Arcangelo Corelli: Sonata g-Moll op. 5 Nr. 12 („La Follia“)

Von mir für Orgel bearbeitet und eingespielt mit Samples der Riegerorgel des Konzerthauses Wien (Vienna Konzerthaus Organ).

Meyers Großes Konversations-Lexikon (1905), Bd. 6, S. 746, kennzeichnet die Follia als spanischen Tanz von ernsthaftem Charakter, für eine einzelne Person bestimmt, ehedem auf der Bühne sehr gebräuchlich, jetzt außer Gebrauch gekommen. Die sehr einfache Melodie ist im 3/4-Takt gesetzt und besteht meist aus zwei Teilen von je acht Takten.  Diese simple Akkordfolge gehört zu den berühmtesten Variationenthemen in der Musikgeschichte, und trägt den Namen der „Verrücktheit“: „La Follia“. Die aus Spanien nach Italien importierte Mollmelodie mit dem einprägsamen harmonischen Verlauf wurde von zahllosen Komponisten für die unterschiedlichsten Instrumente variiert. Ein bekanntes Beispiel ist die Follia für Solovioline mit Baß von Corelli.

Über das Satzmodell der Folia kann der interessierte Besucher zusätzlich Interessantes in meinem Beitrag Juan Cabanilles: Diferencias de Folias primer tono finden.

Arcangelo Corelli (1653–1713) war einer der begehrtesten Geigenlehrer in Italien. Seine Schüler waren unter anderem Castrucci, Gasparini, Geminiani, Bonporti und Locatelli. Sein Satz von zwölf Geigensonaten, Opus 5, im Jahre 1700 veröffentlicht und der Kurfürstin Sophia von Hannover gewidmet, prägte die Geschichte des Geigenspieles. Über vierzig weitere Auflagen dieses Werkes entstanden im 18. Jahrhundert. Francesco Geminiani produzierte sogar ein erfolgreiches Arrangement der Sonaten als Concerti Grossi. Die berühmteste Sonate dieses Satzes war Nummer 12. In einem einzigen Satz in der Form einer Chaconne aufgesetzt, ist sie schon fast zu gut bekannt, als an dieser Stelle noch weiterhin darauf eingehen zu müssen, dennoch sollte hierbei Corellis beispielloser Instinkt hinsichtlich des gesamten Gleichgewichts der Variationen noch erwähnt werden; er beurteilt immer präzise, wann ein langsames Tempo einem schnellen, ein gemächliches einem hektischen folgen sollte. Und damit die Rolle der Begleitung auch nicht vergessen wird, endet die Sonate mit einer Folge aus brillanten Sechzehntelnoten für den Kontrabaß. Obwohl die berühmte „La Folia“ Melodie in Dutzenden von Arrangements im 17. Jahrhundert auftauchte, handelte es sich hierbei um den Vorgeschmack der exaltierten Welt der Sonaten.

Als „Sonata 12“ bilden die Variationen den Schlussstein des einzigen Bandes von Soloviolinsonaten mit Basso continuo, den Corelli veröffentlicht hat. In mehreren Spannungskurven wird das schlichte, schöne Thema rhythmisch und melodisch jeweils bis zu einem virtuosen Höhepunkt gesteigert, um sich dann wieder in einem besinnlichen Einschub zu beruhigen. In der Geigenstimme (in meiner Fassung: Gedackt 8′ kombiniert mit Sesquialtera 2f) lesen sich die Variationen wie ein Kompendium der barocken Spieltechniken: schnelle Läufe im Wechsel mit dem Bass, Doppelgriffe zu bewegten Bassdreiklängen, gebrochene Dreiklänge in Triolen oder Sechzehnteln, ausgehaltene Noten und kurz abgerissene. All dies kann man technisch etüdenhaft verstehen oder als Widerspiegelung eines exaltierten Gemüts, der “Follia”. Nur eines ist das Stück gewiss nicht: ein Selbstporträt seines Schöpfers. Arcangelo Corelli, der Geiger aus Fusignano, der Zeit seines Lebens in römischen Palästen bei vornehmen Gönnern verkehrte und als “Prinz” der römischen Instrumentalisten alle Fäden des Orchesterwesens der Ewigen Stadt in der Hand hielt, galt aus ausgesprochen sanftmütiger Charakter.

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