Gehaus vom 16. Jh. bis zum 18. Jh.
Inhalt
Die Herrschaftsgeschichte
Am 29.4.1475 bekennt Raban von Herda, dass ihm Abt Johann von Fulda mit einem Burglehen im Schloss Lengsfeld sowie anderen Gütern belehnt hat, darunter das „gehowes“, eine von drei kleinen Wüstungen unter dem „byer“, einst denen von Lichtenberg zugehörig .
Am 6.Juni 1490 belehnt Abt Johann von Fulda Hans und Werner von Reckerodt mit bestimmten Gütern, darunter die „Wüstung zum Gehaus“.
1494 bringt Ludwig von Boineburg mit Willen des Lehnsherrn, der Reichsabtei Fulda, von Philipp von Herda das Burglehn zu Lengsfeld an sich. Fernerhin das „Gehäuß, die drei kleinen Wüstungen daselbst … der Gerechtigkeit derer von Reckerodt zugehörig“. Die erste Lehnsurkunde über diese von den Boineburgs erworbenen Besitzungen datiert vom Jahr 1523, die letzte erhalten gebliebene vom Jahr 1785.
Bereits Burgherrn auf der „Krayenburg“ kommen die Boineburgs mit Konrad von Boineburg (der \“kleine Hess genannt\“) 1495 nach Weilar. 1506 kauft Ludwig von Boineburg, Schwiegersohn und Erbe des jüngeren Philipp von Herda, um den Preis von 647 Gulden Gehaus, damals im Besitz des Hans von Reckerodt. Bis 1523 bringt Ludwig Zug um Zug neben anderen Lehnsgütern und Pfandschaften die gesamte Herrschaft Lengsfeld in seine Hand.
Auf diese Weise wird er Grundherr über Lengsfeld, Weilar, Gehaus, Bayersstrut (auch Bayersbrut), Bayershof, Schrammenhof sowie die Wüstungen Kohlgraben, Fischbach, Altenrod und Hohenwart.
Dem Stift Fulda zwingt er dabei das Zugeständnis ab, dass ein Rückkauf dieser Pfandschaften durch das Stift nur mit seiner und seiner Nachkommen Einwilligung möglich ist. Das hindert Fürstabt Balthasar von Dermbach, Inhaber des Stuhls der fuldaschen Äbte, jedoch nicht daran, 1573 die Einlösung der Pfandschaften beim Reichskammergericht in Wetzlar einzuklagen und nach Abweisung wegen fehlender Beweise die Wiederaufnahme des Prozesses zu betreiben.
Der 30-jährige Krieg lässt den Streitfall untergehen. Ein anderer entzündet sich mit dem streitbaren Fulda noch im gleichen Jahr.
Inzwischen in mehrere Linien aufgeteilt und um eine weitere Zersplitterung ihres Grundbesitzes besorgt, kommen die Boineburgs in ihrem 1594 abgeschlossenen und 1685 erneuertem Familienvertrag (als „Burgfrieden“ bezeichnet, der allerdings erst 1712 seine kaiserliche Bestätigung erhält) überein, dass Güter nur mit Zustimmung der Familie verkauft und nur in männlicher Linie vererbt werden dürfen.
Gleichzeitig schließen sich die Freiherren dem Kanton „Rhön – Werra“ der Reichsritterschaft an, einem Schutzbündnis gegen die sie in ihrer Selbständigkeit bedrohenden Reichsfürsten.
Als 1694 ein Boineburg (Johann Christian von Boineburg) unter Bruch des Familienvertrages seinen Anteil an der Herrschaft Lengsfeld für 30.000 Gulden an Abt Placidus von Fulda verkauft, kommt es zu offenem Konflikt mit dem Abt, der sich durch Bewaffnete zwei Mal der Stadt bemächtigt und darüber hinaus weitere Besitzungen in der Herrschaft hinzu erwirbt.
Dieser regelrecht mit Holzknüppeln ausgetragene Konflikt, der Abt bietet hierfür 660 Mann im Amt Geisa und Eiberstein rekrutierter und mit solcher Art Waffe ausgerüsteten Soldaten auf, geht als „Lengsfelder Knüttelkrieg“ in die Geschichte ein.
Das Amt Lengsfeld, seit 1235 im fuldaschen Besitz und von Fulda mehrfach verpfändet, wird 1701 vom Stift aufgegeben seine Besitzansprüche 1705 vom Reichskammergericht im Nachhinein für null und nichtig erklärt.
Trotzdem bleiben die Boineburgs nicht die alleinigen Besitzer des Amtes. 1735 verkauft ein Boineburg seinen verschuldeten Besitz an den Freiherrn von Müller, der jedoch in den Familienvertrag eintritt. Nunmehr sind es zwei reichsfreie Familien, die Lengsfeld, Weilar und Gehaus regieren.
Spätestens ab da gibt es auch jene historische Verwandtschaft zwischen unseren Orten, die im Bewusstsein seiner Menschen weiterlebt, wenn sie deren Namen, oft genug noch, in einem Atemzug zu nennen pflegen und in neuester Zeit zur Eingemeindung von Gehaus nach Stadtlengsfeld führte.
Grenzsteine im Bereich des Baierhofs, mit v.B. und v.M. sowie der Jahreszahl 1782 gekennzeichnet, erinnern heute noch an die damals neu geschaffenen Besitzverhältnisse.
Die Dorfgeschichte
Wie wir den Besitz-Urkunden vom Ende des 15. Jahrhunderts entnehmen können, war Gehaus also eine Wüstung, ein aufgegebenes Dorf. Das ändert sich, als die Boineburgs 1506 hier einziehen. Wie die Kirchenchronik uns überliefert, „haben Ludwig von Boineburg und seine Söhne den Wald gerottet, Ansiedler dahin gezogen und das Land zum Bestellen gegeben“.
Der Zustrom von Siedlern muss anfangs jedoch nur gering gewesen sein. Bei Knips heißt es hierzu: „… standen während der Götz von Berlichingen-Fehden und des Bauernkrieges (1500 – 1525) auf dem Platz, auf welchem jetzt Gehaus steht nur ein großer Schafhof und zwei Häuser. Sie gehörten dem Ritter Hans von Reckerodt“. Unbestritten ist, dass es Hörige des Reckerodt sind, die als Schafhirten und zugleich als erste Gehauser hier leben.
Und diese Gehauser sind Zeitzeuge des im April 1525 ausbrechenden Bauernkrieges, des Aufstandes der unterdrückten Bauernschaft. Denn wirtschaftliche Probleme, häufige Missernten und der große Druck der Grundherren führten immer mehr Bauern in die Hörigkeit und weiter in die Leibeigenschaft, woraus wiederum zusätzliche Pachten und Dienstverpflichtungen resultieren. Auch das „Alte Recht“, ein mündlich überliefertes Recht, wurde von den Grundherren zunehmend frei interpretiert oder vollkommen ignoriert. Seit Jahrhunderten bestehende Allmenden wurden enteignet und gemeinschaftliche Weide-, Holzschlag-, Fischerei- oder Jagdrechte beschnitten oder abgeschafft.
Für unser Gebiet nimmt der Krieg im benachbarten Völkershausen seinen Anfang. Hier sind es aufrührerische Bauern, die den adligen Grundherrn Hans von Völkershausen zur Unterwerfung zwingen, weil er sich der Anstellung eines evangelischen Predigers widersetzt. Rundherum kommt es zu spontanen Erhebungen. Das Servitenkloster in Vacha wird zerstört, das Kloster Mariengart geplündert, beide durch Fron und Zins geknechteter Bauern reich und wohlhabend gewordene Kirchengüter.
In Vacha sammelt Hans Sippelt aufständische Bauern aus den umliegenden Dörfern um sich, um sie als Oberster Hauptmann des Werrahaufens dem Revolutionsheer Thomas Müntzers zuzuführen. Ob Gehauser dabei waren, ist unbekannt.
Die Boineburgs, darunter Ludwig von Boineburg, sitzen zu dieser Zeit noch auf der Krayenburg bei Tiefenort. Die Not und Entschlossenheit der Bauerhaufen erkennend, entschließen sie sich, zusammen mit sechs weiteren Adligen des Werratals zu einem Bündnis mit den Bauern und erkennen gleichzeitig deren Forderung nach Anerkennung der sogenannten 12 Artikel an.
Darin werden u. a. die Abschaffung der Leibeigenschaft und der Folterstrafe, die Beschränkung der Frondienste, Abschaffung des Zehnten, freie Holzung, freie Jagd und Fischerei, Rückgabe der Allmende und des Gemeindewaldes an die Bauern sowie freie Pfarrerwahl verlangt. Auf einer gemeinsamen Zusammenkunft am 23.4.1525 in Stadtlengsfeld unterschreiben die Boineburgs die zwölf Artikel.
In der Schlacht bei Frankenhausen am 14. Mai 1525 scheitert bekanntlich der Aufstand der Bauern. Sie sterben auf Richtblöcken, erdrosselt, erschlagen, mit der Folge, dass Willkür und Unterdrückung, Knechtschaft und Unfreiheit, nicht zuletzt auch für die Menschen unseres Dorfes, noch über Jahrhunderte fortdauern.
In Völkershausen hat Hans von Völkershausen 1525 bereits auf der Grundlage eines \“Huldigungsvertrages\“ die Bauern wieder unter seine Botmäßigkeit gezwungen. Die Boineburgs als Lehnsherrn geben ihren Segen dazu, indem sie am 16. März 1526 zusammen mit dem Vachaer Amtmann von der Thann durch Ludwig von Boineburg ihren Namen unter dieses Dokument setzen. So bestehen auch für unser Dorf die alten Zustände weiter, als es die Schwelle zum 17. Jh. betritt, das den Menschen zu der alten, eine neue Not hinzubeschert.
Als Folge des Glaubensstreites zwischen Protestanten und Katholiken bricht 1618 mit allem nur denkbaren Schrecken der 30-jährige Krieg über Land und Menschen herein. Zum Dreißigjährigen Krieg gibt es kaum Überlieferungen aus unserem Dorf. Die Kirchenbücher von Gehaus haben diese Zeit nicht überdauert. Als einziges, aber ausdrucksvolles Schriftzeugnis aus dieser bedrückenden Vergangenheit bewahrt das Pfarrei-Archiv, beginnend mit dem Jahr 1641, das Geburts-, Heirats- und Sterberegister unseres Dorfes auf. Hier seine Eintragungen bis zum Jahr 1650:
Jahr | Geburten | Hochzeiten | Sterbefälle |
1641 | 1 | 0 | 1 |
1642 | 2 | 0 | 1 |
1643 | 1 | 0 | 0 |
1644 | 3 | 0 | 0 |
1645 | 2 | 0 | 0 |
1646 | 2 | 0 | 0 |
1647 | 0 | 0 | 0 |
1648 | 4 | 0 | 1 |
1649 | 0 | 0 | 0 |
1650 | 4 | 0 | 2 |
Es ist offensichtlich, auch Gehaus ist am Ende des 30-jährigen Krieges nahezu entvölkert und teilt mit den vielen anderen Orten das Schicksal eines verwüsteten Dorfes, in dem sich Leben nur noch mühsam behauptet. Dass es in diesem Jahrzehnt die wenigen Geburten aber keine Eheschließungen gibt, beleuchtet einen anderen Aspekt dieser unheilvollen Zeit. Dieser Zeit habe ich eine eigene Seite gewidmet [siehe: Der Dreißigjährige Krieg].
Das Ergebnis des Dreißigjährigen Krieges war eine Reduzierung der Bevölkerung um vierzig Prozent. Äcker lagen brach, das meiste Vieh war den marodierenden Söldnerhaufen zum Opfer gefallen. Viele Wohngebäude, besonders in den nicht durch Mauern geschützten Dörfern, waren zerstört. In den Städten waren Handel und Handwerk zusammengebrochen. Entwurzelte rotteten sich zu Räuberbanden zusammen, um ihr Überleben zu sichern. Auf den durch Erpressungen u. Brandschatzungen, mehr aber noch durch die völlige Lähmung des Handels und Verkehrs verarmten Städten, sowie auf dem flachen Lande, dessen Erwerbsquelle, der Ackerbau, völlig danieder lag, lastete der unerträgliche Druck der Kriegssteuern, welche Deutschland an die fremden Mächte zu zahlen sich verpflichtete, deren Armeen das Land ausgesaugt und. deren Diplomaten große Länderstrecken vom Reiche losgerissen hatten. Die Unsicherheit der Zustände u. die Unmöglichkeit, auch nur die allernächste Zukunft zu berechnen, gewöhnte die Menschen an flüchtigen Genuss des Daseins, an maßlose Befriedigung der Leidenschaften und. Begierden, um sich für vergangene und etwa noch kommende Gefahren und Entbehrungen schadlos zu halten. So schwand aller sittliche Halt, die Gesellschaft geriet aus den Fugen und die roheste Selbstsucht erwuchs auf den Trümmern der Kultur und. Zivilisation. Nur die Macht der Gewohnheit und der Tradition hielt die verwilderten Nachkommen des Krieges zu Gemeindeverbänden und Genossenschaften zusammen. Am auffälligsten zeigte sich der gesellige Instinkt und die Macht des Herkommens der Menschen in den Dörfern, obgleich diese verhältnismäßig schwerer und härter vom Kriege betroffen wurden, als die Städte, welche wenigstens einige Sicherheit boten und, wofern sie nicht widerstandsfähig waren oder den Kampf scheuten, durch Kontributionen sich von allgemeiner Plünderung loszukaufen vermochten. So scheint es verständlich, dass auf dem Lande mit dem Eintritt des Friedens verhältnismäßig rasch geordnete Zustände und bessere Verhältnisse zurückkehrten, während die Gewerbetätigkeit und der Handel der Städte noch lange Jahre an den Nachwehen des Krieges daniederlagen.
„Man soll nicht sagen, die deutsche Kultur sei im Dreißigjährigen Krieg zerstört worden; der Mensch ist stark und zäh und seine Kultur auch. Mitten im Krieg entstanden die Gedichte des edlen Andreas Gryphius, ergreifende Versuche, die deutsche Sprache zum Klassischen zu zwingen, die Gedichte von Opitz und Gerhardt; im Krieg die Kompositionen von Heinrich Schütz; auch die einfachsten Schöpfungen der Zeit, Volks- und Kriegslieder zeigen, dass Erlebnis und Ausdruckskraft der Menschen nicht versiegt waren. Die tapferste Tat in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges war eine Tat der Menschlichkeit und Kultur: das Buch Friedrich von Spees gegen Hexenwahn und Hexenprozesse, die Cautio criminalis…
Nach einem Krieg, hat Hegel einmal die Pazifisten verspottet, schössen die Saaten ja doch wieder auf, »und das Gerede verstummt vor den ernsten Wiederholungen der Geschichte«. Die Saaten schossen wieder auf auch hier. Sogar waren die Bauern, welche überlebt hatten, nach dem Krieg eher besser daran als vorher, einfach darum, weil so viele fehlten und soviel Land brach lag; wo man tausend Jahre den Boden bebaut hatte, gab es nun Neuland, Land für Pioniere; dergestalt, daß die Regierungen einerseits um Siedler warben, andererseits, zum Beispiel in Sachsen, Gesetze erlassen wurden, um die Bauern an ihre Dörfer zu binden.“ [Propyläen-Weltgeschichte – Golo Mann: Das Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges.]
Auch unser Dorf blühte bald wieder auf, in das 18. Jahrhundert fallen der Bau des Oberen Schlosses und der Dorfkirche, das aufkeimende gesellige Leben braucht Dorfkneipen. Vom noch einmal in der Rhön auflodernden Hexenwahn bleibt Gehaus ganz offensichtlich verschont. Vielleicht war es das Ergebnis des weltoffenen Einflusses unserer Boineburger, die auch bald nach dem Kriege Juden nach Gehaus holten, keine Selbstverständlichkeit zu dieser Zeit!
Bücher und DVD über Geschichte, Landschaft und Kultur der Rhön und Thüringens
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