Mozart für’s Fahrrad

Das Konzert für Klavier und Orchester Es-Dur KV 271 «Jenamy» von Wolfgang Amadeus Mozart, zum Leben erweckt mit den Klaviersamples „The Hammersmith Professional“ und den gesampelten Damen und Herren des „Kirk Hunter Diamond Orchestra”.

Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert in Es-Dur KV 271 «Jenamy» kann man ohne zu übertreiben als ein Wunder musikalischer Originalität bezeichnen. In der Meisterschaft seiner Orchestrierung, seiner stupenden innovativen Energie und seiner Wirkung trotz beschränkter instrumentaler Mittel hat dieses Werk in seinem Genre keine Vorgänger. Es ist Mozarts erste wirklich bedeutende Komposition, «seine Eroica», wie Alfred Einstein meinte, «die er später wohl erreicht, aber nie mehr übertroffen hat». Mozart sprengt hier alle bisherigen Konventionen und zeigt bereits im Jahr 1777 jene Meisterschaft, die seine Klavierkonzerte der Wiener Jahre auszeichnet.

[© Niederösterreichische Tonkünstler Betriebsgesellschaft m.b.H. | Dr. Michael Lorenz]


Zitat aus
Ortheil, Hanns-Josef: Das Glück der Musik – Vom Vergnügen, Mozart zu hören.
Luchterhand, München 2006 (Sammlung Luchterhand), ISBN 3-630-62082-5

18. Juli 2005 (Klavierkonzert Es-Dur, KV 271).
Noch vor dem Aufbruch zur großen Paris-Reise im Herbst 1777 komponiert Mozart ein Klavierkonzert, das seine gesamte Entwicklung in den zurückliegenden Jahren zusammenzufassen scheint. Das Klavier kann und darf hier einfach alles: Es meldet sich schon nach der ersten, kurzen orchestralen Phrase, schweigt dann lange, taucht plötzlich unvermutet aus dem klanglichen Untergrund auf, spielt mit dem Orchester, enteilt ihm, redet auf es ein und meldet sich im zweiten Satz in einem fast ununterbrochenen Sprechgesang, der ein einziges Zu-sich-selbst-Sprechen ist, voller Selbstgewißheit und Schönheit und voll von jenem emotionalen Eigen-Sinn, an den sich das Orchester nur noch anlehnen kann, bevor das Klavier die Sache ganz in die Hand nimmt und den dritten Satz so eröffnet, als lasse es sich durch nichts, aber auch gar nichts mehr halten. Der unheimliche zweite Satz …, bei dem ich Takt für Takt mitgehe und den Atem anhalte …, fassungslos, wie die Intimität des Klaviergesangs alles Orchestrale durch ihr pures Erscheinen links liegen läßt und beschämt …, das Ganze ist fast ein einziges Rezitativ, wird kaum melodiös, sondern bleibt Sprechen, Sprache, Deklamation: das Rezitativische als Kunstform, als eigener Ausdruck … Aufbruch mit dem Fahrrad in die menschenleeren Wälder, die sich direkt an das Gartenhaus anschließen, ruhiges Treten, ein gleichmäßiger Flug durch diese sonnendurchzogenen, aber kühlen Waldstreifen und Lichtungen, der erste Satz als Aufbruch, die Bewegung kommt in Gang, wird schneller, breitet sich in die Umgebung aus, reißt mit …, dann, zu Beginn des zweiten Satzes, eine Pause, mit diesem Satz in den Ohren kann ich nicht weiterfahren, und so warte ich, bis er den stillhaltenden Körper durchstreift und verwandelt und dieser berührte Körper bereit ist für die rasche Fahrt, für die Fernflucht des dritten Satzes.


Kaiser, Joachim:
Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde
Menuett mit Zipfelmütze

Das so genannte Jeunehomme-Klavierkonzert in Es-Dur gilt als eine von Mozarts herausragenden Arbeiten. Was ist das Hervorragende, Bahnbrechende an diesem Werk? Ich möchte mit einer kleinen Geschichte beginnen: Im Winter des Jahres 1776/77 kam eine französische Pianistin nach Salzburg. Wolfgang Amadeus Mozart war damals zwanzig Jahre alt, und man kann aus einer biografischen Erzählung erschließen, dass er für diese hochbegabte junge Dame, die offenbar den Namen Jeunehomme trug, sein berühmtes Konzert schrieb. Das Besondere an diesem genialen, jugendlich-frisch komponierten Meisterwerk ist der riesige seelische Ambitus zwischen entfesseltem, spirituellem Schwung und tief-schmerzlicher Dramatik. Mozart hat mit diesem frühen Werk das Soloklavier zum aktiven Partner und zugleich zum Gegenspieler des Orchesters erhoben. An manchen Stellen, etwa in der Reprise des ersten Satzes, tauschen Solist und Orchester plötzlich ihre Funktion und ihre Themen. Es wirkt sehr komisch, wenn das Klavier mit einem Mal das spielt, was vorher das Orchester vortrug; und umgekehrt. Während das eigentliche Orchestervorspiel im Klavierkonzert üblicherweise etwas sozusagen Extraterritoriales darstellt – ein langes Vorspiel, auf das dann das eigentliche Konzert erst folgt –, lässt Mozart hier bereits im zweiten Takt ganz überraschend das Soloklavier auftreten. Das hat er später nie wieder so gemacht. Wie überhaupt seine frühen Kompositionen kühner sind und – wenn man so will – mutwilliger als manche seiner späteren Werke. Dieses Klavierkonzert (KV 271), zumal sein erster Satz, ist in der Durchführung voller chromatischer und modulatorischer Überraschungen.
Noch bedeutsamer ist der zweite, langsame Satz, ein c-Moll-Andantino. Dabei handelt es sich wirklich um ein einziges melancholisches Wunder. Das ist reine Bekenntnismusik des jungen Mozart. Aber was mag aus solchen Tönen sprechen? Ein tief bewegter Mensch? Oder erklingt da die Gestimmtheit eines Weltschmerzes, der alles Menschliche und alles Irdische gleichsam hinter sich lässt? Schon im Vorspiel dieses Andantino, das die Streicher übrigens mit Dämpfern vortragen müssen, macht sich ein Doppelschlag (das ist die Umkreisung einer einzigen Note von unten und oben) bemerkbar. Dieser Doppelschlag, den Mozart ungeheuerlich durchgehalten, besser gesagt durchkomponiert hat, dieser Doppelschlag wird während des ganzen, riesenlangen Satzes immer heftiger und dramatischer.
Fabelhaft temperamentvoll, virtuos und spritzig imponiert danach das Finale: ein Rondo, und zwar eines im Presto alla breve. Das gehört sicher zu den schwierigsten Stücken, die Mozart als Konzertfinale geschrieben hat. Vielleicht ist es sogar sein schwerstes Klavierkonzert überhaupt. In der Mitte dieses Finales disponiert der junge Mozart ein zipfelmütziges Menuett. Es wirkt geradezu bequem, wird ein bisschen variiert, um schließlich der funkelnden Virtuosität des Presto zu weichen. In seinem späteren Es-Dur-Klavierkonzert (KV 482) hat er das noch einmal wiederholt, aber nicht ganz so mutwillig, nicht ganz so keck und brillant wie in seinem Jugendwerk. Der Mozartforscher Alfred Einstein nannte dieses Konzert bewundernd »die Eroica Mozarts«, in Anlehnung an Beethovens Meisterwerk Eroica, das einen fundamentalen Entwicklungsschritt im Leben des Komponisten bedeutete. Das Es-Dur-Klavierkonzert, Köchelverzeichnis Nummer 271, ist also Mozarts »Eroica«. Und ich liebe es über die Maßen.


Baur, Eva Gesine: Mozart – Genius und Eros. Eine Biografie.
C. H. Beck, München 2014, ISBN 978-3-406-66132-7

Die Entdeckung der Hintergründe und die Identifizierung der Widmungsträgerin Victoire Jenamy (1749–1812) ist dem Wiener Musikwissenschaftler Michael Lorenz zu verdanken («Mademoiselle Jeunehomme›. Zur Lösung eines Mozart-Rätsels»). In diesem Essay zeichnet er den Irrweg des sogenannten Jeunehomme-Konzerts KV 271 nach, der 1912 mit einem Fehler der französischen Mozartforscher Théodore Wyzewa und Georges de Saint-Foix begann und sich von da an in der Literatur und den Köpfen festsetzte. Im Januar 1777 vollendete Mozart das ihr gewidmete Klavier-Konzert in Es-Dur KV 271. Begonnen hatte er damit schon im Dezember 1776. Selbstbewusst lässt er darin das Klavier auf die Eröffnung des Orchesters antworten. In den dritten Satz hat er eine Verneigung vor Victoires Vater, dem Tanzmeister Jean Georges Noverre, und vor dem Tanz selbst eingebaut: Als zweite Episode ertönt ein Menuett.

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