Joh. J. Froberger: Suite e-moll für Cembalo
Das Cembalo: Die English Harpsichord-Library bietet ein zweimanualiges Instrument von Jacob Kirckman aus dem Jahre 1766, gesampelt in 6 Registerkombinationen, darunter oberer 8′, unterer 8′ (Prinzipal 8′), beide 8′ gemeinsam, 4′, Lautenzug und der nur beim Kirckman vorhandene Nasalzug.
Der Klang der Kirckman-Cembali hat mit sieben Exemplaren einen besonderen Platz in der Sammlung von Andreas E. Beurmann. In hervorragend spielbarem Zustand erhalten, demonstriert das hier vorliegende Exemplar eindrucksvoll die feinzeichnenden wie fulminanten Klangeigenschaften englischer Cembali.
Auf der Suche nach einem vielseitigen historischen Instrument begeistert das Kirckman durch seine Register und Klangfarben, die die Wandlungsfähigkeit des Instruments unterstreichen.
Wie alle Cembali ist das Instrument nicht anschlagdynamisch, jedoch ändern sich bei jedem Anschlag Klangnuancen. Um bei mehrfachem Anschlag nicht das digital gleiche Sample abzurufen, haben wir jeden Ton jeweils achtfach aufgenommen. Gerade bei Trillern oder schnellen Passagen verleiht dies dem Instrument auch im Sampler seine natürliche Geschmeidigkeit und Lebendigkeit.
Das Instrument liegt in originaler 368 Hz-Valotti-Stimmung für den eigenen Sampler vor (Presets in 440 Hz ebenfalls vorhanden). Zusätzlich enthält die Library ein Essay von Prof. Beurmann zum Kirckman Cembalo.
Froberger, Johann Jacob, getauft 19.5.1616 Stuttgart, † 6.(7.?)5.1667 auf Schloß Héricourt bei Montbéliard; dt. Komponist, Sohn des Stuttgarter Hofkapellmeisters Basilius Fr. (* 1575 Halle/Saale, † 20. oder 22.8.1637 Stuttgart, wo er 1599 Tenorist und 1621 Kapellmeister geworden war). Fr. wirkte 1637 als Hoforganist in Wien und lebte dann in Rom, wo er als Schüler von Frescobaldi entscheidende Eindrücke empfing. 1641-45 und 1653-57 war er wieder Hoforganist in Wien, in der Zwischenzeit und nach 1657 viel auf Reisen, so 1652 in Paris und London. Fr. ist der eigentliche Schöpfer der Klaviersuite, hielt jedoch die später übliche Satzfolge nur gelegentlich ein. Sein Stil verbindet Italienisches (Frescobaldi) mit Französischem (Gaultier) und Englischem (Virginalisten). Er entwickelte einen ausgesprochenen Cembalosatz, dessen »verflochtene« Freistimmigkeit im Dienste affektvoller Klanggestaltung steht. Seine überlieferten Werke für Org. und Kl. belaufen sich auf 25 Toccaten, 18 Capriccios, 14 Ricercare, 8 Fantasien, 6 Kanzonen, 30 Suiten und 4 Suitensätze; außerdem sind eine Allemande très bonne und 2 3st. Sätze für 3 Singst., 2 V. und B. c. bekannt.
[Brockhaus-Riemann Musiklexikon: Froberger. Brockhaus Riemann Musiklexikon, S. 3646 (vgl. BRM Bd. 2, S. 83) (c) Schott Musik International http://www.digitale-bibliothek.de/band38.htm ]
Über die Suiten Frohbergers schrieb deren Herausgeber von 1899, Guido Adler:
EINLEITUNG.
Die vorliegende zweite Lieferung der Gesammtausgabe der Werke von J. J. Froberger, die im Ganzen drei Theile umfassen wird, enthält die Suiten oder, wie sie damals gelegentlich genannt wurden, die Partiten. Die letztere Bezeichnung ist eigentlich die umfassendere, weil sie auch Variationen im engeren Sinne des Wortes einbezieht. Die Suite VI »Auf die Mayerin« enthält nebst 6 Partiten, d. i. gewöhnlichen Liedvariationen, wie sie im 17. Jahrhundert üblich und beliebt waren, noch eine Courante und eine Sarabande, beide über das gleiche Liedthema gearbeitet, welches im Rhythmus eine diesen stylisirten Tanzformen je entsprechende Umbildung erfährt. Ueber Eigenart der „Suite“ habe ich mich schon in der Einleitung zu Gottlieb Muffat’s „Componimenti musicali per il cembalo“ (»Denkmäler der Tonkunst in Oesterreich«, III. Jahrgang 1896, 3. Theil) ausgesprochen, so dass ich die dortigen Erörterungen hier nicht zu wiederholen brauche.
Froberger’s Clavier-Suiten sind der feste Pol, um welchen die Geschichte der nachfolgenden Kunstwerke dieser Art sich bewegt; sie zeigen schon eine hohe Ausbildung dieser Gattung Instrumentalmusik. Die Keime, die im Boden von Deutschland, England, Frankreich, Italien und den Niederlanden etwa 150 Jahre vor Froberger gelegt waren, sind in seinen Gebilden zu schöner Blüthe gediehen. Es sind Stücke, die wirkliche Clavierpiecen sind, die dem Charakter dieses Instrumentes nicht nur für ihre Zeit der Entstehung, sondern bis auf den heutigen Tag trotz aller technischen Umänderung und Vervollkommnung entsprechen. Der Danziger Capellmeister Meder sagt in einem Briefe vom 14. Juli 1709 über eine Claviercomposition Froberger’s (betitelt „Tombeau“ ), sie sei ‚sehr ineinandergeflochten‛ und vertrage nicht die Uebertragung für mehrere Streichinstrumente.[1] Das ist bezeichnend. Während man zu Froberger’s Zeiten noch gewöhnt war, ein Instrumentalstück in verschiedenster Weise vortragen zu können, entweder auf der Orgel, oder dem Clavier, oder jede Stimme des mehrstimmigen Verbandes von je einem Kammer- oder Orchesterinstrumente ausführen zu lassen, beschränken sich die Suiten Froberger’s auf ihre Eignung für das Clavier. Und »in dieser Beschränkung zeigte sich der Meister« und erweist sich die Meisterschaft. Man kann sie nicht ohneweiters übertragen und bei einer Einrichtung für andere Instrumente verlieren die Suiten ihre Eigenart. Einer der Hauptgründe dieser Erscheinung liegt in dieser Freistimmigkeit. Denn schon bei diesen Compositionen kann man, wie bei den Lautenstücken des 16. Jahrhundertes,[2] von Freistimmigkeit sprechen und braucht nicht erst auf die Producte um die Mitte des 18. Jahrhundertes, nicht etwa auf Carl Philipp Emanuel Bach zu warten, um diesen Ausdruck für die Bezeichnung einer Grundeigenschaft solcher Kunstwerke anzuwenden. Darin stimmen die Suiten mit den für Orgel und Clavier bestimmten Toccaten Froberger’s in ihren charakteristischen Theilen überein, während die anderen Formen, die Froberger für Orgel und Clavier verwendete, wie Canzonen, Fantasien, Ricercaren und Capricio’s in der Stimmführung ganz regulär behandelt sind und in der Handschrift Froberger’s schon äusserlich sich dadurch kenntlich machen, dass die 4 Stimmen nach italienischer Art auf 4 Liniensysteme geschrieben sind, also jede Stimme vom Anfang bis zum Schluss verfolgt werden kann.[3] ) Dies trifft nun bei den Suiten nicht zu.
Durch die Niederschrift dieser Suiten fühlt sich selbst das moderne Auge, das durch die Freilichtcompositionen unserer Zeit wahrlich nicht verwöhnt ist, manchmal betroffen und geradezu seltsam, um nicht zu sagen: unangenehm berührt von dem Auf- und Abtauchen der Stimmen, die so verschwinden, wie sie auftreten, oft ohne Anmeldung, ohne Bemerkbarmachung des Eintrittes durch vorhergehende Pausen, und dann untertauchen, ohne eine Spur ihrer Erscheinung, ihres künstlerischen Erdenwallens zurückzulassen. Manchmal findet sich der moderne Herausgeber veranlasst, an einzelnen Stellen, wo ein und dieselbe Stimme für einen viertel oder einen halben Takt verschwindet, die Pause einzusetzen. Dem Autor scheint zumeist gar nichts daran gelegen, ob man diese Stimme als Eine, als fortgehende und nur zeitlich unterbrochene ansieht, oder ob man sie als neu eintretende betrachten will, oder ob man sie in dem harmonischen Verbande als Bestandtheil der Harmonie, also als Wesen ohne Eigenberechtigung ansehen will. Es ist eben Alles »sehr zusammengeflochten«. Und diese Flechterei ist auch bei imitatorisch geführten Stücken, wie den Gigue’s üblich. Da tritt nach der Oberstimme noch eine höhere Stimme ein und breitet von oben einen hellen Glanz auf irgend eine Stelle und gleich darauf kommt eine dichte Wolke und der Glanz ist verschwunden, um einer noch tiefer, als in der üblichen Tiefe geführten Stimme oder einem neuen Einsatz Platz zu machen – wieder nur für einige Momente.
In manchen Sätzen zeigt sich Froberger von seiner Tugendseite, verlässt nicht die altgewohnten Pfade, auf denen sich die Stimmen regelrecht bewegen. Man kann nicht behaupten, dass diese Stücke, die so reinlich gehalten sind, deshalb an künstlerischem Werthe höher stünden es kommt immer nur auf die Congruenz von Mittel und Ausdruck an. Wo diese sich decken, dort ist die Wirkung gleich gross, ob dass Stück freistimmig oder regelstimmig gehalten sei.
Eine zweite Grundeigenschaft, welche die Stücke dem modernen Empfinden nahe bringt, ist die, dass sie einen freien Vortrag verlangen. Wer das nicht aus den Compositionen selbst herausempfindet und den subjectiv gesteigerten Ausdruck fühlend erkennt, dem wird man die Worte der begeisterten Schülerin, Freundin und Gönnerin des Meisters, der Herzogin Sibylla von Württemberg vorhalten können, die in Bezug auf ein Stück (betitelt „Memento mori„) sagt: »es ist schwer aus den Noten zu finden ….. . Wer die Sachen nicht von ihm gelernt, kann sie unmöglich mit rechter Discretion schlagen, wie er sie geschlagen hat«.[4] Unser gesteigertes Empfindungsvermögen wird wohl im Stande sein, den Stimmungsgehalt der Stücke auszuschöpfen; jedoch werden sich auch Spieler unserer Zeit in den Gedankengehalt vertiefen müssen, um die Stücke »mit rechter Discretion« spielen zu können. Mit einem Wort, es bedarf eines Künstlers, der den Vortrag richtig erfasst und frei ausgestaltet. Schülern wird man Anleitung geben müssen; mündliche Lehre ist hierin vorzuziehen der bei uns üblichen Art, jede Vortragsnuance bis auf das I-tüpfelchen der »instructiven Ausgabe« einzusetzen – Eselsbrücken für den Ignoranten zu bauen, anstatt den Schüler zu selbstständigem Denken und Fühlen heranzuleiten. In den ältesten gedruckten Ausgaben der Froberger’schen Suiten vom Ende des 17. Jahrhundertes steht an einzelnen Stellen „avec discretion“ – der Herausgeber fühlte da förmlich die Verpflichtung eine Warnungstafel für kaltblütige und indolente Wanderer im Reiche der Kunst aufzustellen: »Habt wenigstens hier Acht und seht dazu, recht gefühlvoll und dynamisch abgewogen zu spielen!« Der Componist hat solche Bemerkungen in seiner Handschrift nicht gemacht; er dachte sich, wer mich nicht versteht, wird das auch nicht durch einzelne Wortbeifügungen erlernen. Nicht einmal p und f setzte er bei, wie dies an einigen Stellen seiner Compositionen, besonders wo Echowirkungen erzielt werden sollen, in den gedruckten Ausgaben und in Tabulaturen aus der Zeit nach dem Tode Froberger’s, der Fall ist.
Froberger erweist sich in den Suiten als echter und rechter Claviercornponist. „Un homme tres rare sur les Espinettes“ sagt ein kunstgebildeter Cavalier seiner Zeit, William Swann in einem Briefe an Huygens, den gelehrten Staatsmann der Niederlande (15. September 1649).[5] Der herbe Spinettenklang und der vibrirende Clavichordenklang sind geeignet für den Vortrag dieser Stücke und unser Clavier taugt trotz des Wegfalles einiger, allerdings nicht unwesentlicher Klangbeimischungen und Klangnuancen gleicherweise für den Vortrag dieser Compositionen. Nur muss man die richtige Art des Anschlages treffen, den Ton moduliren: bald anmuthig, leicht, zart, bald tiefer in die Chorden greifen, immer elegant, glatt, der Klangseligkeit des Componisten und seiner Werke folgend. A. W. Ambros nennt nicht mit Unrecht Froberger »den frühesten Saloncomponisten«;[6] man würde aber dem Künstler Unrecht thun, wenn man dieser Bezeichnung eine degradirende Nebenbedeutung geben wollte. Er spielt sich nicht nur in die Seele begeisterter, kunstliebender Damen und Herren ein, sondern er entspricht auch den Anforderungen gestrenger Musiker und tiefer Musikkenner; er interessirt gleicher Weise den Historiker der Musik, wie den modernen Spieler. Die Herzogin von Württemberg, die so voll Lobes und Bewunderung für ihren Meister ist, würdigt auch seinen zarten, empfindungsvollen Charakter – für uns das Spiegelbild seiner künstlerischen Seele. Er ist nicht nur gefällig und glatt, sondern auch von tieferem Gefühlsausdruck, ja er neigt zu einer gewissen Dissonanzenseligkeit: man sehe den freien Nonen-Einsatz der Suite G-moll (XIV), oder die Sarabande (Seite 50) und manche andere ähnliche Stelle. Alles im Rahmen eines wirklichen Clavierspieles. Auf dem Clavier scheint er sich heimischer gefühlt zu haben, als auf der Orgel – seine Gedanken bewegen sich dort freier und ungebundener; das Clavier ist seine Domäne, so herrliche Stücke er auch für »Orgel oder Clavier« geschaffen haben möge, so sehr auch diese zu den Besten ihrer Art und Zeit gehören. Sein ganzes Sinnen und Trachten verlegte er auf Compositionen für Tasteninstrumente; wir besitzen nicht ein Stück für andere Instrumente, auch kein Vocalwerk von ihm. Möglich, ja höchstwahrscheinlich hat er sich ganz auf sein ihm ureigenes Gebiet beschränkt und nie eine andere Composition geschaffen.
Es ist daher begreiflich, dass bei solcher Concentration seiner Anlage die Nachwirkung seiner Kunst eine seinem Wirken conforme war und blieb. In Orgelstücken haben ihn die reicher ausführenden Componisten der unmittelbar nachfolgenden Generation übertroffen, in der Claviermusik konnte Keiner ihn überflügeln, bis der grosse Bach kam. Nicht einmal die Franzosen, von denen Froberger am meisten für seine Claviercompositionen gelernt hatte – während er in Orgelwerken der gelehrige Schüler des Italieners Frescobaldi ist.
Den Franzosen, die zur Zeit, da er in die Geschichte trat, die Herren und Führer der Claviersuitencomposition waren, konnte er als erster Deutsche die Stirne bieten. Sein Zeitgenosse Chambonnieres, von dem er sich Compositionen kommen liess, steht hinter ihm, ebenso wie sein jüngerer Kunstgenosse Louis Couperin; ja nicht einmal den grossen François Couperin, der in der nachfolgenden Künstlergeneration schuf, vermag ich über Froberger zu stellen, so sehr auch die Bereicherung der Mittel und die Erweiterung mancher Formen hiezu Anlass böten. In derjenigen Form, die von Froberger gar nicht, wohl aber von diesem Couperin mit so glücklichem Gelingen gepflegt wurde: im Rondeau (Rondo) bieten die Beiden eben keine Vergleichspunkte.
Froberger hat diese Höhe seiner Schaffenskraft nicht gleich im ersten Anlaufe erreicht: die Suiten der ersten Wiener Handschrift stehen gegenüber manchen Suiten der zweiten Handschrift und der ersten gedruckten Ausgabe (die nach seinem Tode erschien) an Ausdruck und theilweise auch an Technik zurück. Nur in den einfacheren Sarabanden halten sie sich die Wage. Die Wiener Autographe gehören einer früheren Periode an, die Suiten der Drucke dürfte Froberger zumeist erst während seines französischen Aufenthaltes geschrieben haben. In dem Revisionsbericht dieses Bandes ist bei jeder Suite die Quelle angegeben, man wird also den Vergleich leicht ziehen können. Froberger hat einen stark ansteigenden Entwicklungsgang beschritten und wahrscheinlich nicht mühelos die Höhe erklommen und die Warte errichtet, zu der dann besonders die süddeutschen Componisten, deren Eigenart er mehr entspricht, wallfahrten.
Froberger’s Suiten sind aus den vier Typen: Allemande, Courante, Sarabande, Gigue zusammengestellt. Es ist, ich möchte sagen, die altclassische Serie, während die folgenden Generationen, die noch die Suite pflegten, zur Bereicherung derselben Intermezzi einlegten, stylisirte Tänze verschiedener Art, während die Franzosen die Stücke Einer Ordnung schier in’s Massenhafte häuften. Bei fünf Suiten der in einer Wiener Handschrift (B) enthaltenen sechs Froberger-Suiten fehlt die Gigue; zu zweien derselben finden sich Giguen in der Tabulatur (Vorlage Y), die in unserer Ausgabe hinzugestellt wurden. Auch in der zweiten Wiener Handschrift (D) steht eine Suite ohne Gigue, während sie sich in den ältesten Drucken (Vorlagen L, O) und also auch in unserer Ausgabe beigesetzt findet. Franz Beier[7] zweifelt zwar an der Echtheit der in der Handschrift Y hinzugefügten Giguen, ob der Haltung der Harmonie und Modulation und wegen der in der Gigue (V) anhaltenden Terzenbewegung der Oberstimmen. Ich vermag diese Zweifel nicht zu theilen und da mir ein grösseres Material an Suiten vorlag, als dem Verfasser der genannten Studie, Material, auf Grund dessen mir ein weiterer Ausblick möglich war, so habe ich diese Stücke hier eingereiht, wenngleich in einer anderen Vorlage (X) zwei von diesen Suiten (III und V) auch ohne Giguen stehen; sie scheinen mir aber Froberger’s nicht unwürdig und runden die Suite ab. In der ältesten Froberger-Handschrift (B) findet sich also nur zu einer Suite eine abschliessende Gigue – auch dies belegt die oben vertretene Ansicht, dass Froberger erst allmählich, wie zur volleren Ausarbeitung der einzelnen Stücke, so zur regelmässigen Zusammenstellung der vier Sätze der Suite gelangte. In Handschrift D stellt Froberger die Gigue an die zweite Stelle, nach der Allemande; er hat also noch nicht die vollkommen zweckentsprechende Folge beobachtet, wie sie dem cyclischen Charakter der Suite und ihrem folgerechten Abschluss durch die belebte Gigue entspricht. Bei den beiden Suiten dieser Handschrift, die in die Drucke aufgenommen wurden (Vorlagen L, O, Suite VIII, X) finden sich die Giguen schon an richtiger Stelle, zum Schluss. Ich habe also auch hier alle Giguen an das Ende der viersätzigen Suiten gestellt (vergl. Revisionsbericht). In den ältesten Drucken und den übrigen Vorlagen findet sich überhaupt bei allen Suiten diese von mir acceptirte Folge.
Von der Variationenkunst macht Froberger in seinen Suiten verschiedenartigen Gebrauch. In eigentlicher Variationenform sind nur Allemande und Courante der Suite I gebildet, wohl in Analogie mit der deutschen Partie für mehrere Instrumente. Sonst findet man nur eine motivische Verbindung von Allemande und Courante. Je weiter Froberger fortschreitet, desto unabhängiger werden die Sätze der cyclischen Form von einander. Schon in der Wiener Handschrift B zeigen die auf die Suite I folgenden Cyclen meistens nur mehr eine freie motivische Anlehnung von Allemande und Courante, die am auffallendsten am Anfang und Schluss der betreffenden Stücke hervortritt, manchmal sogar nur am Anfang. Den Grundzug der Liedvariation des 17. Jahrhundertes, die gleiche harmonische Basis zu behalten, zeigen einzelne Suiten; die Allemande und Courante von IV durchaus, während einzelne Suiten dieser Vorlage B und dann der Handschrift X, Y eine wenngleich nicht identische, so doch analoge harmonische Behandlung aufweisen (z. B. XXIII). Courante und Sarabande stehen motivisch noch weiter auseinander; nur in wenigen Fällen zeigen sie eine mehr oder weniger erkennbare Verwandschaft in analoger harmonischer Behandlung oder in Verwendung einzelner Gänge in Ober- oder Unterstimme, und diese auch nur wie zufällig, ohne tiefere künstlerische Absicht. Je mehr sich Froberger vervollkommnet, desto unabhängiger bearbeitet er die einzelnen Sätze der Suite, wie dies schon in den ersten Suiten bei der Gigue ausnahmslos, und bei der Sarabande regelmässig der Fall ist. Nur in der Suite VI, welche die 6 Variationen (Partiten) über das Lied »die Mayerin« mit darauffolgender Courante und Double und der Sarabande enthält, sind alle Sätze über das Thema gestaltet, nicht nur die eigentlichen Variationen, sondern auch die Courante und Sarabande. Das Ganze ist ein würdiges Seitenstück zu den in der gleichen Zeit, fast im selben Jahre (1648) erschienenen Variationen seines Wiener Kunstgenossen Wolfgang Ebner über das Thema von Kaiser Ferdinand III[8] und eine Folgeerscheinung ähnlich angelegter Ordnungen bei Frescobaldi. Ebner hat eine viel grössere und reichere Variationenreihe (36), darunter Courante, Sarabande und dazu noch Gigue mit Gefolge. Auch zwei chromatische Variationen hat Ebner; Froberger bezeichnet seine sechste Partita speciell als „cromatica.̃” »Die Mayerin« war damals ein verbreitetes Lied und erfreute sich bis ins 18. Jahrhundert einer grossen Beliebtheit. Am deutlichsten tritt die Melodie in der Oberstimme der fünften Partita hervor; sie wurde nochmals zu einem Variationenwerk verwendet, von dem Hamburger Adam Reinken unter dem Titel „sopra l’Aria: „Schweiget mir vom Weibernehmen, altrimenti chiamata la Mayerin“[9] einer reicheren, weiteren Ausführung nach Froberger’s Vorbild. Sperontes legte in seiner »Singenden Muse an der Pleisse« (1745) der Weise einen veränderten Text unter: »Nimmer kann ich mich bequemen, mir ein Weib an Hals zu nehmen«.[10] Nach der Courantenvariation setzt Froberger noch eine Double, die in einer melismatisch reicheren Ausstattung des vorangehenden Stückes besteht. Froberger hat von diesem Mittel mehrfachen Gebrauch gemacht; sämmtlichen Sätzen der Suiten XXI, XXIII, XXIV sind solche »Verdoppelungen« beigesetzt – mit Ausnahme der Gigue.
Alle Sätze je einer Suite sind bei Froberger ausnahmslos in einer Tonart geschrieben; das gehört zum Hauptforderniss der altclassischen Suite. Mit Rücksicht darauf erlaubte ich mir sogar die hier als letzte (XXVIII) angereihte Suite A-moll aus einzelnen an verschiedenen Stellen der Pariser Handschrift (V) stehenden Stücken ( Allemande, Sarabande und Gigue) zusammenzustellen; es ist eigentlich keine rechte Suite, denn es fehlt ihr das unentbehrliche Mittelstück, die Courante, und bei Froberger konnte eher die Gigue als die Courante fehlen. Nichtsdestoweniger reihte ich die Sätze aneinander und versah sie mit der Ordnungsnummer; als freien Anhang, den ich nicht einordnen konnte, folgen dann noch aus der gleichen Vorlage eine Sarabande in G-dur und eine Gigue in D-dur. Die Suiten XXV und XXVII sind auch unvollständig, da sie nur Allemande und Courante enthalten.
In der Behandlung der Tonalität sind Froberger’s Suiten durchaus modern; wenn nicht die antiquirte Art der Vorzeichnungen der Tonarten (G-dur und E-moll ohne #, A-dur mit 2 #, D-moll ohne b. G-moll und C-moll mit einem b (vergl. Revisionsbericht S. 88), sowie einzelne aufsteigende melodische Mollgänge mit grosser Sext und kleiner Septim uns daran gemahnen würden, wir wüssten nichts mehr von den Kirchentönen, die wir selbst in den eigentlichen Orgelstücken von Froberger modificirt fanden.
Die neue Zeit, die theoretisch erst später voll erkannt und kunstwissenschaftlich erfasst wurde, die Zeit von Dur und Moll ist in den Suiten Froberger’s gänzlich etablirt. Und dies ist auch mit einer der Gründe, warum uns die Compositionen so anheimeln. Die Durtonarten sind im aufsteigenden Quintencirkel von F-dur bis A-dur, die Molltonarten im absteigenden Quintencirkel von H-moll bis C-moll vertreten. Verminderte Quintsprünge zeigen den instrumentalen Charakter der Stücke und auch die Querstände entstehen zumeist nicht nach Art der älteren Zeit durch Aufeinanderstmisen der einzelnen Stimmen, von denen jede für sich in melodischer Nothwendigkeit geführt ist, sondern haben ihren Ursprung im Drange nach Freizügigkeit der Instrumentalmusik. Nur die Cadenzirungen sind für unsere Empfindung zu häufig und auch Trugschlüsse helfen da nicht recht hinweg. Besser wirkt das Mittel der Nachahmungen, die auch in der Allemande verwendet werden, während die Giguen ausnahmslos contrapunktisch-imitatorisch, freilich in der früher geschilderten Weise, behandelt sind. Edel, vornehm, mit vollerem, breiterem Athem singt Froberger in den Sarabanden. Rhythmische Abwechslung bringt er in die Couranten, mit ihren Caesuren, in denen zwei dreitheilige Takte in einen dreitheiligen Doppeltakt zusammengezogen sind: also 2 x 3/4 gleich einem 3/2 Takt, oder 2 x 3/2 gleich einem 3/1 Takt.
So sucht Froberger den Charakter jedes Satzes zu wahren und aus den Charakterstücken ein grösseres cyklisches Gebilde zu schaffen, in dem bei aller Mannigfaltigkeit die Einheitlichkeit gewahrt und das Gesetz des ästhetischen Contrastes richtig angewendet ist. Es darf darum nicht auffallen, dass Froberger in der Suite XII nach der Allemande, die im Wiener Original den Titel trägt: „Lamento sopra la dolorosa perdita della Real Msta die Ferdinando IV, Re di Romani„,[11] die üblichen Weisen und Sätze der Suite folgen lässt, die in ihrer höheren Stylisirung in ernster, künstlerischer Haltung, von der Art des ersten Satzes nicht so weit abweichen. In anderer, in künstlerisch hochvervollkommneter und auf ein höheres Niveau der Lebensauffassung gehobener Art ist in der Instrumentalmusik der Folgezeiten, in der Symphonie höchster Rangordnung, nach dem Traueropfer die Verherrlichung des Gefeierten in Leben, Thaten und im Triumph seines Erdenwallens zum vollendetsten Ausdruck gelangt: ich meine Beethoven’s Eroica, die im letzten Grunde mit dieser kleinen Spielform Froberger’s eine entfernte ästhetische und ethische Analogie aufweist.[12] Froberger hat nicht nur dieses „Lamento“ geschaffen; der Capellmeister Meder erwähnt in dem bereits citirten Schreiben ein „tombeau“ in F-moll und dann ein „Memento mori” – eine Vorerinnerung an den Tod. Der Künstler hat sich mit solchen Compositionen sein Leid vom Leibe schreiben wollen; er bedurfte einer Aussprache. Dies besagt ganz deutlich der Titel einer Composition, die uns, wie die eben erwähnten, verloren gegangen ist: „Plainte, faite à Londres, pour passer la mélancolie„, wobei eine Beschreibung desjenigen, so ihm zwischen Paris und Calais als zwischen Calais und England von den Land- und Seeräubern widerfahren, auch dass ihn der Engländische Organist gescholten, bei dem Arm zur Thür geführt und mit dem Fuss hinausgestossen.[13] Das sind Charakterstücke, die in der äusseren Form von den uns erhaltenen wohl nicht abgewichen sein werden; ebensowenig wie seine Compositionen, die der eigentlich programmatischen Richtung anzugehören scheinen, so eine gleichfalls verlorene „Allemande, faite en passant le Rhin dans une barque en grand peril„. Es ist dies wahrscheinlich die Allemande, die an der Spitze der Suite steht, in deren Besitz Mattheson war: „worin die Ueberfahrt bes Grafen von Thurn und die Gefahr, so sie auf bem Rhein ausgestanden, in 26 Notenfäilen ziemlich deutlich vor Augen und Ohren geleget wird”.[14] Mattheson erzählt: „Es hat der berühmte Joh. Jac. Froberger, Kaiser Ferdinand III. Hoforganist auf dem bloßen Clavier gantze Geschichten mit Abmahlung der dabey gegenwärtig-gewesenen Personen, samt ihren Gemütheigenschaften gar wohl vorzustellen gewust.“ Ich für meinen Theil bedauere nicht so sehr, dass uns gerade diese Vorboten der Programmmusik nicht erhalten sind und begnüge mich mit der Ausmalung der Himmelsleiter am Schluss des Doloroso pianto (Suite XII) – einer vom kleinen c bis zum dreigestrichenen c harmlos aufsteigenden C-dur-Scala. Ich finde reichen Ersatz in den Claviersuiten Froberger’s, die nur das sein wollen, was sie in ihrer Musik bieten. Sie enthalten schöne, prächtige Werke von vornehmer Haltung und mit gediegener Technik. Mögen sie auch nur »Ausdruck der Empfindungen« sein, ganz ohne Malerei. Wir können uns mit dem reichen Schatze freuen, der nunmehr in seiner Gänze der Oeffentlichkeit übergeben wird.
Guido Adler.
[1] Mattheson „Ehrenpforte“, S. 222.
[2] Mattheson (ib. S. 88) sagt: „Froberger nahm die französische Lautenmanier von Galot und Gautier auf dem Clavier an … „; indessen findet man die gleiche Behandlung bei den zeitgenössischen Clavecinisten Frankreichs, und es ist wahrscheinlich, dass Froberger sich auch darin direct an diese angeschlossen hat.
[3] Toccaten und Suiten sind auf zwei Systeme notirt, letztere auf fünflinige (nach französischer Art), erstere auf mehr als fünflinige (nach italienischer Art).
[4] Edmund Schebeck „Zwei Briefe über J. J. Froberger“ Prag 1874. (Die Briefe sind an Constantin Huygens in Haag, erstem Rath des Prinzen von Oranien, gerichtet.)
[5] „Corespondance et œuvres musicales de Constantin Huygens“, herausgegeben unter dem Titel „Musiquc et Musicieus au XVIIe siècle“
[6] Geschichte der Musik IV, S. 464. von W. J A. Jonckbloet und J. P. N. Land, Leyden, Brill. 1882. S. CXCIX.
[7] »Ueber J. J. Froberger’s Leben und Bedeutung für die Geschichte der Claviersuite« in: »Sammlung Musikalischer Vorträge«. Nr. 59/60, Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1884.
[8] Musikalische Werke der Kaiser Ferdinand VI., Leopold I., Josef I. 2. Band, Anhang. Wien, Artaria & Co.
[9] Enthalten im Clavierbuch des Andreas Bach, handschriftlich auf der Stadtbibliothek zu Leipzig, neu edirtvo der Maatschappij
tot bevordering der Toonkunst, Vereeniging voor Nederlands‘ Muziekgeschiedenis, Uitgave X.
[10] Vergl. Spitta’s Aufsatz in der „Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft“ Bd. l, S. 64 und 75.
[11] In der Leipziger Tabulatur (Vorlage U) heisst der Titel irrthümlich: „Doloroso pianto fatto sopra la morte di Signoris Giovannij
Giacomo Froberger“.
[12] Dass Froberger ähnliche Ideen vorschwebten, erkennt man aus seinen eigenhändigen Illustrationen zu den Initialen und Finalen der Stücke dieser Suite {vergl. die Reproduction des Originales der Allemande und die Erklärungen bei Ambros IV, S. 471).
[13] „Ehrenpforte“, S. 189.
[14] „Vollkommener Capellmeister“ § 72, S. 130. vergl. „Ehrenpforte“. S. 89.