Wolfgang Amadeus Mozart: Fantasie d-moll KV 397 (Fragment)
Mit Samples „The Hammersmith Pro“ eines Steinway-Konzertflügels eingespielt.
Mozarts Fantasie in d-Moll, KV 397, wurde vermutlich 1782 komponiert aber aus unbekannte Gründen nicht fertig gestellt. Sie wurde erst nach seinem Tod entdeckt. Das Kompositionsdatum von 1782 ist eine Schätzung, die aus seinem Stil in Bezug auf andere Mozart-Werke geschlossen wurde. Diese Fantasie wurde erstmals 1804 im Wiener Bureau d’Arts & d’Industrie veröffentlicht.
Autograph wie Briefstellen fehlen. Einstein hat es, trotz des deutlich empfundenen Abstandes von der kleinen c-moll-Fantasie des Jahres 1782 dem Herkommen gemäß im chronologischen Verzeichnis neben ihr belassen. Man wird es besser mit Haas (Aufsatz im Augsburger Mozart-Buch 1942) in die Nachbarschaft der großen c-moll-Fantasie rücken, mit der sie den plastischen Gliederbau gemeinsam hat. Eine überraschend große Anzahl verwandter Stileigentümlichkeiten verweist die d-moll-Fantasie in die Nähe der großen с-moll-Schöpfung: Hier wie dort begegnen Präludiumvorschaltung, Gebrauch arioser und rezitativischer Elemente, mehrtaktige Tonrepetitionen (Glockengeläut), Kadenzeinlagen und Abschluß durch energischen Sechzehntellauf. [Hanns Dennerlein]
Die letzten zehn Takte dieses Stücks wurden wahrscheinlich von einem Mozartfan, August Eberhard Müller, geschrieben. Dessen Fassung eines möglichen Endes der unvollendeten Fantasie wurde erstmals 1806 in einem nicht genehmigten Druck entdeckt. Diese Version ist nun diejenige geworden, die man am häufigsten in Aufführungen des Stücks zu hören bekommt.
Die von Müller angehängten 10 Schlusstakte sind, gemessen an der Bedeutung des Vorhergehenden, meines Erachtens der vorhergehenden musikalischen Entwicklung nicht angemessen, klingen eher wie ein Notschluss. Wie Mozart diese Fantasie weiter ausgeführt hätte, ob er vielleicht sogar einen neuen Kontrastteil eingefügt und eine Reprise des Anfangs wie in der c-Moll-Fantasie (KV 475) angefügt hätte, ist nichts als Spekulation. Offensichtlich betrachtete er dieses Fragment lediglich als Suche nach einer neuen musikalischen Form, für welche er dann mit der „Großen c-moll Fantasie” eine ihn überzeugende Lösung fand. Ein Vorspiel von wenigen Takten webt mit seinen aus den Tiefen aufsteigenden, sich jedesmal wiederholenden Akkordtriolen und der latenten Melodie eine überaus dichte, feierlich-ernste Stimmung, man darf wohl sagen sakraler Art. Kaum hat die latente Melodie die Dominante A erreicht, so bereitet eine Aufmerksamkeit gebietende Generalpause nach dem auf- und absteigenden Dominantakkord auf den ersten Hauptteil vor, auf den Klagegesang des Adagio. Eine eindringliche, von tiefer Trauer erfüllte Melodie schwebt über dem Cantus firmus-artigen Basse, welcher den Duktus der latenten Melodie des Vorspiels weiterführt und dem makabren Dies irae-Motiv der Pariser a-moll-Sonate recht nahesteht […]. Schluchzende Sospiri beantworten ähnlich wie in der zweiten Durchführungsphase im c-moll-Fragment […] die Klageweise. Nach dem Halbschluß des 8. Taktes setzt ein neues Motiv ein. Es ist als läute die Totenglocke, während die Unterstimmen chromatisch in die Tiefe schreiten. Nun stürzen die Tränen. In einer Sturzflut von Sospiris eindringlichster Art, die den latenten Aufwärtsgang umkreisen, macht sich bei weitergehendem Glockengeläut der Schmerz Luft (Adagiotakt 13/15). Schließlich tritt dieser Aufwärtsgang in den Unterstimmen der Takte 16 und 17 sequenziert empordrängend zutage, indes die Oberstimme ermattet nach abwärts sinkt. Nach einer Pause der Erschöpfung drängt erneut das alte Leid zum Ausbruch. Um ein weniges gedämpft, erscheint wiederum, diesmal in der Unterquarte (a-moll), die Klageweise. Ihre verkürzte Fassung genügt, den Gefühlssturm einer Kadenz auszulösen. Mit gesteigerter Eindringlichkeit ertönt, um einen Ton erhöht (g-moll = d IV), das Grabgeläut, gefolgt von dem Agitatorezitativ, dessen Erweiterungstakt einen Gipfel des Schmerzes darstellt. Eine noch heftigere Reaktion (zweite Kadenz) ist die Folge. — Zum drittenmal erscheint die Klageweise. Im reprisenhaften d-moll wirkt der Schmerz als etwas Vertrautes. Die Seufzer werden gelassener, verraten wiederkehrende Fassung. Ein energischer Zweiunddreißigstellauf bezeichnet das Sichlosreißen vom Schmerz. Endlich zwei entschiedene Akkorde. — Dann leuchtet in lebensfrohem Dur, aus dem Schmerz geboren, ein heiteres Allegretto. In genialer Fortbildung enthält es alle wesendichen Motive des Voraus gegangenen. Der Cantus firmus im Baß hat alles Drohende verloren. Die Vorhalte im Diskant seufzen nicht mehr, sondern sind Ausdruck sich hervorwagender Freude (Takt 2/4). Das Glockenmotiv kehrt (Takt 5) wieder, jedoch ohne alle Schwere, und im zweimal gebrachten Abgesang (Takt 17 ff.) wird es vollends zum Ausdruck neuer Lebenslust, für deren Überschwang die entscheidende dritte Kadenz beredter Ausdruck ist. Noch zweimal wird die lebensfrohe Allegrettomelodie intoniert. Es ist kein Zweifel mehr — der entschiedene Abschluß bekräftigt es — die aus soviel Leid hervorgegangene Lebensfreude ist von Bestand. Das Leben triumphiert über den Tod. Die d-moll-Fantasie ist somit von bewundernswerter Geschlossenheit, sowohl in der Formung ihrer Teilglieder wie in der Verklammerung des Moll- und des Durparts durch Verwendung und Weiterbildung einheitlicher Motive. Dies Werk ist weder unvollendet, wie Haas und Einstein (Köchel- Supplement) meinen, noch aus dem Planlosen improvisiert, wie St. Foix glaubt, noch gar zerbröckelt es, wie Riemann (Handbuch der Kompositionslehre) glauben machen will. Es ist eine neue Lösung des Dur-moll-Problems, das gleichzeitig im Klaviertrio d/D K.V.442 und im d-moll-Konzert K.V. 466 behandelt wurde. In der dmoll-Fantasie handelt es sich nicht um subjektiven Ausdruck, sondern um objektive Darstellung eines Gefühlsablaufs. In der Darstellung echt empfundenen Leides und wiedergewonnener Freude erreicht Mozart dieselbe Plastik, welche die wenig späteren reifen Bühnenwerke des Figaro und des Don Giovanni auszeichnet. Etwas von den „Schauern“ der d-moll-Ouvertüre des letzteren lebt auch in der Fantasie. Darstellung der Affekte war ein Lieblingsgebiet des 18. Jahrhunderts. Couperin und die übrigen Clavicenisten, aber auch die Norddeutschen (Reichardt, „Die Freude“ 1782) ergingen sich in programmatischen Schildereien. Wie turmhoch steht Mozarts kleines Meisterwerk sprechender Prägnanz über jenen meist mehr gemalten als empfundenen Versuchen. Gleichwohl hat er Anregungen nicht verschmäht. Haas weist auf die Anklänge an Phil. Emanuels zweiter Fantasie in c-moll aus der 5. Sammlung der Stücke für Kenner und Liebhaber hin. Mozart selbst machte sich die Arbeit nicht leicht. In der von Einstein herangezogenen Mozarteumsskizze K.V. Anh. 34 darf ein verworfener Vorentwurf erblickt werden. Musik darstellenden Charakters wie die der d-moll-Fantasie verdankt ihre Entstehung sicherlich einem unbekannten, von außen kommenden Auftrag. Es wäre denkbar, daß dieses Kabinettstück, dem Schering 1917 in seinem Buch „Musikalische Bildung“ eine verdienstliche, jedoch keinesfalls zum Wesenskern dringende Analyse gewidmet hat, für einen Trauerakt der Loge entstand. Es träte somit in die Nachbarschaft der „Maurerischen Trauermusik“ K.V. 477 vom 10. 11. 1785 in c-moll zum Tode der Brr. Herzog von Mecklenburg und Graf Esterhazy. Auch auf die Anwendung verwandter deskriptiver Kompositionsmittel in den beiden bestellten f-moll-Fantasien für ein Spielwerk (Laudon-Fantasien von 1790/91 […] darf schon hier aufmerksam gemacht werden. Zitiert ausDie Analyse von Hanns Dennerlein
Hanns Dennerlein
„Der unbekannte Mozart
Die Welt seiner Klavierwerke“
Seiten 209-212
Leipzig 1955