Von Räubern und Verbrechern

Inhalt

 

Vom Schwartzen Frieder

Wenn ich jetzt aus der Dorfchronik von Gehaus des Paul Gerstung diesen Artikel über das Räuberunwesen zitiere, dann bin ich mir bewusst – das ist kein rühmliches Kapitel von Gehaus. Aber übe bitte Nachsicht, es handelt sich um die Zeit nach dem 30-jährigen Krieg. Viele lebten entwurzelt in den Wäldern, da ihre Besitzungen im Krieg zerstört, ihr Vieh von den Soldaten geschlachtet wurde, ihre Felder zerstört wurden. Viele mussten erst wieder lernen, wie man das Leben anders als durch Raub und Bettelei absichert. Allein, es lag ja nicht unbedingt am fehlenden guten Willen, bezahlte Arbeit war schwer zu bekommen. Ein zerstörtes Gemeinwesen braucht viel Zeit, sich neu zu organisieren.

Wir müssen es wohl hinnehmen, dass unserem Dorf der alten Zeit der Makel einer zwielichtigen Vergangenheit anhaftet.
Da liegt dieses Dorf, oder was es damals war, in der Verborgenheit einer fast unzugänglichen Wildnis, ein passendes Versteck für lichtscheues und räuberisches Gesindel.
Ein erster Hinweis darauf stammt aus dem 14. Jh. Da ist es der Prior des Servitenklosters Mariengart, der sich in einem Schreiben an den Abt Heinrich von Fulda veranlasst sieht, wegen des unzureichenden Schutzes vor räuberischen Überfällen und des dadurch verursachten wirtschaftlichen Schadens die Übersiedlung nach Vacha in das dortige Servitenkloster zu erbitten, die dann 1368 auch zustande kommt.
Die uralte und heute noch gebräuchliche Flurbezeichnung „An der Diebsleite“ lässt vermuten, dass das Diebeswesen und eben auch räuberische Gewalt, in der Tat damals bei uns zuhause sind.
Schlimm geht es in den Jahrzehnten nach dem 30-jährigen Krieg zu, der als Strandgut verwilderte, heruntergekommene und hungernde Menschen hinterlässt. Sie bevölkern scharenweise die Landstraßen als Wegelagerer, Straßenräuber und Diebe, betteln, stehlen und schrecken auch vor Totschlag und Mord nicht zurück.
Ein wahrer Schrecken ist das umherstreunende Diebes-, Bettel- und Zigeunervolk für die Besitzer von Einzelhöfen. Wie ein Zeitdokument aus dem Jahr 1710 überliefert, „…brachte es mehr Schaden, denn die Heuschrecken“.
Die Räuberei, bandenweise oder einzeln betrieben, ist zum täglichen Geschäft geworden. Für manche vielleicht nur ein letzter Ausweg, um in der damals von Unterdrückung und Willkür geprägten Ordnung zu überleben.
Im Dunstkreis dieser Zeitverhältnisse wird 1709 die Hohenwart zum Ort eines Gewaltverbrechens. Wir lesen hierzu in der Kirchenchronik, wo es zum Begräbnis des Zwölfer Johann heißt: „ … auf der Hohenwart vom 11. zum 12. Okt. von Dieben tödlich geschossen“.
Um 1720 gerät unser Dorf unmittelbar in den Bannkreis räuberischer Umtriebe, die eng mit dem Namen des Balthasar Krummfinger verknüpft sind. Die Krummfinger-Bande ist eine, in Stärke von 50 bis 150 Mann auftretende Räuberorganisation mit den bergigen Waldregionen des Thüringer-, Franken- und Böhmerwaldes sowie unserer Rhön als Verbreitungs- und Rückzugsgebiet.
Was es mit der Bande auf sich hat, darüber erfahren wir Einzelheiten aus dem s. g. Hildburghäuser bzw. Themaer Protokoll mit den Aussagen der Bandenmitglieder Mahr und Schwartzmüller, die unser Interesse verdienen.
Vom kleinen Diebstahl bis zu Raub, Mord, Plünderung, Kirchenschändung und Einbruch beherrscht die Bande danach alle Register der verbrecherischen Räuberei. Von der Leitung her ist sie straff organisiert, plant ihre Aktionen militärisch (besitzt Gewehre, Pistolen, Pulver, Degen, Dolch und Hirschfänger als Ausrüstung), richtet Verräter in ihren Reihen nach eigenen Gesetzen und weiß sich geschickt dem Zugriff der Obrigkeit zu entziehen, deren Militär und Miliz sie gelegentlich regelrechte Feuergefechte liefert.
Die Bande, die die Methoden der Illegalität beherrscht, schützt sich durch Deck- und Spitznamen, so wie „Krummfinger“ und auch unser „schwartzer Frieder“ Spitzbubennamen sind. Sie verstehen sich in der Spitzbubensprache als zuverlässiges Mittel der Verständigung untereinander.
Durch die enge Verbindung zu Bettlern, Hausierern, Straßenmusikanten, Marktgängern, Jahrmarktsgaucklern, Schankwirten und Zigeunern als Zuträger und Informanten verfügt sie über einen gut funktionierenden Nachrichtenapparat. Wie es heißt: „… sey unter den herumstreunenden Bettelleuten fast keiner, der es nicht mit der Bande halte und fast kein Krämer, kurtzer Waar Händler, der auf dem Land gieng, der nicht ein Dieb wäre und von Dieben gestohlene Waar annähme.“
Es fällt der Bande nicht schwer, mit Hilfe gefälschter Empfehlungs- und Ausweispapiere, s. g. Brandbriefen, sich beim gemeinen Volk einzukaufen und sich hierdurch in der Bevölkerung einen starken Rückhalt zu verschaffen. Dazu folgende Passage im Protokoll: „… darunter ein alter Mann, der eine einzige Tochter habe und zwey Stunden von Vacha, in einer Mühle im Holz wohne, der s. g. Biber, der ebenfalls falsch Briefe mache“.
Die Bande verleiht an besonders „verdienstvolle“ Mitglieder militärische Dienstgrade sowie Rang- und Adelsprädikate.

„So wäre der zu Themar justifizierte Nicol Beck ein Hofrath gewesen und hätte Herr von Rosenberg gheißen“.

Über die Verbindung zu Amtsschreibern, Gerichtsdienern, Zuchtknechten sowie sonstigen Mittelspersonen verschafft sich die Bande illegal Zugang zu Ämtern und Behörden, zu denen sie enge, korrupte Beziehungen unterhält. Mahr sagt dazu aus:

„…wenn gestreifft würde, säßen die Diebe bey ihren Herbergsleuten sicher, wie sie denn die Streiffung alle zeit, auch oft von den Gerichtsknechten, so mit ihnen hielten, erführen“.

Zu den Diebstählen, Überfällen und Raubzügen kommen bewaffnete Aktionen zur Befreiung der in Zuchthäusern festgesetzten „Kameraden“, von denen der Krummfinger-Bandit Mathäus Reuter unser Interesse verdient. Er ist Mitglied der 27-köpfigen Bande und in ihren Reihen einer der Hauptverdächtigten des am 26.5.1751 am Baiershof verübten Mordes an dem Boineburgschen Jäger Rohr aus Weilar.
Im Juni 1751 verhaftet und in Tiefenort eingesperrt,

„sind von einer starken Bande“, wie es im Protokoll heißt, „… einige in dasiges Amtshaus gebrochen und ihn befreeit“.

Noch einmal gelingt ihm im Febr. 1752 ein Ausbruch aus dem Zuchthaus in Eisenach.
Die 1753 zu seiner Befreiung aus der Fronveste Hildburghausen unternommene Aktion misslingt. Der hierbei festgenommene Mahr wird zum wichtigen Kronzeugen und liefert der Justiz entscheidende Hinweise für gezielte Aktionen gegen die Bande und ihre spätere Zerschlagung.
Der Aktionsradius der Bande und ihr militärischer Befehlsapparat fordern die gesamte exekutive der Fürsten und Herzöge heraus. Die Androhung despotischer Strafmassnahmen soll darüber hinaus dazu beitragen, dem Bandenwesen endgültig den Garaus zu machen.
So ist die königlich-sächsische Verordnung vom Jahr 1722 geradezu ein Freibrief für den organisierten Menschenmord und die Jagd auf alle jene, die heimatlos und in die Wälder vertrieben, dort ihr Leben verteidigen. Da heißt es u. a.:

„… da sie auch Passeporte oder sonstige Attestate vorzuzeigen hätten, sie dennoch nicht mit Gut und Leben frey gegeben, sondern selbige sofort auf der Stelle darnieder geschossen oder sonsten getoedet“.

1726 verfügt der Eisenacher Herzog Galgen, Strang und Schwert für alle diejenigen, wie es heißt:

„… so sich auch nur einige Zeit zu Räuberbanden gehalten“.

Ein Mainzer Mandat von 1730 fordert

„für Vaganten, frembde Spiel-Leuthe und Betteljuden die körperliche Brandmarkung und ohnfehlbar des Stranges Execution, sofern diese nach Verfliessung von 14 Tagen noch im Amt angetroffen“

Vor dem Hintergrund dieser Zeitverhältnisse spielt Gehaus mit seiner Spelunke „beym schwartzen Frieder“ die Rolle eines regelrechten Räuberzentrums.
In Verbindung mit den räuberischen Aktionen ist unser Dorf innerhalb ihres Operationsgebietes eines der Zentren der Krummfinger-Bande und als s. g. starke Retirade ein als unbedingt sicher geltender Schlupfwinkel, Zufluchts- und Rückzugsort. Die abseitige Lage und eine Bevölkerung, die es zu einem großen Teil mit der Bande hält, mögen Gründe dafür sein. Andere kommen hinzu.
1722 spielt unser Dorf beim Durchschleusen einsickernder Banden aus dem Westen Deutschlands auf ihrem Weg in den Thüringer Wald als Anlaufpunkt eine strategisch wichtige Rolle. Bei dieser Aktion sollen bis zu 1500 Bandenmitglieder unser Dorf passiert haben.
Dass eine solche Massenbewegung möglich ist, macht deutlich, welch starken Rückhalt die Bande in der Bevölkerung hat und wie sie mit dem von ihr aufgebauten Netz „starker Retiraden“ militärisch umzugehen weiß.
Laut Hildburghäuser Protokoll gesteht der Inhaftierte Mahr: „… diejenigen, so ihn hierher geschicket (gemeint ist die o. a. Aktion zur Befreiung Reuters aus der Fronveste Hildburghausen, d. Chronist) hießen: der große Lips, Lorentz, Safrans Georg, Zippelfleisch der bucklige Andres (es folgen weitere Namen, d. Chronist), der schwartze Frieder, so in Gehaus wohne, dessen Frau Maria Appel genennet werde, sie alle zusammen in der Schenke zu Gehaus etwa vor 14 Tagen zusammengekommen und alle scharff und doppelte Gewehr und Hirschfänger bei sich führeten“.

Auch im „Themaer Protokoll“ erscheint Gehaus als Zufluchtsort lichtscheuen Gesindels. So kauft ein

“Cammerjäger“ Hahn von seinem Anteil an der Diebesbeute in einer Pfarrei im Sächsischen ein „Wirtshaus in der Fischbach bey Gehaus, welches er hernach wieder hat verlassen müssen“.

 

 

„Schwartze und Leyer-Jakob genennet“, so an einer anderen Stelle des Protokolls, „so sich zu Gehaus aufgehalten, spielten beede die Leyer auf dem Lande“. Vermutlich sind sie Zuträger der Bande.

Seinen Ruf als Räuberdomizil verdankt unser Dorf hauptsächlich dem „schwartzen Frieder“, jener legendären, im Bewusstsein unserer Menschen leider verblassten Gestalt aus unserer Dorfgeschichte. Er ist der anerkannte Boss der Gehauser Sektion der Krummfinger-Bande und zeitweise Besitzer der in unserem Dorf vorhandenen Schenke gleichen Namens.
Von verwegener Natur und als engster Vertrauter des Krummfinger Balthasar fehlt er auf keiner Fahndungsliste der Obrigkeit, die etwa ab 1730 die planmäßige Verfolgungskampagne gegen die Bande aufnimmt. Selbst nach deren Zerschlagung tritt er weiterhin als selbständiger Anführer einer neuen Bandenorganisation auf, sammelt um sich eine Gruppe von 84 Kumpanen und versteht es, auf thüringischhessischem Boden ein Jahrzehnt lang von 1758 bis 1768 Behörden, Ämter und Polizei in Atem zu halten.
Ähnlich dem Rhönpaulus, der um die gleiche Zeit lebt, hat ihn der Volksmund einmal zum Räuberhelden gemacht, der im Aufstand gegen die bestehende Ordnung sich der Not des kleinen Mannes annimmt. So gibt es auch in der folkloristischen Überlieferung über die Schenke zu Gehaus und den „schwartzen Frieder“ ein heute leider nicht mehr auffindbares Räuberlied.
Wo die Schenke sich damals befindet, ist nicht mehr auszumachen. Da es jedoch einen geheimen Pfad zum Schloss hin gegeben haben soll, muss sie ihren Platz irgendwo in dessen Nähe gehabt haben.
Wie es damals dort zugegangen sein mag, hat den Chronisten zu folgenden Versen angeregt:

„Beym schwartzen Frieder“ in der Schenke,
rings um die Tische und die Bänke,
da sitzen sie, vom bösen Geist geritten,
die Diebe, Räuber, Hehler und Banditen
Die Haare hängen dem Gelichter
wirr in verwegene Gesichter,
die – tief zerfurcht und arg zerschunden
von Narben sind bedeckt und Wunden –
Beim schrägen Jörg sind’s unter finst’ren Brauen
glanzlose Augen, die ins Leere schauen.
Eines – von einem Hieb geschändet, –
das andere von Henkershand geblendet-
Die schwarze Lola, Magd ist sie und Dirne,
ein rotes Band trägt sie um Haar und Stirne.
Halb schon bezecht, halb offen schon das Mieder,
hängt frech am Halse sie des schwartzen Frieder
Und während sie bei Wild- und Diebesbraten
den nächsten großen Coup beraten,
da schlürfen sie in wilden Zügen
den Gerstensaft aus Kannen und aus Krügen
Der Nachtwind draußen rüttelt an den Fenstern
als sei’s das Werk von Geistern und Gespenstern.
Und von des nahen Kirchturms hoher Wacht
dringt eines Käutzchens Schrei durch finst’re Nacht
Des Kienspans Licht blakt trüber schon und trüber
und Mitternacht ist lange schon vorüber,
eh‘ hinter’m Jahn als letztem Messerheld
die Türe knarrend in das Türschloss fällt

Gehaus ist in dieser Zeit ein unruhiges Pflaster. Wo sich so viele zwielichtige Existenzen treffen, bleiben Aggressionen nicht aus. Turbulent geht es in Wirtshäusern zu. 1730 kommt es im Verlauf einer Schlägerei zum Totschlag an einem Wirtshausbesucher. Gleichzeitig sind Falschmünzer am Werk. Wie überliefert, werden 1750 zwei von ihnen in der Schenke „beym schwartzen Frieder“ festgenommen.
Wir wenden unsere Blicke noch einmal zurück. Am 7. Dezember 1727 wird auf ihrem Schloss in der Nähe von Nürnberg die Freifrau v. Lentersheim/Eyb erdrosselt aufgefunden. Der Anstiftung des Mordes wird ein Major v. Buttlar beschuldigt, Mitglied des uralten, weit verzweigten hessischen Adelsgeschlechtes gleichen Namens, mit dem Stammhaus in dem uns benachbarten Buttlar und durch Heiraten eng mit den Boineburgs in unserm Dorf verschwägert.
Der Major, so die Gerichtsakte „Buttlar“, lässt den Mord durch Schlossbedienstete ausführen, die Angehörige der mitteldeutsch-fränkischen Räuberorganisation sind und als solche mit einiger Wahrscheinlichkeit Komplizen der Krummfinger-Bande. Was nicht ausschließen würde, dass Spuren des Verbrechens auch in unser Dorf führen.
Kontakte der Buttlars zu Räuberorganisationen (besonders seines thüringisch-hessischen Zweiges) werden in Archivakten wiederholt nachgewiesen.
So bestehen derartige Kontakte des Rhön-Stammsitzes Buttlar und seines nächsten Verwandtenkreises, den Boineburgs, auch zu der Räuberzentrale in unserem Dorf und ihrem Oberhaupt, dem Intimus des Krummfinger-Balthasar, unserem „schwartzen Frieder“. Wie wir bereits wissen, führt ein geheimer Pfad unmittelbar zum Schloss.
Banditen und Grafen regeln ihre Verhältnisse auf der Grundlage der Beziehungen des gegenseitigen Vorteils.
„Die Diebe gäben zu Gehaus den Herrn ihren Zins“, so Mahrs Aussage im Hildburghäuser Prozess. Das heißt, die Boineburgs lassen die Bande unbehelligt und gewähren ihnen sogar den Schutz ihres Hauses.
Überhaupt scheinen die Boineburgs mit Recht und Gesetz ziemlich sorglos umzugehen. Eisenacher Archivakten aus dem Jahr 1748 überliefern uns hierzu den Fall der Desertierung von sechs Eisenacher Musketieren und ihre unerlaubte Eheschließung in Gehaus. Danach haben sich die Sechs, wie es heißt, „mit ihren Menschern“ nach Gehaus begeben und sich dort durch den Pfarrer Joh. Friedr. Weber zusammen trauen lassen, nachdem ihnen, wie es weiter heißt, „auf ihr ordentliches Gesuch zur Eheschließung keine Antwort zugegangen sei“.
Was der Eisenacher Hof glaubte ablehnen zu müssen, wird selbstherrlich durch die Boineburg-Buttlars erlaubt und durch den Passus auf dem Trauschein „auf freiherrl. Boineburgschen Befehl“ auch ausdrücklich noch bestätigt.
Hier könnte man dieses Kapitel unserer Dorfgeschichte eigentlich abschließen, gäbe es da nicht noch jenen Fall, bei welchem Gehaus noch einmal mit seiner etwas unrühmlichen Vergangenheit konfrontiert wird.
1741 kommt es territorialer Besitzansprüche halber und wegen angeblicher Unterdrückung protestantischer Glaubensbrüder im Tullifeld zum Streit zwischen dem fuldaischen Fürstbischof von Buseck und dem Weimarer Herzog.
Da seit alters her nur den Landesfürsten auch die oberste Gerichtsbarkeit zusteht, lässt Weimar als äußeres Zeichen seines Herrschaftsanspruches auf dem Neuberg bei Glattbach einen Galgen mit der Absicht errichten, dort einen armen Sünder zu hängen.
Von Buseck, der davon Wind bekommt, lässt demonstrativ als Ausdruck fuldascher Besitzansprüche den Galgen umhauen und seinerseits an gleicher Stelle einen neuen Galgen errichten.
Er trifft Anordnungen, wonach am 11. Aug. drei Missetäter gehängt werden sollen. Es muss schon verwundern, dass dafür ausgerechnet drei Gehauser vorgesehen sind. Statt ihrer muss jedoch vorerst, wiederum an einem Weimarer Galgen, ein schnell aus Jena heran geholter Delinquent seinen Kopf hinhalten.
Der Fürstbischof bleibt die Antwort nicht schuldig und dieses Mal verlieren am 14. Aug. die oben erwähnten drei Galgenvögel aus unserem Dorf unter dem Schwert des Henkers tatsächlich ihren Kopf. Ihre Namen sind uns als Rudolf Groß, Johann. Dresch und Joh. Georg Gallenburg überliefert. Ob schuldig oder nicht schuldig, wieder einmal müssen Kleine für die Großen bluten.
Die schlimmen Erfahrungen, die man in der Vergangenheit mit der Obrigkeit gemacht hat, bewirken, dass sich das Bewusstsein von Recht und Gesetz in den Köpfen vieler Menschen nur zögernd durchsetzt. Noch bis ins 19. Jh. hinein sind bandenweise Einbrüche keine Seltenheit („Rollberg“). Dass auch die Gehauser ihr Geschäft mit der Räuberei nicht ganz verlernt haben, das entnehmen wir dem Hinweis der Kirchenchronik aus dem Jahr 1839, wonach das Dorf auch damals noch eine Zufluchtstätte für räuberisches Gesindel ist.
Der Gehauser Krummfinger-Sympathisant und die anderen aus der Gehauser Räuberszene, was ist eigentlich aus ihnen geworden?
Blättert man im Sündenregister um die Jahrhundertwende unseres Dorfes, so möchte man meinen, dass da wirklich noch etwas von jenem gesetzlosen und gewalttätigen Geist des „schwartzen Frieder“ zurückgeblieben ist. Überliefert sind wiederholt Messerstechereien anlässlich der Kirmes und anderen Festen sowie handfeste Schlägereien. Messerhelden aus Gehaus sind leider auch dabei, als 1908 in Wölferbütt bei einem Streit mit Jugendlichen aus dem Dorf dem hinzueilenden Gemeindediener Johann Eiche tödliche Verletzungen zugefügt werden.
Das alles aber liegt nun schon lange zurück. Aus dem Gehauser von einst, der es mit fragwürdigen Existenzen und lichtscheuen Gesindel hält, ist längst der friedfertige Gehauser geworden, der nicht mehr vor dem Strafrichter steht, sondern schlimmstenfalls wegen Verleumdung, tätlicher Beleidigung, übler Nachrede und weiß Gott weshalb vor dem Friedensrichter. So wie beispielsweise wegen Verleumdung jene Gehauserin, die einer anderen nachsagt, sie habe beim Bäcker Louis einen Krümpelkuchen gestohlen. Oder wegen Gerüchtemacherei auch jene, die ihre Nachbarin dadurch moralisch in Verruf bringt, indem sie durchblicken lässt, sie habe nächtlicherweise unter ihrem Fenster zwei Bauersmänner gesehen, der eine mit einem Säckchen Erbsen, der andere mit einem Laib Brot unter dem Arm.
Mit diesem versöhnlich stimmenden Report wollen wir uns aus einem etwas düsteren Kapitel unserer Dorfgeschichte verabschieden.


Die Krummfingerbande

Wie bereits erwähnt möchte der Heimatpflegeverein e. V. von Gehaus interessierte Bürgerinnen und Bürger über bestimmte Abschnitte in der Historie unserer Heimatgemeinde informieren und zum Nachdenken an vergangene Zeiten anregen. In loser Reihenfolge möchten wir bestimmte Eckpunkte der Vergangenheit neu beleuchten. Wir möchten darauf hinweisen, dass keiner dieser Folgen das Recht auf Vollständigkeit hat. Im Gegenteil wären wir alle sehr dankbar, wenn durch diese kleine Serie neue Erkenntnisse hinzukommen würden. Gleichzeitig wird hiermit darauf verwiesen, dass die 2. Auflage zum geschichtlichen Abriss der Gehauser Vergangenheit jeden Mittwoch in der Zeit von 18.00 – 20.00 Uhr in der Gemeindeverwaltung von Gehaus im Schloss erworben werden kann. Beginnen wir mit der Bande des Balthasar Krummfinger: Wie viele wissen entstand in der Zeit des 18. Jahrh. in Gehaus, aber auch in der Umgebung ein starkes Bandenwesen. Dass gerade Gehaus dafür eine dominierende Rolle bot, war den Umständen der damaligen Zeit zuzuschreiben. Begonnen hatte alles um 1673, also kurz nach dem 30-jährigen Krieg und erlebte seinen Höhepunkt in den Jahren von 1720 bis 1750. Die im Landesarchiv von Meiningen aufgefundene Schriftstücke (Themaer Protokolle) sind von großer Wichtigkeit für die Analyse der ideologischen und politischen Auseinandersetzungen der Krummfingerbande.

Gehaus war nicht der einzige Unterschlupf der damaligen Banden, aber es war einer der wichtigsten seiner Zeit. Stellt man einen Vergleich an z. B. über die Tätigkeit des „Rhönpaulus“ im Zusammenhang mit der Krummfingerbande, so ergeben sich in der Qualität beträchtliche Unterschiede.

Der Erstgenannte trat zum größten Teil als Einzelgänger in Erscheinung und hatte dadurch keine reelle Basis. Sie hatten beide aber eins gemein, sie waren beim einfachen Volke beliebt. Die Krummfingerbande trat in großer Stärke auf und wurde mi­litärisch geführt, mit Dienstgraden usw. Sie hatte starken Rückhalt in der Bevölkerung und einigte sich oft auch mit der Obrigkeit. Sie war, so kann man es sehen, ein Staat im Staate. In erster Linie zählte der gegenseitige Vorteil. Die Themaer Protokolle beschreiben die Mitglieder der Krummfingerbande wie folgt: Hier nur ein Beispiel und zwar über Krummfinger selbst: Der Name ist anonym. Unter Nr. 1 steht:

„Ein kurz untersetzter dicker alter Kerl runden schwarzen Ange­sichts, schwarzem Schnurbarte, schwarzen langen Haaren, einen weisen Kittel mit blauen Auf- und Überschlägen, darunter eine blaue Weste, in gleichen schwarze lederne Hosen und weisen leinenen Gamaschen mit gelben Knöpfen tragend. Ein General Dieb, welcher wie ihm Hermann Schäfer erzählt, die größten Diebereien verübet, sonderlich bei Vorbach im Würzburgischen, wie Inquisit bereits asssaget, einen Schweinsschneider beraubt und ermordet, zu Breitenbach im Amt Gehren nebst seinen Schwager, dem Krummfingerles Hannsen, dem Trautens Hannß, dem dicken Gottfried und dicken Friedel, eines Kaufmanns Laden ausgestohlen, den Edelmann in Lahme weißes Tischzeug des Nachts aus dem Garten entwendet. Auf den Straßen die Coffres von den Wagen angeschnitten, zu Heiligersdorf dem Prediger Bettwerk und Kleider, und somit noch unzählig viel gestohlen.“

Es liegen weitere Personenbeschreibungen vor, die aber hier den Rahmen sprengen würden, zähle man sie alle auf. Es liegen Aufzeichnungen über weitere Straftaten dieser Räuberban­de im gesamten mitteldeutschen Raum vor. Es ist ja bereits bekannt, daß sich Einzugsgebiet der Krummfingerbande bis nach Böhmen erstreckte.

Von Interesse durfte auch die folklore Überlieferung sein. Außer den bereits bekannten Liedern sind noch zwei jetzt hinzugekommen. Aus dem Munde der Bäuerin Veronika Reder wurden diese im Jahre 1933 durch den Volksliedsammler C. Hartenstein in Kaltennordheim aufgezeichnet. Eines soll hier veröffentlicht werden, das zweite dann weiter unten.

Nicht weit von hier in einem tiefen Tale,
stand ein Mann bei einem Wasserfalle,
da war ein Mädchen so schön wie Milch und Blut,
mit einem aufgeputzten Federhut.

Kind, o Kind, du jammerst meiner Seele,
ich aber muß in eine Räuberhöhle,
ich kann und darf nicht länger bei Dir sein,
ich aber muß in eine Räuberhöhle hinein.

Hier hast du ein Ringelein,
und sollt dich jemand fragen,
so sag ihm nur,
ein Räuber hätt ihn getragen.
Und der dich liebt beim Tag als bei der Nacht,
er hat so viele Mädchen umgebracht.

Nicht weit von hier
in einer großen Mühle
dort sind die Mädchen hübsche und so viele.
Dort können wir beisammen glücklich sein,
ich aber muß in eine Räuberhöhle hinein.

Wie bereits im 1. Teil als Volkslied niedergeschrieben, sind auch die anderen Lieder von Schwermut gekennzeichnet. Diese Lieder widerspiegeln auch die soziale Problematik dieser Zeit. So findet nicht nur Gehaus in den Themaer Protokollen Erwähnung, sondern auch solche Orte wie Tann, Kaltennordheim, Weiler, Ober- und Unterweid. So hat die Gestalt des „Schwarzen Frieder“ bereits einen Vorgänger in den beiden oben zuletzt genannten Orten „Schwarzer Paul von Unterweid“. Die sogenannten Moritaten wurden in allen einschlägigen Wirtshäusern jener Zeit gesungen. Sie widerspiegeln auch damit ein Bild der damaligen Zeit. Versetzen wir uns mit einem weiteren Volkslied in diese Zeit zurück.

Es klopft so grässlich an die Tür!
Geh Weib und sieh, wer ist dafür.
Es ist vielleicht ein armer Mann,
der nirgends Obdach finden kann,
es ist vielleicht ein armer Mann,
der nirgends Obdach finden kann.

Vers 2 ist nicht im Text bekannt.

Sie morden Knecht und Herr und Magd
und rauben bis zum Morgentag.
Ein einzig Kind, das nimmt die Flucht,
im Hundestall es Rettung sucht.

Sobald der Tag am Himmel steht,
das Kind sogleich zum Richter geht.
Mit Zittern und Weinen spricht es hier:
O, lieber Mann, geh doch mit mir!
Das war ja heut ein Angstgeschrei!
Der Schmied im Dorf war auch dabei.

Der Richter nimmt Soldaten mit
und geht sogleich in’s Dorf zum Schmied.
Er ist nicht da, er ist verreist,
wie es im ganzen Hause heißt.
Zuletzt steht unterm Tor ein Kind,
so froh und frei wie Kinder sind.

Der Richter spricht zum Kinde da:
Geschwind, sag mir, wo ist Papa?
Im Keller, spricht gleich drauf das Kind,
bei ihm noch viele Kinder sind.
Und hört nur, wie das Silber rollt!
Sie zählen Geld und wiegen Gold.

Der Richter sie ergreifen lässt
und setzt sie all in Ketten fest.
Sie sind zu schlecht für diese Welt!
„Zum Henkerstod“ das Urteil fällt.
Und für die hässlich blutige Tat
büßt jeder Mörder auf dem Rad.

Wie weitreichend das Bandenwesen jener Zeit war, beinhalten fürstliche Mandate jener Zeit z. B. das Zigeuner Mandat von 1713 sowie das „Churfürstliche bey dem Fränkisch-schwäbischen Crayß“, Mainz 1830. Letzteres zeichnet sich durch eine brutale Härte aus, fordert zur körperlichen Brandmarkung und „geschwinden Execution“, Galgenstrafen, Rutenstreiche, Urfehde und Einbringung auf die Galeeren. Alle Verordnungen aufzuzählen, würde den hiesigen Rahmen sprengen. Hier spiegelt sich aber mit diesen Verordnungen die Geschichte der Krummfingerbande in ihrer Gesamtheit wider. Sie waren recht- und heimatlos und gestalteten so ihre Lebensweise, indem sie in Wäldern, Löchern und Spelunken hausten. Durch diese Tatsache kommen wir immer wieder auf unser Heimatdorf zurück. Da die Banden in der Illegalität und anonym tätig sind, werden die damaligen Behörden gezwungen, diese per Steckbrief suchen zu lassen. Im ersten Teil hatten wir über den Kopf der Bande bereits berichtet. Es liegen ca. 150 Personendaten von Bandenmitgliedern vor. Man kann nicht von allen berichten. Jeder hatte Spitz- bzw. Decknamen, die heute uns geläufig sind. Nennen wir nur einige, so „Schusters Dres“, „Dreck Schusterin“, „Tauben Adam“, „Rotz Dina“, „Filzlaus“ usw.

Auch 5 Personenbeschreibungen von Zigeunern liegen uns vor. Sie nannten sich: „Göbel, Rose, Helfrich, Schnieppel und Johann“. Viele deren Schicksale waren eng mit dem preußischen Heer verbunden, wo die meisten von ihnen das Waffenhandwerk erlernten und es später zu ihrem Nutzen einsetzten.

Unter der Nr. 68 wird ein Cammerjäger Hahn beschrieben, der in der Fischbach bei Gehaus ein Wirtshaus kaufte. Das Geld stammte aus einem Raubzug bei einem Pfarrer im Sächsischen, der allerdings schon 8 Jahre zurücklag. Nachdem das Wirtshaus aufgegeben wurde, kam es dann zu Diebstählen auf den Masbacher Höfen.

Unter der Nr. 73 werden die Taten des „Schwarzen Leyer Jakob“ beschrieben, der sich ebenfalls vorwiegend in Gehaus aufhielt. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Die Absatzwege der gestohlenen Sachen begannen beim einfachen Kastenträ­ger und setzten sich bis zum vornehmen Messekaufmann fort. Alle waren vertreten, ob Bettelmann oder Schankwirt. Man kommt immer wieder auf einen Nenner zurück, und dies war nun mal der Nutzen vom „Gegenseitigen Vorteil“. Hier bestand eines der größten Stärken der Krummfingerbande. Die Vertei­lung der Beute erfolgte nach einem bestimmten Schlüssel, der oft auch zu Auseinandersetzungen innerhalb dieser Gemeinschaft führte. Im nächsten Baierboten wollen wir auf einige Straftaten der Krummfingerbande eingehen. Dabei wollen wir nach Möglichkeit solche benennen, die noch nicht so bekannt sind. In loser Reihenfolge sollen dann weitere Episoden aus unserer Geschichte dargelegt werden, die aber nie den Anspruch auf Vollständigkeit erheben werden. Für diesbezügliche Hinweise und Ergänzungen wären wir sehr dankbar. Wer sich mehr und intensiv mit der Vergangenheit der Gemeinde Gehaus beschäftigen möchte, kann sich jeder Zeit mit dem Heimatverein in Verbindung setzen, für jeden Hinweis oder auch Mitarbeit, auch an anderen Themen, wie z. B. Brauchtum usw., sind wir dankbar.

In Vorbereitung dieses Artikels möchte ich mich im Namen des Heimatpflegevereins Gehaus bei Heiko Wagner bedanken, der entsprechende Materialien zur Verfügung stellte.

Quelle:

Sollte Interesse bestehen, werden weitere Fortsetzungen zu den Eckpunkten der Gehauser Geschichte folgen.

Im Namen des Heimatpflegevereins e. V. Gehaus/Rhön
Reinhold Lotz†
Vorsitzender

Literaturergänzung

Zitiert aus Baierbote 3(2005)09 vom 30. September 2005 und 3(2005)10 vom 28. Oktober 2005


 

 

Der Fall Hartung

Ein Blick zurück in vergangene Zeiten !
Im Voraus sage ich Dank an Herrn Peter Hermann aus Gehaus, der es ermöglichte diesen Beitrag zu gestalten. Auf Grund des Umfanges dieser uns vorliegenden Gerichtsakte geschieht die Veröffentlichung in mehreren Teilen, trotzdem noch leicht gekürzt. Teilweise wird im Original zitiert.

Wir schreiben das Jahr 1774, den 10. November.
Was war vorausgegangen?
Johann Christoph Engelbert Hartung, dessen Haupt wie wir bald hören werden, auf dem Richtplatz in Lengsfeld für begangene Verbrechen fiel, wurde im Jahre 1735 in Fulda geboren. Er war der Sohn armer Eltern. Die Anlagen des Knaben wurden aber früh entdeckt und wohlthätige Menschen sorgten für eine bessere Bildung. Er studierte in Bamberg und Fulda die Rechtswissenschaften.
Er durchlief die verschiedenen Zirkel des geselligen Lebens, lernte Sitten, Gewohnheiten, Neigungen, Schwachheiten und Triebe anderer kennen, nicht aber seinen eigenen Leichtsinn bannen und seine Liebschaften zügeln!
Kaum nach Fulda zurückgekehrt verliebte er sich in die Witwe des verstorbenen Universitäts-Pedells! Da er weder Vermögen noch ein Amt hatte, bewarb er sich um die vakante Stelle des Pedell. Diese bekam er auch, so dass er nun für die unbemittelte Frau und deren drei Kinder sorgen konnte. Sittsamkeit wurde zu dieser Zeit überall gepredigt. Die Wirklichkeit sah allerdings anders aus. Schon bald merkte Hartung, dass es in diesem Punkte bei seiner Ehefrau nicht so genau genommen wurde. Bei ihr waren Trunkenheit, sowie der Beischlaf mit anderen Männern an der Tagesordnung. Sein Gehalt selbst reichte nicht aus, um all die Wünsche seiner Ehefrau erfüllen zu können. Im Jahr 1761 bewarb er sich in Fulda zusätzlich um eine Stelle als Notar.
Diesem wurde auch stattgegeben. Nun betrieb er unter anderen die Rechtsangelegenheiten des Herrn von Berlepsch zu Speckwinkel und kam so in Verbindung mit einer Frau von Bartheld oder Bartel die zu dieser Zeit in Gehaus wohnte. Als Gesellschafter vorgeschlagen ging Hartung dann zu Pfingsten 1773 nach Gehaus, unter der Bedingung, dass er seine Frau in Fulda zurücklassen musste, das deren schlechter Ruf, weit über Stadtgrenzen von Fulda hinausging. Maria Elisabeth von Barthels, war damals 27 Jahre alt, liebenswürdig und tugendhaft, leider aber sehr unerfahren. Dies sollte ihr später zum Verhängnis werden. Bis jetzt lebte sie mit ihrer Mutter und 4 älteren Geschwister lediglich von der Unterstützung eines Oheims, welcher kaiserlicher General war. Ihren eigentlichen Vater verlor sie sehr früh. Über ihn selbst ist nichts bekannt. Sowohl sie als auch ihre Mutter betrachteten daher den Entschluss der Frau von Forstmeister als ein glückliches Ereignis Hartung bei sich einzustellen. Der schlaue Hartung ließ die reizende und dankbare Marie nicht länger in Ungewissheit, wem sie ihr Glück zu verdanken habe. Man glaubte nun im Schloss zu Gehaus überall heitere Geselligkeit wahrzunehmen. Hartung bot alles auf, um der Barthels sich angenehm zu machen, denn Maria war, wie er bald sich selbst gestehen musste, der Gegenstand seiner leidenschaftlichen Liebe und alles, was er wünschte, war Genuss auf Unkosten der weiblichen Jugend.
Um dies bei der eifrigen Protestantin zu untergraben, leitete er oft die Unterhaltung in Richtung der bestehenden Moral und Religion in Verbindung mit Gefühlen und Gewohnheiten bis zum Naturtrieb des Menschen. Die Frau von Forstmeister bemerkte dies und machte die junge Frau Maria von Barthels darauf aufmerksam.

Diese versprach daraufhin ihn zu meiden, hielt sich aber nicht daran und so geschah es, dass beide sich zu weilen an dritten Orten heimlich trafen. Maria fühlte nach solchen Zusammenkünften nichts als den inneren Vorwurf, dass sie die Warnung der Frau von Forstmeister nicht beachtet hatte. Sie hielt Hartungs Benehmen für das Resultat inniger Freundschaft, die ihr um so wohltuender war, da die Gutsherrin sie zwar freundlich, aber doch nicht selten mit einer steifen Gnädigkeit behandelte, sie aber bisher von keinem jungen Manne, ihre Vorzüge und Liebenswürdigkeiten mit so schönen Worten loben hörte. So war das Verhältnis zwischen Hartung und der Barthels, als der Karfreitag des Jahres 1774 herannahte. Hartung hatte Maria viel erzählt von den Bußübungen der Katholiken am Todestag des Herrn, sie äußerte den Wunsch, Augenzeuge von den in Geisa veranstalteten Prozessionen zu sein und die Frau von Forstmeister gab ihr die Erlaubnis dazu. Am Karfreitag früh trat sie in Hartungs und in des Conrad Kumpel Begleitung die Reise von Gehaus nach Geisa an. Die Frau von Forstmeister ahnte keinen Unfall, da sie den treuen Kumpel genau instruiert hatte.

Straßen und Freiplätze waren gefüllt von Menschen, die Prozession begann und Maria sah, was sie noch nie gesehen – in grobe leinenen Säcke gehüllte Büßende mit entblößten Rücken in Demut unerkannt einhergehende, Streiche mit der Geisel empfangend, dass stromweise das Blut zur Erde floss. Sie sank bei solchem Gräuel in Ohnmacht, musste in einem benachbarten Hause zu Bette gebracht werden und – erwachte unter Hartungs glühenden Küssen. Sie verwies mit Ernst ihm die männliche Kühnheit, errötete als sie wahrnahm, dass Hartung die Reize musterte, die ihn außer Fassung gebracht hatten und befahl ihm, als sie die Nachlässigkeit ihres Anzuges entdeckte, weinend sich zu entfernen. Hartung ergriff rasch die Hand, drückte sie an seine Lippen und entfernte sich mit den Worten:
„ Marie ich bete sie an und furchte nicht durch die Heftigkeit sie beleidigt zu haben.“
Hartung verließ nun Marie und begab sich in eine Weinstube um sich Mut anzutrinken. Kumpel bekümmerte sich nun um die Barthels und wich nicht mehr von ihrer Seite. In Begleitung Kumpels nahm Marie erstmalig an einen katholischen Gottesdienst teil.
Erst gegen Abend erschien Hartung wieder, um nun die Rückreise nach Gehaus anzutreten. Kurz vor Bremen – einem kleinen Dorf zwischen Geisa und Gehaus gelegen, ereilte sie die Nacht, sowie ein aufkommendes Unwetter. Ungern entschloss sich die Barthels hier zu übernachten, denn es war nur eine Fremdenstube in dem Wirtshaus vorhanden. Erschöpft legte sie sich mit ihren Kleidern auf das Bett, während Hartung auf einen Kanapee, welches sich noch im Zimmer befand, Platz nahm.
Kumpel bekam ein Schüttel Stroh und musste vor der Tür zum Fremdenzimmer schlafen.
In der Stube erleuchtete eine Kerze den Raum. Kaum war Marie eingeschlafen, als Hartung die begierigsten Blicke auf ihre Reize warf. Er setzte sich nun auf einen Stuhl neben die Schlafende, es kam ihm vor, als hätte die Schönheit aller Grazien sich in Marie vereinigt, er umarmte sie mit ganzem Drange der feurigsten und zärtlichsten Liebe. Ihr Schweigen dazu schien alles zu billigen, was er wagen werde.
Endlich erwachte sie, sie schob ihn weinend von sich, mehrte aber dadurch seine Verwegenheit, er sprach nicht, handelte aber desto mehr und die Erschöpfung und das aufgeregte Gefühl der armen Unglücklichen kam ihm dabei leider zu statten.
Die Stimme der Tugend von Marie schwieg zwar nicht, aber auch bei ihr war die Wollust größer als der Verstand. Er empfing von ihr einen Kuss, was ihn nun bestärkte, dass er ihr nicht gleichgültig sei. Je länger sie ihm den völligen Sieg erschwerte, desto eifriger wurde seine Begierde. So kam er zu seinen vollständigen Genuss, da ja auch Marie, wenn auch unter Tränen, einwilligte.
Der Elende hatte ein noch nie gekanntes Feuer in Mariens Busen entflammt, das nun alle ihre Adern durchglühte. Er bemächtigte sich ihr, so dass die Seele betäubt war. Feurige Umarmungen folgten auf lebhafte Entschuldigungen und erst am Morgen verließen Beide das Bett sündhafter Freuden.
Man trat – Maria in der Hoffnung Mutter zu werden – die Rückreise nach Gehaus an, wo bald die Verführte die bitterste Reue fühlte.
Die Gerüchte, welche sich nun daraus ergaben, kamen auch der Obrigkeit zu Ohren. Man glaubte allgemein die Bartheld sei schwanger und um weiteres Ärgernis zu verhindern, erhielten beide Befehl, den Amtsbezirk sofort zu verlassen.
Frau Bartheld wurde darüber am 09. November 1774 in Kenntnis gesetzt und erschrak dermaßen darüber, dass sie sich niederlegte und den ganzen Tag im Bett verblieb. Später wollte sie zu ihrer Mutter und sich reuevoll in deren Arme legen, oder im Findelhaus zu Cassel (heute: Kassel) unerkannt die Niederkunft abzuwarten, doch keines von beiden geschah. Die Wetterlage vom 10. November 1774 verhinderte dies. Frau von Forstmeister übernahm dafür die Verantwortung, beide blieben also in Gehaus.
So kam dann der unglückliche Abend des 10.11.1774 – die Zeit, wo Maria Mutter werden sollte. Als die Geburtsschmerzen am heftigsten eintraten, lagen alle Bewohner des Schlosses in tiefem Schlaf, nur Hartung wachte. Von diesem unterstützt, wankte sie die Treppe hinauf in eine Kammer, an welche der Abtritt stößt, dort kommt sie mit einem Kinde weiblichen Geschlechts nieder, welches Hartung in ihrer Gegenwart erdrosselte und wegschafft.

Die Verbrecher hielten sich nun mehr so sicher, dass ihre Schandtat nicht entdeckt würde, so dass man und insbesondere Hartung auch gegen die Obrigkeit aufsässig wurde, wenn auch in einem anderen Zusammenhang, so dass seine Verhaftung beschlossen wurde. Während Hartung in Lengsfeld im Gefängnis für seine strafbaren Reden büßte, war Maria von Bartheldt zu ihrer Mutter zurückgekehrt.
Der Frühling des Jahres 1775 kam und vergebens versuchte die Barthehlt in der erwachenden Natur ihren Frevel zu vergessen.
Ihr Schmerz wurde zur Schwermut, Ihre Mutter forschte lange vergebens nach dem tiefen Kummer ihrer Tochter, und erst am 25 Mai 1775 warf Maria sich vertrauensvoll an ihr Herz.
„Mutter – so sprach sie – ich umarme dich in diesem Leben das letzte mal, Hartung hat mich verführt, ich habe ein Menschenleben auf meinem Gewissen, ich eile die blutige Tat zu büßen.“
Die Mutter von Maria sank zu Boden, sie selbst eilte nach Lengsfeld, wo sie am 26. Mai 1775 folgendes Geständnis ablegte:
„Als ich spürte, dass das Kind zur Welt kommen werde, setzte ich mich bloß auf den Rand des Abtritts. Da es mir dabei schlimmer wurde, fiel ich von dem Rande herunter auf meine Knie, worauf das Kind von mir schoss. Ich fing es mit meinen beiden Händen auf, stand auf, setzte mich wieder auf den Abtritt, nahm mein Kind auf den Schoß und hielt es solange mit meinen Händen, bis Hartung, der wieder in meine Kammer getreten war, zu mir kam. Er langte mit einer Scheere, mit der ich die Nabelschnur meines Kindes durchschnitt, wobei dasselbe einen kleinen Laut von sich gab, auch mit den Händen und Füssen sich regte, sie aufhob und wieder fallen ließ. Hartung nahm ein Paar alte leinene Beinkleider hinter einen Schranke hervor, ich band mir, was Hartung mir hieß, ein Strumpfband ab, hielt solches rechts neben dem Kinde in meinen Händen, und übergab beides dem Hartung. Dieser steckte das Kind, ohne das die Nabelschnur unterbunden wurden ist, in ein Bein des alten Beinkleides.
Zu diesem Zeitpunkt lebte das Kind noch. Nachdem er das Strumpfband am Hälschen des Kindes befestigte wurde es gegen 11.00 Uhr in meinem Beisein von Hartung unten in das Stroh seines Bettes gesteckt, wobei es sich nicht mehr bewegte.
Ich war sehr schwach, ging in die Unterstube, setzte mich dort auf einen Eimer und erwartete den Abgang der Nachgeburt. Gegen 2 Uhr Morgens wurde ich davon befreit und Hartung hat sie auf dem Abtritt zugeschüttet. Hartung hat mir gesagt, er hätte am 11. November 1774, früh 2 Uhr das Kind beleuchtet, ihm auch Odem eingeblasen, es sei aber todt gewesen.
Er habe ihm einen anderen Strick um den Hals gelegt und solches an demselben Tage früh 7 Uhr, damit es vermodere und nimmer entdeckt werde, unter seinem Schlafrocke durch das Kellerloch in den alten verfallenen Rittergutskeller geworfen, in welchem Wasser und Steine wären und wohin niemand mehr komme.“

Nach Ablegen dieses Geständnisses wurde die B. in das Gefängnis gebracht, indem sie 2 2/3 Jahre als Untersuchungsgefangene saß. Der Leichnam des Kindes wurde im besagten Raum gefunden und in das Amtshaus in Lengsfeld gebracht, wo am 28. Mai 1775 die Obduktion vorgenommen wurde.
Hier der Sektionsbericht:
„Es fand sich – heißt es im Sectionsprotokolle – in der Schachtel ein vollkommenes, reifes, zeitiges und Gliedwoliges Kind, sexus foeminini, woran alle gehörigen Erfordernissen zu erkennen waren. Die fleischigten Theile der Nase der Finger waren mehrentheils abgefault, die äußeren entcula von der darunterliegenden cute völlig abgelöst, besnders am köpfe, welche Theile mit Haaren bewachsen gefunden wurden. Von einer Nabelschnur konnte man nichts mehr erkennen, weil die Gegend des Unterleibes mehrentheils schon verwest und durch das herausziehen aus dem Wasser und dem Kellerloch sehr beschädigt waren. Um den Hals des Kinderleichnams war ein zwei Finger breites Band von groben Leinewand fest gebunden und hingegen hinten im Genick bis vom hin unter dem Kinnbacken, auf beiden Seiten befand sich eine dicke Unterlage von einem Stück einer alten linnenen Hose, an welcher noch ein Stück von den Hintertheilen, in welcher ein Loch war, durch welches des Kindes Kopf hervorragte, auch sogar die Tasche und das Hosenband noch zu erkennen waren. An der Kehle war dieses Band frei von der Unterlage und etwas in die darunter gelegenen Theile des Halses eingeschnitten, hingegen in dem Genick mit einem doppelten Knoten zusammengebunden. Dieser Knoten konnte nur mit viel Mühe aufgelöst werden. Übrigens fand man, so viel man wegen der Fäulnis untersuchen konnte, äußerlich keine Läsion, außer das der Kopf nicht fest an dem vertebris colli hing, ohne das man dabei eine Verrenkung wahrnehmen konnte.
Bei Untersuchung des Kopfes fand sich zwischen diesem und dem osse biegmatis sinistro von der Fontanelle an bis an das os ossipilis und temporum eine Euchymosis, oder oben auf der Fontanella zwischen der Hirnschale und der Hirndecke geronnenes Blut, auf der rechten Seite aber, war der gleichen nicht zu bemerken, auser etwas weniger bei der Schläfe, sonst war sie so ziemlich alles andere unbeschädigt…..es konnte nicht alles untersucht werden, da der Körper sehr zur Fäulnis überging… Bei Öffnung des Mundes fand man die Zunge angeschwollen, nach Öffnung der Brust, die Lungen mit Blut angefüllt. Die Lungen schwammen auf dem Wasser, im Herzen war kein Blut. Wegen großer Fäulnis, war es nicht möglich weitere Untersuchungen durchzuführen, daher wurde die Sektion abgeschlossen“ (gekürzter Bericht).
Die untersuchenden Personen erklärten daraufhin, dass das Kind der Bartheld erdrosselt wurde.

Nach hartnäckiger Befragung gab Hartung jetzt die Schandtat zu.

Nach etlichen weiteren Befragungen und Vernehmungen, sowie der verschiedenen Ansichten der Verteidigung und der Anklage verfasste der Schöppenstuhl in Jena folgendes Urtheil:
„Dieweil die Bartelin zur Zeit der mit Hartung zu Bremen unternommenen fleischlichen Vermischung schon gewusst, dass letzterer verheiratet sei und zu Fulda Frau und Kinder habe, folgbar beide ihre Missetat mit einem Ehebruch angefangen u. beide auch niemalen von der Schwangerschaft Jemanden etwas entdeckt, aus dem schlechten Grunde, weil sie, die Bartelin, nicht zu Gehaus bleiben, sondern anderwärts niederkommen wollen, da dieses doch, zu der Zeit, wo ihre Geburtsschmerzen schon heftig zusetzten, zumal das sie gewusst, das das Ende ihrer Entbindung herannahe und geglaubt, dass sie ein Kind bekommen würde solches entdecken und nicht wegen der eingenommenen Pillen, worauf sie entsetzliche Schmerzen und einen erstaunt aufgetriebenen Leib bekommen, blos zum Schein, es tue ihr in den Seiten so wehe, und glaube sie, sie möchte angewachsen sein, nach einer Amme, welche sie schmieren möge, verlangen sollen, weshalb aber gleichwohl das Rufen nach einer Amme geschehen und Hartung auch selbst gestehet, dass er die Schwangerschaft zu verbergen, sich selbst bemühet, damit Niemand etwas davon erfahren solle, und weil die Barthelts zu Gehaus hauptsächlich um deswillen nicht niederkommen wollen, um keine Gerüchte aufkommen zu lassen.“
Jetzt kommt es im Urteil zu den verschiedenen Widersprüchen und gegenseitigen Beschuldigungen zwischen der Barthelt und Hartung. Nach weiteren Erkenntnissen und Darlegungen kommt im Urteil zu tage, dass beide bemerkt haben müssen, dass das Kind lebte. Als Hartung das Kind in die Beinhosen steckte, rief die Bartelts ihm zu:
„Ach herr Jesus! das Kind lebt ja! Jetzt wird nochmals ausführlich über den Tathergang berichtet … Man kam zur Erkenntnis, dass das Neugeborenen noch lebte, bevor man es in den Beinkleidern versteckte und es beim verstecken in den Beinkleidern ums Leben kam.
Si sind derswegen beide Inquisiten, Maria Elisabetha Bartelin und Johann Christoph Engelbert Hartung, daferne sie vor gehegtem hochnotpeinlichen Halsgerichte auf dem Bekenntnisse beharren, oder dessen, wie Recht, überführt werden, wegen des begangenen Kindmordes, mit dem Schwert vom Leben zum Tode zu richten, jedoch wird dem Inquisit Hartung vorher, auf sein Verlangen, eine Defension annoch billig verstattet.“
Am 16. Oktober 1777 wurde dies dem Hartung mitgeteilt, so dass es zu einer weiteren Prüfung kam. Die Verteidigungsschrift ging am 27. Februar 1778 ein, die von der Bartels am 23. März des gleichen Jahres.
Jetzt kommt es zu einen zweiten Urteil, dass aus Platzgründen und Umfang hier nicht wiedergegeben werden kann. Wer allerdings Interesse zeigt kann jederzeit mit dem HPV in Verbindung treten und Einsicht nehmen in diese Akte.
Im Laufe weiterer Ermittlungen usw. wurde Hartung für schuldig erklärt. Die Barthels indes wurde freigesprochen und ihre Spur verlief sich im Sand der Geschichte.
Am 10. September 1779 war dann endlich der Tag der Hinrichtung.
Die Beschreibung dieses Tages dann in der Letzten Folge dieser Serie. Es muss nochmals darauf hingewiesen werden, dass dieser Gerichtsfall hier stark gekürzt wurde, da ein Umfang von 300 Seiten nicht vollständig wiedergegeben werden kann.
Die Tötung des Kindes fand nicht im oberen Schlosse von Gehaus statt, sonderm im Unteren Schloss.
Selbst das Zimmer und Stockwerk wird beschrieben.

Quelle:

  • Peter Hermann
  • Dr. Frhr. Eckart von Uckermann
  • Archiv des HPV e.V. Gehaus

Reinhold Lotz†
Ortschronist

zitiert aus „Baierbote“ Nr. 11/2010 bis 02/2011


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