Wie fällt unser Gehirn Entscheidungen?

illusion-alte-oder-junge-frau-sehtestAbb.: Illusion junge oder alte Frau.

Die Vorgehensweise unseres Gehirns bei der Erkennung solcher Bilder ist die eines spontanen Symmetriebruchs. Die beiden vorhandenen Wahrnehmungsmöglichkeiten stellen einen symmetrischen, gleichberechtigten Zustand zumindest in unserem Unterbewusstsein dar. Unser Gehirn geht hier nach dem gleichen Entscheidungsschema vor, das uns auch aus ganz anderen Bereichen des menschlichen Lebens bekannt ist.
Fälle, in denen zwei oder mehr Handlungsalternativen vorgegeben sind, die genau gleich oder vergleichbar gut sind, gibt es zuhauf. Ständig sind Entscheidungen zu treffen: Ziehe ich die weißen oder die blauen Socken an, nehme ich noch einmal eine Tasse Kaffee oder nicht, lese ich diese Buchseite noch zu Ende oder nicht? Und so weiter. Zum Glück ist die Entscheidungsfindung in solchen kleinen Problemen bei den meisten Menschen durch den Alltag weitestgehend automatisiert. Trotzdem gibt es Menschen, die in solchen Zweifelsfällen ständig zwischen genau symmetrischen Alternativen zu stecken scheinen und sich nie für oder gegen etwas entscheiden können. Weiterlesen

Vertrag von 1871 zwischen dem Grafen und Gehauser Schnittern

Am 12.12.2012 hat mir Herr Dieter Kleine aus 36126 Gersfeld einen Vertrag von 1871 zwischen der gräflichen Gutsverwaltung und Gehauser Schnittern zugesandt, den ich nun nach Überarbeitung der Website für Leser, die die alte deutschen Schreibschrift noch lesen können, veröffentlichen kann. Er ist auch auf der Seite über die Lebensverhältnisse in 19. Jh. zu finden.

Ich möchte an dieser Stelle nochmals Herrn Dieter Kleine weböffentlich 😉 für das Überlassen dieser  Urkunde ganz herzlich bedanken.

Der Bildergalerie unter Früheste Erinnerungen habe ich die Kopie eines Ost-Ausweises für Umsiedler hinzugefügt.

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Pragmatismus, Religion und Metaphysik


Es hat sich herausgestellt, daß sowohl die christliche Religion als auch die materialistische Metaphysik Artefakte sind, die sich selbst verzehren. Das Bedürfnis nach orthodoxer Religiosität wurde durch Paulus‘ Beharren auf dem Primat der Liebe untergraben. Nach und nach erkannten die Christen, daß eine Religion der Liebe nicht verlangen kann, jeder müsse das gleiche Glaubensbekenntnis aufsagen. Das Bedürfnis nach Metaphysik wurde durch die Fähigkeit der modernen Wissenschaft untergraben, den menschlichen Geist als ein außergewöhnlich komplexes Nervensystem zu begreifen und somit sich selbst eher pragmatisch als metaphysisch zu sehen. Die Wissenschaft hat uns gezeigt, wie man die empirische Forschung als Gebrauch dieser physiologischen Zusatzausstattung zur Erlangung stets größerer Herrschaft über die Umwelt sehen kann, anstatt sie als eine Form der Verdrängung von Erscheinungen durch Wirklichkeit zu deuten. Genauso wie es dem achtzehnten Jahrhundert gelang, das Christentum nicht als Offenbarung von oben, sondern als kontinuierliche Fortsetzung der sokratischen Reflexion zu sehen, so ist es dem zwanzigsten Jahrhundert gelungen, die Naturwissenschaft nicht als Offenbarung des inneren Wesens der Wirklichkeit, sondern als kontinuierliche Fortsetzung jener Form des praktischen Lösens von Problemen zu begreifen, in der die Ingenieure brillieren.

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Altruismus

Wir halten uns für »egoistisch« und werden von anderen so gesehen, wenn wir unsere eigenen Interessen zu verfolgen scheinen. Andererseits glauben wir daran, daß ein Handeln zum Wohl anderer, das anscheinend nicht selbstdienlich ist, von »guter Moral« zeugt; wir fühlen uns gedrängt, dem Weg des »Altruismus« zu folgen, und wir respektieren andere, die ihm folgen. Weil wir uns der Kosten, Risiken und Gefahren, die darin stecken — des Handicaps —, wohl bewußt sind, beeindruckt uns Uneigennutz. Trotzdem halten wir es für unanständig, zu berechnen, welchen Nutzen uns der Uneigennutz bringen kann.

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Demut als Utopie

Das wiederholte Scheitern von Systemen, die von weit in die Zukunft weisenden Visionen getragen wurden, hat unseren Glauben an die Realisierbarkeit von Utopien nachhaltig erschüttert. Zweifel an der Machbarkeit von Zukunft greifen um sich. Die Erkenntnis, daß große Entwürfe und Fünf-Jahres-Pläne die Tendenz haben, an der sich ändernden Wirklichkeit zu scheitern, ist nicht neu – neu hingegen ist, daß es rationale Erklärungen für die Notwendigkeit des Scheiterns gibt.Die relevanten Variablen sind zum einen die Struktur und Dynamik lebensweltlicher Prozesse und zum anderen die kognitiven Fähigkeiten der Entscheidenden und Handelnden, die versuchen, diese Prozesse zu steuern.

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Geschichtsschreibung

Weil aber die Vergangenheit nicht im Bereich des menschlichen Erlebens liegt, und weil wir deshalb mit unseren historiographischen Konstruktionen immer nur in der jeweiligen Gegenwart umgehen und Erfahrungen machen können, gibt es keine Möglichkeit, z.B. die Deskriptivität historiographischer Aussagen festzustellen oder zu überprüfen. Und weil sich historische Ereignisse und Prozesse weder wiederholen, noch sich reproduzieren lassen, haben wir auch keine Gelegenheit, entsprechende konzeptuelle Systeme (z.B. Theorien) in einem erfahrungswissenschaftlichen Rahmen zu erfinden, zu testen und weiterzuentwickeln. Die erfahrungswissenschaftlichen Möglichkeiten der Historiographie beschränken sich darauf, anhand der als Spuren oder Zeugnisse der Vergangenheit identifizierten Objekte und unter Verwendung als einschlägig erachteter theoretischer Konzepte und Modelle Geschichten zu erfinden, um sie auf ihre Verträglichkeit mit den Quellen und auf ihre Kompatibilität mit anderen Geschichten hin zu prüfen. Innerhalb des so bestimmten Spielraumes kann sich die Gültigkeit der jeweiligen Geschichtsschreibung also nicht an so etwas wie der Übereinstimmung mit den historischen Tatsachen bemessen, sondern nur daran, ob die jeweiligen Geschichten im Rahmen konsensfähiger Modellvorstellungen, auf der Basis geltender Annahmen über die Geschichte und Geschichtsschreibung sowie hinsichtlich der geltenden weltanschaulichen, ideologischen, ethischen, politischen usw. Konzepte plausibel, überzeugend und relevant sind.

Gebhard Rusch: THEORIE DER GESCHICHIE, HISTORIOGRAPHIE UND DIACHRONOLOGIE
LUMIS Schriften 11 1986
aus dem Institut für Empirische Literatur- und Medienforschung der
Universität – Gesamthochschule Siegen Weiterlesen

Uns selber übersteigen

Ich komme zum dritten Schritt und damit zum Abschluß. In diesem dritten Schritt möchte ich diese Selbsttranszendenz als eine Möglichkeit für unsere Gesellschaft vorführen. Ich darf erinnern, was ich hier unter Selbsttranszendenz verstehen möchte: Das Wort kommt von übersteigen – irgendwohin soll hinübergestiegen werden. Wohin also sollten wir steigen? Über unsere eigenen Ausstattungen, wie sie begrenzt erscheinen durch unsere angeborenen Anschauungsformen. Wir könnten sie durch Forschung übersteigen. Modell Einstein im Falle von Zeit und Raum. Heute ist es unser Anliegen, nun auch das Wesentlichste, das uns heute plagt, zu übersteigen, nämlich unsere Anschauungsformen von der Kausalität, die Vorstellungen von den Ursachen.

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Unser Bild von der Wirklichkeit

Betrachter vor einem Frauenporträt von Georges Braque spotteten, einer so entstellten Person würde niemand gern auf der Straße begegnen, worauf der Maler erwiderte, er habe keine Frau malen wollen, sondern ein Bild.
Im Grunde genommen ist das Verhältnis zwischen Wirklichkeit und mathematischem Bild oder Modell das Gleiche: Letzteres ist auch nur ein Abbild einiger Eigenschaften wirklicher (oder gedachter) Objekte. Alles, was nicht relevant ist, bleibt dabei unberücksichtigt: zum Beispiel welcher Wochentag gerade ist oder dass Nebel über dem See steht. Modellbildung ist Willkür, Zweckmäßigkeit ihr einziger Sinn.

Pierre Basieux „Die Architektur der Mathematik: Denken in Strukturen

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