Orgelwerke von Juan Cabanilles (1644-1712)

Eine YouTube-Playlist meiner bisherigen Einspielung seiner Orgelwerke:

Juan Cabanilles: Opera omnia
herausgegeben 1929 Band I, 1933 Band II und 1936 Band III durch Institut d’Estudis Catalans:
Biblioteca de Catalunya, Barcelona.
In der Reihe:
Publicacions del Departament de Música VIII

Cabanilles, Juan (auch Cavanilles, Cabanillas, Cavanillas)

getauft 6. September 1644 in Algemesi (Valencia), † 20. April 1712. Über seinen Ausbildungsweg in Kindheit und Jugend ist nichts bekannt, wahrscheinlich war er Chorknabe an der Kathedrale zu Valencia, wo als Organist Jerónimo de la Torre und als Kapellmeister Urbán de Vargas amtierten. Am 15. Mai 1665 wurde Cabanilles nach dem Tod von de la Torre vom Domkapitel einstimmig zum ersten Organisten gewählt, obwohl er nicht geistlichen Standes war. Schon einen Monat später erhielt er die niederen Weihen und im September 1668 die Priesterweihe. Als Organist zog er begabte Schüler heran, von denen vielleicht am meisten durch seine Lehrtätigkeit und seine Werke José Elias bekannt wurde, Verfasser einer Schrift, die uns Aufschluß über einige Daten aus dem Leben Cabanilles‘ gibt. Durch Elias wissen wir, wie seine Befähigung vom Domkapitel anerkannt wurde und daß französische Kirchen ihn einige Male zum Spielen an hohen Feiertagen herangezogen hatten. H. Anglès suchte mit großer Zielstrebigkeit nach nachgelassenen Notizen über Cabanilles und seine Umgebung in der Kathedrale zu Valencia. Die Ausgaben seiner Werke, die auf Kosten der Nationalbibliothek Madrid von Anglès besorgt wird, trägt den Titel Musici organici Iohannis Cabanilles (1644-1712) opera omnia nunc primum in lucem edita cura et studio Higinii Angles, Pbri. Bis jetzt sind 3 Bände, 1927, 1933, 1936, erschienen. Die Einleitung zu dieser Ausgabe bringt uns wichtige Aufschlüsse über die Persönlichkeit des Meisters.

  • Werke: Messen sind verstreut in der Nationalbibl. Madrid, Bibl. Central u. Bibl. des Orfeó Catalá Barcelona, Bibliothek des Klosters Montserrat, Bibliothek des Escorial, Bibliothek des Barons von Vietinghoff Berlin, usw. Zur Veröffentlichung gelangten einige Stücke durch F. Pedrell u. die 3 Bde. hrsg. von Anglès, die 54 Tientos, Passacaglien, Gagliarden, Bataillen, Paseos, Diferencias, Toccaten, ein »pedazo de música«, eine »gaitilla« und eine »xacara« enthalten.
  • Literatur: Außer den erwähnten H. Anglès, Iohannis Cabanilles Opera omnia: M. Soriano Fuertes, Historia de la Musica España, III, 141 ff.; H. Eslava, Breve Memoria Histórica de los Organistas Españoles in Museo Organico Español, 8; B. Saldoni, Dicc. bio-bibliogr. de musicos esp. IV, 47; F. Pedrell, Dicc. bio-bibliogr. de musicos …, 240; ders., Antología de organistas españoles, I, 6.

José Subira
Deutsche Übersetzung: Christel Blume
[Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Cabanilles, Juan.
Musik in Geschichte und Gegenwart, S. 11046
(vgl. MGG Bd. 02, S. 595) (c) Bärenreiter-Verlag 1986]

Spanische Orgelmusik im 16. und 17. Jahrhundert.

Die spärlich überlieferten Fragmente spanischer Musik für Tasteninstrumente aus der Zeit um und nach 1500 ergeben kein einheitliches Bild. Orgelspiel und -komposition müssen bereits gegen Ende des 15. Jh. auf der Pyrenäen-Halbinsel auf beachtlicher Höhe gestanden haben. Den Bewerbern um eine Organisten-Stelle wurden bei ihrer Prüfung recht schwierige und vielseitige Proben ihres Könnens abverlangt. Ein Organist mußte nicht nur ein vortrefflicher Spieler und Improvisator, sondern ein ebenso qualifizierter Komponist und Lehrer sein. Aus der großen Zahl der Organisten dieser Zeit seien die folgenden genannt: Cristóbal Anuncibay, Alonso de Avila, Lope de Baena, Rodríguez de Brihuega, Alfonso und Fernando del Castillo, Alfonso Bermúdez de Portillo, García de Baeza, der Lehrer Cabezóns, und Martín de Salcedo, der erste spanische Organist Kaiser Karls V. Spanien, das unter dem Zepter der Katholischen Könige zu einem der mächtigsten Länder Europas geworden war, führte keinesfalls ein abseitiges kulturelles Dasein. Kaiser Karl V. und König Philipp II. pflegten in starkem Maße die von altersher bestehenden regen kulturellen Beziehungen zu Frankreich, den Niederlanden, England, den deutschen und italienischen Staaten und Städten und machten Spanien zum Brennpunkt ihrer auf ganz Europa gerichteten Politik. Die über die iberischen Häfen laufende Schifffahrt, welche die Nord- bzw. Ostseeländer mit Italien und dem gesamten Mittelmeergebiet verband, hat weitgehend dazu beigetragen, Spanien und Portugal in das vielmaschige Netz der gegenseitigen musikalischen Anregungen zu verstricken. Auf diesem Seeweg beruht denn auch die vielfach übersehene Tatsache, daß J. P. Sweelinck in stilistischer Hinsicht genau so viel, falls nicht sogar mehr mit den Spaniern Cabezón, Peraza, dem Portugiesen Rodrigues Coelho, den Neapolitanern Mayone und Trabaci gemein hat als mit den englischen Virginalisten und den venezianischen Organisten. Im Laufe des 16. und 17. Jh. besuchten ausländische Organisten die Iberische Halbinsel, spanische und portugisische die jenseits der Pyrenäen gelegenen Kulturzentren. Insbesondere hat die langjährige äußerst enge Verbindung Neapels, Siziliens und Sardiniens mit Spanien sehr tief auf die Orgelmusik eingewirkt. Die Betrachtung der süditalienische Literatur des 16. und 17. Jh. für Tasteninstrumente ist von der der spanischen nicht gänzlich zu trennen. Die vielseitigen Anregungen und Ausstrahlungen, welche die autochthone Vitalität der spanischen Orgelkunst während zweier Jh. in Atem hielten, haben ihr zur vollkommenen Blüte mitverholfen. –
Die Geschichte der spanischen Orgelmusik des 16. und 17. Jh. kann, großzügig gesprochen, in drei Epochen unterteilt werden, die jeweils von einer kleinen Gruppe besonders hervorragender Persönlichkeiten beherrscht werden. Die Betrachtung der portug. Orgelmusik jener Zeit läßt sich von der der spanischen nicht loslösen; beide haben sehr viel gemeinsam. Da in Spanien und Portugal der Notendruck, insbesondere der von Orgelpartituren oder Orgeltabulaturen italischer Art, sich nur sehr langsam entwickelte und selbst die Herstellung von Zifferntabulaturen spanischen Stils ein kostspieliges und kompliziertes Unterfangen war, verblieb der weitaus größte Teil der iberischen Orgelkompositionen in handschriftlichen Aufzeichnungen, die früher oder später allerlei Unbill zum Opfer gefallen sind. Nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der iberischen Orgelmusik ist in Handschriften und Drucken überliefert geblieben. – Die erste Epoche, die sich von etwa 1520 bis 1580 erstreckt, wird beherrscht von Meistern wie A. und J. de Cabezón, Antonio Carreira, M. Fuenllana, L. Venegas de Henestrosa, T. de Santa Maria, A. Mudarra, D. Ortiz, F. Salinas, F. de Soto, Pedro Alberch y Vila und Antonio Gómez de Yepes, zu denen auch die in Neapel wirkenden A. Valente, R. Rodio und Pieter van Dalem gezählt werden dürfen. Alle diese bemühten sich, die Vokalpolyphonie des Josquin Desprez den Tasteninstrumente anzupassen. Hiermit entstand eine sehr korrekte, ausgewogene klavieristische Setzart, die ihre Herkunft vom vokalen Vorbild kaum verleugnet. Eine andere Gruppe, deren Hauptvertreter J. Bermudo und Francisco Fernández Palero sind, schöpfte weniger aus dem streng kompositorischen Stimmengefüge und dem »reinen« Satz als aus den klanglichen Gegebenheiten der Tasteninstrumente und deren Griffweise. Diese Art des Satzes weist gewisse Ähnlichkeiten mit der der englischen Tudor-Orgel auf. Beiden iberischen Richtungen stand eine reiche Auswahl von Spielfiguren zu Gebote, die jedoch weniger der Zurschaustellung von technischer Bravour als dem musikalischen Ausdruck dienten. Fast durchweg stellten die Komponisten es den Spielern anheim, den Notentext durch zusätzliche »glosas« und Verzierungen zu bereichern. Die schöpferische Mitwirkung des Interpreten ist bei dieser Musik auch unerläßlich. Hierfür sind besonders die Traktate von Bermudo und Santa Maria aufschlußreich. Nur wo sie mit der ihr gebührenden Ornamentik versehen ist, darf die iberische Klavier-Technik derjenigen anderer Schulen zum Vergleich gegenübergestellt werden. An musikalischen Formen pflegten die spanischen und portugiesischen Organisten hauptsächlich das »Absetzen« geistlicher oder weltlicher Vokalmusik, das mitunter zu sehr kühnen Um- bzw. Neuformungen oder Parodien der Vorlagen führte. Versetten und Hymnen wurden im strengen cantus planus-Satz oder als Choralmotetten behandelt. Variationen (»diferencias«) in verschiedener und bereits hoch entwickelter Art über Lieder und Tänze beruhen teilweise auf Ostinatobässen. An der Fantasia und dem Tiento, den iberischen Arten des ein- oder mehrthemigen Imitationsricercars, konnten Komponist und Spieler ihr gesamtes Können entfalten. Die Werke dieser Altersschicht besitzen ausnahmslos wohlproportionierte Formen, die weder übergroße Längen noch den bloßen Leerlauf auf der Klaviatur kennen. Die Ausdruckskraft dieser Musik entspringt z.T. einer sehr gewählten, verfeinerten, mit Chromatik und Dissonanzenbildungen durchsetzten Harmonik, zu der wahrscheinlich die Beschaffenheit der damaligen iberischen Orgeln und Klavichorde beigetragen hat und ferner der Umstand, daß viel von dieser Musik meist in kleineren Räumen zu erklingen hatte. –
Die zweite Epoche, von ungefähr 1580 bis 1640, bestimmen u.a. Diego de Alvarado, Pedro de Araújo, F. Correa de Arauxo, H. de Cabezón, B. Clavijo del Castillo, M. Rodrígues Coelho, A. da Cruz, Sebastián Aguilera de Heredia, Estacio de Lacerna, J. und F. Peraza und Lucas Puxol. Der Klavier-Satz wurde durch neue, auch in England, den Niederlanden und Süditalien bekannte Spielfiguren bereichert. Angeregt von der »seconda pratica« und dem »stile nuovo«, wurde die Harmonik durch den systematischen Einschluß der »falsas«, des spanischen Gegenstücks zu den italienischen »durezze e legature«, erweitert. Gleichzeitig vermehrten die Orgelbauer die Ausdrucksmöglichkeiten der Orgeln. Neue Zungenregister, die sich zur Hervorhebung einer Solostimmen eigneten, sowie die Manual- bzw. Registerteilung zwischen c‘ und cis‘ wurden eingeführt. Auf dieser Grundlage schufen die Brüder Peraza und andere kastilische Organisten ihre »Tientos de medio registro«. Die Pflege dieser »Tientos mit geteilten Registern« verbreitete sich sehr schnell über ganz Spanien; dank des ihnen innewohnenden Prinzips der kontrastierenden Klangfarben wuchsen sie zu einer der beliebtesten Gattungen heran. Portugal schloß sich der »Medio Registro«- Mode zögernd an. Ähnlich den in Neapel tätigen J. de Macque, A. Mayone, G. D. Montella, S. Stella und G. M. Trabaci gaben die iberischen Meister, allen voran F. Correa de Arauxo, auf dem Gebiet der Harmonik und der Rhythmik vielen barocken Manieren Raum. Die schon bei R. Rodio stark ausgebildete Vorliebe für gesuchte Stimmkreuzungen, die das Spiel wesentlich erschweren, dürften Correa de Arauxo und andere span. Barockmeister aus Süditalien übernommen haben. Das »Glossieren« vokaler Vorlagen wurde in der Mitte des 17. Jh. nicht mehr geübt; die Diferencias blühten weiter. Die Tientos, ein praktischer Sammelname für nicht immer genau einzuordnende Spielstücke im Imitationsstil, können entweder reine ein- oder mehrthemige Ricercari sein oder enthalten allerlei der Canzona, dem Capriccio oder der Toccata entlehnte Elemente. Die wohlproportionierte, beispielhaft konzentrierte und knappe Form des Tiento aus der Cabezón-Epoche wurde weiter ausladenden Bauprinzipien geopfert, die oftmals die musikalische Substanz verdünnen und zu gefährlichen Längen führen. Aus der Desintegration der Erhabenheit und des lauteren Ernstes in der Musik, die Kaiser Karl V. und König Philipp II. am Herzen gelegen hatten, bildete sich ein neuer, höchst charakteristischer, typisch iberischer Orgelstil, der einmalig in der gesamten Geschichte der Musik dasteht. –
Die dritte Epoche, um 1640-1720, wurde von J. Cabanilles angeführt, um den sich Meister wie Juan Baseya, Pablo Bruna, F. Antonio Martin Coll, Diogo da Conceição, Diego Diaz, Miguel López, Gabriel Menalt, Bartolomeo Olague, Joaquin Martínez Oxinagas, André de Sola, Joan Verdalet, José Ximenez scharten. In großzügiger Synthese rekapitulierte Cabanilles das Wesentlichste aus Spaniens und Portugals Orgelkunst. Er komponierte sowohl Tientos, die dem Cabezónschen Vorbild in nichts nachstehen, als auch solche, die sein eingehendes Studium der Werke bedeutender Vorgänger wie R. Coelho, Correa de Arauxo, Aguilera de Heredia erkennen lassen; endlich schuf er viele Tientos äußerst persönlicher Faktur, deren Sprache nicht selten in die Zukunft weist. Mit Cabanilles erreicht der Tiento den Zenit seiner Möglichkeiten. Endstadium und Verfall dieser musikakalischen Gattung werden durch das zunehmende Aufsaugen toccatahafter Elemente und den Einfluß der im Entstehen begriffenen zweiteiligen Cembalo-Sonate bestimmt. Die »Batalla«, welche durch Correa de Arauxo in bescheidenem Umfang in die spanische Orgelmusik eingeführt worden war, wurde von Cabanilles und seinen Zeitgenossen zur Höchstblüte entwickelt. Hierbei kam ihnen der Orgelbau mit der Entwicklung strahlender Zungenchöre, »en chamade« (am Orgelprospekt waagrecht herausstehende Pfeifen) angeordnet, wesentlich entgegen. Bei Cabanilles begegnet schließlich auch die Toccata italischer Prägung. Die Diferencia ragte in immer homophoner werdendem Satz bis tief ins 18. Jh. hinein. Die für den Stundengottesdienst erforderlichen Formen der Orgelmusik behielten weiterhin Gültigkeit. Cabanilles ist der erste und einzige spanische Meister, von dem eine Orgelmesse bekannt ist. Die Fuge erweckte in Südeuropa nicht so viel Interesse wie im Norden; es scheint, daß sie auf den fast durchweg einmanualigen iberischen Orgeln mit geteilten Registern und äußerst beschränktem Pedal keinen rechten Nährboden fand. Außerdem strebte die Mentalität der südeuropäischen Organisten nach anderen musikalischen Idealen hin. Eine sich wandelnde Harmonik, in welcher die Kirchentöne von den Dur- und Molltonarten verdrängt wurden, verlangte schließlich nach anderen, dem neuen Harmonie-Empfinden entsprechenden musikalischen Formen. Den Bruch zwischen dem alten und dem neuen Stil vollzog Cabanilles‘ Schüler José Ellas, der Lehrer A. Solers. Hiermit fand das an die zweihundert Jahre währende »Goldene Zeitalter« der iberischen Orgelmusik sein Ende.

Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Spanien.
Musik in Geschichte und Gegenwart, S. 70339
(vgl. MGG Bd. 12, S. 1001) (c) Bärenreiter-Verlag 1986

 

Die Tientos des J. B. Cabanilles in der spanischen und europäischen Orgelmusik des 17. Jh.

extrahiert aus: Juan Bautista Cabanilles. Sein Leben und Werk (Die Tientos für Orgel)
von Arsenio Garcia-Ferreras
1973, GUSTAV BOSSE VERLAG, REGENSBURG. ISBN  3764920866

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

5 × 3 =