Destghakh – Aserbaidschanische Mughamen
Alim Gasymov, Gesang; Bahram Mansurov, Tar; Talyat Bakikhanov, Kamantsche; Vartan Avetisov, Daf
Im Jahr 1989 geriet ich in Baku per Zufall in die Aufführung der Oper Leyli va Madschnun (Leyli und Madschnun), der ersten Oper der islamischen Welt, von Üzeyir Hacıbəyov. Bei einem Abendspaziergang, der mich am Opernhaus von Baku vorbeiführte, kam ich in einer Aufführungspause mit einer Besucherin dieser Oper ins Gespräch. Nachdem sie mir diese Oper in höchsten Tönen gelobt hatte und ich nun Interesse am deren Musik äußerte, schleuste sie mich nach der Pause ins Opernhaus ein, wo ich nun die letzten Akte der Oper genießen durfte. Asim Gasymov sang die Rolle des Madschnun (d.h. „Der von Leily Besessene”), so die Bezeichnung der männlichen Hauptperson. Sein koloraturenreicher Gesang, (teilweise mit Falsettstimme gesungen) begeisterte mich derart, dass ich anderntags einen Schallplattenladen in Baku aufsuchte, um mir Aufnahmen seines Gesanges zu kaufen. Und so kam diese Schallplatte (plus eine Doppel-LP mit „Zerbi-Magamen und Schikeste”) für einen Rubel und fünfundvierzig Kopeken (etwa viereinhalb DDR-Mark) in meinen Besitz. .
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Covertext (sinngemäß von mir ins Deutsche übersetzt):
Als aserbaidschanischer Muqham wird die mündlich überlieferte Kunstmusik bezeichnet, die der vieler anderer Völker des Nahen Ostens ähnelt, wobei allerdings jede orientalische Nation eine eigene Bezeichnung (maqam, makom, makam, mukam, magam, raga, taxim, noo’bee) mit jeweils bestimmten, unverwechselbaren nationalen Besonderheiten von Melodie, Rhythmus und Aufführungspraxis.*)
Der Muqham wurde von Generation zu Generation, von Mund zu Mund und Ohr zu Ohr weitergegeben. Dank der großen Meister, Sänger (hanende) und Instrumentalisten (sadandari), hat dieses kostbare Erbe des aserbaidschanischen Volkes die traditionelle Form bis in unsere Tage bewahrt.
Eine seiner vorherrschenden Gattungen in Aserbaidschan ist der als „Destghakh“ bekannte vokal-instrumentale Muqham. Kompositorisch bezeichnet der Destghakh einen mehrteiligen Vokal- und Instrumental-Zyklus, der sich aber nicht nur auf die Tonreihe mit den grundlegenden Tongruppen eines Melodietyps (maqam) erstreckt, sondern auch auf die musikalische Form, die der modalen Intonation, der Entfaltung eines jeden Modus, als großer Rahmen dient.**)
Ein Destghakh-Muqham wird in der Regel mit instrumentalen Vorspielen – Deramed und Berdasht – eröffnet, welche den Modus der gesamten melodischen Struktur festlegen. Renghi ist ein Zwischenspiel, meist von tänzerischem Charakter, das zwischen die improvisierten Teile des Muqham eingefügt wird, um ihre Symbolik zu vertiefen. Gleichzeitig bewahrt der Renghi Modus und Intonation des vorherigen Abschnittes und dient als Intonationsbrücke. So haben Deramed, Berdasht und Renghi erhebliche kompositorisch-künstlerische Bedeutung für die gesamte Struktur des Destghakh.
Einen wichtigen Platz nimmt auch der gesungene Tesnif ein, der als aserbaidschanisches (persisches) Äquivalent zu unserer Ballade betrachtet werden kann. Der Text besteht aus zwei- oder vierzeiligen Strophen, denen diverse Reihen von Refrains hinzugefügt werden. Die Melodie ist in der Regel sehr emotional, von großer inneren Dynamik. Häufig werden zwei Arten musikalischer Deklamation benutzt: rezitierend und liedhaft. Tesnif haben meist die poetischen Form eines Gazelle (Ghasel).
Der Muqham ist mit der Poesie der großen aserbaidschanischen Klassiker verbunden, mit den Dichter und Denkern Nizami, Fizuli, Nasimi sowie mit modernen Dichter: S. Vurgun, A. Vakhid, S. Rustam und anderer. Die Themen, die ein Muqham behandelt, reichen von lyrischen und Liebesthemen bis zu solchen aus Philosophie und Meditation.
Der vokal-instrumentale Destghakh wird in der Regel durch ein Sadandari (Instrumental-Ensemble) aufgeführt. Dieses orientalisches Trio umfasst einen Sänger (Hanende), der oft auch das Tamburin (Daf, Daira) spielt, den Spieler (Tarzen) einer Tar (ein gezupftes Saiteninstrument) und den Spieler (Kemençe) einer Kamantsche (ein Streichinstrument). Das Vorspiel wird von den Instrumenten ausgeführt, bei der die Tar anführt, der die Kamantsche, entweder einfach die melodische und rhythmische Muster wiederholend oder sie frei variierend, nachfolgt. Die Tar entwickelt ihren Part unabhängig, die Kamantsche imitiert die Tar, jedoch in individueller Art und Weise. Dann beginnt der Sänger mit seiner führenden Melodielinie, die Tar beginnt ihn zu imitieren, die Kamantsche ihrerseits folgt nun der Tar, die ihrerseits dem Sänger folgt.
Eine Destghakh-Aufführung kann eine Stunde oder länger dauern. Sie erfordert emotionalen Ausdrucksfähigkeit, die Beherrschung dynamischer Schattierungen, brillante Virtuosität und eine Fülle an künstlerischer Phantasie bei der Improvisation; dies macht jede Muqham-Interpretation zu einem schöpferischen Akt.
Tariel Mamedov,
Master der Musikwissenschaft
Anmerkungen:
*) Über das arabische Maqam-Phänomen wird im Beitrag Munir Bashir: Meditation-Improvisation auf dem ’Ud berichtet.
**) Die persische Version des Destghakh lautet Dastgah. Wahrscheinlich wurde durch die Aserbaidschaner diese Variante der maqam-Aufführung von den Persern übernommen, da auch das heutige Aserbaidschan während seiner Geschichte lange Zeit unter persischem Einfluss stand.
In gewisser Weise ähnelt, so will mir scheinen, ein persischer Dastgah dem irakischen Al-maqam al-′iraqi:
Al-maqam al-`iraqi gilt als die edelste und vollkommenste Form der maqam-Darstellung. Sie ist, wie der Name besagt, im Irak beheimatet. Man kennt sie seit etwa 400 Jahren in Bagdad, Mosul und Kirkuk. Der maqam al-`iraqi wird mündlich durch die irakischen Meister des maqam überliefert, die diese Form vor allem in Bagdad ausgiebig pflegen. Der maqam wird von einem Sänger qari‘ und drei Instrumentalisten dargestellt, die santur (Hackbrett), goza (Spießgeige) und tabla bzw. dunbak (Bechertrommel) spielen. Als viertes Instrument tritt manchmal ein riqq (Rahmentrommel) hinzu. Galgi bagdadi ist die Bezeichnung für dieses Ensemble (Photo 4), al-maqam al-`iraqi der Name für die musikalische Gattung. Im Zentrum eines maqam al-`iraqi – Stücks steht ein gesungenes Gedicht, das entweder in einem der 16 Versfüße des klassischen Arabisch oder in irakischem Dialekt verfasst wurde. In letzterem Fall wird das Gedicht zuhairi genannt.
Eine maqam al-`iraqi-Vorführung beginnt in der Regel mit dem tahrir-Teil. Der tahrir besteht aus einem oder mehreren gesungenen Melodiezügen, die textlos sind oder aus arabischen, persischen oder türkischen Wörtern (ah-hayya, yar yar, aman) bestehen. Im tahrir wird die Kernzelle des maqam dargestellt und sein Gefühlsgehalt zum Ausdruck gebracht. Nach den einleitenden Passagen improvisiert der Sänger im Wechsel mit den Instrumentalisten rhythmisch freie Melodiezüge, die immer höher gelagerte Tonebenen erfassen. Bei manchen maqamat geht dem tahrir eine festmetrisierte Instrumentaleinleitung voraus. Zuweilen wird er ganz durch eine badwa ersetzt, eine Vokaleinleitung, in der der Sänger teils kurze, teils lang ausgehaltene Töne abwechselnd im hohen und tiefen Register vorträgt.
Habib Hassan Touma
Die Musik der Araber