Johannes Brahms: Präludium und Fuge g-moll WoO 10
Dieses Werk, eine Stilübung des 24-jährigen Johannes Brahms, aus dem Nachlass von Clara Schumann überliefert, habe ich mit Samples der Riegerorgel im Großen Saal des Konzerthauses Wien (Vienna Konzerthaus Organ) eingespielt.
Dieses Werkpaar entstand vermutlich in den ersten Wochen des Jahres 1857, als Brahms in Düsseldorf weilte und sich maßgeblich der Arbeit am Klavierkonzert Nr. 1 op. 15 und den Variationen über ein eigenes Thema op. 21 Nr. 1 widmete. Das erhaltene Autograph ist mit „Febr. 57“ datiert, und Brahms überreichte es vermutlich im gleichen Jahr Clara Schumann. Er betrachtete das Werk sicherlich nur als eine nicht zur Veröffentlichung bestimmte Kompositionsstudie, die daher zu seinen Lebzeiten nur Clara Schumann gekannt haben wird.
„Anlehnungen an Bach und die norddeutschen Meister des 17. und frühen 18. Jahrhunderts sind unverkennbar; mögliche Modelle für die toccatenhafte Anlage des Präludiums, das mit figurierten Akkorden anhebt und verschiedene Bewegungstypen aufeinander folgen lässt, finden sich etwa in Buxtehudes Präludium g-Moll BuxWV 149 (für den Beginn) und in Bachs Präludium g-Moll BWV 535 (für den Mittelteil, T. 17 ff.).
Die Fuge im »Tempo giusto« rekrutiert ihr thematisches Material aus einem Wechseltonmotiv mit anschließendem Sextsprung aufwärts; den Kontrapunkt bildet eine (überwiegend schrittweise) absteigende Tonfolge. Nach der Exposition (mit überzähligem Themeneinsatz, Tenor, T. 23 ff.) führt Brahms in einem dreistimmigen Manualiter-Abschnitt die ternäre Teilung der Viertelnoten ein, die in der anschließenden Kombination mit dem Fugenthema (erstmals T. 31 ff.) vielfache Konstellationen der »Zwei gegen Drei-Rhythmik ermöglicht. Auch sonst erweist sich die Komposition – jenseits ihrer historisch vermittelten Form – in der (bisweilen chromatisch geprägten) Harmonik und emphatischen Diktion bis hin zu dem eher resignativen Schluss in absinkender Dreistimmigkeit über einem Tonika-Orgelpunkt als ein Werk des 19. Jahrhunderts.“
[zitiert aus dem Vorwort zur Partitur der Gesamtausgabe JOHANNES BRAHMS, Neue Ausgabe sämtlicher Werke, Serie IV: Orgelwerke (HN 6025) des Verlages G. Henle]