W. A. Mozart: 12 Variationen über „Ah, vous dirai-je Maman“ KV 265 (300e)

Fassung für Cembalo:

Über diese 12 Variationen in C-Dur:

Neben den acht Klaviersonaten (Reisesonaten) KV 330 C-Dur (Augsburger Sonate), KV 311 D-Dur (Freysinger-Sonate), KV 309 C-Dur (Cannabich-Sonate), KV 332 F-Dur, KV 310 a-moll, KV 331 A-Dur, KV 333 B-Dur und KV 457 c-moll entstanden auf der Reise nach Paris ( München, Augsburg, Mannheim, Paris, Mannheim, München vom  23. Sept. 1777 bis zum 17. Jan. 1779 auch die drei sogenannten „Pariser Variationen“ für Cembalo bzw. das „dünnbrüstige“ Hammerklavier, das nach und nach das Cembalo verdrängte, weil es anschlagdynamisches und somit ausdrucksstärkeres Spielen ermöglichte. Es erreichte damals aber noch nicht die Klangfülle eines Cembalos und war auch noch nicht so weit wie dieses verbreitet und daher ist davon auszugehen, dass die Komponisten die Spielbarkeit ihrer Werke auf beiden Instrumenten berücksichtigten.  Das dürfte insbesondere auf die als Gebrauchs- bzw. Gelegenheitsmusik komponierten Pariser Variationen zutreffen

Hanns Dennerlein schreibt in seinem Bauch „Der unbekannte Mozart – Die Welt seiner Klavierwerke“ (Leipzig, 1955, Seite 87 ff.):

Mozart hat sein Talent nicht an x-beliebige Themen verschwendet. Die zugrunde gelegten französischen Arietten und Chansons sind Kabinettstücke an Prägnanz und klarer Diktion. Sie erfreuten sich zu ihrer Zeit mit Recht großer Beliebtheit. Die Lindor-Romanze — Melodie von Baudron, wie Mueller v. Asow freundlich mitteilt — stammt aus Beaumarchais’ 1775 uraufgeführtem „Barbier“, der Wurzel von Mozarts „Figaro“; die Baudronsche Melodie wurde auch von Beauvarlet-Charpentier und später von dem jungen Clementi variiert. Wegen der unterrichtlichen Ergiebigkeit hat Paul Mies in Bückens „Handbuch der Musikpädagogik“ (Potsdam, Athenaion-Verlag) die Variationen über „Ah, vous dirais-je, Maman“ als Lehrbeispiel für den Musikunterricht an höheren Schulen zergliedert. Der Zweck all dieser Variationsreihen geht jedoch über den Unterrichtsgebrauch hinaus. Die Lindor-Variationen waren ein Lieblings- und Paradestück Mozarts in seinen Konzerten. Die Lison dormait-Variationen wurden 1781 vor Joseph II. beim Turnier mit Clementi gespielt und die Belle-Françoise-Variationen benützte Mozart laut Rochlitz-Nissen in den Konzerten 1789 zu Leipzig und 1790 zu Frankfurt. In welch eigenartiger Weise Mozart diese Variationen in seine Konzertprogramme einbaute, erfahren wir aus dem Brief vom 24. 3. 1781 anläßlich des Konzerts der Wiener Tonkünstler-sozietät: Erst erging er sich in freien Präludien. Hierauf spielte er eine Fuge. Dann folgte eine Variationsreihe. Daß dieses Arbeiten mit dem Gegensatz alt : modern bzw. gebunden : frei ihm feststehende Übung war, erweist der Satz:

„wo ich noch so das öfentlich gemacht habe, habe ich den grösten beyfall erhalten — weil es so gut gegen einander absticht, und weil Jeder — was hat.“

 Praktische Verwendbarkeit hat bei diesen Variationen im Vordergrund gestanden. Daneben boten sie kompositorische Probleme. Unversehens wird aus den Gelegenheitskompositionen eine entscheidende Auseinandersetzung mit dem Variationsprinzip. Die Tragweite dieser Beschäftigung mit der modischen Veränderungskunst am Hauptort des galanten Stils kann nicht überschätzt werden. Diese Beschäftigung entsprach einer Notwendigkeit, die sich aus der Verwendung der Liedform ergab, die seit der G dur-Sonate das Herzstück dieses Körpers bildete. Die Liedform sperrte sich gegen die bisher auch beim Mittelsatz geübten sonatischen Methoden. Die Doubliermethode, der „Manheimer goût“, war das Mittel, die Liedform abzuwandeln.
Die Zeitgenossen hatten dieses Stilmittel genau so wie die Sonate veräußerlicht und anscheinend erschöpft. Mit der Gründlichkeit eines Experimentators rückt Mozart in Paris dem Variationsproblem zu Leibe und erschließt Neuland. Während die Lindor-Variationen sich auf rein formale Oberflächenveränderung herkömmlicher Art beschränken, gewinnen die Variationen über „Ah, vous dirais-je, Maman!“ dem Thema reizvolle harmonische und kontrapunktische Seiten ab, so daß in ihnen trotz des ursprünglichen pädagogischen Zweckes ein „künstlerisches Meisterwerk“ (St. Foix) vorliegt. „La Belle Françoise“, aus einem Marlborough-Potpourri entnommen, Melodie wohl von De Laborde (Einstein), blendet in die Variationen-Zwölfzahl ausgesprochen poetisierende Elemente ein, damit die starre Reihe der formalen Veränderungen unterbrechend und sich um Stimmungswerte bemühend. „Lison dormait“ hat von vornherein den Konzertzweck im Auge; läßt aus Gründen der Virtuosität die vierte Variation zu doppeltem Umfang anschwellen; gestaltet die sechste und siebente Variation zu einem Marsch; bringt das Adagio statt an elfter schon an achter Stelle und läßt als neunte Variation ein veritables Rondo folgen, das in seiner Ausdehnung den Raum der fehlenden drei Variationen 10—12 füllt. Dabei wird, von der ersten Veränderung an, überlegen mit dem Themamaterial verfahren. Man beachte die freie Handhabung des Kontrapunkts in I/II, den Richtungsgegensatz in III, den überlangen Triller in IV (vgl. Mittelsatz der a moll-Sonate), den sprechenden Baß in VI, den aus der Freysinger-Sonate vertrauten Dreitonschritt fis-g-a und das Schlußzitat nach der Kadenz in IX. Weitere Einzelheiten können der Vergleichstabelle entnommen werden.
So waren die Wege vorbereitet zum entscheidenden Wurf, zur Anwendung dieser Künste in der Sonate. Wie aus den Österreichischen Variationen das Variationsfinale der Dürnitz-Sonate erwuchs, so gipfelt die Reihe der Pariser Variationen in der A dur-Sonate. Noch in Wien 1781 erfährt die Gruppe der französisch orientierten Variationen eine Fortsetzung (Célimène-, Hélas, fai perdu- und Grétry-Variationen für die Gräfin Rumbeck S. 142), und noch im Jahre 1788 findet ein stilistisch der Pariser Gruppe zuzuweisender Variationensatz Aufnahme in die Violinsonate K.V. 547 (vgl. S. 255).

Ich bevorzuge die Interpretation der Variationen KV 265 über „Ah, vous dirais-je, Maman“ auf dem Kirckman-Cembalo, weil es – obwohl nicht anschlagdynamisch – klangvoller klingt, und, auf Grund seiner seiner sechs Registerzüge, auch eine abwechslungsreichere Gestaltung ermöglichte.

Das französische Volkslied „Ah, vous dirais-je, Maman“ findet man ins Deutsche übersetzt auf dieser Website.

Fassung für Klavier:

 

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