Die Wüstungen im Tullifeld

Die Lava war ja längst erkaltet,
Der Basalt schon bemoost, ergraut,
Als schüchtern hier der Mensch gewaltet
Und mühsam ward ein Dorf erbaut.

Und nun? – Ungunst der Jahreszeiten,
Krieg, Pest, Not und auch eig’ner Fluch
Die konnten Alles ihm verleihen;
Längst drüber hin zieht Herd und Pflug!

Ist es zu verwundern, wie die meisten noch bestehenden Ortschaften Tullifelds ihren ursprünglichen Namen oder doch dessen Schreibweise mehr oder weniger verändert haben, aber ihre alten Stätten in der alten Flur noch behaupten, so kann es uns fast in Wehmut versetzen, daß aus dem Tullifelder Gau gegen Hundert Ortsnamen angeführt werden, von denen die ursprünglichen Wohnplätze seit mehr als einem Jahrhundert schon fehlen und deren ehemaliges Vorhandensein nur unsicher in den bezüglichen Gemeindefluren gezeigt werden kann. Solche verlassene, verschwundene Heimstätten, die nun längst als offener Gemeinde- oder Privatbesitz im Felde liegen, nennt man, weil sie auch meist verödet, oder wüste sind, kurzweg Wüstungen.

Stellen wir einmal derartige Plätze, soweit sie nach Chroniken oder Staatshandbüchern, nach alten Flurkarten und Fundbüchern angegeben sind, hier zusammen und fügen die wenigen Wüstungen an, die nur nach Sagen erwähnt werden können.

A. Im Eisenacher Oberland.

1. Im Amtsbezirk Vacha: Iberts bei Deicheroda, Rösa, Hussfeld und Niedersünna bei Pferdsdors, Biembach (Biumbach 852) und Larau bei Unterbreizbach.

2. Im Amtsbezirk Geisa: Freigut Rockenstuhl bei Geismar, Sandhausen bei Motzlar, Kaltenbuch und Möritz bei Spahl.

3. Im Amtsbezirk Stadtlengsfeld: der Hof Altenrode(Altenroth) bei Gehaus, nordwestl. am Bayerberg; östlich dabei die ,,alte“ Fischbach; bei dem Dorfe Wiesenthal ein Flurteil von Wernhausen (Werdenhausen), meist den Roßdorfern gehörig.

4. Im Amtsbezirk Kaltennordheim: Pfaffenhausen bei dem Dorfe Gerthausen, verteilt unter Einwohner von Gert-, Schaf- und Wohlmuthhausen wie von Kaltensundheim; Wombach bei Wohlmuthhausen, zwischen Pfaffenhausen und Aschenhausen und dem erstern, dem auch die Wüstung gehört; Rieden (Reodun 796) bei Aschenhausen; Marienhof auf der Heide, neben dem ,,Guckes“, im Flurgebiet Kaltensundheim, war ein erst 1823-25 von dem Engländer Swaine erbaueter schöner Gutshof, ist aber neuerdings abgetragen worden; Kohlhausen nördlich von Helmershausen, auch dazu gehörig; der Wüstungshof Sonnhof bei Kaltennordheim, östlich auf dem Harthberg, an der Meininger Grenze; Lichtenau auf der Kaltennordheimer Huth, wovon das alte Fundbuch und die Flurkarte von Kaltenwestheim noch den Namen angeben und wozu wahrscheinlich ein Distrikt am ,,Steinköpfchen“, genannt ,,bei der alten Kirche“, gehörte. Sehr unsicher ist es, ob wirklich westlich von Lichtenau ein Bettenhausen (an der altbayrischen Grenze nach dem Engelsberg zu) gestanden hat; die Sage meint es. Mehr Wahrscheinlichkeit liegt vor, daß in der Kaltennordheimer Flur, östlich vom ,,Tagstein“, neben der ,,Stätte“ auf dem Volkenberg ehedem ein Schlößchen, ein Altersinsitz für Edelfräulein oder für Edelmannswitwen gestanden hat.

5) Im Amtsbezirk Ostheim: Altenfeld bei dem Dorfe Urspringen, eine Wüstung, welche den Gemeinden Sondheim (vor der Rhön) und Urspringen zusteht, ,,innerhalb der Landwehr“; Korbes und Reipers bei dem Dorfe Stetten (gehören aber unter Bayrische Hoheit); Streve (Streuw, Streu), unweit der Streuquelle, soll eine Kaiserliche Villa gewesen sein (804).

B. Im Meininger Unterland.

1. Im Amtsbezirk Salzungen: Husin (cymiterium Husin, Hausen) wohl ehemals das älteste Dörfchen westl. vor Salzungen; Nenchendorf (Namsindorf) bei Langenfeld; Armbach, Sickendorf und Milmbrunn lagen in der Nähe, wahrscheinlich mehr südlich von Langenfeld; Schneckinhusin am Schneckenberg und nahe dabei Wilbordroda; zwischen Langenfeld und Kaltenborn sind noch Feldstücke der ehemaligen Süsseburg. An der Grenze von Weilar, am Grafenstein, soll auch ein Dorf gewesen sein. Der Ort Plesse an dem Pleß- oder Bleßberge, zwischen dem Schnecken- und Bocksberg, dagegen Wissgendorf, Birkendorf und Bädelesdorf auf dem Bleßrücken, und Neuenrode, auch das ,,rothe Haus“ genannt, eine Wüstung, vordem zu Frauenbreitungen gehörig, jetzt zu Kaltenborn, wurden im dreißigjährigen Kriege zerstört. Zwischen Wildprechtsrode und Uebelrode – auf der Rhönterrasse -, am Hunnbach, soll der Ort Hauberode gelegen haben. Bei Langenfeld liegen auch die wüsten Höfe Pfaffenrück, Grimmlich, vor der Grube, vor dem Taubertsberg, Tanngraben und Oetzelsgraben. Der Rhönschreiber Spieß meldet: Am Bleß liegen nicht weniger als 30 Wüstungen; auch die Polsemich, ein Einzelhaus, 1330 noch ein Dorf.

2. Im Amtsbezirk Wasungen und teilweis im ehemaligen Amt Maßfeld: Rupperg (Ruppers, nahe bei Wasungen, am linken Werraufer; westlich davon lag ,,Dreiwize, Drebetts, Trebetz“ oder Trebes (nicht zu verwechseln mit Träbes auf der Geba).

Zu dem verschwundenen Trebes giebt Dr. Germann eine Sage an: „Geisterbanner pflegten die in Säcke eingefangenen Geister in die Trebser Waldung zu tragen. Aus Furcht vor den Unholden wurde nun die Waldung bei Tag und mehr noch bei Nacht gemieden, und es trieben unter dem Schutz des Aberglaubens die Holzfrevler ungestört ihr Wesen“.

Nordwestlich von Trebes war Seitenthal (jetzt Waldung); westl. von diesem (im Zillbacher Forst) Dietwinden oder Dittwinden, alter Rittersitz; nördlich davon Grumbach am Hungerberg; westlich von diesem, in dunkelem Gründchen waren die Höfe Leuts (vom altadeligen Geschlechte Leiboldes), Groß- und Klein-Rölich (auch Röhrich) und Erbenrode, nahe aneinander. An der Ausmündung des Schwarzbachthales Alt- oder Niederschwarzbach (darin die Klosterteiche mit guten Fischen); nordwestlich und nahe der Schwarzbachmündung liegt Werniges (Weringers, Werners), ehedem ein Burggut, jetzt Artland und Wiesen, die Waldung kaufte Stadt Wasungen; südöstlich daran die große Wüstung Stetten, welche in Unterstette, Mittelstette (was in der Zöllnersecke, der ehemaligen Zollstelle gelegen) und in Oberstette bestand. – Rechts der Felda, bei Bernshausen, im kleinen Seitenthal lag Berlthausen (Berldis); bei Roßdorf lag Dorf Ratschberg (Raßberg), wozu jedenfalls „der Kohlbachshof“, jetziger Roßhof gehörte; Flattich (Flattigheim) östlich an der Stoffelskuppe, stößt an die Flur Roßdorf, auch an die Wüstung Diethers (Diethaus, Dietrichshusen), die an das Klostergut Georgenzell stieß; Wüstung Windischen-Rosa gehörte zu Wernshausen, links an der Werra. Bei Hümpfershausen, östl. am Hahnberg: Lückershausen, auf dem Hahnberg Sachsenau und Kaisereck: (2 Höfe); Bem. Lückershausen wurde, wie die Sage geht, weil seine Einwohner bei der Zerstörung der Klöster Breitungen und Georgenzell thätig gewesen, – da sie denen viel zinsen mußten – aus Rache von den sächsischen und hessischen Völkern vertilgt. Nur die ,,Lückmühle“ steht noch. Bei Oepfershausen: die Wüstung Burnsau nahe am Ort, am ,,See zum Burns“; Hahnberg (Hohnberg), grenzet an Lengsfeld, welche Gemeinde auch Teil daran hat. Bei Schwarzbach: ,,Allenbach“ oder Altenbach; bei Unterkatz: Reifendorf (150 Ackr.) und Dörrensolz (in derem Gebiet ,,der Oelhauk“, darauf in vergangener Zeit eine Kapelle stand), jetzt aber noch 2 Mühlen, die eine mit Schankgerechtsame; bei Oberkatz: Grimles (Grimlesrode, Grimaha), war ein sehr alter Ort, von dem man lange die Stätte des alten Friedhofs erkannte. Die Wüstung umfaßt 600 Acker; ihre Besitzer sind teils in Ober-, teils in Unterkatz. – Im Holz von Grimles war ehedem eine sogenannte Silbergrube. Wüstung Hofried (Hofryd) nicht zu verwechseln mit ,,Riederhof“ oder dem Dorfe Rieden bei Aschenhausen – lag da, wo jetzt die Oberkatzer ,,Riederwiesen“ liegen. Schon 1530 war Hofried wüst. – Uebrigens ist noch zu merken, daß auch ein Rieth (Rieden, 1049; zum Riet 1317, Ryet 1340) ein Pfarrkirchdorf an der bayrischen Grenze, in der ,,.Landwehr“, zu finden ist. – Bei dem Dorfe Wahns, in dem engen Katz’grund, war vor 1476 schon die Wüstung Wans, wo ehedessen das ,,Wanesdorf“; in der Nähe ist die Wüstung Müss, (zu Muzes). Graf Heinrich von Henneberg ließ diese beiden Wüstungen gegen eine jährl. Abgabe an die Bauern verteilen.

Zur Flur und zu den ,,Huben“ (Husen) von Stepfershausen gehören: Bakshof (37 Acker Wald) und Mengeshof (86 Acker Wald). Das Kirchdörflein Geba, das 1456 noch Wüstung war, entstand durch Zusammenziehen der Einzelhöfe, deren Friedhof südlich lag und jetzt noch das ,,Gottesäckerle“ heißt. Die dort noch wüsten Höfe sind: Das Klingerod, der Grauehof“ und der ,,alte Hof“. Der Ort Trebes (Träbes, zu dem Tresss) am Anfang des Seebaer Kessels, war 1354 noch Wüstung, hat sich also neu belebt. Die Wüstung Afftewind (Affewin, ,,Ottewind“) liegt zwischen den Fluren Herpf, Seeba, Dreißigacker. Daneben lag Fascha (Fohhencesheim, 1030 Bochsheim, Föschau, Feuchersheim, Fechersheim, Fischau geheißen), am Brunnen im Metzelthal; es wurde von den Fluren Herpf, Afterwind, Bettenhausen und Gleimershausen berührt und bildete hier wohl eine Strecke lang die Tullifelder Grenze.

Die Wüstung Melweis (urkundlich Eylwies, Mellewies) liegt zwischen den Fluren von Rippershausen, Solz, Stepfershausen und Herpf. Noch in diesem Jahrhundert standen ein Paar Häuser auf der Stätte des alten Dorfs, das urkundlich 1351 vorkommt. Die Wüstung begreift 788 Acker. An der Geba liegen noch die zu Bettenhausen gehörigen Wüstungen Neidhards und Rüghards. – Einzelne Grundstücke an der Geba: der ,,Wolfsbühl und die Kappenmühl’“, als verwüstet gewesen, sind der Herpfer Flur einverleibt worden. – Bei und zu Bettenhausen gehört die Wüstung Ottenhausen (Uzenhusen 1037), am Fuße des Neubergs, eine Gemarkung von 197 Acker Feld, 101 Acker Wiesen und 668 Acker Wald. Dieser Ort gehörte aber nicht mehr zum Tullifeld. –

Alle in diesem Abschnitt bemerkten Wüstungen gehören zum Wasunger Gebiet links der Werra, schon eine genügende Anzahl; rechts des Stromes sind ebenfalls noch dergleichen Gemarke. Wie arg hat demnach in dortiger Gegend an ehemaligen Wohnorten die Wut des Krieges (jedenfalls mehr als dieWucht der Naturelemente) aufgeräumt! Brückners Landeskunde nennt ,,Wasungen den Mittelpunkt eines großen Wüstungsgebietes, das in kleinem Umring vierzig fossile (begrabene) Orte umfasse«

 

C. In der alten Cent Tann, im jetzigen Amtsbezirk Hilders, sind allem Anscheine nach wenig Wüstungen entstanden. Weinrich (1720) giebt an: ,,Seitswinden, Schlitzenhausen, Theobalds-Hoff, Knotten-Hoff, Dietges-Hoff, Engelsberg und Schweyd-Hoff, so auch Dörffer gewesen, sind hiebevor durch die Pest ausstorben und ietzo Wüstungen“. Die Wüstung des Salckenbergs (Saleckenberg) lag bei Fladungen, hat bis 1530 dem Stift Schmalkalden gehört; der Salckenberg hatte bestimmte obrigkeitliche Berechtigung, auch Schankrecht etc., ward ,,Hanßen von der Tann aufgetragen“.

Bechstein erzählt in seinen Rhönsagen von einer Wüstung über dem Städtchen Tann, am hohen Engelsberge: ,,Man findet noch Gewölbe und Spuren ehemaliger Wohnungen. Ein Schäfer, der die Herde der nahen von Tannischen Schäferei Friedrichshof dort hütete, sah einst eine weiße Jungfrau wandeln, die, als er sich ihr näherte, plötzlich verschwand. An der Stelle, wo sie gestanden, lag eine goldene Kette. – Die Umwohner erzählen, daß in den Gewölben allerlei Hausgeräthe, darunter auch ein Spinnrad, gefunden worden sei, und daß das Oertchen, welches droben gelegen, im siebenjährigen Kriege den Untergang gefunden habe. Manche sagen, im dreißigjährigen Kriege. Das aber ist gegründet, daß im siebenjährigen Kriege mehr als ein blutiges Scharmützel auf der weiten Fläche des Engelbergs stattgefunden hat.“ (Den Beweis für diese Behauptung habe ich noch nicht gefunden). Eine andere Sage Bechsteins erzählt von einer Wüstung in der Rhön:

 ,,Die versunkenen Dörfer.

Auf dem Rücken der hohen Rhön, da wo jetzt das rothe und das schwarze Moor ihre weiten und grundlosen Sumpfstrecken breiten, standen vor alten Zeiten zwei Dörfer; das auf dem rothen Moor hieß Poppenrode und versank in Folge lasterhaften Lebens seiner Bewohner oder eines über diese ausgesprochenen Fluches.

Das auf dem schwarzen Moor hieß Moor, ging auf ähnliche Weise unter und nichts ist mehr davon übrig, als eine Art basaltischen Pflasters, das die Rhönbewohner unter dem Namen der steinernen Brücke kennen, und die altermorsche Moorlinde, die man als die Dorflinde des versunkenen Dorfes betrachtet. Früher häufiger als jetzt zeigten sich aus beiden Mooren die Moorjungfrauen des Nachts in Gestalt glänzender Lichterscheinungen . . . Oft kamen auch ihrer zwei oder drei nach Wüstensachsen und mischten sich unter die Kirchweihtänze, sangen auch wohl gar lieblich, blieben aber nie über die zwölfte Stunde, sondern wenn die Zeit ihres Bleibens herum war, so kam jedesmal eine weiße Taube geflogen, der sie folgten; und sie entschwanden den Augen der neugierig Nachfolgenden. – Auch ist das rothe Moor der Gegend ein Wetterprophet. Raucht das Moor, so kommen Regen, Schlossen und Gewitter; tobt es aber und werfen die schlammigen Moorwässer Wellen, dann sind Stürme, Orkane und sogar Erdbeben zu fürchten.“

Auffällig gering erscheint die Anzahl der Wüstungen Tullifelds in den Amtsbezirken des Eisenacher Oberlandes, und sogar niedriger als bei diesen stellt sich das Verhältnis im Ulstergebiete preußischerseits heraus, dort sind nur ganz vereinzelt Wüstungen zu finden. Sollte wirklich die Ansicht maßgebend sein, daß die Kriegsströmungen früherer Zeiten sich leichter und mehr im und am breiten Werrathale austobten, als in den Ausstiegen nach der nordöstlichen Rhön hin? Oder könnte wohl eine Art Zähigkeit im Charakter der alten Rhönbewohner, der rauheren, wetterharten Tullifeldgenossen, diese bestimmt haben, ihre vom politischen Feinde ruinierten Ansitze nicht gleich mutlos zu verlassen, sondern auch bei sonstiger Dürftigkeit die ererbte Scholle treuherziger festzuhalten und unverdrossener wieder auszubessern? –


aus
C. E. Bach
„Im Tullifeld“
Eine historisch-landschaftliche Umschau in engerer Heimat
– der Vorderrhön –


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– nach Themen sortiert –


 

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