Das Obere Schloss
Inhaltsverzeichnis
Ein Schloss – wozu?
Das Obere Schloss war repräsentativer Wohnsitz der Boineburgs, dies hier ist seine Entstehungsgeschichte. Leider ist es nun in einem Zustand, der eine Nutzung der ganzen oberen Etage und einiger anderer Gebäudeteile nicht zulässt. Eine Sanierung mit sinnvollem Nutzungskonzept zum Wohl des Gebäudes und des Dorfes wären dringend notwendig.
Die 650-Jahr-Feier des Dorfes hat gezeigt, welches Kleinod die Gemeinde mit Schloss und Park übernommen hat, wo hätte das Mittelalter-Spektakel stilgerechter stattfinden können, als im Park und am Schloss? Gerade diese Örtlichkeiten haben wesentlich zum Gelingen des Festes beigetragen.
Mag das Schloss auch zum Nutzen der gräflichen Familie mit dem Schweiß der Einwohner getränkt sein, wer außer den Boineburgs wäre in Gehaus auf die Idee gekommen diesen Luxus zu schaffen – doch ist Kunst vom rationalen Standpunkt des nackten Überlebens nicht immer Luxus? Wenn sich der Mensch an Kunst erfreut, so ist auch dies Ausdruck jener Bibelweisheit: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Er braucht den Glauben an den höheren Zweck seines Daseins, sonst wäre alles Brotessen vergebens – seine Seele litte Hunger! Vielleicht ist der Gehauser ja tatsächlich toleranter und aufgeklärter als seine Nachbarn geworden und wenn es so sein sollte – mir will es so scheinen – dann war das auch dem Einwirken der Boineburgs geschuldet, die hier Juden und Zigeuner siedeln ließen und die den Gehausern zeigten, dass es außer Mühe und Arbeit noch einen anderen Lebenszweck geben muss, selbst wenn sie nur die Sehnsucht danach weckten, ohne sie zu befriedigen.
Désirée Boyneburg hat in ihrer „Familienchronik des Hauses Boyneburg“ als wesentlichen Antrieb für ihre Mühen das Goethezitat „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen“ herangezogen. Das Dorf Gehaus hat von seinen und den Vätern der Boinburgs dieses Kleinod übernommen. Gehaus wird dieses „ererbte“ Schloss nur besitzen, wenn es ihm der Mühen des Erhaltens durch eine sinnvolle Nutzung wert ist.
Mögliche Nutzungen dieses Schlosses schlägt Dr. Goetz Boyneburg in dem Video unten vor, die natürlich nur in Übereinstimmung mit dem Willen der Gehauser zu realisieren sind:
Egal – ein Schloss muss her
Das Baumaterial, aus dem es errichtet wird, ist der in mühseliger Steinmetzarbeit hergerichtete Sandstein, den man als Natursandstein der unmittelbaren Umgebung entnimmt.
In der Jahreszahl 1716, im hessischen Löwenwappen an der Ostseite des Treppenturms angebracht, ist mit einiger Sicherheit der Zeitpunkt der Fertigstellung des Schlossbaues verewigt. Der auf der Parkseite (in Verlängerung der Turnhalle) an der untersten Ecke, etwa in halber Höhe des Mauerwerks eingelassene Wappenstein (Doppelwappen) mit der Jahreszahl 1711 dürfte dagegen den Zeitpunkt des Baubeginns festhalten. Diese Annahme scheint gerechtfertigt, da Wirtschafts- und Schlossgebäude mit hoher Wahrscheinlichkeit gleichzeitig erbaut worden sind.
Ohne den urkundlichen Nachweis dafür zu besitzen, wird ein Eduard von Boineburg, Angehöriger eines 1785 ausgestorbenen Zweiges der Adelsfamilie, als Bauherr genannt.
Das Schloss selbst ist ein beeindruckendes Bauwerk und in seiner architektonischen Gestaltung Ausdruck herrschaftlicher Repräsentation.
Der gärtnerisch gestaltete Vorhof, vor dem Portal die breite Auffahrt mit ihren beiden Kandelabern (Standleuchten), schmiedeeisernes Gitterwerk sowie sandsteinerner Schmuck an Treppen, Toren und Türen, alles eingebettet in eine romantische Baumlandschaft, da möchte man Knips schon zustimmen, wenn er schreibt: „vom Stil her kann das Schloss besten Residenzen nicht nachgesetzt werden. Seine Keller und Souterrains sind so groß und im Winter dergestalt warm, dass darin Rosen erblühen und Orangerie und Pflanzen besser als in einem Treibhaus fortkommen.“ Es ist da selbstverständlich, dass die Kellerräume auch für die Überwinterung von Pflanzen und Sträuchern aus dem Park genutzt werden.
1864 wird der Schlossbau durch den mit einem Dachreiter versehenen Treppenturm architektonisch ergänzt, mit dem Wappen der Boineburgs über dem Hauptportal und, wie oben erwähnt, mit dem hessischen Landeswappen an dessen Ostseite. Die im Glockenturm befindliche Glocke erhält später ihren Platz in dem kleinen Turmbau der Parkkapelle.
Innenausstattung
Die künstlerisch bemerkenswerte Innenausstattung des Schlosses ist klassizistisch geprägt, einer Kunstrichtung um 1800. Die Räume im Obergeschoß, reich verziert mit Stuckornamenten, sind saalartig ausgebaut, geschmückt mit Wandmalereien, zahlreichen Medaillons, gobelinartig auf Leinwand gemalten Bildern sowie Gemälden des 17. und 18.Jahrhunderts. Kostbare Teppiche, Stilmöbel, wertvolle Porzellane, geschliffenes Glas und Fayencen (weiß glasierte, bemalte Töpferware) gehören dazu. Man muss es schon bedauern, dass dieser nicht zuletzt auch von den Gehausern geschaffene und bezahlte Reichtum 1945 im Strudel des Zusammenbruchs unkontrolliert untergeht.
Die untere Etage des Schlosses beherbergt das Jagdzimmer, die mit Schriftwerk voll gestopfte Bibliothek sowie die Wirtschafts- und Gesinderäume.
Die breite sandsteinerne Treppe sowie großräumig gestaltete Dielen und Flure verbinden die beiden Stockwerke miteinander.
Das Schloss nach 1945
Wie wir wissen, ist das Schloss mit dem Schmuck seines Mansardendaches nach 1945 für einige Monate Domizil amerikanischer und sowjetischer Soldaten, bevor die zahlreichen Umsiedlerfamilien hier einziehen und für lange Zeit ihr erstes und notdürftiges Zuhause darin finden.
19.. werden das Schloss mit dem Einbau einer Klärgrube (an der zum Park hin gelegenen Seite) an die zentrale Abwasserkanalisation angeschlossen, 1989 die aus Sandstein bestehende alte Stützmauer an der Schlossauffahrt durch eine Betonmauer sowie am vorderen Zugang zum Schlosspark das alte, ehemals dort vorhandene Tor durch ein neues schmiedeeisernes Tor ersetzt.
Vom Duft herzhafter Landluft sichtlich unberührt, lassen die Schlossherren unmittelbar vor ihrer Haustür den Gutshof mit seinen Stall- und Wirtschaftsgebäuden (und eben auch mit den dafür unverzichtbaren Dung- und Jauchestätten) entstehen.
Zur Parkseite hin sind es Pferdeställe, Unterkünfte für die herrschaftlichen Kutschen, sowie Waschküche und Geräteräume, die, wie wir wissen, zwischen ihre Jahrhunderte altem Mauerwerk heute eine moderne Sportstätte und Wohnraum beherbergen.
Dem ehemaligen Scheunenbau an der unteren Hofseite schließen sich entlang der Hohle, und von dieser durch eine Stützmauer getrennt, die bis in unsere Tage erhalten gebliebenen alten Ställe für Rinder, Schafe und Federvieh an, sowie, daran angebaut, die ehemalige Gesindewohnung und die alte Rentmeisterei. Hier lieferten die Gehauser ihre Lehns- und später ihre Pachtgelder ab.
Die im Rinderstall heute noch vorhandene Kopffütterung mit ihrer baulichen Einrichtung dürfte selbstredend erst zu einem späteren Zeitpunkt ihren Einzug in den Stall gehalten haben.
Ebenso wie die Dimensionen der unter dem Schloss befindlichen Kellerräume, so dürfte auch der unter dem Gesindehaus gelegene Gewölbekeller mit der fast 4 Meter hohen Decke und dem mächtigen Mauerwerk seinen Eindruck auf den Besucher nicht verfehlen. Damals ist der Keller Lager- und Vorratsraum für Kartoffeln und Rüben.
Zum Schloss gehört als Gemüse- und Obstlieferant die benachbarte, zur Straßenseite hin durch eine Sandsteinmauer umfriedete Gärtnerei. Erfreulicherweise eine noch heute produzierende Versorgungseinrichtung für uns Gehauser, damals allerdings noch ohne Gewächshaus und Folienzelte.
Noch immer umschließen die alten Stall- und Wirtschaftsgebäude mit ihrem z. T. zerfallenen Mauerwerk den ehemals großräumig angelegten, heute von den weit ausladenden Kronen der Kastanienbäume überschatteten Gutshof. Ein Stück Gehaus von gestern, im 20. Jahrhundert.
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