Das Schloß zu Kaltenwestheim
Vom Rhön-Ellenbogen nordwärts zum Engelsberg streckt sich eine ehedem sehr wenig bewaldete Bergfläche (etwa 600 m. hoch), die in grauer Vorzeit ganz besonders dem Waidmann einen günstigen Ausblick nach den Wechselgängen des Wildes vom „Feist-Küchenwald“ zu der versteckten „kleinen Fischbach“ oder auf die freiere „Lichtenau“, wie umgekehrt, – aber auch den verschiedenen Viehheerden eine nicht fette, doch gesunde Weide bot. Es ist der Waid-, Weyd- oder Weidberg, den wir meinen, der in alter Zeit wegen gern darüberhin ziehenden „Schmugglern“ oder Schleichhändlern auch von der Verkehrs-Polizei viel begangen werden mußte. An seinem südöstlichen Abhange, in ziemlich wettergeschützter Niederung lag vor dem „Loh“ (s. Heft I. S. 48) die urkundlich 812 n. Chr. schon bekannte „villa Vuestheim in pago TullifeIdon“, die zu genauerer Angabe später wohl noch mit „Westhe monomarcu in comitatu Adalbraht“, als ein mit der Flur Lichtenau und Kleinfischbach geschlossener Markbezirk, bezeichnet wurde. Das, um diese „Villa“ (oder vielmehr Landgut mit Schloß) entstandene alte Dorf Westheim konnte leicht mit einem andern dieses Namens verwechselt werden, z. B. mit Westheim bei Römhild, im Behringergau oder pago Paringe, s. I. S. 6.; darum ist auch, wie bei Nordheim und Sondheim im engem TulIifeld, das „Kalten“ dem Ortsnamen vorgesetzt worden, womit die rauhere Rhöngegend angedeutet sein soll. Von „Villa Vuestheim“ südlich, nur 1 Stunde entfernt, lag die noch ältere „Kaiserliche villa Strew oder Streu“, s. I. 18, und in gleicher Weglänge, aber nördlich, das Schloß Fischbergk. Zu Schutz und Trutz konnte „Westheim“ weniger auf diese beiden als auf die nahen Burgen von Kaltennordheim und Kaltensundheim rechnen, hatte sich aber vorsichtshalber selbst mit fester Ringmauer und schließbaren Thoren versehen, welche örtliche Anlage besprochen werden soll, wenn wir das Geschichtliche von Westheim vorgebracht haben.
Im Jahre 812 schenkte ein Engelrich verschiedene Güter in „Vuestheim“, und 824 ein Hager sein dortiges Eigentum dem Kloster zu Fulda. War somit vielleicht der größte Teil Westheims frühzeitigst schon fuldaische Besitzung geworden, kam der Ort nachdem doch bald zur Herrschaft der Grafen von Henneberg und zwar bei einer Henneberger Teilung an die Linie Schleusingen-Römhild. – In Heft I. S. 64. ist der Ritter Schrimpf um 1334 als Amts-Verwalter erwähnt, unter welchem Westheim zur Hennebergischen Vogtey Kaltennordheim stand. 1342 wurden durch die Grafen Hermann und Johann die Klöster zu Rora und Frauenrode mit einigen Gütern, mit „Zehend und Lehnschaften“ nebst Befreiungen von Abgaben beschenkt. 1350 versetzte aber Graf Johann I. von Henneberg, Bertholds Sohn, das Kirchspiel Westheim (wie andere Amtsorte der Vogtey Kaltennordheim) dem Stift Fulda wieder, oder vielmehr kaufte Abt Heinrich dasselbe auf Wiederkauf. – 1410 wurde durch Graf Wilhelm von Henneberg ein „Burgmann“ oder Amtmann Apel de Kreinberc (eigentlich Einer „von der Tann’,“ der aber diesen Stammnamen wegließ,) mit dem „Fuhrwerk“ oder Vorwerk zu Westheim, das dessen Vater Simon von der Tann besessen hatte, beliehen. Eine Adelsfamilie von Westheim findet sich in den uns bekannten Chroniken nicht, wohl aber eine von Vueitaha, die ihre Besitzungen meist in den an die Mark Westheim angrenzenden Fluren Ober- und Nieder-Weitaha gehabt haben mochte.[1]
Bis 1419 stand Kaltenwestheim, also gegen 70 Jahre lang, unter der Botmäßigkeit des Stiftes Fulda. Graf Wilhelm II. löste es wieder ein; s. I. S. 65. – Nach einer Urkunde v. 14. Dzb. 1447 gehörte damals Westheim zu dem Anteile, welchen Graf Heinrich von Henneberg an dem Centgericht zu Kaltensundheim hatte. In dieser Urkunde steht: „Wir theylen für recht unserm gnedigen hern grave heinrich vund seinem vogt zu Kaltennortheym offenung, es sey tag oder nacht an den Dorffern vnd Kirchhovenn zu erbenhausen, reichelhausen, zu den zweien weytta, zu westheyhm, Lichtennawh vnd Kaltennortheym u. a. m.“[2] In der Westheimer Kirchenchronik ist aber (von Krause) bemerkt, daß Westheim in alter Zeit ein eigenes „Gericht“ und dessen Sitz in einer „steinernen Vogtei“ zwischen der Heimenstraße und Wimertsgasse gehabt habe, welches den Herren von Tann zuständig gewesen sei. Freilich erwähnt eine Kaltensundheimer Gemeinderechnung von 1742, daß der Kaltenwestheimer Amtsvogt (Hermann Grimm) nach Wiesenthal und zurück zu fahren gewesen sei, um dort einer Hinrichtungs-affaire beizuwohnen. In dieser Jahresrechnung trug es z. B. auch für Kaltenwestheim einen Kriegskostenbeitrag von 510 Thlr. 17 gr. 5 Pfg. Unter Hinweis auf Seite 64 und 65 des I. Hefts fügen wir nun noch Einiges aus der Geschichte Kaltenwestheims hier an: Laut einer Meldung im Aktenband Nr. 13 de anno 1659, über „Beschreibung des Ambtes Kaltennortheimb“, hatte der Ort Kaltenwestheimb vor dem Kriegswesen (1631) schon 169 Unterthanen (Ortsnachbarn) und nachher (1659) nur noch 82; aber auch anno 1631 schon 171 ,,Feuerstädte« (Familienwohnungen) und 1659 nur noch 84. Dazu ist bemerkt: »Was die von Adel in· diesem Ambte von Unterthanen und Feuerstädte haben, und wie viele deren gewesen, hat nicht zu erkundigen sein wollen.“ Schultes schreibt 1804: Das Dorf selbst besteht jetzt aus 98 Häusern und 392 Seelen. Nach dem Staatshandbuch von 1846 hat Kaltenwestheim aber nur 95 Wohnhäuser und 483 Einwohner gehabt. –
Wennauch das Jahr der Erbauung von Schloß Westheim so wenig angegeben werden kann wie der erste Besitzer desselben, darf man doch auf eine feste Gründung der Villa Vuestheim und auf ehemalige, sorgfältige Instandhaltung und Verteidigung dieses fürstgräflichen Landsitzes aus nachfolgenden Notizen schließen: Kronfeld sagt, der Ort Kaltenwestheim sei in alter Zeit mit einer Ringmauer umgeben und durch eine Burg geschützt gewesen, der Standort derselben heiße heute noch „das alte Schloß“ und die obere Mühle „Schloßmühle“. Das stimmt nicht nur mit dergleichen Angabe in der Pfarrchronik, sondern man sieht wirklich noch jetzt besonders nach Westen und von da am Kirchberg hin ziemliche Strecken der alten Mauer stehen, die ehemals nur durch vier Thore (wohl mit Wächterwohnung daran) zu passieren war. Die Karte des Ortsplanes von 1861 giebt ausdrücklich 1., das Schlagthor, 2., das Ober-, 3., das Unter- und 4. das Hirtenthor an; vom zweiten und vierten derselben sind die Pfeiler vielleicht zu Anfang dieses Jahrhunderts erst beseitigt worden. Das „Schlagthor“, vor dem nordwestlichen Dorfteil, führte nach Dorf Unterweid und, auf dem breitem „Riensweg“ hinauf, nach Stadt Tann (2 St.). Wahrscheinlich stand vor diesem ,,Schlagthor«, durch das man am bequemsten wohl auch zum Schloß fahren konnte, ein Hauptschlagbaum aufgerichtet, an welchem der Verkehr mit dem Tanner Gebiet westwärts und mitt dem Flecken Kaltennordheim von Nordost her, wie zugleich (über Oberweid weg) mit Amt Hilders oder Auersberg nach Südwest am besten zollamtlich überwacht und auch eintrügliches Wegegeld erhoben wurde. (I. S. 47.) – Es sind z. B. nach dem Aktenstück aus 1659 damals noch 1 Rthlr. 3 gr. Pachtgeld „vom Zoll zu Westheimb und 1 Rthlr. von dem zu Oberweid“ nach Amt Kaltennordheim zu zahlen gewesen. – Das Oberthor, am obern Weg auf Oberweid, stand westlich am Kirchberg; und am Ende der langen zwischen Pfarrei und Schule ziemlich gerade nach Osten auslaufenden Hauptdorfstraße war, südlich vom „Seegarten“, das untere Thor. Beide Mauerschließen sperrten oder öffneten, wie auch den Zugang nach dem Schloß, zugleich die Passage von Amt Lichtenberg nach Hilders und Tann. Ob nun da, am Oberthor, wo jetzt noch auf lichter Höhe eine riesenhafte, schöne Linde Schatten bietet, auch ein Schlagbaum „Halt!“ gebot, oder ob der für diese Straße fällige Fremdenzoll erst, bez. schon in Oberweid zu leisten war, sei unentschieden.
Das Hirtenthor, nördlich in der Ringmauer, am Kaltennordheimer Weg, führt in die eigentliche „Dorfgasse“, die nach Süden bis an den halbkreisförmigen, ummauerten, erhabenen Platz der zwölf Linden neben dem Schulturm lenkt und aber auch keine hundert Schritte vom Thor ab, – linker Hand den so viel genannten „Wetzstein“ aufweist. –
Nachdem wir ausreichend Lage, Umfassung und Zugänge von Kaltenwestheim geschildert haben, erübrigt sich’s, den engern Ring seines „alten Schlosses“ nach der geometrischen Karte zu zeigen: Im westlichen Dorfviertel, zwischen dem Schlag- und Oberthor, am „Schmiedeberg“, hinter dem „Kreuz“gäßchen und vor der Schloßmühle da hat sich das Villa-Terrain ausgebreitet. Innerhalb der Ringmauer soll ein „Castell“ oder Burgstall mit Sitz gewesen sein. – Vom muntern Bache durchzogen, der besonders aus dem „Kornliete“-Flurborn sich speist, kann ein schon ganz traulicher Park das an und für sich eingefriedete Schloß umringt haben.
Zur Abwechselung im beschaulichen Leben hatte man auch draußen am nahen Schlagthor oder in der freiern Ansiedelung des „neuen Hofes“ die beste Gelegenheit, den Handels- und politischen Verkehr wie den Aufschwung der Herrschaftlichen, der freiherrlichen und Bauern-Oekonomie zu beobachten. Der Neue-Hof, zwischen dem Hirten- und Schlagthor der Ringmauer entlang, nördlich vom Alten-Schloß gelegen, gewährte auch den Ausblick in den „Pfarrgarten“ und auf den „Uhrschlag“ (zwei Flurstücke im Weichbilde Westheims). Ob der zum Dorfraum gehörende, gegenwärtig in acht großen Hofraiten und schönen Baumgärten bestehende Neue-Hof vormals eine fulda- oder henneberg-tannische Ritterbesitzung gewesen, das müssen wir unerörtert lassen.
Welche einzelnen Gebäude dem „alten Schloß“ zugehört haben, darüber schweigen ebenfalls die Chroniken, wie überhaupt deren Bericht hinsichtlich des Schlosses zu Kaltenwestheim sehr dürftig ist. Der Auslug von der Schloßwarte konnte südlich und westlich mit keinem Dorf und keiner Burg correspondieren, nur östlich hin mit dem festen Sundheim und allenfalls mit der „Wolfsburg“ bei Oberkatz; dorthin findet man leicht auch die Berge Disburg, Leichelberg und den lichten Hahnbergsscheitel. Nach Nordost gewahrt der Blick den schroffen Tagstein und – ohne Kaltennordheim zu sehen – das Hochgefilde vom Umpfen.[3]
Zum Schluß unsers Abschnitts über Villa Vuestheim teile ich noch einige Notizen aus der Westheimer Kirchenchronik mit: 1., In Betreff des Schloßes: „1683 ist Andreas Valten Döllen Söhnlein getauft, Pathe war Andreas Leue im „alten Schloß;“ hiernach hat (wie Pfarrer Krause 1845 hinzu setzt) 1683 das alte Schloß noch gestanden. Das Schloß ging hierauf durch Brand unter und der Schutt war nie weggeräumt worden. Beim Brand von 1796 kann dieses nicht geschehen sein, denn dort standen damals keine Häuser, geschweige Häuser mit so mächtigen Grundmauern, wie man deren Steine später gefunden, auch Eisenwerk von Wägen, Aexte, alte Spieße u. a. m.“ 2., In Bezug auf den Wetzstein: In einem Berichte des Ortspfarrers an seinen Herrn Decan, de anno 1681, kommt vor: „Klein Clasen sagt aus, er hätte in seiner Jugend gehört, daß die Weiber vor langen Jahren im Kriegswesen sich der Männer angenommen, weilen sie sich gegen die Soldaten auf unserm Kirchhoff nicht mehr aus Mattigkeit hätten wehren können, hätten die Weiber die Soldaten mit Steinen verfolget, weßwegen ihnen ein Stein zu Ehren gesetzt worden, wer ihnen aber solchen setzen lassen, davon müßte niemand mehr; dergleichen hätten die Weiber zu Kaltennordheim im Schloß einen Grafen mit seinen Leuten mit Steinen und Waßer abgetrieben und den Platz erhalten“.-
Zusatz. Aus den „Rhönbildern“ von Nepomuk Müller hat man dazu ein langes Gedicht, dem ich einige Strophen hiermit entnehme:
„Graf Heinrich, Herr von Henneberg,
Saß auf der Burg Merlins,
Ihn störte Reich und Kaiser nicht,
Kein mattes Donnern Wiens . . . .
Bald wankt die Burg, der kühne Sturm
Erdrückt die Gegenwehr –
Da plötzlich eilt auf Ring und Wall
Ein neues Kämpenheer . . .
Sieh’, Kaltenwestheims Frauenschaar
Gerüstet und geschürzt,
Beseelt von der Verzweiflung Muth,
Kommt kreischend angestürzt.
Des Wassers Strom quoll siedend heiß
Auf Mann und Roß hinab,
Gräßlich verbrannt, verbrüht, verlacht
Zieh’n alle Gegner ab. –
Nach Westheim gab des Grafen Dank
Ein Säulenbild von Stein,
Das Frauenlist und Frauenmut
Zum Denkmal sollte sein!
Doch was der Weiber Ruhm gemehrt,
Vermehrt der Männer Schimpf,
Als Memmen höhnte jeder Mund
Die Nachbarn sonder Glimpf.“ . . . (27 Verschen.)
Wie bereits Seite 52 bemerkt, sind auch die Frauen von Kaltennordheim durch ein poetisches Frauenlob von Richard von Boxberger verherrlicht worden; dieser Sang von einem Dutzend Versen schildert den 1634 geschehenen Croaten-Einfall in Kaltennordheim.
Es lautet Vers 6:
„Groß war der wackern Bürger Not,
Gedrängt von allen Seiten;
Sie mußten zwiefach mit dem Tod
Durch Schwert und Feuer streiten:
Bald, wenn kein Wunder Rettung bringt,
Das Städtchen vor dem Feinde sinkt.
Da rief des Bürgermeisters Frau:
„Was sollen wir hier braten?!
Macht es doch ebenso genau
Den stürmenden Croaten!“
Dann warf sie einen großen Topf
Dem Ersten, Besten auf den Kopf.
Darin war Wasser siedendheiß,
Das schafft kein Wohlbehagen!
Bald sah man alle Frauen mit Fleiß
Hierzu viel Töpfe tragen.
Das war ein feuriger Empfang!
Die Feinde wurden’s inne:
Sie hatten sich gesehnt schon lang’
Nach glühender Frauenminne.
So ward gerettet diese Stadt
Durch Klugheit. mut’ger Frauen;
Die Männer, von dem Kampfe matt,
Voll Freude Solches schauen.“
(In welcher Richtung hin diese beiden ,,Minnelieder« sich gleichen, oder inwieweit eine Vermischung der Sagen über die Ereignisse, die doch 171 Jahre aus einander lagen, möglich ist, stellen wir dahin. Vor Veröffentlichung der Boxberger’schen Dichtung haben aber selbst die ältesten Kaltennordheimer nie etwas von solcher That ihrer Vorbürgerinnen gehört.)
aus
C. E. Bach
„Im Tullifeld“
Eine historisch-landschaftliche Umschau in engerer Heimat
– der Vorderrhön –
[1] Nach einem Hennebergisch-Römhilder Lehensregister von 1410 besaß auch ein Albrecht von der Kere in Westheim 12 Acker Wiesen, desgleichen ebensoviel ein Dietrich von Buchenberg und ein Heinrich Buchenberg neben Wiesen noch den „Weingarten zum Fußtal“; und wirklich ist in der Westheimer Flur ein Distrikt namens „Wienertstraße“.
[2] Daß Kaltenwestheim auch ein eigenes Centgericht für alle Fälle besessen habe, ist nicht anzunehmen, sondern es hatte wohl der erste Ortsgerichtsschöffe, ähnlich wie der aus den Dörfern Bettenhausen und Seeba, nur Beisitz und Stimme im Centgrafenamt Kaltensund- und Kaltennordheim, wenn es sich um schwere Vergehen handelte. Betreffs der vier Hauptrügen hatte die Cent Kaltensundheim den Vorrang.
[3] Recht anmutig ist der vor Kaltenwestheim beginnende Lottengrund, in welchen das Dorfwasser unterhalb des Seegartens fließt und wesentlich die „Lotte“ verstärkt.
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