Moments musicaux

Dieses zweite (As-Dur, Andantino, ABA) ist durch starke Gefühlsausbrüche geprägt. Ein sich weich wiegender Rhythmus und klangliche Wärme erzeugen im A-Teil pastorale Stimmung. Das ziellose Pendelmotiv ist das Motiv des verlorenen Wanderers, das einen Großteil der Werke Schuberts prägt. Von persönlichem Schmerz kündet der sangliche fis-Moll-Mittelteil. Fis-Moll ist die Todestonart der Romantik. Die schmerzvolle Stimmung steigert sich dramatisch bis zum Ende des Abschnitts.

Seine Finger gleiten über die Tasten. Draußen heult der Brandenburger Herbstwind. Schuberts «Moments musicaux» passen wunderbar zu dieser Stimmung. Er hat die Stücke immer geliebt, wird ihnen aber dem eigenen Empfinden nach selten gerecht. Auch heute nicht. Frustriert steht er vom Flügel auf und erinnert sich spontan an ein Zitat des großen Pianisten Alfred Brendel, das er unlängst in einer Fachzeitschrift gelesen hat: «Musik kann dramatisch sein und lyrisch. Bei einer guten Komposition ist immer auch der Verstand da. Der Verstand ist der Filter», hat Brendel gesagt. «Aber stimmt das eigentlich?», denkt Axel und schaut nachdenklich aus dem Fenster. Seine Freundin kommt aus der Bibliothek. «Woran denkst du gerade, Axel?» «Ach, weißt du, Liebes, ich dachte nur, dass die Musik vielleicht die einzige Kunstform ist, die sich der Analyse entzieht. Die sich etwas zutiefst Mysteriöses bewahrt.» Plötzlich hat er eine fabelhafte Idee für ein neues Gedicht. Doch das muss warten. Er hat ja heute noch diesen unseligen Termin. Eine Stunde später trägt er eine Mütze mit der Aufschrift «Fackelmann» und sitzt vor einer grünen Wand im Studio der «ultimativen Chartshow». Jemand ruft: «Und bitte!» Axel schaut in die Kamera und sagt: «Jut, die ham nich selber jesungen! Aber weeßte was: Ick fand Boney M. trotzdem knorke!» Dann bittet ihn der Regisseur, den Refrain von «Daddy Cool» laut mitzusingen. Wie es in ihm drin aussieht, wird nie jemand erfahren.

AXEL SCHULZ: Der Fackelmann
aus:
Oliver Welke · Dietmar Wischmeyer
Frank Bsirske macht Urlaub auf Krk
Deutsche Helden privat

Wie das Bachsche Präludium c-Moll BWV 847 beginnt das vierte Moment musicaux (cis-moll, Moderato) mit seinen fortlaufenden 16tel-Figuren (Schubert hatte 1824 das »Wohltemperierte Klavier« kennengelernt!). Der stille Mittelabschnitt in Des-Dur schwelgt in Terzen und Sexten — eine Musik von unvergleichlicher Schönheit!

Franz Schubert, ein geringerer Artist als die andern großen Musiker, hatte doch von allen den größten Erbreichtum an Musik. Er verschwendete ihn mit voller Hand und aus gütigem Herzen: so daß die Musiker noch ein paar Jahrhunderte an seinen Gedanken und Einfällen zu zehren haben werden. In seinen Werken haben wir einen Schatz von unverbrauchten Erfindungen; andere werden ihre Größe im Verbrauchen haben. – Dürfte man Beethoven den idealen Zuhörer eines Spielmannes nennen, so hätte Schubert darauf ein Anrecht, selber der ideale Spielmann zu heißen.

Friedrich Nietzsche: Werke und Briefe:
Zweiter Band. Friedrich Nietzsche: Werke, S. 5179
(vgl. Nietzsche-W Bd. 1, S. 936) (c) C. Hanser Verlag

Monotonie und Verlorensein strahlt das sechste und letzte Stück des Zyklus (As-Dur, Allegretto) aus. Mit dem ungemein sensiblen Allegretto (As-Dur, 3/4) schließen die „Moments musicaux“ gleichsam fragend ab, denn unablässig gleiten die Klänge ineinander, weichen aus und finden sich doch nur scheinbar wieder, wieder erinnert dies an die Wanderer-Metapher. Die Pendelmotive und das immer wieder in sich zusammenbrechende As-Dur, oft direkt zugunsten der Parallele f-Moll strahlen eine tiefe Hoffnungs- und Ziellosigkeit aus.

Keiner, der den Schmerz des anderen, und keiner, der die Freude des anderen versteht! Man glaubt immer, zueinander zu gehen, und man geht immer nur nebeneinander. O Qual für den, der dies erkennt.
Meine Erzeugnisse sind durch den Verstand für Musik und durch meinen Schmerz vorhanden, jene, welche der Schmerz alleine erzeugt hat, scheinen am wenigsten die Welt zu erfreuen.

Aus einem Tagebuch Schuberts, 27. März 1824

Im Spätsommer 1824 komponierte Schubert auf dem Landgut der Familie Esterhazy im Königreich Ungarn diese kurze melancholische Ungarische Melodie D 817

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

1 × eins =