Evolution und ein Musikvideo

Was ist Evolution?

Physikalische Voraussetzung jeder Evolution ist, dass sich zunächst ein chaotisches System (ein chaotisches System ist ein zeitlich veränderliches System, also ein dynamisches System, dessen Dynamik unter bestimmten Bedingungen empfindlich von den Anfangsbedingungen abhängt, sodass sein Verhalten nicht längerfristig vorhersagbar ist ) selbst organisiert und im Folgenden durch Anpassung an sich verändernde äußere Bedingungen nicht nur selbst erhält, sondern sich auch in Tochtersystemen reproduziert (Autopoiesis).

Humberto Maturana und Francisco J. Varela sprechen in ihrem Buch „Der Baum der Erkenntnis” von der biologischen Evolution als „strukturelles Driften bei fortwährender phylogenetischer Selektion. Dabei gibt es keinen «Fortschritt» im Sinne einer Optimierung der Nutzung der Umwelt, sondern nur Erhaltung der Anpassung und Autopoiese in einem Prozess, in dem Organismus und Umwelt in dauernder Strukturkopplung bleiben.“

Evolution begünstigt nicht das „Überleben des Stärkeren“, wie der Sozialdarwinismus behauptet! Entscheidend ist nicht eine wie auch immer ausgeprägte Stärke, sondern die „Fitness“, die sich am besten mit „Eignung“ umschreiben lässt. Die sehr viel stärkeren Dinosaurier hatten keine Chance gegen die damals deutlich schwächeren Säugetiere. Stärke, auch geistige, ist kein Selektionskriterium, kann sogar hinderlich sein. Auch die natürliche Selektion, von der der Sozialdarwinismus behauptet, dass sie in einem von außen herangetragenen und zielgerichteten Ausleseprozess bei Konkurrenz „notwendig“ sei, ist unzutreffend. Richtig ist vielmehr, dass beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen natürliche Selektion zwingend stattfindet, ohne dass dabei ein Zweck verfolgt wird, auch nicht der des Konkurrenzabbaus.

Christian Laue schreibt in „Evolution, Kultur und Kriminalität: Über den Beitrag der Evolutionstheorie zur Kriminologie“: „Wenn der Stärkere sich nach dem biologischen – und dann auch sozialen – Grundgesetz durchsetzt, ist Kampf ein legitimes, ja notwendiges Mittel. Bereits diese verengte Übersetzung, die sich vor allem in Deutschland durchgesetzt hat, legt einen Missbrauch der Evolutionstheorie nahe. Die zweite weitreichende Verzerrung ist die auch heute noch populäre Vorstellung, dass der Mechanismus der Evolution zu einer Höherentwicklung der Lebewesen führe. Dahinter steht die bis ins beginnende 19. Jahrhundert vorherrschende Idee von der Stufenleiter des Lebens, an deren Spitze der Mensch als „Krone der Schöpfung“ stehe. Dadurch lässt sich einerseits ein ungehemmtes anthropozentrisches Denken begründen, das jedes Handeln rechtfertigt, mit dem sich der Mensch die Erde auf Kosten anderer Spezies untertan macht. Darüber hinaus wird die Evolution dadurch vor allem in ihrer Anwendung in den Sozialwissenschaften als notwendiger Reinigungsprozess verstanden, der die Ausmerzung „minderwertiger“ Lebewesen zum höheren Wohl des Ganzen rechtfertigt.“

Höhere Lebewesen entstehen durch Kooperation (Emergenz) einfacher Zellen miteinander, weil sie sich optimal  in spezielle Umwelten anpassen und ihre Besonderheit nutzen können. Sie sind aber nicht flexibler in dem Sinne, dass sie in beliebigen Umwelten  überleben könnten, das Gegenteil ist der Fall: sie sind Spezialisten für ganz bestimmte äußere Bedingungen. Sind diese nicht mehr gegeben, sterben sie aus und machen anderen Spezialisten Platz. Nur der Mensch kann sich wegen seiner Fähigkeit zur Abstraktion und  symbolischer Interaktion die Umwelt gezielt an seine Bedürfnisse anpassen.

Lebewesen werden also an ihre Umwelt angepasst, genauer gesagt:  die weniger angepassten werden beseitigt. Die zur Anpassung notwendigen Mutationen können nicht beeinflusst werden, sie sind zufällig. Treten sie nicht auf, stirbt eine Art aus: Dies ist das Schicksal fast aller Spezies, die jemals die Erde bevölkert haben. Anpassung,  Adaption ist also nicht gerichtet, weder unter dem Aspekt, dass erworbene Eigenschaften vererbt werden, noch unter irgendeinem anderen Mechanismus, nach dem Mutationen nach einer bestimmten Notwendigkeit auftreten. Variation ist das Rohmaterial der natürlichen Selektion, und da es allein aus zufälligen Prozessen entsteht, ist die Perfektion, mit der Lebewesen an ihre Umwelt angepasst sind, allein dem Zufall geschuldet.

Das unten verlinkte Musikstück „Evolution“ entstand spielerisch durch Ausprobieren verschiedener Variationen von Klängen und Rhythmen  – noch ganz ohne Plan, was daraus werden könnte. Ausgangspunkt war ein mich fesselnder Rhythmus.
Durch Probieren (Anpassung an meinen Geschmack) entstand schließlich eine Grundstruktur, die Basis der ersten Strophe. Nun erst formte sich in mir eine Vorstellung, wie ein in sich geschlossenes Stück aufgebaut werden könnte, noch immer ohne konkrete Absichten, einfach nur der Überzeugung folgend: der beharrliche, ostinate Rhythmus muss das Ganze zusammenhalten, er muss ihm einen Sinn geben! Und erst als das Ganze so ziemlich fertig war  kam mir in den Sinn, dass dieser ostinate Rhythmus eigentlich das Beharrungsvermögen des Lebens wider alle Katastrophen symbolisiert – das Leben zwar als Stehaufmännchen, das Wie aber folgt der Maxime: nichts folgt einem Plan, doch alles kann – wenn es „passt“.

Der Schluss des Stückes ist freilich fatalistisch, da Evolution keinen Zweck verfolgt – mein Gefühl sagte mir, eine Apotheose auf die Evolution kann es nicht geben, bestenfalls auf den Menschen, der dem Sinnlosen einen Sinn zu geben vermag. Wenn „dem Leben einen  Sinn geben“ Weisheit ist, dann sollte der Mensch, der das für sich kann,  als weise bezeichnet werden.



 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

19 − sechzehn =