Vaganten auch im Tullifeld

Ein „freies“ Leben führten sie, –
VolI Unruh’, leer an Wonne! –
Sie liebten dunkle Nächte nie,
Sie scheueten nicht die Sonne.

In „Götzingers Reallexikon deutscher Altertümer“ . . . steht: Vaganten, clerici vagantes, vagi sind Geistliche, die eines ständigen Kirchenamtes (wohl auch Schuldienstes) – als Quelle ihres Lebensunterhaltes, entbehren und – deshalb unstät umher ziehen! Schon im 4. u. 5. Jahrhd. wurden Kirchengesetze gegen das unordeutliche Treiben solcher Kleriker erlassen; zahlreiche Klagen wurden besonders im „karolingischen“ Zeitalter darüber laut; im 13. Jahrhd. gerieten diese „Vaganten“ mit den „Spielleuten“ in Berührung. In und aus Frankreich zogen ganze Scharen solcher „Scholaren“ (fahrender Schüler) umher und führten bald deutsche Genossen in Deutschland mit sich. Da die Vaganten des ,,Lateinischen meist kundig waren, ahmten viele die „ritterlich-höfischen“ Sänger (Minnesänger) nach, sie boten „Liebes-, Wein– und Spiellieder“ mit Begleitung von Mandoline, Zither, Harfe oder eines andern Instruments, meist satyrischer Art, oder sie brachten geschichtl. Neuigkeiten, zeigten ihre Kenntnisse und Künste.

Die ehemaligen eigentlichen „Schulhalter alter Zeit“ vagierten weniger, hielten sich länger in einem Orte oder in einer Familie auf. Aber arme Studenten aus Holland und England, ja von deutschen Universitäten waren darunter, wie uns aus Gemeinde- und Kirchrechnungen tullifeldischer Orten bekannt wurde; selbst angeblich verarmte Adelige, im Krieg gewesene Invaliden (Veterane) und vom Vaterland unschuldig Verbannte (Exulanten) oder deren Hinterbliebenen u. a. Neben Nahrungsmitteln und Kleidungsstücken, sind sie mit damals so „rarem Gelde“ oder durch zeitweiliges Herbergieren in Gemeinde- und Privathäusern unterstützt worden! – In der Gemeinderechnung von Kaltensundheim pro 1574-75 kommt unter Anderm vor: – „5 gr vor 1 Mas Wein, Hat der schuldheis den „sengeren“ „(Sängern) von sulla (Suhl) geschenkt Auff den „helegen Drey-Könuigtagk« (heil. Dreikönigsfest); – 5 gr. 3 Pf. gegeben denn Armen verbranden Leuthen zu gleichenamberg (Dorf Gleichamberg) und zu westheimfeld (meiningisch) zu Aufbauuug irer (ihrer) Kirchen; – „7 gr. 6g Pf. gebenn denn armen verbrannten Leudenn zu Oberelpach. – „11 gr. 2 Pf. Einem Vom Adel, der auß Möhren, zur Verehrung geben; (1632-33) – „8 gr. 3 Pf. an Vier Exulanten aus dem Sarbrückenlandt, in der Rechnung von 1659-60 in welchen Ihre Wohnung abgebrannt, inclusive zweyer von der religion Vertriebenen, von Adel gesteuert; – „20 gr. 9 Pf. Unterschiedlich Vertriebenen, Undt vom Türken gefangenen mit Nahmen benannten Personen, gemeindewegen gesteuert . . . 8 gr. 6 Pf. Einem, studioso Theologiae Jeremiae Petrofliken Uff Vorgehabte seine Reiß Undt bittliches ersuchen . . . (1659-60). .. . 12 gr. 6 Pfg. an Johann Walter, stud. theol. als Landeskind verehrt, daß Er in Unser Kirche allhier gepredigt.“

„In andern größern Gemeinden der Vorrhön sind ebenfalls „fahrende“ Leute truppenweise passiert; so schreibt Binder: Sondheim v. d. Rh. hatte sich solchen Zuwachses um so häufiger zu erfreuen (?) als es damals im Kreuzungspunkte 2er Landstraßen lag!“ – Aehnliche Veranlassung war es mit Kaltennordheim durch die Straßen von Schmalkalden-Meiningen nach Fulda etc. etc. und die durchkreuzenden Wege von Vacha-Eisenach hinaus nach Unterfranken. . . .

Die Gemeinderechnung von Fischbach bei Kaltennordheim führt pro 1670-71 unter Anderm auf: – gr. 9 Pfg. einem Armenmann aus Ungarn gesteuert, — gr. 9 Pfg. einem verbrannten man aus Ungarn, – gr. 6 Pfg. einer Pfarrwittwe, – gr. 9 Pfg. Einem Armen „Schpieler“, – gr. 6 Pfg. Einer Schullwittwe. etc. etc. – Die Urkunden des Stadtflecken Kaltennordheim sind 1634 durch Brand verloren gegangen. Da die Geldbeträge so gering erscheinen und doch so genau eingestellt sind, muß man annehmen, daß im Tullifeld das Geld sehr rar und d’rum sehr im Werte war. Die Rechnungen wurden von dem Fürstl. Amt Kaltennordheim bez. Amt Fischberg justificiert. Für den damal. hohen Geldwert spricht, daß die Besoldung von Pfarrern und Lehrern, ihre Gebühren u. a, in kl. Ansätzen in den bez. Rechnung vorkommen z. B. in der Kirchrechn. v. Neidhartsh. pro 1585-1596: jährl. Besold. dem Pfrh. 5 Thl., d. Lehr. od. Sch ulm. 1 Thl. u. 3 gr. einem Armen Schulmeister von ArnPrück, an der Weser. 1697-98: 17 Groschen einem Kaiserlichen Cornet (Trompeter); 12 gr. 9 Pfg. Einem Kaiserl. „Stück-Hauptmann“; 1 Grsch. ½ Pfg. Beisteuer zu einer Kirche b. Themar.

Die Kirchrechn. v. Neidhartshausen, inmitten von Tullifeld, pr. 1669-70 gibet ferner an:

gr. 9 Pfg. Grabovio v. Bilswald in der Mark, stud. theol.; 1. Feb.
9 Christophoro Hennevcio a. Schlesien, Juris studiosio; 5. Feb.
1 6 an Zween ,,stutenten« a. Schlesien, u. 1 abgedankt. Schwedischen.
6 Einem Lahm Geschossenen Menschen, so auf d. venetian. Schiff 1813. gewesen.
2 Drey studiossis, so nach Adorff bey Nürenber gezogen. – 7.|6.
1 Einem Jungker Heinr. Ludw. von Eitenstein, aus Schlesien vertrieben;
1 Einem Polnisch. Edelmann zur Radien, so von Türken gefangen.
1 Einem Exulanten aus Österreich (18.|6).
1 5 Herrn M. Christopho Schmieder, gewes. Diakonus in Dresden, durch Brandt verarmt. 19.|11.
1 an Hanß Krassinisch ,,zur Ranzion« in Türkey 3.|12.
1 6 Einem von Adel, mit Weib und Kind aus der Pfalz, von Lothringern verderbt, d. 15.|12.
9 Einem Sprechmeister a. Westfalen.
1 6 Jungker Joh. Fried. von Tolfen aus Schlesien. (11.|1. 1670).
1 5 Einem Mühlhäuser, welcher neben seinem Weibe, alß er Erbtheil in Böhmen gehohlet, von Böhmischen Bauern im Rückwege beraubet und so traktirt worden, das er sich ahn der Bettelfuhr hat müßen laßen heimführen; 5.|2.
9 an Antonio Herwarto Augustano Vindelicorum.
9 an Gallus Dullasch aus Mähren, 1969 von einer türkischen Parthie aus Neuhäusel überfallen und verderbt, 1.|4.
1 9 an Drey Straßburgische Studenten[1] d. 16.4.
2 Herrn Pfarrer Stephan Hofstetten, gewesen zu Lautterbach in Schlesien, samt seinem Schulmeister wegen Evangelio Vertrieben, – d. 22.|4.
9 Zwey Franzosen so in Candia gewesen. 28.|10.
1 5 an Johann Dubal, Römisch Keyserl. Majestät gewesen Capitain Leutenannt; laut Zeugnis des Graven zu Hedersleben, Römisch. Keyserl. Kämmerer, d. 3.|3. (1671).
1 5 Herrn M. Johann Wachsmuth nebst andern aus der Herschaftl. Breitenwiesen in Böhmen Vertrieben; laut Zeugnis vom Rath zu Frankenstein.
2 10 Dem Herrn M. Christoph Linken, nebst andern 18 Personen, so aus Oberhausen im Amt Sagan, wegen des Evangelie Vertrieben, gegeb. d. 10. 4. 1671.
4 3 Zween Exulirten Pfarrherrn aus Mähren, so vor sich, Weib und Kindern, wie auch vor ihre Eltern, so auch Geistliche und noch am Leben, Almosen gesucht. d. 13. 5.
6 Zween Soldaten, so in Türkenkrieg ein Auge verloren.
9 Einem Schwedischen Edelmann. (Inzwischen versch. Studenten.
1 6 Einem exultirend. Pfarrherr ausUngarn, dessen Frau kathol. geworden.
1 5 Herrn M. Mauers Witbe, Pfarrer zu Willershausen, der im Brand umbkommen. 1. 2. 1672.
(Inzwischen 24 Studenten verschiedentlich unterstützt!)
1 gr. 6 Pfg. Einer Lutherisch. Pfarrerin von Korn in Frießland, deren Herr Alters und schreckendswegen, als das Wasser neben 2 Kindern alles weggeführt, sprachloß worden. 2. 6.
1 Einem Blinden, mit einem von den Türken auf Cantia Verbrannten; hatte der Blinde Römisch-Kayferliche Majestät Zeugniß; d. 18. 6. 1672.
9 Einem von Türken lahm Geschoßenen Soldaten mit einem Weibe von der Auerochßischen Compagnie. (20. 6. 1672.
1 9 Einem Weib mit 6 Kindern, von Fischbach gebürtig, aber ietzo in der Wetterau, von Kriegsvölkern verjagt. 29. 11.
(Inzwischen wieder 43 Studenten unterstützt, daneben exulirte Pfarrherren aus Schlesien, Zween von den Franzosen Verderbte am Rhein u. a. S.;
1 gr. 9 Pf.. Einem außem Darmstädter Landt mit 5 Kindern, durch die ,,Kayserlichen« verderbt, laut Zeugniß.
1 5 an Ernsten von Seidlitz, exulird. Junker aus Schlesien mit Weib u. Kind.
1 5 an Joh. Möller, aus Holtzhausen in Mähren, vertrieben und im Exilio von Schlage gerührt.
(Neben 9 Studenten, die in der Rechnung pro 1674 bis 75 als unterstützt vorkommen, sind 2 vertrieb. Pfarrer aus Ungarn und 1 Rector; sind durch die Franzosen Verderbt.
gr. 9 Pfg. Einem mit Weib und Kindern aus Großen-Gera verjagt durch die Französischen; laut Zeugnis.
In der Rechnnng pro 1679 erschienen neben andern Unterstützungen:
2 gr. 8 Pfg. Zween Verderbten AdelPersonen Herr Friedr. Carl von und zu Dohnhausen und von Hochedelgeborenen Herrn Caspar von Seehausen, gewesener Obrist-Lieutenant.
2 1 Zweyen verjagten Evangel. Pfarrern aus Schlesien Herr Sigmund Ramisiv und Martin Reichhardt.
6 Einem vertr. Schulmeister aus Preßburgk in Ungarn Hanß Paul Gross.
Sa. 78 specifirte Spenden! Davon kamen (1685) kl. Beträge an vertr. Pfarrer: Gläser, Reinhardt, aus Ungarn: M. Joh. Ahel, Joh. Christ. Lisse, Caroly Creutz, bald darauf Johann Heinrich v. Rengersdorf und Barthel Neudorff – (d. 3. 9.)
2 gr. 10 Pfg. Einem von der Barbarischen „Dartern“ (wohl Tartaren?) Gefangenen von Adel aus Pohlen Alberto Brinhinskiy (1. 11.)
Aus 1686 z. B.:
1 gr. Pfg. Zween Exulanten umb der Religion Vertrieben von Frankreich aus Elsas, alß Johann Esswig und Adam Zimmer aus Moorbach.
9 Einem vor Neuheusel „Pläßirten Soldaten Görg Schmidtmann (16. 3.).
4 ½ Einem durch den Erbfeindt Verderbten von J Laibach.
6 an Arnoldt Pola aus Hamburgk, welcher die Linke Hand vor dem Erbfeindt verlohren
9 Einem von den Türken Verderbten aus Fillach.
6 ½ an Hr. Georg Puel, „uff Edelgestifft“ und Lützendorff, von Türken verjagt. (15. 11.)
6 ½ an Jakob Schenken a. d. Ruhl,mit der „schweren Noth verhafft.“
6 ½ Einem Exulanten aus Suchas in Oberschlesien und demnach gewesenen Schuldiener Joh Sartoriy.
4 5 an Hr. Cornelius Fabricius, gewes. Schuldiener aus Roßbach, von dem Franzosen verjagt.“
(1687-98 ist Viel und Vielerlei an ,,Beysteuern aufs die Armen Vertriebenen« aus Heidelberg, Worms, Durlach, Oppenheim, Eppingen, Mannheim, Stuttgart, Heylbronn -, die einzelnen zu verschiedenen Tagen bittend oder bettelnd vorsprachen, verausgabt worden, lt. Kirchrechnungen!).Daneben mögen auch einige der in der Neidhartshäuser Gemeinderechnung pr. 1684-85 vorkommenden milden Gaben (oder „Allmosen“) an Vagante etc. erwähnt werden, z. B.
gr. 9 Pfg. einem „Krankenmann“ außen Braunschweyger Land.
1 8 Zween Männern aus der Pfaltz.
1 5 Einem Vertriebenen aus Mähren.
1 5 Zwey Vertriebenen Männern außem Fuldaer Lande.
8 6 den „Schwerdtäntzern“ uff der Zell.
8 6 den Älbern Schwerdtäntzern geben.
1 5 Einem von „Coburgk“ (? krank oder ?) geben
„1 Albus Groschen (2 gr. oder 7 Kreuzer n. spät. Curs) einem Armen mann außen Brandenburgischen Landt.
(1685—86) 17 Groschen an 4 Witfrauen etc.
1 gr. 5 Pfg. Zwyen Studenten
10 Zweyen Geistl
zweyen Herren Geistlichen aus Schlesien
1 6 Zweyen arm Vertriebenen aus Schlesien
9 Einem arm Man aus der Steyermarck.

In den Gdrchg. pr. 1686-95. Viele Allmosen pp. meist an fremde Arme, Abgebranute, Vertriebene – und meist in 1 Albus, d. i. Hessen-Albusgroschen (= 20 Pf. jetzig Curs) verabreicht.


aus
C. E. Bach
„Im Tullifeld“
Eine historisch-landschaftliche Umschau in engerer Heimat 
– der Vorderrhön –


[1] Bisher wurden an 30 Studenten unterstützt!


Bücher und DVD über Geschichte, Landschaft und Kultur der Rhön und Thüringens
– nach Themen sortiert –


 

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