Jeremiade und Schluss
Zum Schuß des Kriegs-Kapitels
eine Jeremiade
aus dem »Rathsarchiv« zu Kaltennordheim.[1]
Kaltennordheims Verfall z. Z. des 30jähr. Kriegs.
»Underthenige gehorsame Fusfellige Eingabe der Gesambten Schulthessen Vor sich und alle Gemeinden bedter Embder Kalten-Northeimb undt Fischbergk« vom 9. July anno 1634.
,,WohlEdle Gestrenge, Hochgelarte,. Ehrenveste Undt Großachtbare Chur- Undt Fürstl. Sächsische zur Oberuffsicht Undt Regirung der freien Graffschafft Hennebergk Wohlverordnete Herrn Oberaufseher, Cantzler Undt Räthe, hochgebietende großgünstige Herrn.
Was massen Undt gestalt Churfürstl. Sächsisch Durchl. beden Herren Obristen von Dehn Undt von Schleinitz Funffzehn Tausent Reichsthaler ahn Jahren restirenden Verpflegungsgeldern, entweder bahr oder zu annemlichen Kurtze Terminen Zu besserer aufkommung Ihrer Regimenter auß dießer Fiirstl. Graffschaft außzuzahlen gnedigst anbefohlen haben, – das ist Unß Umbstendtlich und beweglich denunziret Undt erclert worden. Aber dem getreuen Wohlthetigen Gott sey es geKlaget, daß es sogar mit Unß auß, Undt alles veräußert ja margk undt beindurchsogen ist Und solches Summarissime doch mit grund der warheit zu Durchlauffen, Was wir arme an der schraben Röhnerischen Undt Döllfällischen Grentz darniderliegende Hennebergische Underthanen, an Unsern eigenen leibern Und heußichen Standte erKarget Undt ersparet, nunmehr aber in nechstverwichenen sechs Monaten dieses 1634. Jhares (derer in vorhergehenden Jharen uff sehr Viel tausent gulden uffgewanten Kriegs-Costen dißmahl geschwiegen) dem allgemeinen Evangelischen Wesen auch Unßerer Hohen Landes-Fürstlichen Soldatesca Zum besten aufgewendet, Hat die Notturfft erfordet, Darüber nachrichtlichen Extract beizufügen . . . . . . . . . . . . . . Daß es damit in Kurzer Zeit ein ende nehmen möchte, noch Keine Hoffnung sich Vermerken lesset. Da ist Lachen teuer worden Undt die ausborgung jeglicher notdurfft so stark Under die benachbarten Grentzgesessene erschollen, daß nunmehr selbige bißhero bey ihnen gehabte hülfsmittel gantz Undt gar gestopfft Undt abgeftrickt sindt. Und weil man nicht mehr weiß, wo auß oder ein, das Hungertuch in allen heusern ausgebreidet, auch eine große Anzahl der Unserigen den bettelstab schon zur Handt genommen Undt davon gegangen, gestalt, daß erst vor 4 tagen über 50 Person, die man noch Vor die begüttersten undt ermöglichsten gehalten in einer nacht mit Weib und Kinder davon gangen, die Heuser offen undt lehr stehen lassen . . . Zu geschweigen, daß wier Ueber Itztbemelte Zehntägliche 1500 Rchsthlr. an hinterstendig verbliebenen Verpflegungsgeldern zu bezahlen schuldig sind undt teglich von Uns gefordert werden undt übermorgenden Donnerßtag mehrgedachte neue Verpflegung abermals liefern sollen, biß Unsere anderswogemachte Ueberauß große Schuldten, Darunter daßjhenige, waß wir diß Jhar an gelder Undt getreide ins Ambt zu bezahlen schuldig blieben, nicht das geringste ist, nur zum teil abgestattet werden, Wir undter der Hand nottürftiges Vihe, Haußrath Undt dergleichen ufs neue zeugen Undt also ein andermal mit Unser schuldigkeit wieder gefaßt sein Können. Dadurch wird verhoffentlich gewunschte occasion (Gelegenheit) gegeben, daß Wir der Davidischen Vermahnung Zur Christlichen gedult Psalm 37 desto ehr undt mehr gehorchen . . . undt wird Gottes mildtreiche Handt Krafft undt stercke darzu geben.“
Nach Seite 14 dieses ergreifenden Aktenstücks ist notiert, daß vor dem 30jähr. Kriege 280. Bürger in Kaltennortheim, aber nach demselben und nach dem Brande kaum 50 Bürger mit den Witwen noch da waren oder sich nach ihrer Flucht wieder versammelt hatten (laut Verzeichnis v. anno 1667 zählte man 77 Nachb. u. 15 Witwen). In einer Bittschrift vom 4. Jan. 1661 an Herzog Wilhelm von Sachsen heißt es, daß ,,viele schön u. wohlgebaute Heuser, vornehmlich auch die Kirchen, Schulen, Glocken undt das Kostbahre Orgelwergk, auch das Rath- undt Schenckhauß erbärmlich eingeäschert wurden, allermaßen es denn auch das Fürstl. Schloß allhier mit nicht geringen Schaden betroffen.“
Ueber die furchtbare Verwüstung, welche der 30jährige Krieg anrichtete, gibt ein erschütterndes Bild auch noch folgender Auszug aus einem im Kaltennordheimer Amtsarchiv vorfindlichen Aktenband vom Jahre 1659 (Nr. 13; Tom. I. Tit. 1 N. 19, betitelt „Beschreibung des Ambts Kaltennortheimb usw.“; vergl. »Tullifeld« Heft III Seite 18, 44 und Heft II Seite 54).
Vorm Kriegswesen waren anno 1631 im Ambt Kaltennordheimb an erbgehuldigten Unterthanen
in Kaltennortheimb = 217, dagegen 1659 nur 59.
in Kaltenwestheim = 169, dagegen 1659 nur 62.
in Erbenhausen = 81, dagegen 1659 nur 14.
in Reichenhausen = 63, dagegen 1659 nur 22.
in Oberweid = 113, dagegen 1659 nur 55.
inUnterweid = 80, dagegen 1659 nur 53.
Kaltensontheimb = 26, dagegen 1659 nur 26. (uf den Henneberg Gütern),[2]
Frankenheim u. Birx, soviel die landesfürstliche
Hoheit betrifft,[3] = 41, dagegen 1659 nur 10.
Sa. 789 Unterthanen, 1664 nur 301,
mangeln also gegen vorige Zeit 488 Unterthanen.[4] An „gangbaren Feuer-Städen“ (Wohnhäusern) waren es 463 weniger.
In dem Ambt Fischbergk waren 1631 erbgehuldigte Unterthanen in:
Fischbach = 49, dagegen 1659 nur 14.
Diedorf = 86, dagegen 1659 nur 23.
Clings = 65, dagegen 1659 nur 22.
Empfertshaußen = 51, dagegen 1659 nur 15.
Antenhaußen = 7, dagegen 1659 nur 6.
Neidertshausen = 60, dagegen 1659 nur 30.
Bronmmertshaußen= 66, dagegen 1659 nur 14.
Dermbach = 139, dagegen 1659 nur 22.
Unteralba = 96, dagegen 1659 nur 26.
Oberalba = 30, dagegen 1659 nur 12.
Urnshaußen = 123, dagegen 1659 nur 28.
Wiesenthal = 171, dagegen 1659 nur 40.
es Seind alßo im Ambt Fischbergk 691 Unterthanen und 652 Rauch- oder Feuerstedten weniger als deren 1631 gewesen, und befinden sich darinnen an Höffen noch: Mückenhoff, idem Steinbergk, Föhlritz, Lindenau u. Mebritz, auch die zu Dermbach gehörigen Wüstungen Hartschwinden und Glattbach (Glotbach).
Bitte. Vorkommende Druck- und schriftliche wie sachliche Fehler wolle der verständige Leser so dieselben unbedeutend sind, entschuldinen und selbst berichtigen, wenn aber von Belang, dem Verfasser zur Klarstellung gefälligst schriftlich nachweisen.
Kaltennordheim, März 1908. Bach.
Nachwort. Gerade mit beendigter Drucklegung dieses 4. Heftes ,,Im Tullifeld“ hat der Verfasser auch sein Leben beendet. Am 11. April 1908 entschlief er in einem gesegneten Alter von 83 Jahren; 15½ Jahre war er in Oechsen bei Dermbach als Lehrer, 31½ Jahre sodann als Lehrer und Organist in seiner Vaterstadt Kaltennordheim tätig; im Herbst 1895 legte er sein Amt nieder und hat die Muße seines Alters sonderlich dem ,,Tullifeld“ gewidmet. Noch ist manches Material von ihm gesammelt und zur Veröffentlichung vorbereitet. Etwaige Anfragen und Mitteilungen bezüglich des ,,Tullifelds“ (siehe die vorstehende Bitte des Verfassers) wolle man an Pfarrer Bach in Halle a. S. richten.
Möge die von treuer Heimatliebe getragene Arbeit den Wunsch des Vorworts erfüllen.
aus
C. E. Bach
„Im Tullifeld“
Eine historisch-landschaftliche Umschau in engerer Heimat
– der Vorderrhön –
[1] Das Schriftstück, das hier im Auszuge mitgeteilt wird, ist in dem vom ehr achtbaren Mädchenschul-Lehrer und Organisten Johann Adam Artes (1759-1812 im Amte, Vorgänger meines Vaters) aufgestellten Inventare als Nr. 1 bezeichnet; es ist das älteste urkundliche Handschriftstück im Ratsarchiv, von mir etwa 1873 noch vorgefundene, jetzt vielleicht bei dem am 10. Sept. 1882 nachts ausgebrochenen Rathausbrand verloren gegangen. Auch sonst sollen viele alte Gemeinde-Aktenstücke durch einen früheren Gemeinderatsvorsitzenden ausgeschieden und in eine Papiermühle verkauft worden sein.
[2] Kaltensundheim gehörte mit dem übrigen Teil damals, gleich Mittelsdorf und Gerthausen, laut Vertrag von 1530 zum Amt Lichtenberg.
[3] Der übrige Teil und die Vogteilichkeit daselbst gehörte denen von der Tann.
[4] Nach einer anderen Zusammenstellung ebenda 453.
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