Juan Cabanilles: Tiento I.9 segundo tono

aus: Opera omnia des JOAN BAUTISTA JOSÉ CABANILLES Y BARBERÀ (1644-1712) Band I, Nr. 9
herausgegeben 1929 durch Institut d’Estudis Catalans: Biblioteca de Catalunya, Barcelona
in der Reihe: Publicacions del Departament de Música VIII

Das Tiento Nr. 9 (2. tono) baut auf einem überwiegend aus Sekundschritten bestehenden Thema auf, das durch proportionale Differenzierung der Notenwerte und eine lebhafte rhythmische Figur belebt und charakterisiert wird.
Das Stück beginnt mit einer Vorimitation der Begleitstimmen, die nacheinander (Tenor auf der Tonika, Baß auf der Dominante) das Thema vorstellen und den Einsatz der Solostimme vorbereiten. Auf Takt 8 setzt die Solostimme ein und geht nach Darstellung des Themas in Figurationen über, um mit einer herrlichen Kadenz ihren Vortrag abzuschließen. Diese Kadenz mit zwei in Zweiunddreißigsteln ausgeschriebenen Trillern stellt eine reich verzierte Version des zweiten Taktes des Themas dar.
Die Begleitstimmen fahren ununterbrochen fort (Takt 17) und wiederholen die Anfangsimitation, diesmal in der Oktav und in Engführung mit leichter Veränderung des Themas im Tenor. Die Solostimme übernimmt das Thema in der Dominante (Takt 21) wechselt aber vom zweiten Ton an zur Subdominante, wie es übrigens auch der Baß am Anfang des Stückes tut. Durch Einschub eines Taktes nach Ausklingen des Themas kehren die Figurationspassagen und die Kadenz auf die Dominante zurück.
Der erste Abschnitt besteht also aus zwei Expositionen des Themas mit anschließender Figurationspassage der Solostimme und Kadenz, die erste auf der Tonika, die zweite auf der Dominante.
Dieses Schema wird grundsätzlich im ersten Abschnitt aller Tientos „de mano derecha“ genauso verwendet und kann deshalb als charakteristisch und als fester Bestandteil dieser Form gelten. Der zweite Abschnitt (Takt 30) beginnt ebenfalls mit einer Imitation, einem Dialog der Begleitstimmen über ein aus dem Themenkopf entnommenes Motiv, das sequenzartig in absteigenden Sekunden mehrmals wiederholt wird. Im Takt 35 übernimmt die Solostimme dieses Motiv und wiederholt es auch sequenzartig auf allen sieben Stufen der aufsteigenden Tonleiter, bevor sie in eine lange (34 Takte) Glosse übergeht, die das zeigt, was Pacheco mit „dos mille flores“ gemeint hat: virtuosen Vortrag der Solostimme unter Verwendung zahlreicher und immer neuer Figurationen und skalenartiger Passagen, die aus den Spielfiguren der Exposition entnommen und weiter entwickelt sind.
Der unmittelbar darauf und ohne Pause folgende dritte Abschnitt (Takt 78-79) ist in seiner Strukturierung dem zweiten nachgebildet: Imitation + Figuration. Es besteht aus einem wiederum von den Begleitstimmen eingeleiteten imitativen Satz, in dem durchgehend und in Engführung ein einziges Motiv und seine Umkehrung dargestellt werden, und einer zusammenfassenden figurativen Solo-Partie (T. 93-105). die mit einer der Exposition entsprechenden Kadenz (V-I) – mit ausgeschriebenem Triller – den ganzen ersten Teil abschließt.
Der zweite Teil beginnt mit einem imitativen Abschnitt (T. 106-115) im Sechsvierteltakt, in dem eine Variante des Themas – von allen Stimmen durchgehend imitiert – in Sekundmodulationen mehrfach wiederholt wird. Dieser 10-taktige Satz dient als Einleitung zum nächsten längeren Abschnitt von 26 Takten im Zwölfachteltakt, der überwiegend aus Achtelfigurationen besteht.
Die erste Formel wird für eine Modulationspassage benutzt und auf C, G, D, B und F wiederholt, wobei Cabanilles das Schema ab und zu leicht verändert; die zweite Figur (aufsteigende Sekundschritte im Rhythmus wird vom Tenor durchgehend nachgeahmt. Was darauf noch folgt, sind auf- und absteigende Achtelfigurationen der Solostimme, die zur Coda hinführen (T. 142). Hier erscheint der 4/4 Takt wieder und die Solostimme – auf einem langgehaltenen Subdominantakkord im Wechselspiel mit dem der Tonika – greift auf die Figurationen der Exposition zurück, um mit Akkordbrechungen die endgültige Plagalkadenz vorzubereiten.
Dieses Tiento zeigt eine Struktur, die in der Anordnung und Ausdehnung ihrer unterschiedlichen Abschnitte nur diesem Stück eigen ist, die aber aus einem Kompositionsprinzip entstanden ist, das in allen Tientos partidos vorherrscht und formbildend ist: Wechselspiel zwischen thematischer oder motivischer Imitation und frei gestaltetem Figurenwerk mit akkordischer Begleitung. Dieses Kompositionsprinzip scheint wesentlicher bei Cabanilles zu sein, als jenes der symmetrischen Sequenzbildungen und Modulationspassagen, das von W. Apel als „bei Cabanilles vorherrschend“ bezeichnet wird. Beide aber bilden die Grundlage für seinen Stil.
Als bemerkenswerte Einzelheiten im Stil dieses Tiento sind u.a. folgende hervorzuheben: die ununterbrochene, pausenlose Führung der Begleitstimmen, sogar in den Kadenzen (T. 16, 30, 78, 106); die grundsätzliche Verwendung des imitativen Kontrapunkts in der Begleitung immer wenn die Solostimme pausiert; die schrittweise Einführung kleinerer Notenwerte in den Übergängen von imitativen zu figurativen Passagen (T. 12, 26, 45-46, 93); und die eigenartigen rhythmischen Bildungen im 12/8-Takt (T. 117-18, 123-24), wie sie auch bei anderen spanischen Meistern (Aguilera, Correa, Bruna…) zu finden sind.

zitiert aus
Juan Bautista Cabanilles – Sein Leben und Werk (Die Tientos für Orgel)
von Arsenio Garcia-Ferreras

Ich habe dieses Orgelwerk mit Samples der Rieger-Orgel im Konzerthaus Wien eingespielt.

Infos über Juan Cabanilles habe ich in meinem Beitrag Orgelwerke von Juan Cabanilles (1644-1712) zusammen getragen.

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