Dieterich Buxtehude: Praeludium C-Dur BuxWV 138
eingespielt mit Samples der Riegerorgel im Großen Saal des Konzerthauses Wien (Vienna Konzerthaus Organ).
Zitat:
Klaus Beckmann
Profiling Buxtehude
Aufführungspraxis beim Praeludium C-Dur
BuxWV 138
Zugegeben: Der aus der englischen Kriminalistik stammende Begriff Profiling mag im Zusammenhang mit dem braven Lübecker Marienorganisten zunächst überraschend klingen, zumal überhaupt nicht feststeht, für welches Delikt der «Täter» Buxtehude zur Verantwortung gezogen werden soll.
Immerhin konnten 1962 durch die Spurensicherung in Gestalt des Göttinger Musikwissenschaftlers Dietrich Kilian drei handgeschriebene Notenseiten mit dem Præludium ex C h di Diet: Buxtehude in einer Sammelhandschrift aus dem Besitz des 1790 in Giessen, seit 1805 in Darmstadt tätigen Organisten Johann Christian Heinrich Rinck (1770–1846) geortet werden, die 1852 in Darmstadt vom amerikanischen Musikprofessor Lowell Mason (1792–1872) käuflich erworben und 1873 der Yale University in New Haven, USA, übereignet worden waren (Music Library, LM 4838). Rinck hatte 1786–1789 bei Johann Christian Kittel in Erfurt, einem Schüler Johann Sebastian Bachs, Komposition und Orgelspiel studiert, und die Abschrift des Buxtehude-Praeludiums geht wahrscheinlich auf die Zeit seines Unterrichts bei Kittel zurück, wobei letztgültig nicht gesichert ist, dass Rinck die erhaltene Kopie selbst angefertigt hat.
Die Spur der Überlieferung des Buxtehude-Praeludiums endet mithin bei Kittel in Erfurt. Erhellendes zum Weg des Urtextes aus Lübeck nach Erfurt, von Buxtehude zu Kittel, fehlt leider, sodass die Authentizität dieser Überlieferung nicht durch nachweisbare lückenlose Tradierung verbürgt ist. Ein weiteres Unsicherheitsmoment stellt die Notenschrift der Quelle dar, denn mit Sicherheit ist davon auszugehen, dass die Urschrift dieses Orgelpräludiums in Buchstabentabulatur abgefasst war. Nicht nur der Vorgang der Übertragung aus der Tabulatur in Noten ist – je nach Erfahrung der Schreiber – fehleranfällig, das System Notenschrift impliziert ebenso Eigentümlichkeiten der Notation, die sich von der Tabulatur unterscheiden, insbesondere hinsichtlich der Rhythmusnotation, speziell bei der Balkensetzung. Trotzdem stehen heute Methoden der Textprüfung und Edition zur Verfügung (Innere Textkritik; tabulaturkonforme Rhythmusnotation), die Bonität beziehungsweise Authentizität des Tonsatzes weitestgehend absichern können. Über eventuelle Eingriffe in den Quellentext informieren die Herausgeber wie üblich detailliert im Revisionsbericht ihrer Notenausgaben.
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Aufbau, Datierung des Praeludiums C-Dur
Buxtehudes Praeludium C-Dur gliedert sich in drei Teile oder Flächen (F1, F2, F3), die Figurative Eröffnung (Takt 1–22), den Fugierten Durchführungskomplex (T. 23–63) und das kurzgefasste Final (T. 64–69). Der Schlussteil F3 wird durch ein eintaktiges Pedalsolo eingeleitet, das über die Pfeilertöne c’ g° c° die Mollparallele mit dem Pedalton A aufsucht, um sodann kadenzierend über den Sextakkord E-g-c, den Quintsextakkord E-g-b-c, die Subdominante F und den Verminderten Dreiklang D-f-h schliesslich die Tonika beziehungsweise den Orgelpunkt C zu erreichen.
Die Fuge F2 über ein munteres Thema mit italienisch-konzertierendem Duktus bietet charakteristischerweise drei Expositionen, zunächst mit Beibehaltenem Kontrapunkt, schliesslich in Kombination mit einem selbstständigen Kontrasubjekt.
Im Eingangsteil F1 begegnen einem mannigfache Erscheinungsformen figurativer Arbeit: Skalen, Gruppierungen beziehungsweise Motivbildungen, pointierte intervallische Figuration und ostinate Gestaltungen, wobei sich – aufs Ganze gesehen – das Interesse erkennbar in besonderem Masse auf die intervallische Feinziselierung richtet.
Die knappe formale Ausgestaltung des C-Dur-Praeludiums 138 als Praeludium, Fuga und Final erinnert an das ähnlich konzis angelegte Praeludium G-Dur BuxWV 147 mit Figurativer Eröffnung F1, Fuge F2 und Supplementum F3. Dem Stilbefund nach darf auf eine relativ frühe Entstehung dieser beiden Orgelwerke geschlossen werden, wozu wahrscheinlich Buxtehudes Zeit im dänischen Helsingør 1660–1667 – vor seiner Berufung nach Lübeck – in Betracht kommt.
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aus
Musik & Gottesdienst 70. Jahrgang 2016, Seiten 194-196