Nicolas Antoine Lebègue: Noëls (Weihnachtslieder) für Orgel

eingespielt mit Samples der Riegerorgel im Großen Saal des Konzerthauses Wien (Vienna Konzerthaus Organ).

Auflistung der einzelnen Stücke und deren Links zu YouTube:

Der Link zum Video meiner Einspielung von Or nous ditte Marie – Pour la voix humaine mit Samples der Orgel in der Kathedrale Notre-Dame du Bourguet in Forcalquier (Alpes-de-Haute-Provence, Frankreich).

Lebègue, Nicolas, * 1630 in Laon, † 6. Juli 1702 in Paris. Lebégue entstammte einer einfachen Familie. Sein Großvater war Müller, sein Vater nacheinander Müller, Bäcker und Koch. Den ersten mus. Unterricht erhielt er wahrscheinlich in einer der Singschulen seiner Heimatstadt. Nach dem Tode seiner Mutter (um 1655) scheint er nach Paris gegangen zu sein; vielleicht hat das »Collège de Laon« ihn als Stipendiaten aufgenommen (Pirro). Wahrscheinlicher ist, daß seine eigene Familie ihn aufgenommen hat (Dufourcq). Durch seine Mutter war Lebègue mit dem berühmten Maler Le Nain verwandt, und einer seiner Vettern, Henri Mahieu (Mayeux oder Mahieux) übte in der Hauptstadt den Beruf eines »maître joueur d’instrument« aus. Lebègues Lehrer sind nicht bekannt. Vielleicht war es Chambonnières, vielleicht Etienne Richard. Jedenfalls gelangte er sehr schnell zu großem Ansehen. Am 13. Sept. 1661 vermachte das Kathedral-Kapitel von Troyes dem sieur Lebègue, »fameux organiste de Paris«, ein Geschenk im Werte von 102 Solz. Am 18. Dez. 1664 unterzeichnete er den Vertrag, der ihn bis zu seinem Tode an die Kirche Saint Merry band. St Merry, Filialkirche von Notre-Dame, gleichzeitig Kollegiat- und Pfarrkirche, war eine der wichtigsten im aristokratischen Viertel von Marais. Der Dienst des Organisten war mit 400 Gottesdiensten jährlich schwer. Nach einem Wettbewerb erhielt er 1678 zu diesem beneideten Posten noch den eines Organisten des Königs für das vierte Quartal. Zusammen mit seinen drei Kollegen in der Königlichen Kapelle schaltete er sich in den endlosen Streit ein, den Clavecinisten und Organisten seit 1693 gegen die lärmende Zunft der Maîtres à danser führten. Als Sachverständiger war der Organist Lebègue, »le plus fameux de Paris en ce temps là«, sehr gesucht. Die Kathedralen von Bourges, Troyes, Blois, die Kollegiatkirche von St Quentin, die Kirchen St Séverin. St Etienne-du-Mont, St Jean-en- Grève, St Sauveur, St Louis des Invalides in Paris, St Pierre in Chartres, St Jean-des-Vignes in Soissons, das Kloster NotreDame à Montmartre und viele andere nahmen seine Kenntnisse und Erfahrungen in der Kunst des Orgelbaus in Anspruch. Er war auch ein hervorragender Lehrer und bildete zahlreiche Schüler heran, unter ihnen N. de Grigny (später Org. an der Kathedrale Reims), F. Dagincourt (Kathedrale Rouen), Gabriel Garnier (St Louis des Invalides in Paris), Nicolas Geoffroy (St Nicolas du Chardonnet in Paris, später an der Kathedrale zu Perpignan). Schwere Sorgen verdüsterten das Ende seines Lebens. 1691 wurde er das Opfer eines Schwindlers, dem er den größten Teil seiner Ersparnisse (4000 Pfund) anvertraut hatte. Er geriet in finanzielle Schwierigkeiten und mußte zwei Zimmer seines Hauses in der Rue Simon Le Franc vermieten. Hinzu kamen die Kopfsteuer (1695) und die städtischen Anleihen, die zu zeichnen er wahrscheinlich als Angestellter des königlichen Hauses verpflichtet war. Auch war seine Gesundheit angegriffen. Mit 69 Jahren (Okt. 1699) mußte er sich einer Steinoperation unterziehen, von der er sich jedoch schnell erholte und nach der er seine verschiedenen Tätigkeiten wieder aufnahm, allerdings nicht mehr für lange. Er starb vier Tage nach der Abfassung seines Testaments. Seine Zeitgenossen trauerten um einen blendenden Virtuosen, aber nicht minder um einen frommen, edlen, loyalen und gewissenhaften Menschen, der sein Leben lang mit Hingabe der Kunst und der Religion gedient hatte.
Das Klavier-Werk Lebègues umfaßt elf Suiten. Den verschiedenen in einer Tonart gruppierten Tänzen geht in dem ersten Buch ein Präludium in der Art Louis Couperins voraus, eine echte Improvisation, die dem Interpreten volle Freiheit läßt. Unter diesen Stücken ist die »Chacone grave« (Suite G, 2. Buch) bemerkenswert. Lebègue benutzt hier für seine Zeit äußerst kühne Chromatismen. Großartigkeit der Anlage und Vertiefung des Ausdrucks wetteifern in diesem Stück.
Selbständiger ist sein Beitrag zur Orgelliteratur. Seine erste Slg., die fortschrittlichste, enthält 75 Versetten in den acht Kirchentönen. Diese Versetten wenden damals noch neue Formen an: Duo, Trio für drei Man., c.f. im D., c.f. im A. etc. Es ist ein Buch der hohen Virtuosität, geschrieben »pour les Sçavans«. Das Pedal ist hier so obligat behandelt, daß die Legende entstehen konnte, diese Stücke seien nur mit drei Händen auszuführen: ein Schüler oder Freund müsse den Bass auf einem Manual spielen. In dem zweiten Buch, bestimmt für »ceux qui n’ont qu’une Science mediocre«, verzichtet Lebègue auf »ce grand feu qui accompagne dordinaire son Jeu«. Die Messensätze und die acht Magnificat können ohne Pedal ausgeführt werden. Die musikalische Sprache ist hier weniger kühn, aber auch weniger persönlich. Das dritte Buch hat in dem Repertoire der franzischen Orgelmusik kein Gegenstück. Es enthält zehn Offertorien (das 9. über das »Stabat«, das 10. über »O Filii«), vier Sinfonien, neun variierte Weihnachtslieder, ein tonmalerisches Stück »Les Cloches« und acht Elevationen. Jedoch steht diese Sammlung, insbesondere die Offertorien, musikalsich weit tiefer als die beiden ersten. Aus ihrer Eintönigkeit ragen die neun Weihnachtslieder, die zu den schönsten ihrer Gattung zählen, und die vier Sinfonien hervor, zweiteilige Stücke mit Reprise. In ihnen ist der feierliche und pompöse Stil Lullys auf die Orgel übertragen worden.

Werke: Zwei Bücher »Pièces de clavecin«, Paris 1677-1687; drei »Livres d’orgue«, Paris 1676, um 1678/79 u. um 1685, v. dem ersten Buch existiert eine hs. Kopie (Bibl. Tours), die zahlreiche Varianten enthält; einige Orgelstücke in einem v. 1688 datierten Ms., das Sébastien de Brossard gehörte (BN Paris); Hymne pour la Purification (in greg. Gsg.) auf einen Text v.J.B. Santeul in Himni sacri novi, autore Santalio Victorino, Paris 1698; Mot. f. 1 St. u. Bc., Paris 1678(?); Vespern f. zwei Chöre; die beiden letzten Werke sind verschollen.

Literatur: N. Dufourcq, La vie mus. en France au siècle de Louis XIV: Nicolas Lebègue, Paris 1954, A.u.J. Picard & Co.

Ausgaben: Die beiden Bücher »Pièces de clavecin«, hrsg. v.N. Dufourcq, Monaco 1956, L’Oiseau-lyre; die drei »Livres d’orgue« u. das Ms. m. Orgelstücken in A. Guilmant, Archives des Maîtres de l’orgue IX, Mainz 1909, Schott.

Jean Bonflis
Übersetzer: Anna Frese
[Lebègue, Nicolas. Musik in Geschichte und Gegenwart, Band 08, S. 406-409]

Siehe auch die beiden Abschnitte über Sammlungen von Weihnachtsversen (Noëls) und Die französische Orgeltradition im Blogbeitrag Louis-Claude Daquin: Livre de Noëls (Weihnachtsliederbuch)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

acht + 1 =