Die Erkennbarkeit der Welt

Das ganze sichtbare Universum ist nichts weiter als ein Lagerhaus von Bildern und Zeichen, denen die Fantasie einen relativen Platz und Wert zuweisen wird; sie ist eine Art Weide, die es für die Fantasie zu verdauen und zu verwandeln gilt.

Charles Baudelaire

Die Frage nach der Erkennbarkeit der Welt bezweifelt nicht, dass es eine beobachterunabhängige, externe Wirklichkeit mit ihren, unseren Sinnen zugänglichen Dingen und Tatsachen überhaupt gibt. Die „Welt“ definiere ich als all das „da draußen“ (einschließlich meines Körpers), was mit meinen Sinnen (Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Tasten, Fühlen, mit anderen Menschen kommunizieren usw.) in Wechselwirkung treten, also Sinneseindrücke in Form von Neuronenverknüpfungen in meinem Gehirn (die körperliche Manifestation meiner Vernunft als Hardwareverschaltung eines hochkomplexen Netzwerkes aus Nervenzellen1 mit wechselnden Speicherinhalten) hinterlassen kann. Deren veränderliche Struktur stellt zugleich die aus meinen (Sinnes)-Erfahrungen selbstlernende (sich selbst an neue Erfahrungen anpassende) „Betriebssystem„-Software (= meine kognitiven Fähigkeiten) dar. Gäbe es diese so definierte Welt nicht, erlebte ich auch keine Sinneseindrücke durch sie. Selbst die Gehirne im Tank der Matrix kommunizieren mit einer Welt, die unabhängig von ihrem eigenen Sein existiert.
Es geht mir in diesem Beitrag um die Frage, was der Bezugspunkt für die Richtigkeit (Wahrheit) unserer Sinneseindrücke (Beobachtungen) und der daraus konstruierten Modelle der externen Welt ist. Wir sind immer Beobachter einer sinnlich erfahrbaren Welt da draußen, egal ob wir uns nun passiv oder aktiv (verändernd) dabei verhalten. Wir beobachten beliebige Kontingenzen und versuchen sie willkürlich mit anderen Kontingenzen zu verknüpfen, um ein in Bezug auf die von uns verfolgten Zwecke sinnvolles Modell ihres gemeinsamen Auftretens aufzustellen. Alles, was uns Beobachtern nicht relevant erscheint, bleibt dabei unberücksichtigt. Sinn jedes Modells ist es in erster Linie, die Ungewissheit und Offenheit möglicher künftiger Entwicklungen zu verringern, die Naturkräfte und unsere Zukunft berechenbarer zu machen. Erst in zweiter Linie ist dabei Ontologie, und dann nur aus rein ästhetischen Gründen, unser Anliegen, da ihre Aussagen nicht zum unmittelbaren Überleben erforderlich sind. Ontologie soll aus den gleichen Gründen wie z.B. Religion unser kognitives Bedürfnis nach Bestimmtheit in den Bereichen (z.B. der gesellschaftlichen Wirklichkeit) unseres Lebens befriedigen, die keine naturwissenschaftliche Modellierung in Form mathematischer Gleichungen ermöglichen, die also nur durch die kontingente (Wort)-Sprache (Richard Rorty in „Kontingenz, Ironie und Solidarität„) beschreibbar sind.

Es geht bei unseren Modellen also um Zusammenhänge zwischen den Dingen und Tatsachen und nicht um die Frage ihres Seins (des Heideggerschen Seyn), also ob sie überhaupt existieren, ihre „Existenz“ setzten wir „vernünftigerweise“ dann voraus, wenn durch symbolische Interaktionen mit anderen Menschen die sinnliche Erfahrungen der „Existenz“ dieser Dinge (will heißen: ihre Wechselwirkung mit unseren Sinnen) als subjekt- also beobachterunabhängig abgeglichen wurde. Den kommunikativen Prozess des Abgleichs nennt Herbert Blumer „Symbolischen Interaktionismus“. Unsere wissenschaftlich abgestimmten Bobachtungen nennen wir „objektive Tatsachen“, sie sind nur Abbild der Wirklichkeit, keineswegs die Wirklichkeit (Welt) selbst, und nicht einmal notwendig eine „identische Abbildung“, denn unser tatsächliches Wissen über die Welt da draußen beschränkt sich nur auf die Ergebnisse der Beobachtung – kurz gesagt auf die „Beobachtung“.

Ich schaue mich an, in dem was ich anschaue
wie eindringen durch meine augen
in ein klareres auge
mich schaut an was ich anschaue

meine schöpfung ist das hier was ich sehe
die wahrnehmung ist vorstellung
wasser der gedanken
ich bin die schöpfung dessen was ich sehe

Octavio Páz

Die Güte unserer (naturwissenschaftlichen) Modelle kann also nicht das Maß an Übereinstimmung mit einer „Welt da draußen“, sondern das kann nur die Treffsicherheit der Voraussagen sein, die wir mit unseren Modellen erzielen. Der Beobachter erschafft lediglich Konstruktionen oder Abbilder einer Wirklichkeit, die mit einer Welt da draußen nur wenig zu tun haben müssen, im sozialen Miteinander jedoch abgeglichen werden können, ja auch sollten, um als vertrauenswürdige Modelle für die Planung und Verwirklichung einer hoffentlich besseren Zukunft von der Gesellschaft genutzt zu werden.
Die Entscheidung für das Primat der Beobachtung – und nicht für das vom Beobachter unabhängige Sein – als grundlegenden Begriff verwehrt dabei ontologische Aussagen, also Aussagen über die Struktur der beobachterunabhängigen Realität.
Schon Kant vertrat die Auffassung, dass unser Wissen zwar auf unseren Sinneseindrücken basiert, doch werden diese durch unseren Verstand in Form gebracht, wir strukturieren die Beobachtungen der Welt, um sie mit Hilfe von Sprache, Logik und Mathematik beschreiben zu können. In seiner „Kritik der reinen Vernunft“ schreibt er, dass das „Ding an sich“ so, wie es wirklich ist, nicht erkannt werden kann; das Subjekt kann nur Eindrücke (= Erscheinungen) von den Dingen gewinnen.
Die Quantenmechanik hat später selbst die Vorstellung der Kausalität der Ereignisse in dieser Welt ins Wanken gebracht. Bohms „Führungswelle“, die den Newtonschen Determinismus retten könnte, ist heuer noch nichts weiter als ein metaphysisches Konstrukt. Die Sicht auf den Messprozess (die Beobachtung), wie sie Murray Gell-Mann in seinem Buch „Das Quark und der Jaguar“ dargestellt hat, nimmt dem Messprozess der Quantenmechanik jede metaphysische Deutungsnotwendigkeit. Der Wissensdurstige kann anhand des leicht verständlichen Kapitels 11: „Eine moderne Interpretation der Quantenmechanik“ Gell-Mann’s Gedanken nachvollziehen – oder auch nicht.
Selbst die Logik muss seit der mathematischen Formulierung mehrwertiger Logiken nicht mehr nur zwischen „wahr“ und „falsch“ unterscheiden. Schließlich arbeitet unser Gehirn nicht wie ein Computer auf der Grundlage zweiwertiger, sondern mehrwertiger Logik. Es arbeitet analog und nicht nur mit den beiden binären Zuständen „Null“ und „Eins“ wie der Prozessor eines PC, sondern auch mit den dazwischen liegenden Größen. Und auf der Basis der mehrwertigen Logik beobachten wir auch die Welt.
Und auch die Sprache, mit der wir unsere Beobachtungen und Modelle beschreiben, trägt ganz wesentlich dazu bei, wie wir Menschen unsere Welten strukturieren. Unterschiedliche Sprachen, die sich nicht isomorph aufeinander abbilden lassen, führen daher zu unterschiedlichen Wirklichkeiten. Verbindende Sprache in der Physik kann daher nur die Mathematik sein, die freilich nicht anschaulich machen kann, wie die Welt da draußen „wirklich“ beschaffen ist, sondern nur wie sie genutzt (berechnet) werden kann!
Wenn man also eine Welt da draußen fordert, um erklären zu können, wieso unsere Beobachtungen so beschaffen sind, wie wir sie beobachten, so muss man zunächst voraussetzen, dass diese Welt tatsächlich so beschaffen ist, wie wir sie mit unseren Modellen beschreiben, andere Möglichkeiten des Beweises des „Warum“ gibt es nicht. Ein solcher sich-selbst-beweisen-müssender Beweis wäre aber eine leere Aussage über die Übereinstimmung des Modells mit der Wirklichkeit oder der „Wahrheit“.
Damit ist nicht der Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet, dadurch ist vielmehr die Chance auf ernst genommenen Pluralismus gegeben, der zur Angebotserhöhung auf dem Markt der Ideen führt. Denn vertrauenswürdig sind alle Modelle erst dann, wenn sie durch symbolische Interaktion mit anderen Menschen abgeglichen sind und durch ihre Treffsicherheit überzeugen. Der Vorteil einer Beschreibung von Wirklichkeit durch zweckmäßig konstruierte Modelle ist also nicht mit einem absoluten, apodiktischen Wahrheitsverständnis vereinbar, mit dem man sich aus der Verantwortung für sein Modell stehlen könnte.
Ich zitiere, um die Gefahr ontologischer Deutungen von Beobachtungen zu verdeutlichen, aus Bernhard Pörksen (Hrsg.): „Die Gewissheit der Ungewissheit. Gespräche zum Konstruktivismus“. Carl-Auer-Systeme Verlag 2002. Seite 24/25:

– VON FOERSTER … Was passiert, fragte ich mich, in dem Prozess des Beobachtens? Sitzt dieser Beobachter auf dem berühmten Locus observandi eines Hermann von Helmholtz und beschreibt die Welt in einem Zustand völliger Neutralität?
– PÖRKSEN Was meinen Sie? Was tut er? Was geschieht?
– VON FOERSTER Die übliche Auffassung ist: Er sieht die Welt, er nimmt sie wahr, er sagt, wie es ist. Er befindet sich, so glaubt man, auf diesem merkwürdigen Locus observandi und betrachtet – frei von persönlichen Einflüssen, dem individuellen Geschmack und seinen besonderen Eigenschaften – eine von ihm unabhängige Wirklichkeit. Ich behaupte dagegen, dass dieser Beobachter, der schaut, vor allem in sich hineinschaut. Was er sagt, ist seine Auffassung von dem, wie es ihm zu sein scheint. Und ein guter Zauberer ist in der Lage, zu erspüren, welche Welt der andere in diesem Moment gerne für die wirkliche halten würde und hilft mit, dass es ihm gelingt, diese zu erzeugen.
– PÖRKSEN Der Akt des Zauberns setzt sich ja, etwas technisch gesprochen, aus drei Faktoren zusammen: dem Zauberer, dem Ereignis und den Zuschauern. Wenn wir nun einen Solipsisten, einen Realisten und einen Konstruktivisten bitten, das, was hier geschieht, zu beschreiben, so würden wir ebenso jeweils sehr unterschiedliche Berichte zu hören bekommen. Die Solipsisten würden uns erzählen, dass nichts von dem Beschriebenen wirklich ist und alles die Schimäre unseres Geistes, der sich eben den Zauberer und eine tatsächlich nicht existente Welt nur vorstellt. Realisten würden betonen, dass Beobachten im Grundsatz nichts anderes ist als die Abbildung der Wirklichkeit auf der Leinwand unseres Bewusstseins – und dass der Beobachter, der Zuschauer, hier eben durch die Tricks des Zauberers getäuscht wird: Er ist einer Illusion verfallen, die die Wirklichkeit des Gegebenen nicht adäquat repräsentiert. Der Konstruktivismus, den Sie vertreten, steht zwischen Realismus und Solipsismus: Es gibt da etwas, so würden Sie vermutlich sagen, es passiert wirklich etwas, das scheint unbezweifelbar; aber ebenso sicher ist, dass jeder die Wirklichkeit dieses Ereignisses auf die ihm eigene Weise beschreibt und seine eigene Welt konstruiert.
– VON FOERSTER Mein dunkles Gefühl ist, dass uns die Sprache an dieser Stelle unseres Gesprächs ein Schnippchen schlägt und die wunderlichsten Blasen treibt: Sie wissen, von was ich sprechen will. Und ich weiß auch so ungefähr, was ich sagen möchte. Und doch bin ich mir nicht sicher, ob diese erkenntnistheoretische Einordnung und die Art und Weise der sprachlichen Einbettung auch einem Dritten und Vierten erlaubt zu verstehen, was Sie und ich meinen. Das bedeutet: Wir müssen für einen Moment über die Sprache sprechen, die wir gebrauchen, um das zu sagen, was wir meinen. Schon der Satz „Es gibt da etwas“ scheint mir mit den Präsuppositionen des Realismus vergiftet. Und meine Befürchtung ist, dass in der Position, die Sie mir zuweisen, doch wieder ein Hintertürchen offen steht, um dieser schrecklichen Idee der Ontologie erneut Einlass zu gewähren. Man kann, folgt man dieser Positionierung, eben doch wieder von der Existenz einer Außenwelt sprechen. Und die Referenz auf die Außenwelt und das Gegebene lässt sich wunderbar verwenden, um die eigene Verantwortung für das, was man sagt, zu eliminieren. Das ist der tiefe Schrecken der Ontologie. Man führt die unschuldig erscheinende Formel „Es ist…“ ein, die ich einmal spaßeshalber und etwas geschwollen als den existenziellen Operator bezeichnet habe, und sagt mit autoritärer Gewalt: „Es ist so … es gibt …“ Aber wer gibt? Wer behauptet, dass etwas der Fall ist?

Man muss also, will man die Befürchtungen von Foerster’s vermeiden, sprachlich exakt zwischen den Tatsachen, die wir mit unseren Beobachtungen feststellen und den Dingen, die wir zu beobachten vermeinen, trennen, sonst ist keine sinnvolle Definition von Wirklichkeit möglich.
Wenn man keine „Welt da draußen“ mehr hat, die durch ihre ontologisch vorausgesetzte Strukturiertheit korrigierend auf die eigenen Beschreibungsversuche wirkt, so ist es umso wichtiger, dass man den Konsens sucht, sich Zeit nimmt verständlich zu sein und sich nicht hinter Apodiktik versteckt. In der Reduktion auf die Beobachtung als einzigem was wir von der Welt da draußen wissen können, steckt damit auch die Chance, der Bildung sich gegeneinander abschottender Schulen zu entgehen und sich gemeinsam den anstehenden großen wissenschaftlichen Herausforderungen zu stellen.
Wittgenstein definierte den Begriff von Wirklichkeit (Welt) im seiner Theorie des Satzes, dem „Tractatus logico-philosophicus“ (abschnittsweise zitiert) wie folgt:

1. Die Welt ist alles, was der Fall ist.
1.1 Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge.
2.Was der Fall ist, die Tatsache, ist das Bestehen von Sachverhalten.
2.1 Die Tatsachen begreifen wir in Bildern.
2.2 Das Bild hat mit dem Abgebildeten die logische Form der Abbildung gemein.
3. Das logische Bild der Tatsachen ist der Gedanke.
3.1 Der sinnliche Ausdruck des Gedankens ist das Satzzeichen.
3.2 Das Satzzeichen mit der Art und Weise seiner Abbildung ist der Satz.
4. Der Gedanke ist der sinnvolle Satz.
4.1 Der Satz stellt das Bestehen und Nichtbestehen der Sachverhalte dar.
4.2 Der Sinn des Satzes ist seine Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung mit den Möglichkeiten des Bestehens und Nichtbestehens der Sachverhalte.
4.3 Die Wahrheitsmöglichkeiten der Elementarsätze bedeuten die Möglichkeiten des Bestehens und Nichtbestehens der Sachverhalte.
4.4 Der Satz ist der Ausdruck der Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung mit den Wahrheitsmöglichkeiten der Elementarsätze.
5. Der Satz ist eine Wahrheitsfunktion der Elementarsätze.
6. Die allgemeine Form der Wahrheitsfunktion ist [ρ, ξ, N(ξ)]

Da alles Gedachte über die Welt in Sprache ausgedrückt werden muss, suchte er die Begründung von Mathematik und Logik durch Reflexion auf die Sprache. Nach Wittgenstein zeigen die logischen Sätze die logischen Eigenschaften der Sprache und infolgedessen der Welt, aber sie sagen nichts. Sie gewinnen erst dann Bedeutung, wenn sie auf Tatsachen der Wirklichkeit angewandt werden. Und diese Tatsachen erhalten umgekehrt erst dadurch eine nutzbare Bedeutung für uns, wenn sie mit den Werkzeugen Mathematik und Logik in Beziehungsgeflechten untereinander verknüpft und strukturiert werden können. Zur Untermauerung dieser Aussage zitiere ich Hermann Biondi: „Wie sehr wir uns auch eine bestimmte physikalische Theorie ansprechen mag; der Zweck einer jeden solchen Theorie ist es, Beobachtungen zu veranlassen, durch die sie unter Umständen widerlegt werden kann.“ Damit steht auch der Ausspruch Albert Einsteins im Einklang: „Insofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie nicht sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit.
Gegenüber dem Schrecken der Ontologie, von dem von Foerster spricht, sollte man freilich entspannter reagieren, als er das tut. Die metaphysische Auslegung unserer Beobachtungen sind eigentlich nichts weiter als ihre anschauliche Strukturierung, Natürlich sind sie auch nur Bilder, die aus den Tatsachen konstruiert werden und müssen nichts mit den Dingen zu tun haben. Solange diese Bilder nicht zum verbindlichen Denkschema erhoben werden, die die Freiheit des Denkens einengen, sondern die Fantasie beflügeln, kann man ganz entspannt mit ihnen umgehen. Nur sollte man Wittgensteins Warnung vor dogmatischer Wissenschaftsontologie ernst nehmen: „In Wirklichkeit gibt es nichts Konservativeres als die Wissenschaft. Die Wissenschaft verlegt Eisenbahngleise. Und für die Wissenschaftler ist es wichtig, dass sich ihre Arbeit auf diesen Gleisen bewegt.
Ein Witz spitzt sehr schön zu, wie das zu verstehen ist:

Zwei Geistesgestörte folgen einem eingleisigen Bahndamm. Nachdem sie einige Zeit so vor sich hin gegangen sind, hören sie hinter sich das Pfeifen eines Zuges. Da sagt der eine bekümmert: „Wenn nicht gleich eine Weiche kommt, sind wir verloren …“

Es gibt ein schrecklich verschwurbeltes Buch des Philosophen Markus Gabriel „Warum es die Welt nicht gibt“ in der er sich die nutzlose Aufgabe stellt:

„Ich werde in diesem Buch den Grundsatz einer neuen Philosophie entwickeln, die von einem einfachen Grundgedanken ausgeht, nämlich dem, dass es die Welt nicht gibt. Wie Sie sehen werden, bedeutet dies nicht, dass es überhaupt nichts gibt. Es gibt unseren Planeten, meine Träume, die Evolution, Toilettenspülungen, Haarausfall, Hoffnungen, Elementarteilchen und sogar Einhörner auf dem Mond, um nur einiges herauszugreifen. Der Grundsatz, dass es die Welt nicht gibt, schließt ein, dass es alles andere gibt. Ich kann deswegen schon einmal vorab in Aussicht stellen, dass ich behaupten werde, dass es alles gibt, bis auf eines: die Welt.“
Dass er dazu eine andere Definition von „Welt“ als ich benötigt, ist offensichtlich, aber diese Definition braucht außer ihm sonst niemand, denn klarer wird unser Weltverständnis dadurch nicht, ganz im Gegenteil. So schreibt er:
„Metaphysik kann man als den Versuch definieren, eine Theorie des Weltganzen zu entwickeln. Sie soll beschreiben, wie die Welt in Wirklichkeit ist, nicht, wie die Welt uns vorkommt, wie sie uns erscheint. Auf diese Weise hat die Metaphysik die Welt gewissermaßen erst erfunden. Wenn wir von »der Welt« sprechen, meinen wir alles, was wirklich der Fall ist, oder anders: die Wirklichkeit. Dabei liegt es nahe, uns Menschen aus der Gleichung »die Welt = alles, was wirklich der Fall ist« rauszustreichen. Denn man nimmt ja an, dass es einen Unterschied gibt zwischen den Dingen, wie sie uns erscheinen, und den Dingen, wie sie wirklich sind. Um herauszufinden, wie sie wirklich sind, muss man also sozusagen alles Menschengemachte am Erkenntnisprozess abziehen. Jetzt stecken wir schon knietief in der Philosophie.
Die Postmoderne hat dagegen eingewandt, dass es nur die Dinge gibt, wie sie uns erscheinen. Es gebe überhaupt nichts mehr dahinter, keine Welt oder Wirklichkeit an sich. Manche etwas weniger radikale Vertreter der Postmoderne wie der amerikanische Philosoph Richard Rorty meinten, es möge zwar noch etwas hinter der Welt geben, wie sie uns erscheint. Doch dies spiele eben für uns Menschen keine Rolle.
Die Postmoderne ist allerdings nur eine weitere Variante der Metaphysik. Genau genommen handelte es sich bei ihr um eine sehr allgemeine Form des Konstruktivismus. Der Konstruktivismus basiert auf der Annahme, dass es überhaupt keine Fakten, keine Tatsachen an sich gibt, dass wir vielmehr alle Tatsachen nur durch unsere vielfältigen Diskurse oder wissenschaftlichen Methoden konstruieren. Wichtigster Gewährsmann dieser Tradition ist Immanuel Kant. Kant hat behauptet, dass wir die Welt, wie sie an sich ist, nicht erkennen können. Egal was wir erkennen, es sei immer auch irgendwie von Menschen gemacht.“
Erster Unsinn: „Denn man nimmt ja an, dass es einen Unterschied gibt zwischen den Dingen, wie sie uns erscheinen, und den Dingen, wie sie wirklich sind.“ Kein vernünftiger Mensch nimmt das an, Wissenschaftler gehen auf Grund von Erfahrungen mit bisherigen Weltmodellen davon aus, dass ein solcher Unterschied stets möglich ist. Man geht bei allen Modellen aber sinnigerweise stets davon aus, dass ein wissenschaftliches Modell mit den momentan zur Verfügung stehenden Messmethoden die Wirklichkeit am treffsichersten beschreibt.
Zweiter Unsinn: „Manche etwas weniger radikale Vertreter der Postmoderne wie der amerikanische Philosoph Richard Rorty meinten, es möge zwar noch etwas hinter der Welt geben, wie sie uns erscheint. Doch dies spiele eben für uns Menschen keine Rolle.“ Wenn es keine externe Wirklichkeit gäbe, die unsere Sinneseindrücke hervorruft, hätten wir schlicht und ergreifend gar keine Sinneseindrücke, aus denen wir unsere Modelle von der Welt da draußen (oder von ihren Teilbereichen) basteln könnten. Selbstverständlich spielt die Wechselwirkung einer wie auch immer gearteten und existenten externen Wirklichkeit mit unseren Sinnen seit jeher die entscheidende Rolle für unsere Modelle von ihr. Wenn Rorty meint, dass für uns Menschen die uns unbekannte (durch uns nicht oder noch nicht vollständig erkennbare) Wirklichkeit hinter unseren Sinneseindrücken keine Rolle spielt, so hat er völlig recht. Ein Sprichwort sagt: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß!“ – wie sollte es das auch? Wir nehmen unsere wissenschaftlichen Modelle für die Wirklichkeit, wir haben nichts besseres, denn mehr können wir über die Welt da draußen (noch!!!) nicht wissen!
Dritter Unsinn: „Der Konstruktivismus basiert auf der Annahme, dass es überhaupt keine Fakten, keine Tatsachen an sich gibt, dass wir vielmehr alle Tatsachen nur durch unsere vielfältigen Diskurse oder wissenschaftlichen Methoden konstruieren.“ Will er etwa dem Konstruktivismus unterstellen, dass er glaube, es gäbe weder eine externe noch eine gesellschaftliche Wirklichkeit? Die Tatsache, dass Modellbildung auch der Willkür des Menschen unterliegt, heißt keineswegs, dass das konstruierte Modell nicht zweckmäßig sein und es keine treffsichere Aussagen über das Verhalten der modellierten Wirklichkeit ermöglichen müsse – ansonsten könnte man es gleich in die Mülltonne hauen.
 
Dann schreibt er: „Aber die menschliche Existenz und Erkenntnis ist weder eine kollektive Halluzination, noch stecken wir in irgendwelchen Bilderwelten oder Begriffssystemen fest, hinter denen sich die wirkliche Welt befindet. Der Neue Realismus geht vielmehr davon aus, dass wir die Welt so erkennen, wie sie an sich ist. Natürlich können wir uns täuschen, dann befinden wir uns unter Umständen in einer Illusion. Aber es stimmt einfach nicht, dass wir uns immer oder auch nur fast immer täuschen.
Von dieser ganz banalen, zweckmäßigen Annahme gehen seit jeher alle Wissenschaftler aus, die die Treffsicherheit ihrer Modelle durch Beobachtungen beweisen können. Dazu bedarf es keines „Neuen Realismus“. Aber wie will der neue Realist^^ beweisen, dass er die Welt (oder die Tatsachen, aus denen sie besteht) so erkennt, wie sie ist? Das ist doch eine völlig leere Aussage, die Herr Gabriel da der staunenden Welt präsentiert! Also: Wie ist Welt, der wir unsere Sinneseindrücke verdanken, denn nun wirklich strukturiert, Herr Philosoph und woher wollen Sie das wissen, außer sie entsorgen das Problem, über das sich jede ernsthafte Wissenschaft im Interesse unserer Zukunft den Kopf zerbricht, und postulieren einfach, dass es sie gar nicht gibt?
 
Weiter geht’s: „Man muss also erklären, wie es Zuschauer in einer Welt geben kann, in der es nicht immer schon und nicht überall Zuschauer gibt – eine Aufgabe, die in diesem Buch durch die Einführung einer neuen Ontologie gelöst wird. Unter Ontologie versteht man traditionell die »Lehre vom Seienden«. Das altgriechische Partizip »to on« bedeutet auf Deutsch »das Seiende«, und »logos« heißt in diesem Zusammenhang schlichtweg »Lehre«. In der Ontologie geht es letztlich um die Bedeutung von Existenz. Was behaupten wir eigentlich, wenn wir zum Beispiel sagen, dass es Erdmännchen gibt? Viele Menschen glauben, dass sich diese Frage an die Physik oder ganz allgemein die Naturwissenschaften richtet. Schließlich sei alles, was existiert, doch wohl materiell. Wir glauben doch auch nicht ernsthaft an Geister, die beliebig gegen die Naturgesetze verstoßen können und unerkennbar um uns herumschwirren. (Nun, die meisten von uns tun das nicht.) Doch wenn wir deswegen behaupten, dass nur dasjenige existiert, was sich naturwissenschaftlich untersuchen und mittels Skalpell, Mikroskop oder Hirnscanner sezieren oder ins Bild bringen lässt, wären wir weit über das Ziel hinausgeschossen. Denn in diesem Fall würden weder die Bundesrepublik Deutschland noch die Zukunft, die Zahlen oder meine Träume existieren. Da sie das aber tun, zögern wir ganz zu Recht, die Physiker mit der Frage nach dem Sein zu betrauen. Wie sich zeigen wird, ist die Physik, nun ja, voreingenommen.
Der Anspruch der Physik ist es keineswegs, eine Ontologie der externen und gesellschaftlichen Wirklichkeit zu entwerfen. Sie beabsichtigt das ja nicht einmal für die externe Wirklichkeit. Ein paar Physiker tun das vielleicht in ihrem Privatleben als Hobby, weil sie gerne, wie jeder andere normale Mensch auch, auf einem philosophischen Steckenpferd durch die Welt reiten .
Ontologie ist aber nicht der Hauptzweck von Wissenschaft. Die Hoffnung, die ein Wissenschaftler in seine Modelle setzt, ist es, die Ungewissheit und Offenheit möglicher künftiger Entwicklungen der Wirklichkeit zu verringern, um sie im menschlichen Sinne beeinflussen zu können, die Gesellschaft nicht blind in ihr Unglück treiben zu lassen, also Glück (was auch immer die UNO-Menschenrechtskommission und/oder ein Ethikrat hier und jetzt darunter verstehen mögen ) maximal zu ermöglichen. Diesem Anspruch kann Ontologie gar nicht gerecht werden, es sei denn man glaubt ganz fest daran, dass sie, wie es zum Beispiel auch die Religion für sich beansprucht, unser Bedürfnis nach Bestimmtheit unseres Lebens zu erfüllen vermag.
 
Was Herr Gabriel dann ab dem Kapitel „Weniger als nichts“ vom Stapel lässt, ist tatsächlich weniger als nichts – seine Überlegungen erscheinen mir nicht radikal, sondern lediglich banal, aber sie zeugen zumindest von Herrn Gabriels „Gesundem Menschenverstand„.

Das Gehirn als Netzwerk

auf einen blick: 100 Billiarden Verknüpfungen

  1. Ein einzelnes Neuron hat für sich genommen kaum eine sinnvolle Funktion. Vernetzt man jedoch einige hundert, entsteht ein einfaches Nervensystem, das bereits ausreicht, um die Lebensfunktionen eines Wurms zu steuern.
  2. Höhere Organismen benötigen mehr Neurone. Eines der großen ungelösten Rätsel der Neurobiologie ist die Frage, wie das menschliche Gehirn mit seinen rund 100 Milliarden Neuronen und deren 100 Billionen Verknüpfungen den Geist hervorbringt.
  3. Einige Neurowissenschaftler fassen unser Denkorgan primär als Netzwerk auf, das aus interagierenden Systemen miteinander verschalteter Nervenzellen besteht. Seine Konfiguration ist auf maximale Effizienz zugeschnitten: schnellstmögliche Informationsverarbeitung bei minimalem Aufwand.
  4. In Aufbau und Funktion ähnelt das Gehirn anderen komplexen kybernetischen Systemen. Deshalb haben Mathematiker begonnen, es mit dem Instrumentarium der Komplexitätstheorie zu analysieren. Dabei entdeckten sie unter anderem überraschende Ähnlichkeiten mit Aktienmärkten.
  5. Eine tieferes Verständnis der Netzwerkstruktur des menschlichen Gehirns hätte auch praktische Bedeutung. So könnte es dazu beitragen, die körperlichen Ursachen neuropsychiatrischer Erkrankungen wie Schizophrenie oder Depression zu finden.

 


 

 
 

 

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