Dieterich Buxtehude: Passacaglia d-moll BuxWV 161
eingespielt mit Samples der Riegerorgel des Konzerthauses Wien (Vienna Konzerthaus Organ).
Die Zahlenmystik der Passacaglia d-moll
Die Passacaglia gehört zu den Formen, die die Wiederkehr des immer Gleichen eindrücklich erleben lassen. Über einer festen Linie im Bass erklingen mehrere Variationen.
In Hermann Hesses Demian (6.Kapitel) hilft die Passacaglia der menschlichen Selbstentwicklung auf: „Wenn ich bedrückt war, dann bat ich Pistorius, er möge mir die Passacaglia des alten Buxtehude spielen. In der abendlichen, dunklen Kirche saß ich dann verloren an diese seltsame, innige, in sich selbst versenkte, sich selber belauschende Musik, die mir jedesmal wohl tat und mich bereiter machte, den Stimmen der Seele recht zu geben.“
Zum geistigen Umfeld, in dem Buxtehude, Bach u.a. musizierten: Buxtehude war sehr eng befreundet mit dem Halberstädter Organisten Andreas Werckmeister (einem der letzten Vertreter einer bis zur Antike reichenden Denktradition, die Philosophie, Musiktheorie und Theologie verbindet). Für seine „harmonologia musica“ schrieb er u.a. folgendes Lobgedicht:
A. Werckmeister entwickelte in der „Orgelprobe“ neue Stimmungen für Musikinstrumente (bis heute sind sie z.B. für die Stimmung von Orgeln wichtig). Auf die Idee brachte ihn u.a. diese Abbildung, die Stimmungen und das Planetensystem zusammendachten:
In der harmonologia musica heißt es: „Da wir nun die Harmonien des Himmels mit leibl. Ohren nicht hören können/ so wissen wir doch durch unsere musicalischen proportiones wie die harmonia der himml. Corporum beschaffen und durch den allweisen Schöpfer geordnet sey/ weyl sie eben in denen musicalischen proportionibus bestehet/ un wissen daher etlicher maßen/ wie die Welt gemacht ist/…. Ist nun die große Welt Macrocosmus also beschaffen/ so muss der Mensch als Microcosmus auch eine Verwandtschaft mit derselben haben.“ In dieser Tradition wurden vielfältige Bezüge bedacht, für die eine 4er Ordnung wichtig war (4 Elemente, Temperamente, Jahreszeiten, Himmelsrichtungen, Evangelien, usw.). Ein anderer Aspekt: Für Buxtehude, wie für Bach war die Zahlensymbolik wichtig. Ob alles, dabei, was ich als Hörer wahrnehme, vom Komponisten gewollt war, ist eine nachrangige Frage. Ich will das Kunstwerk verstehen. Was dem Künstler bewusst war und was nicht, wissen wir nicht. (Erhellendes Beispiel: z.B. erkennt Ernst Barlach erst bei der Abnahme der Formen, dass sein Güstrower Engel das Gesicht von Käthe Kollwitz trägt: „In den Engel ist mir das Gesicht von Käthe Kollwitz hineingekommen, ohne dass ich es mir vorgenommen hatte. Hätte ich sowas gewollt, wäre es mir wahrscheinlich missglückt“
Angeregt durch Form und Grundstruktur der Passacaglia lassen sich Bezüge zu einem wichtigen „wissenschaftlichen Kirchenmöbel“ mit fast sakralem Charakter ziehen, der großen astronomischen Uhr in St. Marien.
Die Konstrukteure setzten sich bewusst über das 1277 erlassene kirchl. Astrologieverbot hinweg. Die Uhr zeigte als einzige die Stellung der Planeten, so dass schnell ein Horoskop errechnet werden konnte. Die astrologischen Einwirkungen auf das Leben sollten sichtbar gemacht werden, gleichzeitig Kunstfertigkeit, Reichtum und Macht, die aber letztlich sich vor Christus beugt. (Werckmeister, „harmonologia“: Die Sterne regieren den Menschen, aber Christus lenkt die Sterne). Die Uhr war eine „Rauminszenierung“: Standort im Chorumgang, von der Uhr aus wurden Glocken im Turm, an der Orgel, Ziffernblatt über dem Altar, das Glockenspiel im Dachreiter und die komplizierte Mechanik der Uhr gesteuert.
Stellt man sich den Formverlauf der Passacaglia als Kreis vor (das Wiederkehrende), und unterteilt ihn in vier gleiche Teile, ergibt sich das Radkreuz als altes Symbol für die Herrschaft Christi. Das Kreuzessymbol kann man in die ersten 4 Töne des Themas einzeichnen. Lässt man sich hineinnehmen in die Deutungskreise und Zuordnungen z.B. der Denktraditionen des Buxtehude-Freundes Werckmeister, kann man andere Verbindungslinien ziehen, die aber rational kaum begründet werden können. Teil 1: Melancholiker, Teil 2: Phlegmatiker (Wiederholungen im Sopran?) Teil 3: Choleriker ( Akkorde, Rhythmik) Teil 4: Sanguiniker, Triolen, Duolen könnte man mit dem sprunghaften sanguinischen Temperament assoziieren. In der Passacaglia klingen Makrokosmos (Welt und Zeit) und Mikrokosmos (4 Temperamente) zusammen: Isidor von Sevilla: „Die Welt ist das All insgesamt. Sie besteht aus Himmel und Erde. Im übernatürlichen Sinn aber wird die Welt …als Mensch bezeichnet: Denn wie sie aus vier Elementen zusammengewachsen ist, so besteht er aus vier Säften (Temperamenten), und zwar in einem bestimmten gemischten Verhältnis. Deshalb haben die Alten den Menschen in einem Zusammenhang mit dem Bau der Welt gestellt, da ja auf Griechisch die Welt Kosmos, der Mensch aber Mikrokosmos, das heißt, kleinere Welt genannt wird.“
Thema der Passacaglia (im Bass):
Das Thema in 7 Tönen, 4 Takten, in die ersten 4 Töne lässt sich ein Kreuz einzeichnen.
4*7 = 28 mal das Thema (28= Sonnenzirkel, perfekte Zahl („perfekte“ Zahlen: wenn man die Teiler zusammenrechnet, ergibt sich wieder die Zahl, z.B. bei 6 oder 28)
Form der Passacaglia: ursprünglich ein spanischer Volkstanz, kam sie im 16. Jahrhundert nach Frankreich, Italien. Man nimmt an, dass Johann Sebastian Bach seine berühmte Passacaglia für die Orgel geschrieben hat, nachdem er zu Orgelstudien Buxtehude in Lübeck aufgesucht hatte. Bachs crucifixus in der h-moll Messe ist im Grunde auch eine Passacaglia. Der spätere Marienorganist Hugo Distier empfand den Lübecker Totentanz in St. Marien als „passacaglia“ und ließ sich davon anregen für seine Totentanz-Komposition.
„Glockenschläge“ (im 4. Teil):
49 (7*7; 7 Schöpfungstage, 7 Planeten damals) Glockenschläge insgesamt. Assoziation?: 11 (Uhr?)/ Dann die von der Bevölkerung ( oft eine beträchtliche Menge Menschen) erwartete und bestaunte Inszenierung um 12.Uhr: 14 Schläge: es spielt das 14-teilige Glockenspiel / 12 Schläge der Stundenglocke, die zur Zeit Buxtehudes in unmittelbarer Nähe der Großen Orgel hing/ 12 Schläge: in der astronomischen Uhr selbst.
Beobachtung | Assoziation, Deutungsmöglichkeit | Bezug zur astronomischen Uhr |
Form: Passacaglia | Wiederkehr des immer gleichen Fundaments, auch wenn vordergründig immer etwas Neues gehört wird. | In allen Wechselfällen des Lebens und der Zeit die Grund-Ordnung u. Treue Gottes hören. |
4 Teile | 4 – für die Schöpfung: Jahreszeiten, Himmelsrichtungen, Elemente, Temperamente; für Erlösung, Vollendung: Evangelisten, Paradiesflüsse, Enden des Kreuzes, quadrat. Grundriss des himml. Jerusalems , 4 Buchstaben hat der Gottesname | 4 Evangelisten in der Kalenderscheibe, 4 Weltweise im Planetenwerk, 4 Jahreszeiten, im Planetenwerk, 4 Himmelsrichtungen |
Thema 4 Takte, 7 Töne; Je 7 Variationen 12 Halbe |
Zu 4: s.o. ; 7 :Tage der Schöpfung, , ewige Ruhe, Geistesgaben, 7 Todsünden siebenfältige Gnade, 7 Hörner des Lammes(Offenbarung) 12 Stämme Israels, 12 Perlen an den Toren des himml. Jerusalems / 3*4 = Glaube an dreieinig.Gott in alle 4 Himmelsrichtungen |
7 Tage, 7 Planeten auf der Uhr (vgl. 7 „Planetensuiten“ Buxtehudes!); 7 Glocken im Glockenspiel 12 Tierkreiszeichen 12 Monate |
28 Takte hat jeder Teil
Mit 49 Tönen
Zu den 49 Tönen im Pedal jeweils ein 50. Ton der Zwischenkadenz |
4*7; aber auch „perfekte Zahl“; die Teiler ergeben in der Summe wieder 28. 28 Jahre im Sonnenzirkel 49:7*7 84: viele Assoziationen u.a.:7*12; 3*28; 14*6; Dieselben Zahlen (84,49) in Bachs h-moll Messe; das patrem omnipotentem. Hier steht die Zahl 84 im Autograph, 84x erklingt Patrem omnipotentem , der allmächtige Gott, und 49x ( 7×7 ) das Wort Credo. 50:Jubeljahr(Frieden); ewige Ruhe 7(Schöpfungstage(*7 (Gaben des Geistes)+1(Einheit mit Gott); Geist empfangen Jünger 50 Tage nach Auferstehung; |
Die Sonnenzirkel astronomischer Uhren umfassen einen Zeitraum von 28 Jahren. Der Stundenregentschaftszirkel hat 28 Sektoren, deren Sektoren mit den Namen der 7 Wandelsterne ( Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn, Sonne, Mond) gekennzeichnet sind. |
27 Halbe in den Übergängen
6 Halbe Anfang und Schluss |
27: 3*3*3; Beda: stabilitas (Würfel)! 27 Bücher des Neuen Testaments; Buchstaben:DML( Dr.Martin Luther); am 27.Tag läuft die Arche auf Grund (Rettung) 6:perfekte Zahl( durch 3,2,1, teilbar;3+2+1=6) 33: Lebensjahre Jesu |
Mondzeiger nach 27 ½ Tagen im gleichen Tierkreisbild. 6: perfekte Zahl/ 6armiges Christuszeichen: Christus auf der astronomischen Uhr, |
49 (7*7) Oktavschläge im 4. Teil | 1.Gruppe: 11 Schläge : Zahl der Sünde/ 2. Gruppe 14 ( Nothelfer)/ 3. Gruppe: 12 ( s.o.) 4. Gruppe: 12 49 Schläge:7*7: Vor den kleinen Portalen im oberen Bereich der alten astron. Uhr sind sieben Figuren: Sonne, Mond und 5 Planeten. Nach dem Glockenspiel um 12.00 das Schauspiel, das die Leute bewegte. Der Kaiser und danach 7 Kurfürsten ( der Volksmund nennt sie „Apostel“) bewegen sich im oberen Teil und beugen sich vor dem segnenden Christus |
Glockenschläge der astronomischen Uhr 1. 11 Schläge 2. Um 12 spielt das 14 teilige Glockenspiel 3. Dann 12 Schläge d. Stun= denglocke (die Glocke hing zu Buxtehudes Zeit an der Orgel!) 4.) 12 Schläge in der Uhr Dann bewegen sich die 7 Kurfürsten und beugen sich vor Christus |
Im 4. Teil: 13 Takte mit 39 Triolenbewegungen | 13: Jesus und die Jünger; 39: 3*13; | In der Berechnung d. Mondzirkels: 13 Grad wandert der Mond pro Tag nach Osten |
369 „Halbe“ | 369 ist die Zahl des magischen Mond- Quadrats (Zahlenquadrat, in dem die Summe der Waagerechten, Senkrechten und Diagonalen immer denselben Wert ergeben), Sigillum Lunae ( in der Zahlenmystik damals sehr verbreitet (Agrippa v. Nettesheim, Kircher). Athanasius Kircher ordnet 1665 die magischen Quadrate den Planeten zu. | Die 7. Kreisreihe : Mondenzirkel. Im Kurfürstenwerk per= sonifizieren 7 Figuren die Planeten: Apollo die Sonne, Diana den Mond. In der Mitte des alten Lettners stand Maria auf der Mondsichel vor dem Sonnengesicht |
Quelle: http://www.st-lamberti-hildesheim.de/media/Predigten%20pdf/Dietrich%20Buxtehude%20Passacaglia.pdf
siehe auch meinen Blogbeitrag Buxtehude: Passacaglia d-moll BuxWV 161