Das Dorf
Willkommensfanfare
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Der Besucher der Vorderrhön betritt das Dorf Gehaus zumeist dann, wenn er das Dreigestirn der Basaltkegel Öchsen, Dietrichsberg und Baier aufsucht.
Dann blickt er schon von dem mit Wald bestandenen Dietrichsberg hinüber in den flachen Talgrund der Oechse, sieht im Kranze der zahlreichen Dörfer und Höfe auch das bescheidene Mariengart, das einstmals Kulturmittelpunkt jener Gegend gewesen ist, weil es für kurze Zeit ein bescheidenes Kloster beherbergte. Ein Besuch der Ruinen derselben ist lohnend.
Über Gehaus führt der Wanderweg zum höchsten der Vorderrhönberge, zum 714 Meter hohen Bayer. Wenn man den Rand des seine Kuppe bedeckenden Waldes erreicht hat und dort rastend ruht, dann bietet sich das Dorf Gehaus in seinem ganzen Ausmaß dem Blicke dar.
Breithin lagert es sich an den sanften Berghang; die Straße Stadtlengsfeld – Oechsen – Geisa durchzieht es. Die große Zahl der Häuser wird von den beiden Zeugen einstiger Macht, dem Schloss und der Kirche, überragt. Beide sind, wenn auch nicht in ihrer heutigen Gestalt, Kronzeugen der Geschichte des Dorfes; wenden wir ihnen nachher einige Aufmerksamkeit zu.
Aber schon lange vor dem Eindringen der Träger zeitlicher und weltlicher Macht, der Ritter und Mönche, war das Gebiet der Vorderrhön und also um Gehaus reichlich besiedelt gewesen.
Das wird bewiesen durch die zahlreichen Funde aus prähistorischen Tagen, die man gemacht hat.
Fast jeder der Berggipfel bei Gehaus, wie z.B. der Oechsen, der Bayer, die Sachsenburg u.a., zeigt Spuren von prähistorischen Befestigungsanlagen, ist also zur Fliehburg für die umwohnenden Siedler ausgebaut gewesen.
Und auch die frühesten geschichtlichen Tage dieses Gebietes der Rhönlandschaft sind kämpferisch gewesen. Von dauernder Fehde zwischen geistlichen und weltlichen Herren erzählen die Reste befestigter Grenzgräben, dort „Hähle“ genannt, von denen sich einer in der Nähe von Gehaus findet. Er zieht sich über den Emberg zum Bayer hin.
Für die Vorderrhön muss noch außerordentlich viel heimatgeschichtliche Arbeit geleistet werden, denn infolge der verworrenen Besitzverhältnisse jener Gegend liegt noch starkes Dunkel über diesem Landteil und der Ortsgeschichten. Aus dem Jahre 1506 erst stammt daher die früheste Nachricht, die wir über Gehaus bislang haben.*) Damals kaufte ein Herr Ludwig von Boineburg Gehaus mit Baiersdorf, einer jetzt Baiersstrut genannten Wüstung, von Hans von Reckerodt. Boineburgs sind ja noch in der Gegenwart in der Vorderrhön, in Weilar, ansässig; die Reckerodts besaßen damals die Brandenburg, nach der sie sich „von Reckerodt zu Brandenburg“ nannten. Die hohe Stellung der Boineburgs unter dem mitteldeutschen Adel charakterisiert die Tatsache, dass sie seit 1685 der Reichsritterschaft, und zwar deren Kanton Rhön-Werra angehörten, und dass ihr Gerichtsbezirk Lengsfeld reichsfrei gewesen ist.
Das, was die Herren von Boineburg damals 1506 erworben haben, war wohl nichts als ein Hof (die Zahl der Kleinsiedlungen ist in diesem Gebiet auffällig groß), der sich aber bald zu einem Dorf entwickelt haben muss. Von dem Gegensatz dieses Ortes zu dem kaum eine Viertelstunde entfernten Dorfe Oechsen sprachen wir bereits. Dort hat sich eine freie, besitzende Bauernklasse entwickelt. Jeder Blick die Dorfstraße entlang spricht hiervon. Die Häuser zeigen gesunde Formen, einen auffälligen Reichtum an gutem Holzwerk.
Gehaus hat ein anderes Gesicht: Die Häuser sind bescheiden; sie sind geschaffen entweder vom Grundherren selbst oder durch eine von ihm stark abhängige Bevölkerung.
Sehr bald standen in Gehaus zwei Adelssitze: Ein oberes und ein unteres Schloss, beides Rittergüter, denen die Flur wohl fast restlos gehört hat.
Während von dem ersteren nur noch geringe Reste an der Dorfstraße liegen, die wirtschaftlichen Zwecken dienen, steht das stattliche obere Schloss als ein Neubau aus dem Anfange des 18. Jahrhunderts noch immer. Ein großer Park umgibt es. Eine reiche Innenausstattung aus der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert zeichnet das Schloss aus.
Wie das Schloss, so hat auch die heutige Kirche nicht mehr die ursprüngliche Gestalt. So, wie sie jetzt, herausgehoben aus der Menge der Häuser, uns grüßt, ist sie in den Jahren 1765 bis 1767 errichtet worden.
Die Lage des Gotteshauses, in unmittelbarer Nähe des Schlosses, ist die fast allerorts übliche, denn der Grundherr hat der Kirche häufig den Raum für das Gotteshaus von seinem Besitz abgetreten, es häufig auch aus seinen Mitteln errichten lassen.
Sehr malerisch wirkt der Turm der Kirche, der aus einem viereckigen Unter- in einen achteckigen Mittelteil übergeht, und dann von einer stark gewölbten Schweifkuppel gekrönt wird. In diesen architektonischen Formen liegt auch fast der ganze Reiz des Gehauser Gotteshauses; sein Inneres bietet wenig Bemerkenswertes.
Erstaunlich ist die Entwicklung der Bevölkerungszahl des Dorfes, die trotz der sicher immer gedrückten Lage der Bewohnerschaft eingetreten ist. Hier die Linie der Bevölkerungsbewegung, im letzten Jahrhundert:
1817: 961 Einwohner
1827: 1123 Einwohner in 146 Häusern
1843: 1266 Einwohner
1861: 1038 Einwohner
1879: 864 Einwohner (159 Häuser)
1905: 774 Einwohner
Wir erkennen das scharfe Ansteigen der Kurve bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhundert, wie sie charakteristisch ist für das gesamte Eisenacher Oberland. Dann setzte die große Auswanderung nach den deutschen Bundesstaaten und vor allem nach Amerika ein.
Für das bescheidene Völkchen von Gehaus war der Anreiz, die Heimat mit der stets rosig ausgemalten Fremde zu vertauschen, besonders stark. Zahlreiche Familien schnürten daher ihr Bündel; es zogen z.B. auch im Jahr 1853 34 Personen, im Jahre 1854 32 Personen weg. Seit dieser Zeit ist die Einwohnerzahl von Gehaus dauernd gesunken.
Bunt genug nahm sich die Bewohnerschaft des Dorfes in dem erwähnten Zeitraum freilich auch aus.
Um 1870 wohnten z.B. zu Gehaus noch zwanzig jüdische Familien, die eine Synagoge unterhielten und einen eigenen Lehrer hatten. Als Händler haben sie die Ortschaften der Vorderrhön bis hinüber ins Hessische durchzogen. Gehaus gehört damit zu den Ortschaften der Rhön, in denen die Grundherrschaft seit alter Zeit her den Juden das Ansiedlungsrecht – natürlich gegen eine entsprechende jährliche Abgabe – verkauft hat.
Auch die Zigeuner hatten sich Jahrhunderte lang das Dorf zur zweiten Heimat erkoren, und sie haben von hier aus ihre Fahrten durch das Land angetreten. Als Zauberkünstler, Hexenmeister und Alleskönner genossen die Gehauser Zigeuner weithin Ruf; sogar in den Sagen jenes Gebietes sind sie mit verankert.
So waren und sind die Daseinsbedingungen für die Gehauser Einwohner schwer; doch hängt auch die Bewohnerschaft dieses Ortes mit der dem Rhöner eigenen Zähigkeit an der Heimat. Diese Liebe zur heimischen Erde hat den ärmsten Mann oft lieber an der Stätte seiner Geburt hungern oder mit der bescheidensten Kost und Wohnung auskommen heißen, als dass er der angestammten Scholle untreu geworden wäre. Dieser Wesenszug macht den Rhöner für alle Zeit zu einer sympathischen Persönlichkeit.
[Auszug aus der „Heimatpost“ vom 7. Juli 1934, der Verfasser ist mir nicht bekannt]
*) Das Datum der Ersterwähnung von Gehaus ist nach der momentanen Quellenlage der 13. Mai 1355 (Urkunde 263 des Klosters Allendorf)
Bücher und DVD über Geschichte, Landschaft und Kultur der Rhön und Thüringens
– nach Themen sortiert –
Guten Tag,
seit ein paar Tagen schmökere ich mich durch Ihre schöne, umfangreiche Seite und erfahre allerhand wissenswertes über die Region und ihre Geschichte.
Ich betreibe private Ahnenforschung, und nach monatelanger Suche konnten wir den Geburtsort meines Ahnen im Nachbarort von Gehaus in Weilar ausfindig machen.
Christian Kirchner der Papiermacher wurde dort 1767 geboren.
Bisher kamen alle anderen Ahnen aus dem Kreis Hersfeld-Rotenburg in Hessen. Dies ist einer der Wenigen von ‚Auswärts‘. Um so interessanter ist es natürlich zu erfahren, warum jemand fortgezogen ist.
Meine bisherige Vermutung lässt auf einen beruflich bedingten Umzug schließen.
Danke, dass Sie ihre Forschungen mit aller Welt teilen.
Viele Schätze liegen in Archiven verborgen. Erst wenn man es ans Tageslicht holt, wird es zugänglich und durch das Medium Internet auch im fernen Schleswig-Holstein verfügbar.
Da ich zwar in Nord-Osthessen aufgewachsen bin, in jenen Jahren aber noch eine unüberwindbare Grenze die Bundesländer trennte, und ich definitiv noch nie in meinem Leben dort war, habe ich mich um so mehr über die Informationen gefreut.
Ich hoffe die Orte alsbald einmal besuchen zu können.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Viele Grüße aus Schleswig-Holstein
Natalie Apel
Danke für diese Anerkennung. Die Rhön galt früher, bevor die Kaliindustrie und der Tourismus aufkamen, als das „Land der armen Leute“. Wem sich die Gelegenheit bot woanders, z.B. im Ruhrgebiet, Arbeit und Brot zu finden, zog daher meist dorthin.
Viele Grüße aus Potsdam nach Schleswig-Holstein
Helmut Hehl