W. A. Mozart: Fantasie f-moll KV 594 (für Orgel)
- Adagio
- Allegro
- Adagio
Ich habe diese Fantasie mit Samples der Riegerorgel des Großen Saals im Konzerthaus Wien (Vienna Konzerthaus Organ) eingespielt.
Entstehungsgeschichte und musikalische Analyse:
Am 3. 10. 1790 schreibt Mozart von der Frankfurter Kaiserkrönung an Constanze:
„Ich habe mir .. fest vorgenommen, gleich das Adagio für den Uhrmacher zu schreiben, dann meinem lieben Weibchen etwelche Ducaten in die Hände zu spielen; that es auch — war aber, weil es eine mir sehr verhaßte Arbeit ist, so unglücklich, es nicht zu Ende bringen zu können — ich schreibe alle Tage daran — muß aber immer aussetzen, weil es mich ennuirt — und gewis, wenn es nicht einer so wichtigen Ursache willen geschähe, würde ich es sicher ganz bleiben lassen — so hoffe ich aber doch es so nach und nach zu erzwingen; — ja, wenn es eine große Uhr wäre und das Ding wie eine Orgel lautete, da würde es mich freuen; so aber besteht das Werk aus lauter kleinen Pfeifchen, welche hoch und mir zu kindisch lauten.“
Eine Brotarbeit also, eine verhaßte dazu, und nicht frei von künstlerischen Bedenken. Aber auch der entschiedene Wille, der Schwierigkeiten Herr zu werden und innerhalb der vorgezeichneten Grenzen das Bestmögliche zu tun. Nach der Heimkehr aus Frankfurt, zu Wien im Dezember 1790, wurde die Fantasie beendet und ins Eigenverzeichnis eingetragen.
Wir sind in der glücklichen Lage, noch weitere Einzelheiten über Anlaß und Motiv dieser ungewöhnlichen Komposition zu erfahren. E. Lewicki hat im Dresdener Anzeiger vom 23. 5. 1924 die Fantasie in Zusammenhang mit dem Ableben des greisen Feldmarschall Laudon (14.7. 1790) gebracht: Laudon war der Sieger von Kunersdorf (1759) und Belgrad (1789!). Das Müllersche Wachsfigurenkabinett des Grafen Deym am Kohlmarkt in Wien ließ sich den Anlaß nicht entgehen, dem Verblichenen auf seine Weise zu huldigen und mit dieser Totenehrung zugleich eine Apotheose des am 20. 2. 1790 vorausgegangenen Kaisers Josef II. zu verbinden. Zur Steigerung des Eindrucks benötigte man eine sowohl der Trauer wie der Verherrlichung Ausdruck gebende Musik, welche, damit sie jederzeit zur Verfügung stand, auf die Walze einer Spielorgel übertragen wurde. K.V. 594 ist diese von Mozart besorgte Musik.
Den Bemühungen von Walter Krieg („Um Mozarts Totenmaske“, Neues Mozart-Jahrbuch III, 1943) verdankt man die Erschließung einer für die richtige Einschätzung der Komposition äußerst wichtigen Quelle
Beschreibung der kaiserl. königl. privilegierten,
durch den Herrn Hofstatuarius Müller errichteten
Kunstgalerie zu Wien.
Von C. M. A. Wien, gedruckt bey Anton Pichler,
k.k. privil. Buchdrucker. 1797
(Neue Auflage 1814 „gedruckt bey Carl Gerold“)
Nummer 37 auf S. 76 und 77:
„Ein dem großen Kaiser Joseph und dem Feldmarschall Laudon errichtetes prächtiges Mausoleum. Es stellt einen auf blauen Säulen ruhenden Tempel, dessen Kapitäler und architektische Zierathen fein vergoldet sind, vor. Der Tempel sowohl, als dessen Hauptgebäude erscheinen in weißem Marmor abgebildet, wobey die blauen Füllungen nebst den schönen Arabesquen besonders gute Wirkung machen. Im Hintergrunde erblickt man, wie in einem magischen Spiegel, den unsterblichen Joseph mit Laudon. Sie unterreden sich vertraulich im Elisium. Vor ihnen steht auf einen Piedestal eine Feuerurne, die sie sanft, aber doch kennbar, beleuchtet. Am Fuße des Piedestals sitzt die kleine Türkinn, trauernd, die der Feldmarschall aus Belgrad mit sich brachte und in der Folge als Pflegetochter annahm. Rechts an dem Socle des Tempels sitzt der Genius Österreichs, er umfaßt weinend und tief gerührt die Urne, die des Helden Herz in sich schließt. Vorn am Eingang steht Mars in eiserner Rüstung, mit gesenktem Haupte, er lehnt sich auf sein entblößtes Schwerdt, und scheint den Verlust des Helden tief zu fühlen. Auf der Frontispice sind die verdienten Siegestrophäen nebst dem Lorbeerkranze für den großen Krieger angebracht, und in der Mitte derselben eine Uhr, deren Perpendikul eine aus pierres des Straße gefaßte Sonne vorstellt, die durch Bewegung, besonders des Nachts, einen vorzüglich guten Effekt macht.
Man hört alle Stunden eine durch den unvergeßlichen Tonkünstler Mozart eigends dazu komponierte passende Trauermusik, die acht Minuten lang dauert, und an Precision und Reinigkeit alles übertrifft, was man bey dieser Art von Kunstwerken je schickliches anzubringen suchte.“
Mozarts Mißbehagen im Frankfurter Brief ist durchaus verständlich. Zwang ihn doch die Not, Musik fürs Panoptikum zu schreiben. Zwar, der Vorwurf war so unedel nicht, und schließlich hatte Josef II. Mozart nahe genug gestanden, um eine musikalische Ehrung zu verdienen. Wäre nur das Pfeifenwerk weniger „kindisch“ gewesen! Dazu die allegorischen Figuren des Kriegsgottes Mars und des trauernden Genius Österreichs. Diese ganze fatale Situation gilt es, sich vor Augen zu halten, will man ermessen, was der Meister aus dem „verhaßten Auftrag“ gemacht hat.
Der Anlaß erforderte eine Trauermusik von nicht allzulanger Dauer. Mozart wählte hierfür eine der Lullyschen Ouvertüre verwandte Form, einen von Adagiotakten umrahmten, archaisierenden Allegrosatz, der mit Rücksicht auf das Publikum nur leicht imitatorisch und mehr sonatisch gehalten wird. Übrigens hatte er solche Rahmung eben erst beim Vordersatz des D-dur-Quintetts K.V. 593 (Larghetto — Allegro — Larghetto) erprobt (St. Foix V). Vergegenwärtigt man sich den Zweck, für welchen das Werk geschaffen wurde, so wird man bewundern müssen, wie meisterhaft der Künstler die Aufgabe gelöst hat.
(Die nachfolgende Analyse entstand vor Kenntnisnahme der Galeriebeschreibung. Nur war ursprünglich von der Klage und Apotheose eines einzigen Helden die Rede gewesen. Diese Feststellung sei gemacht, um zu zeigen, wie weitgehend die Analyse auch Sachinhalte zu erfühlen mag. Die Anschauung des sonst so verdienstvollen W. Krieg, die in Rede stehende Musik sei nicht erhalten, wird durch die Analyse von K.V. 594 richtiggestellt.)
Im Adagio ¾ in f schreitet man mit den stufenweise absinkenden Baßvierteln der Präambel (Takt 1/7) an das Mausoleum. Eine hohe Flötenstimme erhebt beim Anblick der beiden Verblichenen eine Klage (Takt 8/20), zunächst beschwichtigt durch den As-dur-Schluß, dann, bei ihrer Wiederholung, unbeschwichtigt, in reinem Moll, so daß der Epilog (Takt 29/39) sich ganz der Trauer rinnender Zähren und schluchzender Seufzer ergibt.
Angesichts der Toten stellt sich im Allegro in F 4/4 die Erinnerung an die Taten der Dahingegangenen ein. Die Musik wird zum Heldengedächtnis und schwingt sich ins kraftvolle F dur auf. An Stelle der Zuckungen des Klagemotivs treten krafterfüllte, siegverkündende Fanfaren in heroischem Marschrhythmus.
In gleicher Weise erfüllt sich das vorige Seufzermotiv im Ritornell I (Allegrotakt 7) mit vorwärtsdrängender Energie. Das kraftvolle zweite Thema in C (Takt 13) wird im Baß durch Fanfarenrhythmus kontrapunktiert. Im Nachsatz des zweiten Themas (Takt 17 ff.) klingt das chromatische Zährenmotiv aus Adagiotakt 29, in dreimaliger Steigerung auf die Mühen des heldischen Ringens hinzeigend, bevor die Exposition in sieghaftem C-dur aufleuchtet. — Die knappe Durchführung bringt in ihrer ersten Phase (Takt 1—6) das Fanfarenmotiv in g-moll. Als zweite Phase folgt der Nachsatz des zweiten Themas (Chromatisches Zährenmotiv), dessen tokkatenhafte Auflockerung die Reprise herbeiführt, deren Endanstieg eine zitatähnliche Abwandlung des Fanfarenthemas bringt mit dem Halbschluß in C. Der Rückblick auf ein heldisches Leben mit seinen Siegen und Mühen ist beendet.
Die Trauer des Adagio stellt sich wieder ein, nun in vermehrtem Maße, da der Rückblick auf die Taten der Verblichenen die volle Größe des Verlusts deutlich gemacht hat. Deshalb die Abänderung des Klagemotivs, die größere Herbe, die kanonische Führung über dem Orgelpunkt C. Ungemein ausdrucksvoll wirkt die schmerzliche Ballung in Engführung im Epilog, die gefolgt ist von den Seufzern, welche die Endgültigkeit des Verlusts der großen Toten bestätigen.
Der Meister der großen „Maurerischen Trauermusik“, der Schöpfer der d-moll-Fantasie und des a-moll-Rondos, hat für die Spielorgel im Wachsfigurenkabinett am Graben in Wien eine Musik geschrieben, die würdig gewesen wäre, bei der Totenfeier eines der Großen dieser Erde zu erklingen. Ob er wohl ahnte, daß ein Jahr später, wie Nissen (S. 574) berichtet, der Eigentümer des Müllerschen Kunstkabinetts an seine Bahre kam, um sein bleiches, erstorbenes Gesicht in Gips abzudrücken für die Darstellung, die Laudons Mausoleum ablöste (Grove). So mag Mozarts Trauermusik noch einmal ergreifende Verwendung gefunden haben.
Für den Ernst von Mozarts Bemühen zeugt außer der Briefstelle und dem Befund noch eine 9-taktige, verworfene, auf drei Systeme geschriebene Mozarteumsskizze K.V. Anh. 35 in d-moll. In ihrer Originalgestalt wurde die Fantasie bis heute nicht veröffentlicht. Wohl aber bemühte man sich, das kostbare Werk durch Übertragung zu erschließen. Band VII der Breitkopf & Härtel-Ausgabe der Ouevres von 1800 machten es als Sonate I in vierhändiger Fassung bekannt. Diabelli brachte das Werk als Streichquartett. Endlich gibt es eine wirkungsvolle Übertragung für die Orgel von E. Isler (vgl. Wörsching im Augsburger Mozart-Buch 1942).
Graf Deym ist von Mozarts Lösung der Aufgabe hochbefriedigt gewesen Dies geht nicht nur aus der Schlußbemerkung der Deym-Müllerschen Beschreibung (siehe oben) hervor, sondern auch aus seiner Ankündigung in Nr. 66 der Wiener Zeitung von 1791, wo die „eigens dazu komponierte passende Trauermusik“ des „berühmten Herrn Capellm. Mozart“ als „auserlesen“ bezeichnet wird. Offensichtlich verlangte er, wenn auch eine Bestätigung hierüber nicht vorliegt, eine weitere Trauermusik, sei es zur Auswechslung, sei es für ähnliche Veranlassung. Anders läßt sich der Parallelfall der zweiten f-moll-Fantasie nicht erklären.
Zitiert aus
Hanns Dennerlein
„Der unbekannte Mozart –
Die Welt seiner Klavierwerke“
Eine andere Fassung habe ich mit Samples der historischen Orgue de Concathédrale Notre-Dame-du-Bourguet de Forcalquier interpretiert