Richard Wagner: Siegfrieds Rheinfahrt (Orgeltranskription)
Siegfrieds Rheinfahrt – Orchesterzwischenspiel zwischen dem Vorspiel und dem ersten Aufzug von Wagners Oper „Götterdämmerung”. Auf einem Floß fährt Siegfried Rhein aufwärts und gelangt zu den Gibichungen (Gibich war der Stammvater der Gibichungen, also Ahne Gunthers, des Burgunderkönigs der Nibelungensage).
Ich habe dessen Orgeltranskription mit Samples der Riegerorgel des Konzerthauses Wien (Vienna Konzerthaus Organ) eingespielt.
Zur Lebensgeschichte Siegfrieds:
Der Sohn des Wälsungen-Paares, den Zwillingen Siegmund und Sieglinde, und Wotans Enkel ist der von Wotan erhoffte »furchtlos freieste Held«, der den Rheintöchtern den Ring wieder zurückgeben kann. Nach der Ermordung seines Vaters übergab die sterbende Sieglinde den Neugeborenen in die Obhut des Nibelungen Mime.
Der herangewachsene Siegfried erkennt bald, dass der Zwerg nicht sein Vater sein kann und entlockt ihm die Geschichte seiner Herkunft. Als Beweis legt ihm Mime Notung, das zertrümmerte Schwert seines Vaters, vor. Durch den Wanderer (Wotan) erfährt Mime anschließend, dass er das Schwert nicht, wie Siegfried hoffte, neu schmieden kann. Nur, wer das Fürchten nie gelernt, kann dies bewerkstelligen. Mime erkennt, dass Siegfried, der keine Furcht hat, für ihn zudem den Ring aus Fafners Drachenhöhle holen kann.
Doch zunächst schmiedet sich Siegfried selbst das Schwert Notung neu und stürmt hinaus in den Wald. Siegfried tötet den Drachen und erhält durch dessen Blut, an dem er schmeckt, die Fähigkeit die Vögel zu verstehen. Er holt sich den Ring und den Tarnhelm aus der Höhle, durchschaut die wahren Absichten Mimes, der ihn vergiften will, und bringt ihn mit einem Schwertstreich um.
Der Waldvogel weist ihm nun den Weg zu der von Feuer umgürteten Brünnhilde. Als sich ihm ein Wanderer, Wotan selbst, in den Weg stellt, zerschlägt Siegfried dessen Speer und damit die Macht der Götter. Wie er bei Brünnhilde, die er aus ihrem Schlaf wachküsst, das Fürchten lernt, lernt er auch die Liebe.
In der Götterdämmerung verrät er die Geliebte unwissentlich. Wieder stürmt er zu »neuen Taten« in die Welt, dieser Aufbruch wird in Wagners „Siegfrieds Rheinfahrt“ musikalisch untermalt; Abenteuerlust und Träume von neuen Heldentaten ergreifen ihn, Brünnhilde winkt ihm hoffnungsvoll an seine Rückkehr glaubend mit ihrem vor Tränen triefenden Fazinettle nach, und er schippert munter und leichten Sinnes davon, seine Jugend bei Mime kommt ihm in den Sinn, er hört sich sein Schwert Notung schmieden, und wie er dem Wanderer mit einem Schlag den Speer zertrümmert, er hört das Greinen der Rheintöchter nach ihrem verlorenen Gold, doch ihre Warnungen versteht er nicht und stürzt sich frohen Mutes und ihm unbewusst in sein wartendes Unglück, das Hagen ihm zugedacht hat.
Denn er gerät auf der Gibichungenburg in die Fänge des Alberich-Sohnes Hagen. Ein von Gutrune gereichter Zaubertrank lässt ihn Brünnhilde vergessen und sich in Gutrune verlieben. Für seinen neuen Blutsbruder Gunther erobert er, indem er sich mittels des Tarnhelms in den Gibichungen verwandelt, Brünnhilde als Gattin und führt sie nach Worms. Als er Brünnhilde überwältigte, entriss er ihr den Ring, sein Liebespfand, an dem sie ihn bei der geplanten Doppelhochzeit Siegfried-Gutrune und Gunther-Brünnhilde erkennt. Sie bezichtigt ihn des Verrats, Siegfried schwört, nie mit Brünnhilde verheiratet gewesen zu sein. Siegfried bleibt unbekümmert: über die Rheintöchter, die ihn während der Jagd am nächsten Tag vor dem baldigen Tod warnen, macht er sich lustig. Doch dann reicht ihm Hagen einen Erinnerungstrank, und vor der ganzen Gesellschaft erinnert sich Siegfried wieder an Brünnhilde. Guten Gewissens streckt Hagen den ›Verräter‹ von hinten nieder. Sterbend entbietet Siegfried Brünnhilde seinen letzten Gruß.
Nietzsches Interpretation der keinen emotionalen Schwulst, wenn auch in musikalischer Höchstform, scheuenden Opern-Tetralogie „Der Ring des Nibelungen” halte ich für die treffendste:
Ich erzähle noch die Geschichte des »Rings«. Sie gehört hierher. Auch sie ist eine Erlösungsgeschichte: nur daß diesmal Wagner es ist, der erlöst wird. – Wagner hat, sein halbes Leben lang, an die Revolution geglaubt, wie nur irgendein Franzose an sie geglaubt hat. Er suchte nach ihr in der Runenschrift des Mythus, er glaubte in Siegfried den typischen Revolutionär zu finden. – »Woher stammt alles Unheil in der Welt?« fragte sich Wagner. Von »alten Verträgen«: antwortete er, gleich allen Revolutions-Ideologen. Auf deutsch: von Sitten, Gesetzen, Moralen, Institutionen, von alledem, worauf die alte Welt, die alte Gesellschaft ruht. »Wie schafft man das Unheil aus der Welt? Wie schafft man die alte Gesellschaft ab?« Nur dadurch, daß man den »Verträgen« (dem Herkommen, der Moral) den Krieg erklärt. Das tut Siegfried. Er beginnt früh damit, sehr früh: seine Entstehung ist bereits eine Kriegserklärung an die Moral – er kommt aus Ehebruch, aus Blutschande zur Welt… Nicht die Sage, sondern Wagner ist der Erfindet dieses radikalen Zugs; an diesem Punkte hat er die Sage korrigiert… Siegfried fährt fort, wie er begonnen hat: er folgt nur dem ersten Impulse, er wirft alles Überlieferte, alle Ehrfurcht, alle Furcht über den Haufen. Was ihm mißfällt, sticht er nieder. Er rennt alten Gottheiten unehrerbietig wider den Leib. Seine Hauptunternehmung aber geht dahin, ins Weib zu emanzipieren – »Brünnhilde zu erlösen«… Siegfried und Brünnhilde; das Sakrament der freien Liebe; der Aufgang des goldnen Zeitalters; die Götterdämmerung der alten Moral – das Übel ist abgeschafft… Wagners Schiff lief lange Zeit lustig auf dieser Bahn. Kein Zweifel, Wagner suchte auf ihr sein höchstes Ziel. – Was geschah? Ein Unglück. Das Schiff fuhr auf ein Riff; Wagner saß fest. Das Riff war die Schopenhauersche Philosophie; Wagner saß auf einer konträren Weltansicht fest. Was hatte er in Musik gesetzt? Den Optimismus. Wagner schämte sich. Noch dazu einen Optimismus, für den Schopenhauer ein böses Beiwort geschaffen hatte – den ruchlosen Optimismus. Er schämte sich noch einmal. Er besann sich lange, seine Lage schien verzweifelt… Endlich dämmerte ihm ein Ausweg: das Riff, an dem er scheiterte, wie? wenn er es als Ziel, als Hinterabsicht, als eigentlichen Sinn seiner Reise interpretierte? Hier zu scheitern – das war auch ein Ziel. Bene navigavi, cum naufragium feci…[Damals bin ich glücklich gefahren, als ich den Schiffbruch erlitt]. Und er übersetzte den »Ring« ins Schopenhauersche. Alles läuft schief, alles geht zugrunde, die neue Welt ist so schlimm wie die alte – das Nichts, die indische Circe winkt…Brünnhilde, die nach der altern Absicht sich mit einem Liede zu Ehren der freien Liebe zu verabschieden hatte, die Welt auf eine sozialistische Utopie vertröstend, mit der »alles gut wird«, bekommt jetzt etwas anderes zu tun. Sie muß erst Schopenhauer studieren; sie muß das vierte Buch der »Welt als Wille und Vorstellung« in Verse bringen. Wagner war erlöst… Allen Ernstes, dies war eine Erlösung. Die Wohltat, die Wagner Schopenhauer verdankt, ist unermeßlich. Erst der Philosoph der décadence gab dem Künstler der décadence sich selbst —
[Nietzsche: Der Fall Wagner. Philosophie von Platon bis Nietzsche, S. 68815]