Kaspar Anton Karl van Beethoven: Zwölf Menuette für Orchester (1799)
arrangiert von A. Holsbergen und zum Leben erweckt von den gesampelten Damen und Herren des „Kirk Hunter Diamond Orchestra”.
1872 entdeckte der Bibliothekar des Wiener Künstler-Pensions-Instituts die handgeschriebenen Orchesterpartien von 12 Menuetten mit der Inschrift „Del Sigr. Luigi de Beethoven 1799“. Bald wurden diese Stücke als authentische Musik von Ludwig van Beethoven gefeiert. Experten aus aller Welt lobten die musikalische Qualität dieser Menuette und stellten Parallelen zu anderen Beethoven-Werken fest. Kinsky-Halm nummerierte sie als WoO 12 in seinem Beethoven-Werkverzeichnis, das 1955 veröffentlicht wurde.
Als Shin Kojima 1977 die Faksimiles der Menuette untersuchte, machte er eine seltsame Entdeckung. Als er die Inschrift „Del Sigr. Luigi de Beethoven 1799“ gegen das Licht hielt bemerkte er, dass ein anderer Name durch „Luigi“ überschrieben worden war, ursprünglich stand dort nämlich „Carlo“. Folglich sind diese Menuette von Ludwigs Bruder Karl van Beethoven komponiert worden!
Weitere Untersuchungen zeigten, dass die Tinte, die für den Wechsel von „Carlo“ zu „Luigi“ verwendet wurde, genau die gleiche Farbe war, mit der der Bibliothekar des Künstler-Pensionsinstituts seine Entdeckung 1872 katalogisierte.
Musikalisch sind diese 12 Menuette ebenso gut wie jede andere Tanzmusik (WoO 7, 8, 10, 13, 14), die Bruder Ludwig tatsächlich komponierte (siehe auch oben die Urteile der Fachwelt, als sie diese Menuette noch für Kompositionen Ludwigs hielt). Aus ihnen ist klar zu erkennen, dass Karl eine angeborene melodische Begabung besaß; sein Verständnis von Harmonie war Stand der Technik dieser Zeit, während seine Orchestrierung, obwohl etwas dick aufgetragen, viele subtile Feinheiten aufweist, von denen man einige bei Ludwig nicht finden kann. Es ist unterhaltsame Musik, voller Leben, mit vielen Überraschungen und höchst ungeeignet für akademische Klugscheißer.
Kaspar Anton Karl van Beethoven (getauft am 8 April 1774 – gestorben am 15 November 1815) wurde in Bonn als zweiter Sohn von Johann van Beethoven und Maria Magdalena Keverich geboren. Er verlor seine Mutter im Alter von 13 Jahren, sie starb am 17. Juli 1787. Da sein Vater zu diesem Zeitpunkt schon sehr der Alkoholsucht verfallen war, fiel die Hauptverantwortung der Vorsorge für ihn und seinen jüngeren Bruder Johann auf den 16-jährigen Ludwig.
1794 übersiedelte Kaspar aus dem Elternhaus in Bonn nach Wien, wohin Ludwig kurz zuvor umgezogen war. Ludwigs Biograph Thayer meint, Ludwig habe ihm zunächst finanziell geholfen und ihm auch geholfen, Schüler zu finden. Jedoch konnte er sich wohl bald selbst versorgen. Kaspar versuchte sich auch in der Komposition von Musik, obwohl er in diesem Metier nie eine große Meisterschaft erreichte.
Im Jahr 1800 wurde Kaspar Angestellter im Finanzministerium. Zu dieser Zeit arbeitete er auch eng mit Ludwig zusammen, dem er als Teilzeitsekretär zur Hand ging indem er dessen Geschäftsbeziehungen mit Musikverlagen pflegte. Diesen Job muss er wohl nicht sonderlich diplomatisch verrichtet haben; die Herausgeber, die mit ihm verhandelten, fanden ihn arrogant und taktlos. Kaspars Arbeitsweise führte auch zu Spannungen zwischen den Brüdern. 1801 oder 1802 verkaufte Kaspar die kürzlich fertiggestellten Klaviersonaten (die drei Sonaten des Opus 31) seines Bruders an einen Leipziger Verleger, nachdem sie Ludwig bereits dem Nägeli-Verlag versprochen hatte. Laut Beethovens frühem Biographen Ferdinand Ries führte der Streit „zu heftigen Tücken“. Nach 1806 arbeitete Kaspar nur noch wenig für seinen Bruder
Im Jahr 1809 wurdet Kaspar durch seine Regierungsstelle befördert, er stieg in die Position des stellvertretenden Liquidators mit einem Gehalt von 1000 Gulden plus 160 Gulden auf. Zu seinem Bedauern befand sich die österreichische Regierung in ernsten finanziellen Schwierigkeiten und bezahlte ihre Bürokraten in Papiergeld, das weit unter dem Durchschnitt zirkulierte. Zu dieser Zeit profitierte er jedoch von Mieteinnahmen aus einem Haus in der Wiener Alservorstadt, welches seine Frau (siehe unten) von ihrem Vater geerbt hatte. Am 25. Mai 1806 hatte Kaspar Johanna Reiß geheiratet, die bereist im sechsten Monat mit ihrem gemeinsamen seinem Sohn Karl schwanger war. Die Beziehung zwischen Ludwig und und Johanna war von Anfang an vergiftet und die Beziehungen zwischen den beiden Brüdern verschlechterten sich nach Kaspars Heirat.
Im Jahr 1812 erkrankte Kaspar an Tuberkulose. Ludwig unterstützte die Familie. Er erwähnte gegenüber der Prinzessin Kinsky, dass er „verpflichtet sei, einen unglücklichen kranken Bruder und dessen ganze Familie voll und ganz zu unterstützen“.
Als sich Kaspars Gesundheit im Jahre 1813 ernsthaft verschlechterte, unterzeichnete er eine Erklärung, in der Ludwig als Vormund seines damals sechsjährigen Sohnes für den Fall seines Todes eingesetzt wurde. Am selben Tag gewährte Ludwig ihm einen Kredit von 1.500 Gulden, für den seine Frau die Sicherung übernahm. Kaspar starb am 15. November 1815. In seinem am Vortag verabschiedeten Testament wies er die Vormundschaft seines Sohnes sowohl seiner Frau als auch Ludwig zu, anscheinend in der Hoffnung, dass die beiden ihre lange Feindschaft zurückstellen würden. Diese Bemühungen scheiterten völlig, als Ludwig und Johanna nach seinem Tod einen langen und bitteren Sorgerechtsstreit über Karl führten; Details siehe unter dem Link Johanna van Beethoven. Zum menschlichen Drama zwischen Ludwig und seinem Neffen Karl, das fast zu einer Tragödie wurde, gibt es einen deutschen Wikipedia-Eintrag, es bietet auch heute noch – oder erst recht? – reichlich viel Kaffeesatz, aus dem Psychologen und solche, die sich dafür halten (gibt es zwischen beiden Gruppen überhaupt einen messbaren Unterschied bzgl. der „Fachkenntnis“?) zu deuten sich bemühen. Zumindest zeigt das Verhältnis von Ludwig van Beethoven zu seinem Neffen Karl, dass ein musikalisches Genie nicht unbedingt durch eine besonders große Empathie-Fähigkeit zu seinen Mitmenschen „geplagt” sein muss und dass „nur das Beste” zu wollen, solange es ohne Rücksicht auf jene, denen man dieses zu oft lediglich starrsinnige „Beste” antun will, nicht jenen auch gut tut.
Jost Wetter-Parasie & Luitgardis Parasie:
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm?
Wie unsere Familie unser Leben bestimmt:
Ein mittleres Kind muss sich seine Rolle in der Familie häufig erst erkämpfen, vor allem, wenn es das gleiche Geschlecht wie das erste Kind hat. Es mag den Erwartungen, die an älteste und jüngste Kinder gestellt werden, entgehen. Dafür muss es sich aber oft anstrengen, um überhaupt beachtet zu werden. So wird es auch „Sandwich-Kind“ genannt, weil es zwischen einem älteren und einem jüngeren Geschwisterkind aufwächst. Ein vorbildliches erstes Kind, das mit glänzenden Eigenschaften aufwartet, kann bei dem zweiten Kind zur Folge haben, das dieses aus lauter Verzweiflung und Minderwertigkeitsgefühlen meint, bei diesem Rennen nicht mithalten zu können. Dann gibt es auf und resigniert. Um seine Rolle zu finden, wird es mitunter zu einem besonders auffälligen und schwierigen Kind.
So tat sich zum Beispiel Kaspar Karl van Beethoven als zweites Kind nach dem erfolgreichen Bruder Ludwig schwer, seinen Platz im Leben zu finden. Zeitweise arbeitete er als Sekretär seines Bruders, dann versuchte er sich als Klavierlehrer, folgte seinem Bruder nach Wien und arbeitete dort als Kassenverwalter. Verdächtigungen, dass er Rechte an Werken Beethovens mehrfach verkauft habe, ließen ihn mit der Justiz in Kontakt kommen. In den letzten Jahren seines kurzen Lebens, er starb mit 42 Jahren an Tuberkulose, war er auf die finanzielle Unterstützung durch den älteren Bruder angewiesen. Erst dem drittgeborenen Bruder Johann gelang es, unabhängig vom Erfolg seines ältesten Bruders ein eigenes Lebenskonzept zu verwirklichen und darin Anerkennung zu bekommen. Er studierte Pharmazie und wurde schließlich ein angesehener und wohlhabender Apotheker in Wien.
Der Psychoanalytiker Alfred Adler, selber ein zweites Kind, meint, dass das zweite Kind meist ein Rebell sei. Oft stachele es die jüngeren Geschwister gegen den älteren auf. Das zweite Kind setze sich leichter über Gepflogenheiten hinweg. „Während der Älteste den Beruf des Vaters ergreifen wird (das tat Adlers älterer Bruder, und auch Ludwig van Beethoven wurde Musiker wie der Vater! Anmerkung der Autoren), wird der jüngste vielleicht ein Leben als Künstler führen oder… einen enormen Ehrgeiz entwickeln und sich zum Retter der gesamten Familie aufschwingen. Das zweite Kind einer Familie steht unter ständigem Druck von beiden Seiten: Es versucht, den älteren Bruder auszustechen und hat Angst, vom jüngeren überrundet zu werden.“
Übrigens kam es zu einem dauernden Zwist zwischen dem erstgeborenen Sigmund Freud und dem zweitgeborenen Alfred Adler. Fast zehn Jahre arbeiteten sie zusammen. Dann aber konnte Freud „in seiner tyrannischen Art nicht länger das unbeschwerte Wesen Adlers ertragen.“ Es kam zum Bruch der beiden Väter der modernen Psychotherapie.