Johann Sebastian Bach: Partita diversa sopra „Sei gegrüßet, Jesu gütig“, BWV 768
Partita (ital., von partire „teilen“) ist die Bezeichnung für den einzelnen Teil (Satz) einer Tanzfolge oder Variationsreihe. Seit dem 17. Jahrhundert wird die Bezeichnung auch allgemein für Instrumentalstücke oder für Satzfolgen im Sinne der Suite verwendet. Das bekannteste Beispiel dafür ist der erste Teil von Johann Sebastian Bachs Clavierübung mit sechs Partiten. Eine weitere Form ist die Choral-Partita, bei der dem Choralthema figurierte Variationen folgen.
Die Ausdrücke „Partita diversa“, „Partitavariationen“, „Choralpartita“ und „Choralvariationen“ sind untereinander austauschbar und beziehen sich auf eine Reihe von Variationen eines Kirchenchoralvorspiels oder eines Orgelchorals. Dies wiederum sind Begriffe, die sich auf eine Solo-Orgelpräsentation einer lutherischen Choralmelodie (ganz oder teilweise) beziehen, die auf der Idee beruht, die Melodie einer Hymne zu spielen, um die Gemeinde mit der Melodie bekannt zu machen, die sie singen soll. Organisten von Bachs Kaliber improvisierten oft über diese vertrauten Choralthemen und bewahrten ihre Improvisationen manchmal als Variationssätze auf.
Bach hat vier Choralvariationen hinterlassen, die ausnahmslos als seine akzeptiert werden, von denen die Partita diversa sopra „Sei gegrüßet, Jesu gütig“ (BWV 768) die größte und bedeutendste und vielleicht schönste aller Choralvariationszyklen Bachs ist – und der am besten integrierte und umfassendste hinsichtlich der Vielfalt der eingesetzten Variationstechniken und Stilmittel. Die anderen beiden Choralpartiten (BWV 766 Partite diverse sopra „Christ, der du bist der helle Tag“ und BWV 767 Partite diverse sopra „O Gott, du frommer Gott“) sind relativ frühe Arbeiten. Die Canonischen Veränderungen über „Von Himmel hoch“ BWV 769 hat Bachs erst 1746/47 geschrieben. „Sei gegrüßet, Jesu gütig“ BWV 768 war die einzige dieser frühen Choralpartiten, die Bach später einer Überarbeitung für würdig erachtete.
Der genaue Zeitpunkt der Komposition dieser und der beiden anderen frühen Choralpartiten ist umstritten. Die ersten beiden könnten geschrieben worden sein, als er im Alter zwischen 15 und 17 Jahren in Lüneberg weilte und die Gelegenheit hatte von Georg Böhm zu lernen, der im Genre der Choral-Variationen sehr produktiv war. Andere verweisen auf die gute Stimmführung und motivische Entwicklung, die sich erst später in Bachs Laufbahn entwickelte. Der Stil ist kompatibel mit Kompositionen aus der Arnstädter und Mühlhausener Zeit, wo Bach bis 1708 arbeitete, bis er in den Dienst von Herzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar trat. Einige Musikwissenschaftler weisen darauf hin, dass Bach während seiner Weimarer Jahre dafür bekannt war, Musik im Stil dieser Partiten zu schreiben.
Die Choralpartita „Sei gegrüßet, Jesu gütig“ (BWV 768) ist der größte und bedeutendste aller Choralvariationszyklen Bachs. Über das Fastenlied von Christian Keimann (1663)
Sei gegrüßet, Jesu gütig,
über alle Maß sanftmütig!
Ach, wie bist du so zerschmissen
und dein zarter Leib zerrissen!
Laß mich deine Liebe erben
und darinnen selig sterben.
wird darin regelrecht meditiert.
Vermutlich sind die einzelnen Variationen verschiedenen Schaffensperioden zuzuordnen. Aus dieser Tatsache resultiert die deutliche stilistische Uneinheitlichkeit der Partita. So sind der Choral (das Thema) und die Variationen I – V sowie VII, manualiter, der Frühzeit zuzurechnen, Variation VI und die Verse VIII – XI, pedaliter, deutlich der späteren, reiferen Zeit. Darauf deutet die diszipliniert beibehaltene Vierstimmigkeit ebenso hin wie der Einsatz des Pedals ab Variation VIII.
Auf jeden Fall ist dies ein sehr einfallsreiches Arrangement von 11 Variationen über das Thema des Chorals „Sei gegrüßet, Jesu gütig“. Die Komposition zitiert den Choral als Eröffnungsstatement in voller Länge, präsentiert dann ihre Variationsreihen und verwendet dabei jeweils unterschiedliche Variationstechniken. Die Choralmelodie selbst ist fast immer leicht zu erkennen, sie ist oft in der obersten Stimme zu hören.
Es gibt kein Manuskript des Werkes von Bachs Hand, es ist in verschiedenen gedruckten Ausgaben und Handexemplaren anderer erschienen. Die Quellen weisen einige Unterschiede im Detail und in der Reihenfolge der Variationen selbst auf.
Die Folge der Variationen lautet, ganz kurz umrissen:
- 00:07 – Corale: Vierstimmiger, homophoner Satz
- 01:19 – Variatio I: Bicinium; die kolorierte Melodie liegt im Sopran über einem selbständig geführten Baß.
- 03:39 – Variatio II: Drei- bis vierstimmiger, mit Arpeggien angereicherter Satz
- 04:59 – Variatio III: Bicinium, in der Oberstimme die Liedweise, mit Figurationen ausgeziert
- 05:41 – Variatio IV: Vierstimmiger Satz; die Melodie liegt in der Oberstimme; die Begleitstimmen sind lebhaft bewegt (Sechzehntel).
- 06:41 – Variatio V: Mehrstimmig ausgesetzte Choralweise, dazu reich bewegte Baßstimme
- 07:55 – Variatio VI: Siciliano
- 08:59 – Variatio VII: Trio, in dem die beiden Manualstimmen sich in der lebhaften Bewegung (Zweiunddreißigstel) abwechseln
- 10:36 – Variatio VIII: Auf der metrischen Grundlage des Sechzehntels (Taktbezeichnung: 24/16) korrespondieren drei bis vier Stimmen über stützenden Baßtönen in Achteln.
- 11:38 – Variatio IX: à 2 Clav. e Ped.; Trio, bei dem der Cantus firmus im Tenor liegt
- 12:53 – Variatio X: à 2 Clav. e Ped.; Sarabande. Die Liedzeilen werden jeweils zweimal durchgeführt, zunächst mit dem kolorierten Cantus (Principale 8′ und 4′), dann mit langen Cantus-Noten (Principale 8′ und 4′ + Sesquialtera), während das Positiv /Gedackt 8′ + Reedpipe 4′) begleitet.
- 18:36 – Variatio XI: à 5 voci, in Organo pleno: Zum Abschluss ein vollstimmiger Plenumsatz.
Mit Samples der Riegerorgel im Konzerthaus Wien eingespielt.