Die Dorfschule

Inhaltsverzeichnis

 

Die Anfänge unserer Schule

Was wir aus den Anfängen unserer Schule wissen, ist wenig genug. Vielleicht, dass 1609 ein Valentin Otto und 1641 ein Heinrich Maurer Lehrer in unserem Dorf sind, dass die Schule als Bildungs- und Erziehungseinrichtung nur geringe Bedeutung hat und daher in der historischen Überlieferung auch kaum von sich reden macht.
1814 ist uns als Schullehrer der Name eines Johann Bley aus Diedorf überliefert und von da an erst treten Schule und Unterricht auch bei uns mehr und mehr im Alltag unseres Dorfes hervor.
Die Schule untersteht strenger kirchlicher Aufsicht. Katechismus, biblische Geschichte, Bibellesen, das Erlernen von Bibelsprüchen und Episteln haben keinen geringeren Stellenwert als Lesen, Schreiben und Rechnen. Dienstag und Freitag ist die erste Stunde eine Betstunde in der Kirche.
Nach Schubart („Lob der Heimat“) ist der Unterricht an den Werktagen in den ersten drei Jahren auf zwei Stunden, ein Jahr lang auf fünf und die letzten vier Jahre auf drei Stunden begrenzt.
Der Schullehrer, damals noch „Schulmeister“ genannt, ist nebenher im Kirchendienst als Kirchendiener, Organist, Küster und in der Gemeinde als Gemeindeschreiber tätig, ein wahrer Multifunktionär. Die beiden letzten Funktionen wird er 1851 durch Landesgesetz los, weil er anders mit der Schule nicht mehr fertig wird.
Da gibt es nämlich bislang nur ihn als den einen und einzigen Lehrer und nur die eine und einzige Schulstube für die über 100 Schulkinder im Dorf, die im „Schichtbetrieb“ zu unterrichten sind.
Er muss ein fast universelles Wissen besitzen, denn mit zunehmender Erweiterung der Lehrpläne soll er seinen Schülern jetzt auch Kenntnisse in solchen Fächern eintrichtern, wie Geographie, Natur- u. Heimatkunde, Raumlehre, Sprachlehre, Rechtschreibung und Geschichte, ihnen Schönschreiben und Singen beibringen sowie in der einmal in der Woche stattfindenden Turnstunde auch noch ein Stück Sport und Körperkultur.
Zum guten Schluss ist er schließlich auch noch dafür da, seinen Schülern, die mit Tinte schreiben, den Gänsekiel eigenhändig zu Schneiden.
Das Pausenbrot der Jungen und Mädchen ist dürftig. Oft genug ist es nicht mehr als ein Stück trockenes Brot, ein paar Äpfel oder eine Handvoll Kartoffeln.
Von Alltagssorgen geplagt ist für viele unserer Gehauser Eltern die Schule mehr eine Belastung als für das Leben hilfreich. Das Stück Brot, das man vom Betteln mit nachhause bringt oder das Bündel Brennholz aus dem Wald sind eben wichtiger als die Schule. Und wichtiger ist da auch noch der Suppentopf für den Bruder im Werk Menzengraben, dessentwegen die Jakobs Annelies vom Eichsfeld ihre 9-jährige Tochter Kothri (heute Katharina Schran) kurzerhand und gegen den Protest des Lehrers Cahn einfach von der Schulbank wegholt.


 

 Die Erziehung zur Disziplin

Unentschuldigtes Fernbleiben vom Unterricht und Schulversäumnisse sind deshalb auch echte Sorgenkinder des Schulvorstandes und als Pflichtversäumnisse, trotz ständiger Ermahnungen, selbst von der sonntäglichen Kanzel herab, offenbar nicht aus der Welt zu schaffen.
Dabei sind die Strafen für die Unverbesserlichen, neben der üblichen Geldbuße, manchmal gar nicht so geringfügig. Einweisung in die Erziehungsanstalt gehört ebenso dazu wie die Haftstrafe gegen pflichtvergessene Eltern.
Einem Protokoll aus dem Jahr 1824 zufolge hält es der Schulvorstand für angebracht, beim Großherzoglichen Staatsanwalt gegen die Anna Barbara Hoßfeld aus der Fischbach sogar Gefängnis oder körperliche Bestrafung (wohl als Zwangsarbeit zu verstehen) zu beantragen, weil sie, wie es heißt, „ihren 14-jährigen, noch nicht konfirmierten Sohn Johannes so wenig zur Schule angehalten hat, dass dieser noch nicht einmal buchstabieren könne“.
Dabei hätte Johannes wegen des beschwerlichen, im Winter fast abenteuerlichen Schulweges nach Gehaus doch einige Nachsicht verdient. Ebenso wie sein Freund Valentin, der sich lange um die Schulpflicht herumdrückt, bis er schließlich, da er nun mal katholisch ist, den täglichen und mühevollen Fußmarsch aus der Fischbach in die katholische Schule nach Dermbach und zurück als unabänderlich hinnehmen muss.
Im Dorf selbst hätte es Schulversäumnisse eigentlich gar nicht geben dürfen, wo doch der Georg Krah als Schulläuter da ist, den Schulbeginn täglich mit der großen Schulglocke ankündigt und für einen Lohn von l0 Mark im Jahr die Gehauser an ihre Schulpflicht erinnert.
Viel hält man in der Schule von damals von der Strafe als Erziehungsmittel. Körperliche Züchtigung ist nach einer Verfügung des Großherzoglichen Staatsministeriums aus dem Jahr 1875 legitim in Fällen von Frechheit, Aufsässigkeit, hartnackigem Lügen, fortgesetzter Faulheit, Diebstahl und ähnlichen „Delikten“.
Der in den Händen des Schulmeisters allgegenwärtig vorhandene Rohrstock der alten Zeit, so die Weimarer Verfügung, muss allerdings jetzt dem „dünnen, schwachen Stöckchen“ weichen, das zudem im Klassenschrank unter Verschluss zu halten und nur in besagten Fällen hervorzuholen ist.
1886 zeigt der Boineburgsche Rentmeister Goßlar in Weilar, wie es heißt: „…betreffs Herbeiführung einer Bestrafung“ vier Gehauser Schulmädchen wegen verbotener Entnahme von Waldstreu beim Schulvorstand an. Der hält das „Vergehen“ für so schwerwiegend, dass er sich veranlasst sieht, „die Angelegenheit zur weiteren Verfolgung und Bestrafung der Schuldigen“ an das Großherzogliche Schulaufsichtsamt abzugeben.
Zur Disziplinierung soll auch der Schularrest beitragen, für den Betroffenen deshalb bitter, weil er dafür auch noch Geld bezahlen muss.
So hat der Fortbildungsschüler Arnold, der im Nov. 1905 wegen Aufsässigkeit und Frechheit gegen den Lehrer eine 6-stündige Arreststrafe absitzen muss, an den aufsichtsführenden Polizeidiener Schanz pro Arreststunde 30 Pf. zu bezahlen, zuzüglich die Kosten für Heizung und Beleuchtung.
Trotzdem, der Schulvorstand hat sich nicht nur mit Pflichtwidrigkeiten von Eltern und Schülern zu befassen. Ein entscheidendes Wort fällt ihm bei der Einstellung von Lehrern zu. Er wählt aus seiner Mitte, meist ist es der Ortspfarrer, den Ortsschulaufseher und bestellt als dessen Helfer, 1825 ist der ein Simon Hehl, den Schulpfleger. Der Schulvorstand legt den Zeitpunkt der Schulferien fest, die eng den Ernteterminen in der Landwirtschaft angepasst sind. Gelegentlich kommt ein Schulfest hinzu. Neben dem Glas Bier für jedes Schulkind mögen dabei, mündlicher Überlieferung zufolge, die Dimension von Bratwurst und „Weck“ uns Nachgeborene in Erstaunen versetzen.


 

 Über die Lehrerversorgung

Das Dorf regelt seine Schulangelegenheiten in eigener Zuständigkeit. Dabei wird es von Anfang an die Sorge nicht los, für die ständig wachsende Zahl von Schulkindern sowie für die Lehrer ausreichenden Schul- und Wohnraum bereitzustellen und das, was da vorhanden ist, auch zu unterhalten.
Das verfügbare Geld reicht hinten und vorne nicht. Der Haushaltsplan ist trotz seines bescheidenen Umfangs nie ausgeglichen. Die Ausgaben 1880 beispielsweise in Höhe von 1713 Mark sind nur durch 691 Mark gedeckt. Daran ändern auch nichts der Kostenbeitrag der jüdischen Schulgemeinde von 150 Mark jährlich, das kleine Wertpapierdepot, das die Schulgemeinde noch bis in die 20er Jahre hinein unterhält und auch nichts die Verkäufe des „Schulabtritts“, wie sie in den Protokollen des Schulvorstandes immer wieder ausgewiesen werden.
Der Lehrer, neben Bürgermeister und Ortspfarrer anerkannte Autorität im Dorf, bezieht sein Gehalt nicht direkt, sondern über die Lehrerstelle als Einrichtung. Ihr fließen die wenigen Geldeinkünfte zu. So das von den Eltern zu entrichtende Sommer- und Winterschulgeld, Zuschüsse der Gemeinde, Umlagen sowie Entgelte für die im Kirchendienst geleistete Arbeit.
Seit 1817 kann er sich das Glockenläuten sowie die Führung des Personenregisters aus Anlass von Taufen, Trauungen und später auch von Beerdigungen bezahlen lassen (der Lehrer ist also auch Standesbeamter).
Wichtiger jedoch sind die Naturalbezüge zugunsten der Lehrerstelle. So ist mit ihr das Nutzungsrecht an Acker-, Wiesen- und Gartenland verbunden, sowie der Anspruch auf Versorgung mit Brennholz (Klafterholz, Buchscheite und Reisig). Etwas ungewöhnlich dagegen der Anspruch auf 8 Kannen Bier (= 16 l) das von den Kirmesburschen beizubringen ist.
In unserer Nachbargemeinde Oechsen gibt es das s. g. Schulbrot. Es beinhaltet die Verpflichtung einer jeden Familie im Dorf, in einer vorher festgelegten Reihenfolge, jeweils einen Laib Brot von 6,5 Pfd. Gewicht als Besoldungsbrot an den Lehrer abzuliefern. Dem Lehrer Bach wird dabei in einer Beschwerde aus dem Jahr 1855 zugeständen, vom Säumigen den Gegenwert in Höhe der Bäckertaxe fordern zu können oder mit „Exekution“ beim Justizamt gegen den Schuldner vorzugehen.
Bei uns in Gehaus ist es das s. g. Schulkorn, das von den Hofraithen in Höhe von 12 Köpfchen, einem damals gebräuchlichem Gewichtsmaß zu erheben, in fuldaschem Gemäß Korn (= 21.9 l) richtig, ungestrichen und in guter Qualität dem Lehrer zuzumessen und unentgeltlich auf den Boden der Schule zu liefern ist.
Es ist das ein alter, verbriefter Rechtsanspruch der Schule der, später in Geld umgewandelt, erst 1913 in einem förmlichen Verfahren abgelöst wird. Das Gehauser Kornbuch, im Jahr 1844 angelegt, enthält die Namen von über 100 Kornpflichtigen und wird heute im Kreisarchiv aufbewahrt.
Dienstwohnung und Triftfreiheit, letztere das Recht zur uneingeschränkten Nutzung der in der Flur vorhandenen Weideplätze, beinhalten die weiteren Zuwendungen an die Lehrerstelle, von denen es ab 1862 zwei in unserem Dorf gibt.
Das heute von der Familie Wohlrab bewohnte Haus neben der Kirche ist über lange Zeit die von der Schulgemeinde für die erste christliche Lehrerstelle erbaute Dienstwohnung.
In einer Gehaltstabelle werden die Zuwendungen an die Lehrerstelle (Nutzung von Grund und Boden, Dienstwohnung, Geldbezüge und sonstige Dienstleistungen) mit dem Gehaltsanspruch des Lehrers verrechnet.
Es gehört dazu, dass der Dorfschullehrer jener Zeit nebenher eine kleine Viehwirtschaft betreibt. Der Antrag eines Lehrers Dietzel aus dem Jahr 1892 auf Errichtung eines zweiten Schweinestalles wird vom Schulvorstand allerdings abgelehnt, der Gänsestall dagegen genehmigt.
Der Schulbetrieb spielt sich indes nach wie vor im Unterschied in den als „Schullokale“ genutzten zwei größeren Stuben ab, bis endlich 1888 der Bau einer Schule in Angriff genommen wird. Als 1890 die neue Schule „Am Anger“, die nach dem Dorf hin gelegene Hälfte der heutigen Schule, mit ihren zwei Klassenräumen ihre Pforten öffnet, sind die Probleme nicht gelöst. Auch nicht durch die „Schulstuben“, die man im alten „Grünen Baum“ sowie bei „Jule“ als Notunterkünfte für den Unterricht damals herrichtet. Noch 1907 werden 206 Kinder in nur drei Klassenräumen, zudem nur von drei Lehrern unterrichtet.
Es dauert noch lange, ehe mit der Fertigstellung des Anbaues, der nach Oechsen hin gelegenen Hälfte der Schule, am 6. Sept. 1936 die nunmehr mit vier Klassenräumen ausgestattete 4-klassige Schule ihrer Bestimmung übergeben und das Ereignis mit Umzug und einem großen Kinderfest gefeiert werden kann.


 

DDR-Blues von der guten Erziehung

Stefan Diestelmann: „Blues von der guten Erziehung“

Beim Blättern in Schulprotokollen fällt dem Chronisten, die Kriegsschuld am 1. Weltkrieg betreffend, ein handgeschriebener Zettel in die Hände, mit dem in dieser Zeit auf amtlichen Schreiben üblichen Stempelaufdruck: „Wer behauptet, Deutschland sei am Krieg schuldig, der lügt. Diese Lüge ist die Wurzel unserer Not“.
Es ist das ein Dokument, wie Demagogie und faschistischer Ungeist des Hitlerstaates ihren Einzug auch in unsere Schule halten.
Noch einmal müssen jedoch über 10 Jahre vergehen, bevor ein neuer Geist sie durchdringt und mit der sozialistischen Schulreform ein altes, überlebtes Schulsystem abgelöst wird, das mit dem Bildungsanspruch auch unseres Gehauser Dorfschulkindes nie viel im Sinn hatte. Doch dessen erzieherische Absichten zeugen auch nicht gerade von freierem Geist und der Abkehr von der Demagogie:
Die PStE. – die Begriffe »politisch-ideologisch« und »staatsbürgerlich« werden synonym gebraucht – gilt als das Kernstück der gesamten sozialistischen Bildung und Erziehung in der DDR, und zwar auf allen Stufen und in allen Bereichen des Bildungswesens; ihre Realisierung erfolgt einmal und vor allem als bereich- und fachübergreifendes, alle Ziele und Inhalte determinierendes Prinzip; zum anderen in einem speziellen Unterrichtsfach, dem Staatsbürgerkundeunterricht, und zwar in besonders enger Beziehung zur Kollektiv- und Arbeitserziehung, zur Wehrerziehung, zur Erziehung zu bewusster Disziplin und zu Polytechnischer Bildung und polytechnischem Unterricht. Die Aufgaben und Ziele der PStE. wurden im Parteiprogramm der SED (1963) festgelegt, im Bildungsgesetz (1965) kodifiziert sowie in den »Aufgabenstellungen für die staatsbürgerliche Erziehung« (1966 und 1969) und in den Beschlüssen des VII. Pädagogischen Kongresses (1970), des VIII., IX. und X. Parteitags der SED (1971, 1976, 1981) weiter aktualisiert. Als Grundlage, Gesamtzielstellung und oberstes Kriterium aller anderen Bildungs- und Erziehungsmomente hat sie die generelle Aufgabe, durch die Vermittlung der Ideologie des Marxismus-Leninismus und in enger Verbindung mit einer entsprechenden Charakter- und Verhaltenserziehung den entscheidenden Beitrag zur Formung sozialistischer Persönlichkeiten zu leisten. Die theoretische Grundlage für die Zielstellung der PStE. bildet das langfristig gültige »sozialistische Menschenbild« der marxistisch-leninistischen Philosophie, das Stellung, Standort, Wirkungsfeld und Entfaltungsmöglichkeiten des Menschen in der sozialistischen Gesellschaft und die damit verbundenen gesellschaftlichen Anforderungen an ihn sowie die wesentlichen Merkmale, Eigenschaften und Verhaltensweisen der angestrebten sozialistischen Persönlichkeiten umreißt und zugleich die Orientierungsgrundlage für die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft darstellt.
Die auf dem »sozialistischen Menschenbild« gründende »sozialistische Persönlichkeit« wird durch 4 wesentliche Merkmale gekennzeichnet: durch vielseitiges Wissen und Können, durch sozialistisches Bewusstsein, durch sozialistisches moralisches Verhalten sowie eine optimistische Lebensauffassung. Das Sozialistische Bewusstsein wird durch 7 sozialistische Grundüberzeugungen definiert, die das Handeln und Verhalten der sozialistischen Persönlichkeit bestimmen, als Maßstäbe für die Bewertung von Situationen und Verhaltensweisen dienen sollen und denen entsprechende Kenntnisse, Erkenntnisse, Fähigkeiten und Einstellungen sowie entsprechende Gefühle, Erfahrungen und Verhaltensweisen zugeordnet sind; in der Formulierung der »Aufgabenstellung des Ministeriums für Volksbildung und des Zentralrates der FDJ zur weiteren Entwicklung der staatsbürgerlichen Erziehung der Schuljugend der DDR« (1969) sind dies:

  • »die Überzeugung von der historischen Mission der Arbeiterklasse…«
  • »die Überzeugung vom objektiven Charakter der Entwicklung in Natur und Gesellschaft…«
  • »die Überzeugung von der Gewissheit, dass die Zukunft der ganzen Menschheit der Sozialismus ist…«
  • »die Überzeugung von der historischen Aufgabe der DDR und der Verantwortung der Jugend bei der Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus…«
  • »die Überzeugung von der entscheidenden Rolle der ruhmreichen Sowjetunion und der sozialistischen Staatengemeinschaft in der weltweiten Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus«;
  • »die Überzeugung, dass Demokratie, Freiheit und Menschlichkeit nur dort gesichert sind, wo das werktätige Volk unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer Partei die politische Macht ausübt«;
  • »die Überzeugung, dass die Jugend ihres eigenen Glückes Schmied ist, indem sie die Rechte und Pflichten gegenüber der sozialistischen Gesellschaft bewusst wahrnimmt…«.

Durch die Verinnerlichung dieser ideologischen Grundsätze als eines nicht in Frage zu stellenden Glaubenskanons soll »die Erziehung der jungen Menschen zum sozialistischen Patriotismus und zum Proletarischen Internationalismus…« bewirkt werden.
Sind die Ziele der PStE. von grundlegend-prägender Bedeutung für Ziele und Inhalte der Bildung und Erziehung in allen gesellschaftlichen Bereichen und auf allen Stufen des Bildungssystems der DDR einschließlich der außerschulischen Einrichtungen und Veranstaltungen und bestimmen sie insbesondere als politisch-ideologische Leitlinien Ziele und Inhalte der Lehrpläne aller Fächer und Klassen, so hat der Unterricht in dem Fach Staatsbürgerkunde, der in den Klassen 7-10 (mit 5 Gesamtwochenstunden), 11 und 12 (mit 3 Gesamtwochenstunden) und in der Berufsausbildung (mit insgesamt mindestens 74 Stunden) erteilt wird, speziell die Aufgabe, die politisch-ideologischen Kenntnisse der Schüler systematisch zu entwickeln. Gemäß den neuen Lehrplänen für dieses Fach ab Schuljahr 1983/84 (Klassen 7 und 9) bzw. 1984/85 (Klassen 8 und 10) wird den Schülern m Klasse 7 »das Werden und Wachsen der DDR, die Entstehung und Festigung der politischen und ökonomischen Grundlagen des Sozialismus« erläutert. Ziel der Klasse 8 ist es, »den Schülern ihre Stellung und Rolle als Staatsbürger der DDR bewusst zu machen«. Dabei soll »die Wissensaneignung eng mit dem praktischen Leben und den praktischen Erfahrungen der Schüler verbunden« werden. »Die klassenmäßige Haltung zum sozialistischen Staat… soll sich in wachsender politischer Aktivität der Schüler vor allem in den Wohngebieten und Gemeinden zeigen«. »Hauptanliegen« des Unterrichts ist es, »dass die Schüler… die Überzeugung gewinnen, dass der sozialistische Staat eine wahre Volksmacht ist, weil er von allen Bürgern unter Führung der SED getragen wird und den Interessen der Arbeiterklasse und aller anderen Werktätigen dient«. Den Abschluss des Staatsbürgerkundeunterrichts in den Klassen 7 und 8 bildet eine Stoffeinheit, »mit der die prinzipielle Auseinandersetzung mit Wesenszügen und der Politik und Ideologie vor allem des BRD-Imperialismus zu führen ist«. Den Schülern ist »überzeugend vor Augen zu führen, dass der BRD-Imperialismus von Anfang an mit allen ihm zur Verfügung stehenden politischen, ökonomischen, militärischen und ideologischen Mitteln versucht hat, den Sozialismus in der DDR zu vernichten«. Der Unterricht soll die Schüler »zu der Einsicht führen, dass diese imperialistische Politik ihre tiefste Ursache in den Macht- und Eigentumsverhältnissen in der BRD hat. Sie sollen erkennen, dass diese Politik menschenfeindlich und eine ständige Gefahr für den Weltfrieden ist, dass sie zum Scheitern verurteilt war und auch heute nicht erfolgreich sein kann.«
In Klasse 9 erfolgt eine verstärkte Beschäftigung mit der Weltanschauung des Marxismus-Leninismus, bei der »die Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung, die historische Notwendigkeit der Ablösung des Kapitalismus und die historische Mission der Arbeiterklasse« im Vordergrund des Unterrichts stehen. In Klasse 10 sollen vornehmlich »Grundfragen der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR« behandelt werden. (Zitate aus: Siegfried Piontkowski: Die ideologisch- theoretische und methodische Konzeption des Staatsbürgerkundeunterrichts und der überarbeiteten Lehrpläne der Klassen 8 und 10, in: Geschichtsunterricht und Staatsbürgerkunde, Berlin [Ost], H. 2/3 1984, S. 115 ff.)
Die ständig wiederholte und zunehmend forcierte Forderung nach – dringend notwendiger – Intensivierung und Verstärkung der PStE. der Schüler und Lehrlinge macht deutlich, daß ihre Ergebnisse erheblich hinter den gesteckten Zielen zurückbleiben; gerade bei dem »Kernstück der gesamten sozialistischen Bildung und Erziehung« besteht offensichtlich eine Diskrepanz zwischen Bedeutung und Aufwand einerseits sowie Breiten- und Tiefenwirkung andererseits. Angesichts der fundamentalen Bedeutung, die der PStE. für die gesamte Bildung und Erziehung, vor allem aber für die besonders dringend geforderte politisch-ideologische Abgrenzung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland beigemessen wird, bedeutet dies eine erhebliche Einschränkung.

Quelle: DDR-Handbuch: Erziehung, Politisch-ideologische bzw. Staatsbürgerliche. Enzyklopädie der DDR, S. 2123(vgl. DDR-HB, S. 365 ff.) (c) Bundesministerium des Innern http://www.digitale-bibliothek.de/band32.htm


 

Puhdys: „Die Boote der Jugend“ aus der LP „Das Buch“

Es gibt manche Leute, die haben vergessen.
Daß sie einst im Boot der Jugend gesessen.
In dem sie fuhren gegen die Flut
mit Segeln aus Jeans und Rock ’n Roll im Blut.

Heut‘ lieg’n sie an Stegen der Intoleranz
Betrachten die Boote aus sichrer Distanz.
Und zeigen verächtlich mit Fingern auf sie
Verkünden, die Jugend sei verdorben wie nie.

Noch vor ein paar Jahren, als sie selber jung waren
sie die Freiheit sich nahmen, anders zu sein.
Doch das gleiche Recht räumen sie
der Jugend von heute leider nicht ein.

Einst warn sie Rebellen gegen Spießigkeit.
Sie sprengten die Normen ihrer Zeit.
Sie hatten Ideale und auch manches Idol.
Und ihren Habitus machen sie zum Symbol.

Noch vor ein paar Jahren, als sie selber jung waren
sie die Freiheit sich nahmen, anders zu sein.
Doch das gleiche Recht räumen sie
der Jugend von heute leider nicht ein.

Sie denken heut leider nicht mehr daran.
Daß sie Wellen schlugen im Ozean.
Gestrandet am Ufer Kapitäne a.d.
Die Boote der Jugend fahren weiter zur See.

 


Bücher und DVD über Geschichte, Landschaft und Kultur der Rhön und Thüringens
– nach Themen sortiert –


 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

fünf × fünf =