres Dorfes verköstigt werden muss. Wie ein Zeitzeuge zu berichten weiß, quartieren sich in Lengsfeld bis zur Vertreibung Napoleons 70.000 Soldaten ein, mit allen für die Bevölkerung daraus erwachsenden Entbehrungen und Beschwernissen. Sie hinterlassen eine Kriegsschuld von 42.000 Talern. Wir Gehauser gehören mit zu den Betroffenen.
Noch einmal geraten wir an den Rand kriegerischer Ereignisse, als nach der Völkerschlacht bei Leipzig (16. bis 19. Oktober 1813) Teile der geschlagenen französischen Armee, verfolgt von Österreichern und Preußen, auf ihrer Flucht zum Rhein, von Rosa kommend, auf der Strasse von Dermbach nach Geisa unmittelbar unser Gebiet berühren.
Als alles zu Ende ist, weiß man, dass dieser Krieg dem Dorf eine schwere Schuldenlast aufgebürdet hat, die es jahrelang mit sich herumschleppen muss. Ob auch Gehauser am Befreiungskrieg 1814/15 teilnehmen, ist zumindest zweifelhaft. Mehr als die nationale Not dürfte sie die eigene und die Not ihrer Familien bedrängt haben.
Mit der Besitzergreifung des Amtes durch die Preußen im Juli 1815 kommen für die Dauer von 20 Wochen preußische Ulanen ins Dorf. Für ihren Unterhalt muss die Bevölkerung erneut große materielle Opfer auf sich nehmen.
In das Klimapessimum der Kleinen Eiszeit fallen zusätzliche Extremereignisse, die die Versorgungssituation verschärfen, zum Beispiel Vulkanausbrüche 1812–1817 in Indonesien. 1815 explodierte der Vulkan Tambora. Der um den Globus ziehende gewaltige Aschenauswurf bescherte Teilen der Welt ein „Jahr ohne Sommer“. Not und Entbehrungen werden nicht geringer als uns mit dem Anschluss an das Großherzogtum Sachsen/Weimar eine neue Obrigkeit beschert wird. Die Missernte des Jahres 1816 bringt neues Elend über die Menschen und trifft besonders die Rhöner mit unerbittlicher Härte.
Das Schlimmste ist der Hunger. Getreide ist unerschwinglich teuer und gerät in die Hände gewissenloser Schieber. Der kleine Mann ist kaum noch in der Lage, sich Brot zu beschaffen, aber auch Kartoffeln sind knapp.
Getreideimporte aus Russland sollen die Not lindern helfen. Das sogenannte Ostseegetreide muss jedoch über den Wasserweg der Weser und Fulda nach Hersfeld gebracht, von dort mit Pferdefuhrwerk herangeschafft und demzufolge teuer bezahlt werden. Den Gemeinden ist es vorbehalten, oft genug auf dem Wege der Zwangsbeitreibung das vorgeschossene Geld vom Getreideschuldner wieder hereinzuholen.
Für viele ist die Bettelei ein letzter Ausweg. In Lengsfeld leben an die fünfzig Menschen ganz offen von dieser Art Broterwerb. Nicht wenige mögen es sein, die ihr Elend verschweigen. Im Amt Dermbach ist von den 5000 Einwohnern nahezu die Hälfte auf staatliche Unterstützung angewiesen. Der Ort selbst erlebt im März 1817 die erste Brotverteilung an Not leidende Familien.
Da ist es nicht schwer, sich vorzustellen, wie es bei uns im Dorf ausgesehen haben mag. Was da jemand über diese Zeit zu berichten weiß, hört sich so an : „….ein schwarzes Brot von gemahlenen Kartoffeln, Hafer und Gerste oder wenig Korn, abgesottene, kalte Kartoffeln mit Salz, geronnene Milch, ein wenig Käs oder ein wenig Kraut mit etwas Fleisch machen beinah die ganze Nahrung aus“.
Die Ernte des Jahres 1817 verschafft den Menschen eine kleine Atempause. 1818 wird jedoch zu einem neuen Notjahr, unser Dorf deshalb von seiner Grundherrschaft aber nur wenig geschont.
Trotz aller Drangsale in seiner Vergangenheit ist Gehaus inzwischen zu ansehnlicher Größe herangewachsen. 1817 zählt es 964 Einwohner. 1826 wohnen die Gehauser samt Höfen in 165 Häusern und 1840 leben in hier bereits 1266 Menschen. Das ist eine Bevölkerungsentwicklung, die deshalb überrascht, weil das Dorf außer seiner Armut sonst nicht viel anzubieten hat.
Wo liegen die Gründe dafür?
Es ist offensichtlich, dass die Boineburgs, als sie hierher kommen, für die Kultivierung und später für die Bewirtschaftung ihrer umfangreichen Ländereien Arbeitskräfte, viele Arbeitskräfte benötigen. Und da gibt es in den vergangenen Jahrhunderten nicht wenige, die auf der Flucht vor Krieg, Hunger und Not oder aus welchen Gründen auch immer im Land unterwegs sind und auf der Suche nach einer Bleibe auch hier im Dorf sich niederlassen.
Nichtsdestoweniger ist der Zuzug nicht kostenlos. Wie damals üblich lassen sich auch die Boineburgs als Grund- und Gerichtsherrn das dem fremden Zuwanderer gewährte Wohn-, Aufenthalts- und Heimatrecht sowie den diesen zugesagten Schutz durch ein sog. Einzugsgeld bezahlen. Sie profitieren auf diese Weise gleich zwei Mal von jedem Neuankömmling.
Für die Boineburgs sind die Einzugsgelder willkommene Einkünfte. Doch wie schon gesagt, ihre Weltoffenheit nimmt sogar jene Zuwanderer auf, die man anderenorts als unerwünscht gewöhnlich abzuweisen pflegt. So ist Gehaus neben Kaltenwestheim der einzige Ort weit und breit, der sich Zigeunern öffnet und wo Juden, sonst landesweit verfemt und geächtet, eine Heimstatt finden.
Der Zustrom verebbt und die Bevölkerungszahl wird rückläufig, als sich mehr und mehr herausstellt, dass das Dorf nicht genug Brot hat, um alle seine Menschen satt zu machen. Schon 1845 ist die Einwohnerzahl auf 1141, 1861 auf 1038 und 1880 gar auf 914 Seelen zurückgegangen. Das Strohdach, unter dem die Gehauser Jahrhunderte lang leben, hat wirkliche Hütten gedeckt. Es gibt damals davon um die 160 im Dorf.
Im Dorf hat sich im Laufe der Zeit ein bodenständiges Handwerk herausgebildet. 1821 befinden sich unter den Gehausern

  • 1 Bäcker
  • 3 Schuster
  • 2 Metzger
  • 2 Zimmerleute
  • 5 Schneider
  • 2 Schmiede
  • 2 Schreiner
  • 1 Wagner
  • 2 Büttner
  • 1 Glaser
  • 4 Maurer.

unter welchen, wie es in der Kirchenchronik heißt, „Johann Nordheim und sein Sohn Johann Georg so ausgezeichnet sind als wie der Schlosser Sonntag in Stadtlengsfeld“.
Daneben gibt es den praktizierenden Arzt und Chirurgen Curt Leutzsch, den Salzhändler Ludwig Schmidt sowie 17 Raschmacher (darunter ein Caspar Schwarz). Letztere sind Tuchmacher, die Tuchmacherei hat ihr Fundament im heimischen Flachsanbau und in der Schafzucht, die als Wollkämmerer, Wirker und Weber in einem 18-stündigen Arbeitstag für ihren kapitalistischen Verleger Tuche für einen Hungerlohn herstellen. Sie müssen aufgeben, als um 1850 Textilmaschinen ihre Arbeit übernehmen.
Später kommen Korbflechter hinzu. Stellmacher, Zigarrenmacher, ein Zangenschmied, ein Barbier, um 1880 in der Person des Johannes Klotzbach sogar ein Schornsteinfeger. Nicht zu vergessen die „Seilersch“, die heute noch ihren Namen für eine ehemals in ihrem Haus untergebrachte Seilerei hergeben.
Das Handwerk nahm einen solchen Aufschwung, dass z.B. 1781 die Gehauser Schuster die Schlossherrschaft baten, wegen Überfüllung der Branche keinen Schuhmacher mehr im Dorf zuzulassen.


 

 

Die Märzrevolution 1848

Recht hat damals mit den Armen nur wenig im Sinn. Es schützt den Reichen und Besitzenden wie es den Besitzlosen drückt. Um mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen, genügt es schon, aus Boineburg’schen Forsten Waldstreu oder Leseholz zu entnehmen. Da es an Brennholz mangelt und die Rhönwinter hart sind, gibt es nicht wenige Gehauser, oft genug sind es Frauen und Mütter, die es für ihre Familien immer wieder auf sich nehmen, beim Holz- und Streusammeln ertappt und vor den Richter zitiert zu werden.
So zählen denn auch diese Art Wald- und Holzdiebstähle, und nicht nur diese, zu den auffälligen Gesetzesverletzungen unter einer Obrigkeit, die selbst Mundraub unter Strafe stellt.
Alle diese Delikte, von kleinen Leuten begangen, auch wenn sie gegen Recht und Ordnung verstoßen, werfen doch ein bezeichnendes Licht auf die bedrückende soziale Lage vieler Gehauser Familien in dieser Zeit.
Ein unmittelbarer Vorbote der Märzrevolution im damaligen Zentraleuropa war das Krisenjahr 1847, dem eine schwere Missernte 1846 vorausging. 1845/46 vernichtet eine Kartoffelkrankheit fast die gesamte Ernte dieses Hauptnahrungsmittels. Die Missernten der vergangenen Jahre haben zudem die Verschuldung der Landbevölkerung in bedrohlicher Weise anwachsen lassen. In der Bauernschaft gärt es, als der Staat daran geht, zur Abdeckung von Steuerschulden das Vieh aus den Ställen zu holen. In den deutschen Staaten hatte all dies eine allgemeine Verteuerung der Lebensmittel zur Folge, es kam zu Hungersnöten und Hungerrevolten in fast allen deutschen Staaten und Regionen. Es bedurfte nur noch eines Anstoßes, dass Erbitterung, Missmut und Unzufriedenheit in Gewalt umschlagen. Viele auch ärmere, von vorindustrieller Massenarmut betroffene Bevölkerungsschichten wie Arbeiter, verarmte Handwerker, Landarbeiter usw. schlossen sich bedingt durch ihre soziale Not daraufhin zunehmend den Forderungen demokratisch und liberal gesinnter Kreise an.
Die bürgerlich-demokratischen und nationalen Erhebungen erfassten weite Teilen Mitteleuropas. Bereits im Januar 1848 hatten sich italienische Revolutionäre gegen die Herrschaft der österreichischen Habsburger im Norden der Apenninen-Halbinsel und der spanischen Bourbonen im Süden erhoben. Nach Beginn der französischen Februarrevolution wurden auch die deutschen Länder Teil dieser Erhebungen gegen die herrschenden Mächte der Restauration.
Unsere Region bleibt davon nicht unberührt. Es sind vor allem die kleinen Leute, die Erwerbslosen und Landarbeiter, kleine Handwerker, Gewerbetreibende und Händler, landarme Bauern und landlose Arbeiter und Tagelöhner, die mit den Aufständischen sympathisieren und sich durch die Erhebung eine Verbesserung ihrer tristen sozialen Lage erhoffen.
Die Unruhen brechen aus, als die Weimarer Regierung mit dem Aufruhrgesetz, und Aufruhr ist gleichbedeutend mit der Zusammenrottung von mehr als 15 Personen, militärische Gewalt androht.
In Salzungen geht am 10. März eine erregte Volksmasse auf die Strasse und fordert durch ihre Sprecher Arbeit und Brot, Steuernachlass, Senkung der Salzsteuer und Holzpreise, Verminderung der Feudallasten, bessere Schulbildung u. a. m. Es kommt zu gewaltsamen Ausschreitungen. In Lengsfeld und Weilar geht Militär gegen revoltierende Fabrikarbeiter vor.
Um der drohenden Umsturzgefahr zu begegnen, lässt die Staatsregierung in Weimar als örtliche Selbstschutzorganisationen s. g. „Bürgerwehren“ gegen die „Unruhestifter“ einsetzen. Dass es eine derartige „Schutzgarde“ auch bei uns gegeben hat, erfahren wir aus der Kirchenchronik, demzufolge der Gemeinderat 1849 im nachhinein beschließt, die 1848 zur Bewaffnung der Bürgerwehr angeschafften Lanzen aus dem Gemeindesäckel zu bezahlen.
Wie ernst die Behörden die allgemeine Lage einschätzen, entnehmen wir einem Bericht der für uns zuständigen Bezirksdirektion Dermbach vom 15. März 1848. Darin beschwört der Bezirksdirektor Henschel die Weimarer Regierung dringend, u. a. folgenden Forderungen der Aufständischen nachzugeben:

  • ersatzlose Streichung aller Feudallasten,
  • Senkung des Salzpreises und Minderung des Holzpreises für die Ärmeren,
  • Milderung der Forstschutzgesetze und Amnestie für alle noch unverbüßten Holzfrevel.

In welcher Weise sich die Gehauser der revolutionären Erhebung anschließen, darüber erfahren wir Näheres aus dem Bericht des Boineburgschen Rentmeisters Dr. Goßlar an seinen gräflichen Dienstherrn.
Danach zieht eine große Menschenmenge, von Lengsfeld kommend, unter Führung der Vorstände von Lengsfeld, Weilar und Gehaus vor das Weilarische Schloss und lässt dort dem Schlossherrn eine Petition u. a. mit folgenden Forderungen überreichen:

  • gänzliche Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit,
  • Herabsetzung des Lehnsgeldes auf 5 %,
  • Abtretung der Jagd und Fischerei auf und an den bäuerlichen Grundstücken,
  • gemeinschaftliches Hut- und Triftrecht in allen Fluren.

Er wird gezwungen, gleichzeitig für seinen Gehauser Vetter, die Unterschrift dafür herzugeben.
Mit ihren Forderungen offenbar noch nicht zufrieden, sind es tags darauf neue Deputationen von Lengsfeld, Weilar und Gehaus, die nunmehr auch „die Abschaffung aller herrschaftlichen Privilegien, die Niederschlagung der lehnsherrlichen Schulden sowie die Herabsetzung des Holzpreises auf den Stand vor 20 Jahren verlangen. Die Boineburgs sollen überhaupt nicht mehr behalten als ihren Namen und ihre Güter“. Im Bericht heißt es dann weiter: „… man wird demnächst den Herren in Gehaus alle diese Forderungen zur Genehmigung und Unterzeichnung vorlegen und weiß Gott, mit welchen Gräueln der Verwüstung drohen, wenn sie das nicht tun wollten“.
Die 48er Revolution wird mit Waffengewalt niedergeschlagen. Wieder einmal ist für den kleinen Mann der Versuch gescheitert, im Kampf gegen die Obrigkeit sich aus den Fesseln sozialer und wirtschaftlicher Unfreiheit gewaltsam zu befreien.
Unser Dorf wird noch einmal mit den Ereignissen konfrontiert, als 1849 preußische Soldaten auf ihrem Marsch zur Niederwerfung des badischen Aufstandes durch unser Gebiet marschieren und bei ihrer Rückkehr 1850 kurze Zeit im Dorf sich einquartieren.
Nichts hat sich geändert. Auch bei uns in Gehaus ist alles beim Alten geblieben.


 

 

Die Auswanderungswelle

Einer möglichen Weiterentwicklung von Handwerk und Gewerbe steht das Dorf selbst im Wege. Einmal durch seine isolierte Lage, zum anderen durch seine Menschen, die sich neuen Entwicklungen und dem Fortschritt gegenüber nur schwer öffnen. Dennoch, warum das Dorf zurückbleibt, liegt hauptsächlich an den von feudaler Abhängigkeit geprägten gesellschaftlichen Verhältnissen, die den Gehausern nur wenig Raum zur Entfaltung lassen. Es gab ja kaum selbständige Bauern in unserem Dorf, denen der bewirtschaftete Boden gehörte – sie bestellten gepachtetes Land der Grundherrschaft.
Das ist ganz anders bei unseren Nachbarn in Oechsen oder auch den Urnshäusern, die sich zur Belebung von Handel und Wandel bereits im 18. Jh. Jahrmärkte ins Dorf holen. Dass diese jedoch besser abgeschafft werden sollten, begründet der Gemeindevorstand von Urnshausen damit, dass es sich dabei mehr um Sauf- als um Kauftage handeln würde. Was sicher auch auf die um 1850 in Lengsfeld, Vacha und Dermbach eingerichteten Viehmärkte zutreffen dürfte.
Wie überall im Eisenacher Oberland, so lösen um die Mitte des 19. Jh. wirtschaftliche Not, Erwerbslosigkeit und Überbevölkerung auch bei uns in Gehaus eine Welle der Auswanderung aus. 1845/46 vernichtet eine Kartoffelkrankheit die gesamte Ernte. Mancher verkauft Haus und Hof, verlässt alleine oder mit der ganzen Familie im Vertrauen auf das große Glück das heimatliche Dorf. Andere, die zurückbleiben, verkaufen für ihre Kinder das letzte Stück Rasch in der Truhe und die einzige Kuh im Stall. Traumland, auch für manchen Gehauser, ist Amerika, die neue Welt.
Freilich, so einfach auswandern, das gibt es trotzdem nicht. Man macht seine Geschäfte mit der Auswanderung. So müssen auch die Gehauser Wandervögel zuvor ein „Abzugsgeld“ an ihre Obrigkeit entrichten, anfangs an die Boineburgs als ihren Grundherrn, später, noch bis 1847, an den weimarschen Staat. Es ist das der Gegenwert für das „menschliche“ Kapital, das der Obrigkeit mit dem Auswanderer als Steuerzahler, als Inhaber von Vermögenswerten sowie als künftige Soldaten verloren geht. Der muss sich zudem noch durch eine Ablösesumme bzw. durch Stellung eines Ersatzmannes von der Militärpflicht freikaufen.
Was heißt aber Auswanderung? Bei der damals herrschenden Kleinstaaterei ist für uns Gehauser beispielsweise das auf Meininger Gebiet liegende Salzungen schon \“Ausland\“ und jeder der dorthin zieht, ein potentieller Auswanderer, der der Obrigkeit Abzugsgeld schuldet.
Ab 1852 übernehmen staatlich konzessionierte Agenten das Auswanderergeschäft. Ab 1854 sind es für die Gehauser ein Simon Glückauf und ein Wilhelm Backhaus in Stadtlengsfeld, die das Genehmigungsverfahren erledigen, den Transport zum Überseehafen Bremen. Einschiffung und Überfahrt organisatorisch und finanziell vorbereiten. Manche müssen ihren Traum aufgeben, weil sie das nötige Geld nicht zusammenbringen.
In der Zeit von 1844 bis 1854 verlässt jeder zwölfte Einwohner das Dorf, darunter zahlreiche jüdische Mitbürger. Auf dem Höhepunkt der Auswanderungswelle, in den Jahren von 1852 bis 1854 liegt Gehaus mit 76 hinter Lengsfeld mit 82 Auswanderern im gesamten Eisenacher Oberland an zweiter Stelle der Auswanderungsstatistik. 1868 erlebt das Dorf noch einmal einen Auswanderungsschub, demzufolge lt. Kirchenchronik „einige hundert“ Personen das Dorf verlassen, um nach Amerika auszuwandern.


Auswanderungsgründe und -ziele

Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger!
Heute wollen wir mal Antwort auf Fragen geben, die für viele von uns von besonderem Interesse sind. Wie wir aus unserer eigenen Geschichte wissen, haben in der Mitte des 19. Jahrh. ca. 1/3 der damaligen Bevölkerung ihren Heimatort Gehaus in Richtung „Neue Welt“ verlassen. Ein Aderlass, der noch heute spürbar ist. Gerade in den letzten Jahren war festzustellen, dass hier aber auch in den USA das Interesse der eigenen Herkunft wieder mehr in den Mittelpunkt rückte. Zwei Fragen der Nachkommen der ehemaligen Ausgewanderten beschäftigen besonders viele heutige Bürger in den USA, aber auch in Deutschland:

  1. Wo kommen unsere Familien her?
  2. Warum verließen sie eigentlich ihre damalige Heimat?

Eigentlich begann alles mit den damaligen Wandergesellen. Neben Frauen, die ins Ausland heirateten, stellten Handwerkergesellen den größten Teil der Auswanderer dar. Dazu muss man allerdings sagen, dass z. B. Salzungen in früherer Zeit bereits Ausland war. Vergleichen sollte man hier auch mal das Phänomen der Kleinstaaterei in Thüringen. Bevölkerungsverluste traten in dieser frühen Zeit aber noch nicht auf, denn aus den gleichen Gruppen speiste sich auch eine Zuwanderung. Wandern war zur damaligen Zeit notwendig, um den Wissensstand auf bestimmten Gebieten zu erweitern. Ausläufer dieses Tuns lebten bis ins Industriezeitalter fort und existieren auch heute noch in bestimmten Formen. Diese Vorstufen des „Auswanderns” kann man nicht in wenigen Sätzen definieren, deshalb soll dies nur als kleiner Hinweis dienen, wie eigentlich alles angefangen hat. Aber auch zu diesem „Wandern“ gab es bereits gesetzliche Bestimmungen wie diese:

  1. Kaiserliche Verordnungen
  2. Verordnungen der einzelnen Landesherren
  3. Satzungen der Zünfte
  4. Regelungen in den verschiedenen Gesellschaften

Dazu gab es bereits Kaiserliche Patente um 1731, was aber 1772 erneuert werden musste, da es kaum durchsetzbar war. Es beinhaltete besonders den Ausschluss vom Wandern folgender Personenkreise:

  • Kinder
  • „unehrliche“ Leute, darunter fielen damals
    • Totengräber
    • Bettler
    • Straßenkehrer,
    • Schäfer, unehelich Geborene, Gesellen, die während der Wanderschaft in den Militärdienst eintraten.

So geschah dies über Jahrhunderte und ging langsam über zur Saison- und Wanderarbeit. Sieht man genau hin und vergleicht, so gibt es dies noch heute. Ich denke da besonders an das vergangene Jahrhundert, wo man nach Westfalen ging, aber im Moment auch an die Neuzeit mit den jetzigen vielen Pendlern. Das Grundprinzip ist immer noch das Gleiche, natürlich in geänderten Formen. Man ging zur Saisonarbeit teilweise bis Holland (Torfstechen) und Frankreich. Bei Paris entstand dabei der sogenannte „deutsche Slum“. Es liegen hier Zahlen vor über Bevölkerungsströme, die man analysierte, aber hier den Rahmen sprengen würde. Dass sich an diesem Broterwerb viele Gehauser beteiligten, liegt auf der Hand. Weitsichtige erkannten aber bereits damals, was dieser Aderlass eines Tages bedeuten würde. So versuchte man bereits ab 1785 z. B. im Regierungsbezirk Hanau in Hessen diesem Phänomen Herr zu werden und die illegalen Auswanderungen zu stoppen, nachdem größere Gruppen heimlich ihre Heimat verließen und sich in Ungarn ansiedelten. Infolge von Wirtschaftskrisen, betroffen waren hier alle deutschen Staaten, begann seit 1845 eine starke Auswanderungsbewegung mit ihrem Höhepunkt um das Jahr 1854 und nochmals um 1890. Dies trifft besonders auf das Rhöngebiet und demzufolge auch auf unseren Ort zu. Wie bereits erwähnt, ca. 30 – 35 % von der Gehauser Bevölkerung verlassen ihre Heimat. Man kann nur ahnen wie groß die Not gewesen sein muss. Auf Grund der Wirtschaftskrisen, der Revolution von 1848 und der damit verbundenen späteren politischen Verfolgung, verlassen noch mehr Bürger ihre angestammte Heimat. Waren es vor 1854 teilweise noch begüterte Familien, die Richtung. Amerika gingen, so waren es jetzt Randgruppen der Gesellschaft oder ländliche und städtische Unterschichten. Übrigens sehr stark betroffen in dieser Zeit der Raum um Schmalkalden, der zu dieser Zeit noch eine hessische Enklave darstellte. Falsche Finanzpolitik, weitere Missernten so 1846, 1847, 1851 lassen eine wirtschaftliche Erholung nicht zu und treiben Tausende zu dem Entschluss, ihr Heil in der „Neuen Welt” zu suchen. Einwanderungsziele der Deutschen waren neben den USA die Länder Ungarn, Russland, Teile des heutigen Rumäniens. Ob Gehauser in den Osten Europas auswanderten ist nicht belegt. Es ist aber kaum anzunehmen, da man z. B. im damaligen Ungarn Protestanten als unerwünscht betrachtete. Wer doch als Protestant nach Ungarn kam, zog weiter nach Sieben¬bürgen bzw. Rußland und an die Wolga. Erst nach Josef II. Toleranzedikt von 1781 kamen lutherische und reformierte Deutsche in die Batschka und gründeten die Dörfer Torza (1784), Neu-Verbass (1785), Czerwenka (1786) usw. Diese Dörfer waren konfessionell gemischt. Rein protestantische Gemeinden waren Kisker, Sekisch, Bulkess und Jarek. Von diesen nun wieder zogen Auswanderer weiter in besiedelte deutsche Gebiete bei Odessa. Dass wir hier etwas länger darauf eingegangen sind, soll nur mal verdeutlichen, dass nicht nur die USA ein Auswanderungsziel war. Wie bereits aber erwähnt, gibt es keine Hinweise, dass Bürger unseres Ortes dorthin ausgewandert wären. Kommen wir nun zu Amerika. 90 % aller Deutschen, die über den Atlantik ihr Glück in der Neuen Welt suchten verschlug es in die USA. Der Grund am Beispiel Kanada war, die Regierung von Kanada erließ am 19.06.1868 ein Gesetz, nach dem es nur Vermögenden gestattet war, in dieses Land einzuwandern. Weitere Einwanderungsländer waren Brasilien, Argentinien, Uruguay, Chile und auch die Länder Lateinamerikas. Seit 1607, dem Gründungsjahr von Jamestown sind mehr als 45 Millionen Menschen in die USA eingewandert. Spätestens seit 1848 haben die heutige USA ihre geschichtliche Bestimmung erreicht. So wurden 1664 die Holländer von Manhattan vertrieben und das damaligen Neu-Amsterdam wird zu New York. 1776 sagen sich 13 ehemaligen britische Kolonien vom Mutterland England los. Im Jahr 1783 werden die Gebiete im Westen bis zum Mississippi erworben. 1803 kommt Lousiana käuflich von Napoleon dazu, 1819 dann Florida, 1845 wird Texas annektiert, anschließend Neu-Mexiko und Kalifornien. Das Territorium nördlich bis zum 49. Breitengrad hatte England 1846 freiwillig abgetreten. Später kommt noch Alaska, von Russland käuflich erworben, hinzu. Die Aufsiedlung dieses Gebietes ist in den 90er Jahren des 19. Jahrh. beendet. Dies war besonders das Werk der Einwanderer mit Beteiligung ehemaliger Gehauser Bürger. Aus Glaubensgründen wanderte man zumeist in die mittleren Staaten aus, aus wirtschaftlichen Gründen in die Südstaaten. Deutsche Einwanderer übernahmen meist handwerkliche Tätigkeiten. Büroarbeiten waren weniger, da viele der Sprache nicht mächtig waren. Für viele z.B. heute nicht vorstellbar, so war die Stadt New York um 1900 die drittgrößte deutschsprachige Stadt, nach Berlin und Wien, auf der Welt. Erst der I. Weltkrieg mit dessen Ergebnissen änderte dies. Hier beginnt auch langsam und schleichend der Bruch mit Amerika. Ehemalige Deutsche änderten nun ihre Familiennamen und amerikanisierten diese. Dies wird auch an unserer eigenen Geschichte sichtbar. Langsam aber unaufhaltsam werden die verwandtschaftlichen Beziehungen lockerer und verschwinden zumeist für immer. Es gibt nur wenige Beispiele, wo dies in den betreffenden Familien nicht der Fall war. Seit einigen Jahren ist aber hier ein Wandel sichtbar. So bekennen sich in jüngster Zeit ca. 50 – 70 Millionen US-Bürger zu ihren deutschen Wurzeln. Was können uns Zahlen dazu sagen?
Nach Harvard Encyclopedia of America Ethnic Groups von 1980 ergibt sich:

Einwanderungen aus Deutschland ( 1000 pro Jahrz.):

  • 1821-1830 – 7
  • 1831-1840 – 157
  • 1841-1860 – 1.387
  • 1881-1890 – 1.453

Hier sieht man bereits auch den Vergleich über die starke Auswanderungswelle für das Gebiet unserer Heimat, den Verlust von 1/3 der eigenen Bevölkerung. Für Gesamt-Deutschland gilt:

  • 1821 – 1970 – 6.915

zählt man den gesamten deutschsprachigen Raum, so kommen nochmals 4,172 hinzu. Also summa summarum haben von 1821 – 1970 11.087.000 Millionen Deutsche ihre Heimat verlassen und maßgebenden Anteil daran, dass die USA das sind, was sie heute darstellen. Ein wenig stolz können auch wir Gehauser darauf sein. Übrigens das Mutterland England kann „nur“ auf 4,782 Mill. Auswanderer verweisen. Selbst Italien steht mit 5.175 Einwanderern noch vor dem vereinigten Königreich. Eine kurze Reihenfolge der wichtigsten Auswanderungsländer ergibt:

  • Deutschsprachiger Raum – 11,087 Mill:
  • Italien – 5,175 Mill.
  • England – 4,782 Mill.
  • Irland – 4,712 Mill.

Was ist nun noch von unseren ehemaligen Bürgern bekannt? In den Nachbarschaftsbüchern ( ähnl. Einwohnerbücher) sind viele Namen hinterlegt, wer, wann und auch wohin seine Heimat verließ. Leider sind diese Namen sehr unleserlich geschrieben, so dass es noch viel Anstrengung bedarf um Licht in das Dunkel der Geschichte zu bringen. Die Orte, wohin man zog, sind kaum beschrieben. Man liest fast immer „verzogen nach Amerika“. Folgende Namen konnten bisher zweifelsfrei festgestellt werden: Wiegand, Klotzbach, Nordheim, Hill, Schanz, Schwier, Reinboldt, Eichel, Clark, Weitz. Namen von ausgewanderten Frauen wurden bisher nicht gefunden. Obwohl wir wissen, dass viele jüdische Mitbürger ihre Heimat verließen, sind wir auch hier noch nicht fündig geworden. Noch 1914 waren folgende Orte bekannt, in denen ehemalige Gehauser wohnten und es auch noch Kontakte gab. So die Ortschaften: Baltimor, Philadelphia, Newport, Hamilton, San Francisco, Cincinatti, Torresdale, Landsdale.
Ein Aufruf an alle geschichtsinteressierten Bürger: Sollte jemand weitere Kenntnisse über ehemalige Gehauser haben, wäre es schön, wenn man sich mit dem HPV e. V.Gehaus in Verbindung setzen würde. In diesem Zusammenhang möchte ich im Namen des Vereins auch Frau Sybille Franke aus Gehaus danken, die uns auf diesem Gebiet sehr behilflich war. Ich erinnere noch mal an das Gedicht von Frau Christine Hill aus Philadelphia, welches diese zur Einweihung des Aussichtsturm¬es am Baier vom 17. Mai 1914 nach Gehaus sandte. Hier handelt es sich um ein Heimatgedicht von Carl Albert Blesssing. Veröffentlich in den Gehauser Heimatglocken von Mai 1914.

Quellen:

  • Hessisches Staatsarchiv Marburg
  • Archive der Stadt Stadtlengsfeld/Gehaus mit Hilfe von Dr. Martin Walter und Rolf Leimbach Stadtlengsfeld
  • Frau Sybille Franke
  • HPV e. V.Gehaus

Im Namen des Heimatpflegeverein e. V.
Reinhold Lotz†
Dorfchronist

Zitiert aus Baier Bote 4(2006)07 vom 30. Juni 2006


Beginn der Industrialisierung

Auch für manchen Gehauser mag es wie ein Geschenk gewesen sein, als rundherum der Straßenbau in Gang kommt und sich dort für ihn der lang erhoffte Arbeitsplatz findet. 1824 wird der Bau der „Oberländer Strasse“ (heute Felda-Strasse mit ihren zum Werra- und Ulstertal führenden Verbindungsstrecken in Angriff genommen und in den folgenden Jahrzehnten der Grundstein für das uns heute bekannte Straßennetz gelegt (1844 – Reichenhausen/Frankenheim, 1847 – Zella/Tann).
Bei allem Wandel der Verhältnisse, Gehaus bleibt das arme und rückständige Dorf. Die für die Dorfarmut ehemals bewilligten Bettelumzüge werden 1852 abgeschafft. Eine Armenkasse gibt es noch 1884 und wird für einen Jahreslohn von 6,- Mark von einem Christian Meiß verwaltet.
Arbeit und Beschäftigung gibt es im Dorf, wie wir wissen, seit eh und je zu wenig. Die Kalkbrennerei, vielleicht schon im 18. Jh. im heutigen Flurteil „Am Kalkofen“ betrieben, mag einigen wenigen Gehausern zur Arbeit verholfen haben.
Einige andere finden Beschäftigung in der um die Jahrhundertwende in der Ziegelhütte betriebenen Ziegelbrennerei, die sich aus den vor ihrer Haustür gelegenen Lehm- und Tonlöchern mit Material versorgt und die Mauerziegeln fürs Dorf liefert.
Ein paar weitere schließlich arbeiten später in den kleinen Baugeschäften Schanz und Heinrich Jakob, die sich beide in die wenigen damals vom Dorf vergebenen Bauaufträge teilen.
Ein tief greifender Wandel für das Dorf kündigt sich mit der beginnenden Industrialisierung an, in deren Verlauf überall im Lande neue Fabriken entstehen (finanziert aus der von Frankreich zu zahlenden milliardenteuren Kriegsentschädigung) und mit ihnen endlich auch neue Arbeitsplätze für unsere Gehauser Arbeitslosen.
Die Entwicklung bringt bei uns den „Westfalengänger“ hervor. Das sind Männer aus unserem Dorf, die in Westfalen beim Aufbau von Industrieanlagen und Wohnsiedlungen vorwiegend als Maurer und Bauhilfsarbeiter tätig sind. Als Saisonarbeiter machen sie sich in jedem Frühjahr auf den Weg, versorgen von ihrem Arbeitsplatz aus die Familie daheim und wissen genau, wenn sie im späten Herbst nachhause zurückkommen, ist diese um ein Mitglied größer geworden.
Sie sind nicht die einzigen aus unserem Dorf, die in Westfalen unterwegs sind. Jedes Jahr zur Kirmeszeit machen sich die „Kässjes“ Musiker unserer illustren Musikantenfamilie, auf die Socken, um dort auf den zahlreichen Volksfesten und sonstigen Veranstaltungen zum Tanz aufzuspielen. Sie tragen so den Namen unseres Dorfes ein Stück in die Welt hinaus. Einer von ihnen, so die Kirchenchronik, ist ein Kaspar Baumbach, der sich bereits 1852 in diesem Milieu als Musikus empfiehlt.
Jetzt gibt es auch Arbeitsplätze zuhause. Mit dem sich entwickelnden Kalibergbau um die Jahrhundertwende tauschen viele Westfalengänger ihre Arbeitsstelle mit einem Arbeitsplatz beim Bau der Schächte und Werksanlagen in Kaiseroda und Dietlas. Sowie später mit einer Tätigkeit im Kalibergbau selbst, in dessen Schächten und Fabriken jetzt immer mehr Gehauser ihren Lebensunterhalt verdienen. Ihnen, unseren Kalikumpeln wollen wir in unserer Chronik ein besonderes Kapitel widmen.
Bereits 1890 hat das Porzellanwerk in Stadtlengsfeld, langjähriger Arbeitgeber für so manchen Gehauser, seine Pforten geöffnet. In den Anfangsjahren muss das Werk mit tief greifenden wirtschaftlichen Problemen fertig werden. Trotz permanenten Wechsels an der Spitze gerät der exportabhängige Betrieb 1895 und noch einmal 1905 in Konkurs, bevor es zur Umbildung in eine Aktiengesellschaft kommt. Sein wechselvolles Schicksal noch bis in die 30er Jahre hinein bekommen auch die Gehauser Porzelliner zu spüren, für die es damals wie für die vielen anderen Arbeiter gewerkschaftlichen Schutz noch nicht gibt.
Nach fast 100-jähriger Partnerschaft mit diesem Werk sind es heute noch nahezu 50 Gehauser, die in dem nach 1945 neu aufgebauten und modern ausgerüsteten volkseigenen Betrieb ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Familien verdienen.
1910 nimmt das Basaltwerk Dietrichsberg seinen Betrieb auf, in erster Linie Zulieferer für den Schacht- und Bahnbau in Oechsen, später Hersteller von Straßenbaumaterial. Der Umgang mit den mitunter tonnenschweren Gesteinsbrocken ist körperliche Schwerstarbeit, die schon beginnt, wenn man im Winter vor Schichtbeginn erst den von Schnee blockierten Weg hinauf zum Bruch hinter sich bringen muss. Der Niedriglohn, der für jede mit Steinen zu beladene Lore gezahlt wird, verleitet dazu, sich selbst und seine Arbeitskraft rigoros auszubeuten. Forderungen auf Lohnerhöhung stoßen beim Werksleiter Hagemeier auf wenig Gegenliebe. Man gibt sie auf, weil man um den Arbeitsplatz bangt, auch wenn er damit teuer bezahlt werden muss.
Während der beiden Weltkriege sind Gefangene billige Arbeitskräfte im Bruch.
Ziegelwerk Philippsthal. Auch nach dort sind einige Gehauser täglich unterwegs, mit ihrer „Tretmühle“. Den schmalen Stundenlohn von 71 Pf. nimmt man angesichts der sich zuspitzenden Arbeitslosigkeit gegen Ende der 20er Jahre und trotz der schweren Arbeit an den Brennöfen notgedrungen in Kauf. Wollen wir dem inzwischen verstorbenen Christian Fuß Glauben schenken, so hat ein Eimer voll Wasser am Tag nicht ausgereicht, um den leidigen Durst zu stillen.
Aus dem Arbeitssuchenden von einst, der das Dorf verlässt, um irgendwo in der Fremde seinen Lebensunterhalt zu verdienen wird auf diese Weise der Gehauser Industrie- und Fabrikarbeiter, den ein beschiedener Wohlstand unabhängig vom einstigen alles bestimmenden Lehnsherren macht.


Der Kalibergbau

Die enge Verbindung unseres Dorfes und seiner Menschen mit dem Kalibergbau mögen es rechtfertigen, seiner Geschichte einen Platz in unserer Chronik einzuräumen.
Geht man seinen Anfängen nach, so stößt man auf den Namen des Bergrates und Berliner Bankiers Hadra, der um 1880 Bohrungen bei Kaiseroda durchführen lässt, allerdings in der Hoffnung, dort Steinsalz für den Betrieb einer Saline und zur Kochsalzgewinnung zu finden.
Im Jahr 1893 werden die Bohrungen an gleicher Stelle wieder aufgenommen, aber jetzt mit dem Ziel, auf Kalisalze zu treffen, deren Abbau in den Kaliwerken nördlich des Harzes sich inzwischen als lukratives Geschäft erwiesen hat.
Die angebohrten zwei Kalilager führen zur Gründung der Gewerkschaft „Kaiseroda“ (kapitalistische Gründungsgesellschaft), der sich in rascher Folge entlang der Werra bis hin nach Berka weitere Kalibetriebe anschließen:

  • „Heiligenroda“ – Dorndorf
  • „Sachsen-Weimar“ – Unterbreizbach
  • „Alexandershall“ – Dippach

Schon kurz nach der Jahrhundertwende setzt die Förderung ein.
Der Vorstoß des Kalibergbaues ins Feldatal ist eng mit dem Schacht Dietlas (Gewerkschaft „Großherzog Sachsen-Weimar“) verknüpft.
Dem ersten Spatenstich im Jahr 1898 folgt ein dramatischer Kampf mit dem Wasser. In 120 m Tiefe dringen um 700 Liter Wasser je Minute in den Schacht ein. Mit Hilfe s. g. Tübings (aufeinander gesetzte und miteinander verschraubte Eisenringe, die dem Schachtdurchmesser angepasst sind) gelingt es, dem Wasser Herr zu werden und den Schacht auf eine Tiefe von 266 m niederzubringen. Weitere 60 m werden in Mauerung durchgeführt. Noch aber ist der Wasser führende Plattendolomit nicht durchstoßen. Es bedarf des damals neuartigen Zementierungsverfahrens, riesige Mengen von Zement versinken dabei in die Schachtröhre, um den Wasserzustrom abzubinden.
Der 9. Juni 1904 ist ein bedeutsamer Tag. In 539 Meter Tiefe erreicht man das obere Kalilager. Bereits im Mai 1905 kann mit der Förderung begonnen und noch im gleichen Jahr die „Alte Chemische“, an der Bahnstrecke nach Vacha gelegen, über eine Seilhängebahn mit dem „weißen Gold“ versorgt werden.
Ihr folgt 1912, am entgegen gesetzten Ende von Dorndorf gelegen, die „Neue Chemische“. Sie verarbeitet die im Schacht „Heiligenroda“ bei Springen geförderten und ihr ebenfalls über eine Seilbahn zugeführten Kalisalze, was noch bis kurz nach der Wende geschah.
Am 1. Febr. 1911 wird mit dem Abteufen des Schachtes „Großherzog Sachsen II“ (später Menzengraben II) begonnen. Im Kampf gegen das Wasser wendet man das „Gefrierverfahren“ an, nachdem sich die „Zementierung“ als unwirksam erwiesen hat. Im Juli 1915 erreicht man in 530 Meter Tiefe das 5 Meter mächtige Carnallitlager. 1916 beginnt die Förderung.
Ungleich komplizierter ist das Abteufen des benachbarten Schachtes „Großherzog Sachsen III“ (später Menzengraben III). Als man die Region des Plattendolomits erreicht, ist der Wasserzustrom von den elektrisch betriebenen Zentrifugalpumpen nicht mehr zu bewältigen. Der Zustrom steigert sich bis zu 10 cbm je Minute. Im Okt. 1914 stellt man die Arbeiten ein, um sie erst 1920 wieder aufzunehmen. Wieder wird das „Gefrierverfahren“ angewendet. Bei Abschluss stellt man fest, dass über 60.000 Sack Zement versenkt werden mussten, ehe der Schacht III im Aug. 1923 fertig gestellt und im Dez. 1925 förderfähig ist.
Wachsende Förderleistungen, aber auch der Zwang, in Dorndorf das Salz von der schmalspurigen Feldabahn auf die Normalspur umzuladen, führen dazu, dass in Menzengraben eine eigene Fabrikanlage zur industriellen Weiterverarbeitung der geförderten Rohsalze entsteht.
Die allgemeine Wirtschaftslage ausnutzend, greift 1919 der Kalikonzern „Wintershall“, dem bereits die Kaliwerke an der Werra gehören, jetzt auch nach den Schächten der Gewerkschaft „Großherzog Sachsen“. Ihm gelingt es, die Anteilsrechte aus dem Besitz des ehemaligen Großherzogtums Weimar, die an den Staat Thüringen übergegangen waren, zu erwerben.
Der Protest der Belegschaften gegen diesen „Handel“, die nicht zu Unrecht eine Stilllegung der Schächte befürchten, bleibt wirkungslos. Tatsächlich werden die Schächte Dietlas, Menzengraben II und III und mit ihnen die Existenz vieler Bergleute, darunter auch Gehauser Bergarbeitern, kapitalistischen Profitinteressen geopfert.
Dietlas bleibt außer Betrieb und wird Wetterschacht der Schachtanlage Merkers. In Menzengraben läuft die Förderung 1927 in begrenztem Umfang wieder an. In Vorbereitung und während des faschistischen Krieges liefert der Schacht bis ins Jahr 1943 hinein Salzmineralien zur Herstellung der im Flugzeugbau benötigten Leichtmetalle. In der Grube Springen errichtet das KZ Buchenwald ein Nebenlager für KZ-Häftlinge.
Für das NS-Regime erhalten die Kalischächte vor dem sich abzeichnenden Zusammenbruch noch einmal ihre Bedeutung.
Von 1944 an ist die Grube „Kaiseroda“ Asyl für Kunstschätze und gleichzeitig Aufbewahrungsort für die Gold-, Devisen-, Aktien- und Papiergeldbestände der damaligen Deutschen Reichsbank. Im Schacht Dietlas sind Bestände des Goethe-Schiller-Nationalmuseums Weimar und Akten des Thüringischen Staatsarchivs Weimar und Meiningen untergebracht. In Menzengraben lagern große Mengen an Luftwaffenbekleidung.
Mit ihren im April 1945 ins Revier einmarschierenden Truppen treffen die US-Generäle Eisenhower, Bradley und Patton in Merkers ein und lassen die Gold- und weitere Wertdepots in die USA abtransportieren.

Ende 1909 hat inzwischen der Kalibergbau im benachbarten Oechsen seinen Einzug gehalten. Der Schacht „Heiligenmühle“ wird auf 520 m Tiefe niedergebracht, muss aber im Kampf gegen das Wasser des Plattendolomits 1914 endgültig aufgegeben werden. Aufgegeben wird auch der benachbarte auf 480 m geteufte Schacht „Mariengart„. Erste Opfer des Kalibergbaues aus unserem Ort sind die Schachthauer Hofmann und Schwittling, die bei Teufungsarbeiten ums Leben kommen. Zeugen aus dieser Vergangenheit sind die heute als Bauruinen zurückgebliebenen Gebäudereste und Betonfundamente in Niederoechsen.

Viele Menschen unseres Dorfes haben an der Geschichte des Kalibergbaues mitgeschrieben und ihren wechselvollen Verlauf am eigenen Leib miterlebt. Für das Dorf, das schon immer seine Menschen nicht alle ernähren konnte, war das Kali ein wahrer Segen, der jedoch seinen Preis kostete. Bis zum Arbeitsplatz in Dietlas, Menzengraben und der „Alten Chemischen“, für unsere Kalipioniere bis hin vor Ort im entfernt gelegenen Dippach, ja selbst bis zum Bahnhof Stadtlengsfeld später, ist erst einmal ein weiter und beschwerlicher Fußmarsch hinter sich zu bringen. Dann erst beginnt bei schmaler Kost und körperlich harter, Kräfte zehrender Arbeit in den Gruben der 8-Stundentag und in den Fabriken der12-Stundentag.
Am Ende der Schicht wartet wieder der lange Fußmarsch. Für die Gehauser in Menzengraben der strapaziöse Anstieg bis hinauf zur „Runden Buche“ (am Weg Hohenwart – Martinroda befindlich und heute durch den jungen Stamm eines Bergahorns ersetzt), die etwa die Hälfte der Wegstrecke von und zur Arbeit markiert. Denen, die der Zug nach Stadtlengsfeld bringt steht der 5-km-Marsch über die Hohenwart bevor.
Zusätzliche Mühen bringt der Winter mit sich, wenn Schnee und Eis die Wege blockieren.
Als das Fahrrad und später das Kleinkraftrad dann da sind, haben die Gehauser Bergleute auf ihrem täglichen Marsch Generationen von Schuhsohlen verbraucht.
Was sie in der Lohntüte nachhause bringen, ist für die oft kinderreiche Familie wenig genug. Die Arbeit in der kleinen Landwirtschaft als zusätzlicher Broterwerb ist daher notwendiger Bestandteil eines sonst schon langen und mühevollen Tagewerks. Bei vielen ist die „Bergmannskuh“, also jene kleinere oder größere Ziegenfamilie, wichtiger Nahrungsmittellieferant für den karg gedeckten Tisch.


Heimatglocken für Gehaus

Jahrgänge März 1914 bis März/April 1923 (es fehlen nur wenige Monate)

Heimatglocken für Gehaus

Dies sind die nicht kompletten Jahrgänge eines 1909 zuerst aufgelegten kirchlichen Heimatblättchens, das monatlich erschien und über den Dorfpfarrer bezogen werden konnte. Die verantwortliche Redaktion lag bei Superintendent Deichmüller in Kaltennordheim, von ihm wurde der allgemeine Teil für die Orte der Superintendentur Kaltennordheim redigiert und zum Teil wohl auch von Superintendent Deichmüller verfaßt.
Die einzelne Orte betreffende Teile wurden von den jeweiligen Dorfpfarrern verfaßt und an den allgemeinen Teil angehangen, so erschienen dann für jeden Ort „Heimatglocken für …“. Die „Heimatglocken für Gehaus“ gab es ab 1914, seit dem Vikariat des Oechsener Pfarrers W. Floß in Gehaus. Die erste Ausgabe fehlt mir leider. Die Existenz meiner Kopien der Heimatglocken ist eh nur dem Zufall zu verdanken, sie sind durch die gräfliche Familie im Schloß gesammelt worden, und nach 1945 durch Helmut Borchardt von einer Müllkippe gerettet und mir vom Heimatpflegeverein Gehaus e.V. auf einer CD zur Verfügung gestellt worden. Dir Jahrgänge sind leider nicht ganz vollständig!
Die Superintendentur Kaltennordheim bestand von 1561 bis 1923 und die von Dermbach von 1529 bis 1923 in der Form, wie sie im Herzogtum Sachsen, bzw. Sachsen-Weimar-Eisenach einst gegründet wurde. Mit der Bildung der Thüringischen Landeskirche in der Weimarer Republik, über die auch in diesen Heimatglocken berichtet wird, und ihrer in der Folge stattfindenden Umstrukturierung hörte wohl auch die Redaktion der Heimatglocken auf zu existieren und damit verlor sich die Existenz dieses Kirchenblättchens im Staub der Geschichte.
Für Dermbach, Unteralba und Oberalba gab es ab 1925 eine Beilage zur thüringischen evangelischen Kirchenzeitung „Glaube und Heimat“ unter dem Titel „Heimatglocken“, ob es auch eine Beilage für Gehaus gab, ist mir nicht bekannt.
Die mir verfügbaren Jahrgänge reichen von 1914 bis 1923, überspannen also einen aufregenden Zeitraum deutscher Geschichte, der auch an unserem Dorf nicht spurlos vorübergehen konnte Heute noch immer interessant erschien mir der gesamte Inhalt dieser Zeitung. Aber wohl wegen des zeitlichen Abstandes und der seither drastisch veränderter Denk- und Fühlweise, habe ich mit Schauder gelesen, welche Spuren der Geschichte aus der Sicht damaliger Dorfpfarrer bemerkenswert waren.
Ich weiß nicht, ob es, außer für professionelle Historiker, wirklich so interessant ist, wer und was damals wie die Sinnfindung einer Dorfgemeinschaft dominierte. Wie wichtig individuelle und kollektive Sinnfindung überhaupt ist, um das Leben positiv annehmen, um zusammen arbeiten zu können, muß ich nicht ausführen, das hat jeder sicher schon selbst erfahren können oder müssen.
Man kann zum christlichen Glauben oder überhaupt zu einer Religion stehen wie man will, ohne irgendeinen Glauben, daß das Leben einen Sinn haben müsse, kann man nicht leben. Und diesen Sinn findet man nicht über die Naturwissenschaft heraus oder aus daraus abgeleiteten rationalen Überlegungen. Sie führen alle nur zu einem Ergebnis: der Mensch ist ein Zufallsprodukt der Evolution, das leider weiß, daß es sterben muß und deshalb einen Sinn seiner Existenz sucht.
Die Vorstellung vom „besseren Argument“, sich für diese oder jene Sinnfindung zu entscheiden, hat nur dann Beweiskraft, wenn man eine natürliche, überindividuelle oder überkulturelle Relevanzbeziehung ausfindig machen kann, die Aussagen in solcher Weise miteinander verbindet, daß sie so etwas wie die Cartesische „natürliche Ordnung der Gründe“ bilden, mit Hilfe der der sich alles Geschehen im Universum aus einem Urgrund ableiten ließe. Nach diesem ersten Grund sucht die Metaphysik bis heute vergebens.
Doch ohne eine natürliche Ordnung dieser Art bleibt einem nichts anderes übrig, als Argumente danach zu beurteilen, wie gut es ihnen gelingt, Einigkeit zwischen bestimmten Gruppen oder Personen über die verbindende Sinngebung ihrer Gemeinschaft zu erzielen. Der benötigte Begriff der natürlichen, inneren Relevanz – also einer nicht nur von den Bedürfnissen dieser gegebenen Gemeinschaft, sondern von der menschlichen Vernunft als solcher diktierten Form von Relevanz – erscheint mir weder plausibler noch nützlicher als die Vorstellung von einem Gott, auf dessen Willen man sich berufen kann, um Konflikte zwischen Gemeinschaften beizulegen.
Für die Bewohner von Gehaus ist es sicher interessanter, die Artikel zu lesen, in denen es um konkrete Geschehnisse im Dorf geht, Namen von Vorfahren genannt werden, an die man sich kaum mehr erinnerte und die so wieder in der Vorstellung wieder lebendig werden.


Bücher und DVD über Geschichte, Landschaft und Kultur der Rhön und Thüringens
– nach Themen sortiert –


 

2 Kommentare

  • Hallo, auf der Suche nach meinen Vorfahren Johann Georg Eckardt, Schuhmachermeister in Gehaus (um 1895) und Frau Katharina, geb. Möller, bin ich auf diese Seite geraten und habe den geschichtlichen Abriß mit Interesse gelesen. Leider sind meine Versuche, vor etwa fünf Jahren, über das Pfarramt in Stadtlengsfeld an Daten zu kommen grandios gescheitert… Aber die Beschäftigung mit der Familiengeschichte ist und bleibt spannend. Danke für die Lektüre.

    • Es bliebe aber immer noch das Landeskirchenarchiv in Eisenach als letzte Hoffnung. Dort sind sämtliche Kirchenbücher des Wartburgkreises, sofern sie in den Gemeinden noch existierten, als Mikrofilme archiviert. Man kann sie auch persönlich einsehen und, falls man fündig wurde, gegen Gebühr ein Kopie anfertigen lassen.
      Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
      Danke für die Blumen und viel Erfolg bei der Suche!

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