Wie fällt unser Gehirn Entscheidungen?
Abb.: Illusion junge oder alte Frau.
Die Vorgehensweise unseres Gehirns bei der Erkennung solcher Bilder ist die eines spontanen Symmetriebruchs. Die beiden vorhandenen Wahrnehmungsmöglichkeiten stellen einen symmetrischen, gleichberechtigten Zustand zumindest in unserem Unterbewusstsein dar. Unser Gehirn geht hier nach dem gleichen Entscheidungsschema vor, das uns auch aus ganz anderen Bereichen des menschlichen Lebens bekannt ist.
Fälle, in denen zwei oder mehr Handlungsalternativen vorgegeben sind, die genau gleich oder vergleichbar gut sind, gibt es zuhauf. Ständig sind Entscheidungen zu treffen: Ziehe ich die weißen oder die blauen Socken an, nehme ich noch einmal eine Tasse Kaffee oder nicht, lese ich diese Buchseite noch zu Ende oder nicht? Und so weiter. Zum Glück ist die Entscheidungsfindung in solchen kleinen Problemen bei den meisten Menschen durch den Alltag weitestgehend automatisiert. Trotzdem gibt es Menschen, die in solchen Zweifelsfällen ständig zwischen genau symmetrischen Alternativen zu stecken scheinen und sich nie für oder gegen etwas entscheiden können.
Der Grund dafür, dass manche Menschen sehr gut und manche sehr schlecht mit solchen Wahlmöglichkeiten zurechtkommen, liegt im jeweiligen Wertesystem begründet, das wir verinnerlicht haben. Der Entscheidungsneurotiker bewertet aus der Angst vor einer Fehlentscheidung die möglichen Alternativen oft künstlich gleich und zögert eine Entscheidung dadurch so lange wie möglich hinaus. Gleichzeitig leidet er aber stark unter dieser Situation. Einem anderen Menschenschlag fällt es dagegen sehr leicht, Alltagsentscheidungen zu treffen. Diese Menschen genießen den Prozess der Entscheidungsfindung als eine besondere Freiheit des Lebens.
Unabhängig davon, wie lange nun ein Zustand der Symmetrie aufrechterhalten wird, fällt irgendwann eine Entscheidung und die Symmetrie wird gebrochen. Ähnliches können wir auch bei wichtigen Lebensentscheidungen beobachten: Eine Frau schwankt beispielsweise zwischen zwei Männern, die sich durch unterschiedliche Vorzüge auszeichnen – für welchen von beiden soll sie sich entscheiden? Oder Sie bekommen ein Angebot für eine neue Arbeitsstelle in einem anderen Ort. Nehmen Sie diese Arbeitsstelle an oder lehnen Sie ab? Für beide Möglichkeiten gibt es sowohl Vor- als auch Nachteile, die es gegeneinander abzuwägen gilt. Die Entscheidung fällt unser Gehirn auf eine sehr einfache Weise – das können Sie mit Hilfe der Abbildung leicht nachvollziehen: Auch hier sprechen mehrere Bilddetails für die Alternative junge Frau und mehrere für die Alternative alte Frau. Welche Alternative letztendlich wahrgenommen wird, ist somit fast reiner Zufall. Ein winziger Auslöser im richtigen Augenblick führt hier die Entscheidungsfindung herbei: Auf welchen Bildausschnitt sehen wir zuerst? Haben wir vielleicht gerade draußen eine junge Frau vorbeilaufen gesehen? Wie sind die momentanen Lichtverhältnisse? Und so weiter. Sie sehen schon: Eine kleine Ursache kann also eine große Wirkung nach sich ziehen, kommt sie nur zur richtigen Zeit. Vor und nach der Entscheidungsfindung sind diese Umweltfluktuationen dagegen normalerweise ziemlich unwichtig.
Ditzinger, Thomas:
Illusionen des Sehens – Eine Reise in die Welt der visuellen Wahrnehmung
Seite 77/78
(Springer Sachbuch 2013)
Für die Entsscheidungsneurotiker zeigt das folgende Video „Optische Täuschung junge oder alte Frau“ beide Figuren der Abbildung eindeutig durch eine Bewegungsanimation.
Damit ist nicht der Begriff „spontane Symmetriebrechung“ aus der Quantenmechanik gemeint, den man bei Wikipedia erläutert findet! Wie dieser Begriff bei Ditzinger allgemeiner (systemtheoretisch) verwendet wird, hat Helmut Gebauer in einem online zugänglichen Worddokument ganz gut, wenn auch nicht mit nur ein paar Worten, beschrieben. Ich habe daraus eine PDF-Datei gemacht, die wie gewohnt in einem pop-up-Fenster gelesen werden kann (auf Seite 3 findet man bereits die wesentlichen Grundbegriffe):