Das Prinzip „Glück“

BoD_B2-Bellebaum_17517-1-28Um glücklich zu sein, muss man schon eine Menge Glück haben. Es ist eine weit verbreitete Meinung, dass das Glück einen überrascht wie ein Lottogewinn. Der Einsatz ist oft relativ gering, das Ergebnis lässt auf sich warten, aber man darf die Hoffnung nie aufgeben. Ob der Glücksfall dann auch wirklich eintrifft, wissen wir nicht. Erzwingen können wir ihn jedenfalls nicht. Ob wir dann richtig glücklich werden, wissen wir auch nicht. Wir sind aber guten Mutes, dass uns dann, wenn uns keiner mehr in der Sonne stünde, dazu schon etwas Zufriedenstellendes einfallen würde. Etwas erfahrungsgesättigter ist die Überzeugung der meisten Menschen, dass man mit einem dauerhaften Glück in diesem Leben wohl nicht zu rechnen hat. Manche halten es – wie die sauren Trauben – gar nicht für erstrebenswert, weil ihnen das Leben dann eintönig vorkäme. Aber die meisten würden dieses Risiko gern auf sich nehmen, wenn das „Schweineglück“ in Form von Geld, Erfolg, Macht oder sonstiger Güter bei ihnen vorbeischauen würde.

Die tiefere Frage ist allerdings, ob man Anstrengungen unternehmen kann, um glücklich zu sein und nicht nur Glück zu haben, ja ob man sogar glücklich sein kann auch ohne Glück zu haben (Marie von Ebner-Eschenbach). Dafür müsste man aber schon genauer wissen, was das Glück eigentlich ist, wie man es erlangt, wie man es bewahrt und an welche subjektiven und sozialen Vorbedingungen und Anforderungen es geknüpft ist. Daraus wird ersichtlich, dass Glück wohl auch etwas mit Erwartungen und Mentalitäten, mehr noch mit Lebensplanung und Lebensführung zu tun hat. Jedenfalls ist das Bekommen und Haben weniger sicher als das beharrliche Handeln (Aristoteles EN I, 10) . Je nachdem, wie man sein Leben in die Hand nimmt, wachsen die Chancen, etwas Vernünftiges oder wenigstens Tragfähiges daraus zu machen. So gesehen wäre Glück eine Art rechtzeitige, oder vielleicht lebenslange Vorbereitung auf Gelegenheitsstrukturen oder – wie Novalis es zuspitzte – „Talent für das Schicksal“. Das ist eine seit Jahrhunderten genährte Auffassung, in der die Philosophen und Theologen mit dem Alltagsverstand vieler Menschen übereinstimmen. Was es mit diesem „Gold der Seele“ (Plato) auf sich hat, soll im Folgenden in groben Strichen umrissen werden.
Robert Hettlage
aus
Alfred Bellebaum, Robert Hettlage (Hrsg.)
„Glück hat viele Gesichter
Annäherungen an eine gekonnte Lebensführung“

.

Klappentext zu: Glück hat viele Gesichter:
Das Wort Glück ist zu einer Allerweltsvokabel geworden. Die traditionsreichen Philosophien und Theologien des Glücks melden sich zwar nach wie vor zu Wort, die Gewichte haben sich aber verschoben. Stichworte sind u.a. Wirtschaft, Politik, gesellschaftliche Umstände, Ländervergleiche, hirnorganische Befunde, psychologische Befragungen, Wohlfühl-Angebote, Interviews und vieles andere mehr.
Man muss keinen normativen Glücksvorstellungen anhängen, kann aber auf manche erheblichen Defizite im gegenwärtigen Glücks-Diskurs hinweisen. Die in diesem Band wieder abgedruckten, weil aktuell gebliebenen Beiträge sind deshalb informativ und beachtenswert. Eine umfassende Theorie des Glücks wird selbstverständlich nicht erwogen.
Auch das kann glücklich machen, eine MIDI-Bastelei auf den Spuren von Brahms: nachempfinden, welchen Spaß es Brahms bereitet haben muss, dieses muntere Händel-Thema durch ängstigende Schrecknisse, glückliche Späße, heitere Tänzchen und kunstvolle Verwicklungen hin zur Fuge zu führen, die schlussendlich über all die ausgeloteten Gefährdungen und Glücksmomente eines menschlichen Lebens triumphiert.

 

Johannes Brahms – Variationen und Fuge über ein Thema von Händel op. 24

(nach der Orchesterfassung Edmund Rubbras von mir „MIDI-fiziert“ ):

 

Ich hoffe auch mir ist dies gelungen!

 

Aus diesem Buch zitiert:
Die Liebe zur Kunst, insbesondere zur Musik, habe, so erzählte mir ein enger, vor einigen Jahren verstorbener Freund, sein ganzes Leben bestimmt.
Aussagen dieser Art finden sich allenthalben. Sie sind bei Bildungsbürgern oder solchen, die dafür gehalten werden wollen, ebenso beliebt wie bei Künstlern unterschiedlicher Art und Qualität. Und fast immer basieren diese Bekenntnisse auf Erfahrungen, in denen sich Ästhetik und Affekt vermischen. Je nach affektiver Beigabe kleidet sich das Bekenntnis in heroisches Pathos oder romantische Verklärung; in die kühle Sachlichkeit des ästhetischen Konstrukteurs oder in schwärmerische Gefühligkeit und völlige Hingabe an das, was als Kunstgenuss empfunden wird. Die Aussage meines Freundes dagegen zielte einerseits auf weniger, andererseits auf mehr, als in den meisten Liebesbekenntnissen zur Kunst enthalten ist: auf weniger Gefühlsbeimischung, stattdessen auf so etwas wie Vollendung – auf das Glück der und in der ästhetischen Erfahrung.
Seine Eltern hatten ihm, als er noch ein Kind war, ein Klavier gekauft. Den Klavierunterricht bezahlten sie, obwohl sie es sich eigentlich nicht leisten konnten oder vielleicht gerade, weil es über das Lebensnotwendige hinausging. Der Schüler dankte es dem Klavierlehrer dadurch, dass er den Unterricht nicht als Last empfand – obwohl beiden schon bald klar war, dass die Begabung des Schülers nicht außergewöhnlich war. Mein Freund hatte nichts von einem musikalischen Wunderkind, wohl aber eine enge Wahlverwandtschaft zur Welt der Musik, einer Welt, in der uns das große gespielte Werk, solange das Spiel anhält, in eine ebenso vollkommene wie flüchtige Ordnung stellt.
„Vermittelte Unmittelbarkeit.
Das Glück der ästhetischen Erfahrung“

 

Inhaltsverzeichnis

Grundlegung
  • Das Prinzip „Glück“ 11
    Robert Hettlage
Glücksforschung
  • Glück. Erscheinungsvielfalt und Bedeutungsreichtum 31
    Alfred Bellebaum
  • Die Glücksforschung kommt voran 57
    Alfred Bellebaum
Kulturen und Traditionen
  • Philosophie als Lehre vom glücklichen Leben. Antiker und neuzeitlicher Glücksbegriff 75
    Malte Hossenfelder
  • Die Angst vor dem Glück. Anthropologische Motive 93
    KarI-Siegbert Rehberg
  • Contemplativus in actione. Glücksvorstellungen im Kulturvergleich 113
    Thomas Bargatzky
Haltungen und Maßstäbe
  • Der ideale Körper. Gesundheit, Jugendlichkeit, Schlankheit und kulturelle Werte 127
    Alfred Bellebaum
  • Generalisierter oder konkreter Anderer? 153
    Gertrud Nunner- Winkler
  • Selbstdisziplin: Begründungen, Normen und Praktiken asketischer Lebensweisen 173
    Robert Hettlage
  • Maßhalten – Pädagogische Ansichten über eine traditionsreiche Tugend 203
    Erwin Hufnagel
Lebensgrundlagen und Erwartungen
  • Historische Lehren für eine ökologische Glücksökonomie 245
    Herbert Schaaff
  • Ein glückliches Leben statt immer mehr materiellen Wohlstand.Konsequenzen der Glücksforschung für die Ökonomie 275
    Mathias Binswanger
  • Das wohlfahrtsstaatliche Weltbild in der Postmoderne 293
    Manfred Prisching
Verheißungen und Visionen
  • Das Glück und die Schatten der Vergänglichkeit. Religiösphilosophische Konzeptualisierungen von Glück im alten Indien 335
    Heinrich von Stietencron
  • Heilsverkündigung und Heilserwartungen im Neuen Testament 353
    Alfons Weiser
  • Die Erleuchteten sind unter uns. Spiritualität als moderner Weg zum Glück? 371
    Gerhard Schmied
Erlebnisse und Gefühle
  • Lesen als Überlebensmittel 389
    Aleida Assmann
  • Das Glück des Gourmets 407
    Alois Hahn
  • Vermittelte Unmittelbarkeit. Das Glück der ästhetischen Erfahrung 427
    Hans-Georg Soeffner
Forschungsmethoden
  • Empirische Glücksforschung. Ein schwieriges Unterfangen 449
    Hans Braun
Autorenverzeichnis 463
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