Bedeutende WAK’ler und ihre Nachbarn
Dies wird eine kleine musikalisch/literarische Reise durch den Wartburgkreis (WAK) und angrenzende Orte, – allerdings in alphabetischer Reihenfolge – nach Tann (Landkreis Fulda) – mit Johann Michael Bach -, die Ulster abwärts nach Geisa (Athanasius Kircher) und Bermbach (Josef Magnus Wehner) bis Vacha (Georg Witzel), von da die Werra aufwärts nach Tiefenort (Johann Melchior Molter), Allendorf (Burkhard Waldis), Immelborn (Maximilian Dietrich Freißlich und Johann Balthasar Christian Freißlich) sowie Wasungen (Landkreis Schmalkalden-Meiningen) – mit Johann Valentin Meder, David Bernhard Meder, Johann Gabriel Meder und Melchior Vulpius -, in eines der kulturellen Zentren in der Nähe der Rhön, nach Meiningen (Landkreis Schmalkalden-Meiningen) – mit Rudolf Baumbach, Ludwig Bechstein – geboten. Um das wesentliche kulturelle Umfeld der Rhön auf thüringischen Gebiet noch abzurunden ein musikalischer Exkurs über Eisenach, der Kreisstadt für Gehaus vor der Erfindung der Bezirke in der „real-sozialistischen“ DDR.
Diese Auswahl wird vollkommen subjektiv werden, ich habe nicht die Absicht und noch nicht die Zeit, alle national und international bekannt geworden Berühmtheiten der thüringischen Rhön, Eisenachs und der Tann lückenlos zu ermitteln.
Inhalt
Allendorf/Werra
Burkhard Waldis, * um 1490 in Allendorf a.d. Werra, † um 1557 in Abterode (Hessen). Waldis war Franziskanermönch in Riga, reiste 1523 mit einer Abordnung seines Klosters nach Rom, um vom Papst Hilfe gegen die auch in Livland um sich greifende Reformation zu erbitten, wurde aber unter dem Eindruck seiner Reiseerlebnisse selber zu ihrem eifrigen Anhänger. Er verließ das Kloster, heiratete und übte das Handwerk eines Zinngießers aus; auch machte er weite Handelsreisen, die ihn bis in die Niederlande und nach Lissabon führten. In Riga kam er zu hohem Ansehen und beriet den Rat der Stadt in Münzangelegenheiten. Als er sich an einer Verschwörung gegen die geistl. Leitung des Erzbistums Riga und des Ordenslandes beteiligte, ließ der Ordensmeister Hermann von Brüggenei ihn 1536 festnehmen und hielt ihn »fast in die drithalb jar mit grosser beschwerung verhafft, dazu mit scharffer Tortur vnd bedrawung«. Seine Brüder Hans und Bernhard erreichten mit Hilfe eines Schreibens des Landgrafen Philipp von Hessen 1540 seine Freilassung, so daß er mit ihnen nach Allendorf heimkehren konnte. 1541 ließ er sich an der Univ. Wittenberg immatrikulieren; nach der Beendigung seines Studiums wurde er am 13. Sept. 1544 Pfarrer und Propst in Abterode. Dort schloß er eine zweite Ehe mit der Witwe des Pfarrers Heistermann aus Hofgeismar; seine Stieftochter heiratete den Pfarrer Balthasar Hildebrand, der sein Gehilfe und 1556 sein Nachf. wurde.
Mit dem dramatisierten Gleichnis vom verlorenen Sohn schuf Waldis 1527 »ein heftiges konfessions- polemisches Spiel, von einer dichterischen Kraft der Sprache, die über den Durchschnitt der Zeit erheblich emporsteigt« (G. Müller); dem Druck sind seine ersten drei Ps.-Lieder beigegeben. Sein Esopus, eine Slg. von 400 Tierfabeln, nimmt unter den gleichartigen Dichtungen seiner Zeit einen hervorragenden Platz ein. Waldis schuf auch Gsge. politischen Inh., mit denen er in die konfessionellen Kämpfe eingriff. In der Zeit seiner Gefangenschaft dichtete er den ganzen Psalter in 155 Liedern »mit ieder Psalmen besondern Melodien«; auch diese stammen offenbar von ihm. Sie sind von J. Heugel 4- und 5st. gesetzt worden (Autogr. Heugels in der LB Kassel, Ms. 4 Mus. 94; vgl. MGG VI, 343ff.). Einige der Ps.-Lieder wurden in GsgB. des 16. Jh. aufgenommen und weit verbreitet. Doch ist ihnen keine dauernde Beachtung geschenkt worden, obwohl sie es nach ihrem dichterischen und mus. Wert verdient hätten. Eine Melodie benutzte M. Vulpius als Vorbild für seine Weise »Hinunter ist der Sonnen Schein«.
Werke (Ausw.): De parabell vam vorlorn Szohn Luce am xv . … Tho Ryga ynn Lyfflandt … M. D. xxvij; Der Psalter, In Newe Gesangs weise, vnd künstliche Reimen gebracht, Ffm. 1553, Ch. Egenolff.
Ausgaben (Ausw.): 31 Dichtungen in G. v. Tucher, Schatz des ev. Kirchengsg. I, Lpz. 1848; 28 Melodien, ebda. II; 52 Dichtungen in Pb. Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied III, Lpz. 1870, 647-683; 149 Melodien in J. Zahn, Die Melodien der deutschen ev. Kirchenlieder, Gütersloh 1888-1893; 8 Dichtungen, 9 Melodien in K. Ameln, Ch. Mahrenholz, W. Thomas, Hdb. der deutschen ev. KM. III/1, Göttingen 1936ff.; 1 Lied in 4st. Satz v. J. Heugel in K. Ameln, W. Thomas, Zu guter Nacht, Kassel 1930, BVK, 4f.
Literatur (Ausw.): G. Buchenau, Leben u. Schriften des B. Waldis, Marburg 1858; E. E. Koch, Geschichte des Kirchenlieds u. Kirchengsg. I, Stg. 3/1867, 294-300 (in manchen Angaben zu berichtigen); S. Kümmerle, Encyklopädie der ev. KM. IV, Gütersloh 1895, 38-40; G. Müller, Deutsche Dichtung v. der Renaissance bis zum Ausgang des Barock, Darmstadt 1957, 147-149; J. Zahn (s. Ausg.), V, 401; Jb. f. Liturgik u. Hymnologie I, 1955, 118-120.
Konrad Ameln
[Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Waldis, Burkhard. Musik in Geschichte und Gegenwart, S. 79408 (vgl. MGG Bd. 14, S. 146 ff.) (c) Bärenreiter-Verlag 1986]
Bermbach
Josef Magnus Wehner, 14. 11. 1891 Bermbach/Röhn – 14. 12. 1973 München; Lehrerssohn; Gymnas. Fulda; Stud. Philol. Jena und München; Schauspieler, Spielleiter von Arbeiterbühnen, Klavierspieler in Kinos; im 1. Weltkrieg Freiwilliger an der franz., ital. und serb. Front; vor Verdun schwer verwundet; Schriftleiter und Theaterkritiker in München; Reisen nach Italien und Griechenland; seit 1943 freier Schriftsteller in München und Tutzing am Starnberger See. – Idealist. Erzähler, Dramatiker und Biograph.
Im kath. Glaubensgut verwurzelt; doch Neigung zu Übersinnl. und Mystik. Verkünder der Idee des ›Reiches‹. Läßt den starken Eindruck s. Kriegserlebnisse in versch. Romanen nachklingen. Wegen Nähe zum Nazismus nach 1945 ohne Widerhall.
WERKE: Der Weiler Gottes, Ep. 1921; Der blaue Berg, R. 1922 (u. d. T. Erste Liebe, 1941; Forts.: Die Hochzeitskuh, R. 1928); Struensee, R. 1924; Das Gewitter, Dr. 1926; Land ohne Schatten, Reiseb. 1930; Sieben vor Verdun, R. 1930; Das unsterbliche Reich, Aufs. 1933; Mein Leben, Aut. 1934; Geschichten aus der Rhön, 1935; Hindenburg, B. 1935; Stadt und Festung Belgerad R. 1936; Hebbel, B. 1938; Als wir Rekruten waren, E. 1938; Elisabeth, E. 1939; Echnaton und Nofretete, E. 1940; Das goldene Jahr, 1943; Blumengedichte, 1950; Der schwarze Kaiser, R. 1951; Mohammed, R. 1952; Johannes der Täufer, Dr. 1953; Die schöne junge Lilofee, M. 1953; Das Fuldaer Bonifatiusspiel, 1954; Der Kondottiere Gottes, R. 1956; Erde, purpurne Flamme, G. 1962.
[Autorenlexikon: Wehner, Josef Magnus. Wilpert: Lexikon der Weltliteratur, S. 14408 (vgl. Wilpert-LdW, Autoren, S. 1610 ff.) (c) Alfred Kröner Verlag http://www.digitale-bibliothek.de/band13.htm ]
Musikgeschichte Eisenachs
Um Eisenachs Beitr. zur deutschen Musikkultur zu erfassen, müssen neben der musikalischen Veranlagung seines Volksstammes auch seine geographische Lage und seine wechselvolle Geschichte herangezogen werden. Schon die keltisch-germ. Siedlung »Isenacha« war ein wichtiger Knotenpunkt; hier lag die Vereinigung der beiden Hessen-Straßen mit der Kreuzung einer Nord-Südachse. Solange Thüringen und Hessen vereinigt waren, galt Eisenach als Mittelpunkt eines weiten mitteldeutschen Raumes. Da Thüringen nach Einführung des Christentums (Eisenach 724) kein Bistum erhielt, erfolgte die polare Erfassung von der politischen Seite aus. An dieser entscheidenden Stelle des MA. steht die Erbauung der Wartburg durch Ludwig den Springer, angeblich 1067. Burg und Stadt bilden seither eine Schicksalsgemeinschaft, die in der deutschen Geistesgeschichte eine bedeutsame Rolle gespielt hat. – Landgraf Hermann I. (1190 – 1217), der schon in jungen Jahren im Gefolge Kaiser Friedrichs I. Italien kennengelernt hatte, war durch den Besuch der Pariser Univ. auch mit den Meistern der ars antiqua und der provenz. Liedkunst in Fühlung gekommen. Mit seinem Regierungsantritt verlegte er seine Hofhaltung von der Neuenburg a.d. Unstrut nach Eisenach und machte die Stadt zu einem Sammelplatz der Sänger und Dichter. Ihr kampffrohes Wett- und Rätselsingen wird erstmals aufgezeichnet vom Chronisten der Annales Reinhardbrunnenses, die die Jahre 1026 bis 1335 umfassen und offenbar auf andere Überlieferungen zurückgreifen (s. Der Singerkriec uf Wartburc, Gedicht aus dem 13. Jh., hrsg. v. L. Ettmüller, Ilmenau 1830). Als Zeitpunkt für dieses internationale Preissingen, um den edelsten Fürsten des Abendlandes festzustellen, wird 1206/07 angegeben. Da die Wartburg in dieser Zeit schon eine größere Hofhaltung aufnehmen konnte, wie durch neueren Baubefund nachgewiesen wird, so ist der Minnesängersaal als Stätte des historischen Ereignisses anzusprechen. Der Reinhardsbrunner Mönch Berthold, der die Aufzeichnungen wenige Jahrzehnte später als Reisekaplan des Landgrafen Ludwig IV. machte, muß aus Erlebnisberichten geschöpft haben, so daß nach Abzug späterer Interpolationen der Kern als Geschichte zu werten ist. Nach diesem Bericht, den die Manessesche Liederhs. (14. Jh.) bildlich bestätigt, nahmen am Minnesängerkrieg teil: Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, Reinmar der Zweter (nicht »der Alte)«, Klingsor von Ungarland, Heinrich von Ofterdingen (vermutlich »Afterdingen)«, Heinrich von Risbach (der Kanzler und »tugendhafte Schreiber)« und Herr Biterolf. Die Forschung hat die drei letzten als Angehörige des Eisenacher Hofes erkannt. Über den geistigen Hochstand und das gesellschaftliche Treiben des gastfreien Musenhofes geben Dichtungen und Gesänge Walthers und Wolframs überzeugende Auskunft. Walthers Besuche liegen zwischen 1204 und 1211. Er kennt nicht nur das ritterliche Minnelied, er überliefert auch das Erbgut der fahrenden Volkssänger und ist als Sänger der ersten vaterländischen Lieder anzusehen. Wolfram werden nur kürzere Besuche zugesprochen. Daß er das 6. und 7. Buch des Parzival in Eisenach schrieb, wird angenommen. Von seinem letzten großen Werke Willehalm wissen wir, daß der Fürst ihm den Stoff verschaffte. Noch als Pfalzgraf auf der Neuenburg hatte der Sängerlandgraf den Schöpfer der mhd. höfischen Dichtung, Heinrich von Veldeke, nach Thüringen geholt, der hier 1184 sein bedeutendstes Epos, die Eneide, vollendete. Von anderen Minnesängern sind zu nennen: Herbort von Fritzlar, der den Trojanischen Krieg, und Albrecht von Halberstadt, der Ovids Metamorphosen in deutsche Verse brachte, sowie Heinrich von Morungen, einer der besten Liedgestalter. Daß die Dichtungen der Minnesänger musikalisch geformt waren, ist bekannt. Selbst die großen Schöpfungen fanden im Wechselgesang, von einem oder mehreren Saiteninstr. (Fidel, Rotte, Hf.) begleitet, einen dramatischen Vortrag. Nach dem Tode Hermanns I. hat kein Minnesänger den Landgrafenhof mehr betreten.
Mit Ludwig IV., dem Heiligen, unterlag das Fürstenhaus der Macht der Kirche. In der Persönlichkeit der jungen Landgräfin, der späteren heiligen Elisabeth, lag diese Macht verankert. Legende und Kult widmen ihr eine schwärmerische Verehrung, deren Einfluß die Kunst aller christlichen Länder sich nicht entziehen konnte. Die Kirche schuf sich auch in der Stadt Eisenach starke Positionen. Die Stadtmauer umschloß 17 Kirchen und Kapellen. Im Mittelpunkt des kirchlichen Lebens stand die dreitürmige Kirche Unser lieben Frauen, im Volksmund »Thumb« (Dom) genannt, die aber im Bauernkrieg 1525 zerstört wurde. Von den größeren Kirchen sind nur die Landgrafenkirche St. Georg und die roman. Nicolaikirche auf die Gegenwart gekommen. Bereits 1294 wird Reinhold von Weberstädt als Praeceptor und Kantor an der Frauenkirche genannt, der auch Johannes Rothe († 1434), der Eisenacher Chronist, als Stiftskanonikus angehörte. Auch Rothe verschweigt uns, ob neben der planen Choralmusik schon die musica mensurata eingeführt wurde. Daß es der Klerus an liturgischem Glanze nicht hat fehlen lassen, ist bei der Bedeutung der Landgrafenstadt nicht zu bezweifeln. Auch weilten Kaiser Ludwig der Bayer 1335, Kaiser Karl IV. 1349 hier, um Rechtsgeschäfte des Reiches zu regeln. Dem Schaubedürfnis des breiten Volkes kamen Priester und Mönche seit dem 12. Jh. durch Mysterienspiele entgegen. Von der Art ihrer Dichtungen besitzen wir ein sehr bedeutendes historisches Zeugnis, leider ohne Musik, das »Spiel von den zehn klugen und törichten Jungfrauen«. Es übte mit seinem Verdammungsurteil (1321 im Tiergarten) eine so packende Wirkung auf den Landgrafen Friedrich den Gebissenen aus, daß ein Schlaganfall seinen baldigen Tod herbeiführte. – Der Übergang vom Minnesang zum Meistersang ist nicht nachweisbar, doch wird die Sangesfreudigkeit der Thüringer von allen Chronisten betont. Ein findiger Lateiner fand in dem Namen Isenacum die beiden Anagramme: »en musica« und »en canimus«. Dieser Chronist, Chr. Fr. Paullini, berichtet (1698), daß die Schüler des Dominikanerklosters seit dem frühen MA. als »Curendarii« singend durch die Stadt zogen. Noch heute singt die Kurrende in den Straßen. Von 1498 bis 1501 gehörte ihr Martin Luther als Lateinschüler an. Da seine Mutter, eine geborene Lindemann, aus Eisenach stammte, war der Knabe bei Verwandten untergebracht. 20 Jahre später (1521/22) übersetzte er, auf der Wartburg in Schutzhaft gehalten, das Neue Testament. Nach Niederschlagen des Bauernaufstandes griff Luther selbst in die Ordnung der kirchlichen Verhältnisse Eisenachs ein. Der erste prot. Kantor war Michael Himmel (1525 – 1536). Die Folge aller Kantoren bis auf die Gegenwart liegt lückenlos vor. Die frühesten waren zugleich Lehrer der Lateinschule. Zu den wichtigsten gehört Wolfgang Zeuner. Seine Zeitgenossen loben ihn, weil er den cantus figuralis förderte; wir verdanken ihm das um 1540 geschriebene große Cantional, das erhalten blieb. Aus diesem prot. Kantorenbuch, mit lat. Gesängen von Josquin des Prés, Jakob Obrecht, Petrus de Larue, Adam Renerus, Johannes Galliculus, Johann Walter, Thomas Stoltzer, Heinrich Isaak, Ludwig Senfl, Heinrich Finck, Conrad Rein, Anton Musa sangen die Chorknaben noch im 17. Jh. Wohl alle Kantoren haben komp., aber nicht von allen sind Werke erhalten. Von Theodor Schuchard (1643 – 1671) bezeugt die doppelchörige Motette »Nun danket alle Gott«, vermutlich zur Feier des Friedensschlusses 1648, daß hier ein tüchtiger Musiker am Werke gewesen ist. Andreas Schmidt (1671 – 1690) hatte seine KM. unter der Assistenz des Stadtpfeifers Joh. Ambrosius Bach auszuführen. Andreas Christian Dedekind (1690 bis 1706) war der Musiklehrer des Schülers Joh. Sebastian Bach. Vermutlich der bedeutendste, Joh. Konrad Geisthirt (1706 bis 1735), hat sich auch als Dichter und Geschichtsschreiber betätigt. Nach dem Tode Joh. Wilh. Erdmanns (1810) wurde das Kantorat vom Schulamt der Lateinschule (Gymnasium) getrennt. Seit 1629 bestand neben der Kurrende ein »chorus symphoniacus«, um den steigenden Anforderungen der Figuralmusik zu genügen. In Verbindung mit sangesfreudigen Bürgern hat er bis in das 19. Jh. als wichtigster Musikfaktor des kirchlichen und kommunalen Lebens gewirkt. – Von den prot. Org., die wir seit 1560 kennen, ist Theophilius Schoesser der erste. Unter den Tüchtigen tritt Joh. Engelhardt (1613 – 1626) mit seiner handwerklich sauber gearbeiteten zweichörigen Motette »Eins bitt ich vom Herrn« hervor. Auch von seinem Nachf. Peter Albert (1626 – 1639) sind gute Motetten bekannt. 1665 beginnt die Bachsche Org.-Reihe. Als erster ist Johann Christoph Bach (1642 bis 1703) bekannt, »der große und ausdrückende Componist«, dessen Meisterschaft unsere Zeit bestätigt hat. Analog den Lübecker Abendmusiken erhielt Eisenachs KM. durch ihn ihre mitteldeutsche Bedeutung. Sein Erbe fiel 1703 an Johann Bernhard Bach (1676 bis 1749) aus dem Erfurter Zweig, der auch als Komp. hervorgetreten ist (s. Artikel Familie Bach). Sein Sohn Johann Ernst Bach (1722 – 1777) übernahm das Org.- Erbe. Dem in Eisenach hoch angesehenen Künstler übertrug der Herzog in Weimar die Leitung der dortigen Hofkapelle; jedoch gab J. Ernst Bach den Org.- Platz in Eisenach nicht auf. Erst der Tod des Herzogs befreite ihn von der Doppelstellung. Für Jakob Adlungs Anleitung zu der musikalischen Gelahrtheit schrieb Joh. Ernst Bach (1758) das Vorw. Die in Eisenach gedr. V.-Sonaten verweisen den Komp. in die Gefolgschaft seines Vetters Philipp Emanuel. Wie sein Vater hatte auch Johann Georg Bach (1751 – 1797) die Rechte studiert. Obwohl er es bis zum Hofadvokaten und Stadtkämmerer brachte, räumte er den Org.-Stuhl nicht. Sein Wunsch, man möge ihm das ererbte Amt bis zur Großjährigkeit seines begabten Sohnes, Philipp Ernst Christian, belassen, blieb unerfüllt. Mit ihm brach die Bachsche Org.-Kette ab, die innerhalb von 132 Jahren in ununterbrochener Folge vier Glieder der Familie gestellt hatten. – Mit der politischen Stellung der Wartburg, die zwei Kaisertöchtern Heimat gegeben hatte (Margarete, Tochter Friedrichs II., Gemahlin des Landgrafen Albrecht des Entarteten, und Mechtild, Tochter Ludwigs des Bayern, Gemahlin Friedrichs des Ernsthaften), erstarb auch das kulturelle Leben der Stadt. Nach dem Tode Balthasars, des letzten Landgrafen († auf der Wartburg 1406), verfiel auch die höfische Kunst vorübergehend. Erst als durch Erbteilung (1596) ein selbständiges Herzogtum entstanden war, wurde der alte Landgrafenhof wieder Pflegestätte weltlicher Musik. Zu den Trompetern und Paukern gesellte sich bald ein Hoboistenkorps. Eine kleine Hofkapelle wurde durch einheimische und fremde Künstler ständig erweitert. Unter den ersteren finden wir alle Eisenacher Bache, unter den letzteren den Org. und Komp. J. Pachelbel (1677 – 1678), den vielseitigen, abenteuerlichen D. Eberlin (1667, 1672 – 1673, 1676 – 1678, 1685 – 1692), den Violinisten und Cembalisten P. Hebenstreit, den bekannten Erfinder des Pantalon (1706 – 1709), und den Lautenvirtuosen E. G. Baron (1732 – 1735). – Unter den Hofkpm. ragt der erfolgreichste Musiker jener Zeit G. Ph. Telemann (1706 – 1712) hervor. Schon im Anstellungsdekret (11. März 1707) wird gefordert, daß er »sowohl zur ordinaren Tafel- Music« als auch, »zur hiesigen Kirchen-Music alle zwey jahre einen neuen Jahrgang, worzu ihm der Text gegeben«, zu liefern hat. Auch nach seinem Fortgang bezog Telemann das Gehalt eines Geheimsekretärs. Noch von Hamburg aus versorgte er (bis 1733) den Hof mit Musikalien und politischen Nachrichten. Telemann war mit einer Tochter Eberlins verheiratet. Seit 1730 ist als Kpm. der Geiger J. A. Birckenstock nachzuweisen, der hier am 28. Februar 1733 verstarb. Als letzter namhafter Musiker ist der frz. Geiger J. Ch. Petit zu nennen. Als Eisenach und Wartburg 1741 an das Herzogtum Weimar fielen, verschwand mit der Residenz auch die Hofkapelle. In einem Briefe urteilt Telemann, daß die Eisenacher Kapelle nach frz. Art eingerichtet war und das Pariser Opernorch. noch übertroffen habe. – Über die Musik der fahrenden Spielleute des frühen MA. gibt es keine dokumentarische Aussage. Aus ihren Reihen gingen seit dem 14. Jh. die Ratsmusikanten hervor. Die Eisenacher Stadtpfeifer sind von 1566 bis 1803 lückenlos festzustellen. Sie werden als »Hausmann« bezeichnet, denn sie wohnten seit frühester Zeit auf dem noch heute erhaltenen Glockenturm. Von hier bewachten sie die Stadt. Der tägliche Wochenchoral wurde vom Rathausturm geblasen. Ihr handwerkliches Können kann nicht unbedeutend gewesen sein, denn aus ihren Reihen ging das Bachsche Geschlecht hervor. Der erste Bach, der urkundlich für Eisenach zu erfassen ist, Johann Christian (1640 – 1682), war Stadtpfeifergeselle des Christoffel Schmidt. Als dieser 1671 starb, wurde J. Ambrosius Bach aus Erfurt sein Nachf., über dessen berufliche Tätigkeit und lauteren Charakter die Ratsakten das beste Zeugnis ausstellen. Von acht Kindern wurde ihm als jüngstes am 21. März 1685 Johann Sebastian geboren. Seine Taufeintragung (23. März 1685) darf als wertvollstes Dokument der Stadt gelten. Wie die »Genealogie« bekundet, blieb Eisenach neben Erfurt und Arnstadt die Stadt, in der das Bachsche Geschlecht regelmäßige Familientage abhielt. – Das kulturelle Leben erfuhr durch die Pest (1393, 1577) und die großen Brände (1342, 1617, 1636) starke Rückschläge, deren Folgen noch im 18. Jh. fühlbar waren. Die Stadtpfeifermusik verfiel immer mehr. Es wurde geklagt, daß »jede Dorfmusik sie übertreffe«. Kleine Lichtblicke spendete das seit 1751 vorliegende »Wochenblatt«. Hier rief 1759 eine »Musikalische Ges.« zum Besuch öffentlicher Instr.-Konzerte auf. Ein »Singchor« kündigte 1760 K. H. Grauns Tod Jesu an. Da die Stadt vom Siebenjährigen Krieg und den Napoleonischen Feldzügen stark berührt wurde, war ihr Verfall nicht aufzuhalten. Die Einwohnerzahl ging auf 7000 zurück. Erst nach dem Frieden von 1813 begann ein neuer Aufstieg. 1816 wurde die »Ges. der Musikfreunde« gebildet, 1819 eine »Öffentliche Singschule« errichtet; 1827 stellte der neue Stadtmusikus Rose, Schüler Spohrs, ein brauchbares Orch. zusammen. Die Aufführung größerer Werke, darunter Haydns Schöpfung (1831), bezeugt den Willen zu künstlerischen Leistungen. Seit 1803 lag die chorische Versorgung der Kirchen bei dem neugegründeten Lehrer-Seminar: der Musiklehrer war zugleich Kantor in St. Georg und Dgt. des »Musikver.«, der 1836 gegründet wurde. Mit ihm erhielt die Stadt den führenden Kulturträger. Erst der letzte Krieg hat seinem Streben ein Ziel gesetzt. Über 250 Choraufführungen weist die Vereinsgeschichte nach. Dgt.: Chr. Adam Helmbold (1836 – 1850), Friedr. Kühmstedt (1836 bis 1857), A. Gottl. Dolch (1850 – 1859), Carl Müllerhartung (1859 – 1865), Hermann Thureau (1865 – 1905), Wilh. Rinkens (1906 – 1922), Conrad Freyse (1922 bis 1942). – Die erwachende Romantik entdeckte die Wartburg als Symbol deutscher Vergangenheit. Goethe hatte seit 1777 wiederholt auf der Burg geweilt. 1817 zog die Deutsche Burschenschaft hinauf und bekräftigte »auf der deutschesten der Burgen« ihre vaterländische Treue. Es begann die Zeit der historischen Rückstrahlung; war im MA. die Geschichte zu Sage geworden, so erhielt nunmehr die Sage ein geschichtliches Gewand. Richard Wagner schrieb seine Oper Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg, ohne die Burg zu kennen. Erst 1849, auf der Flucht nach der Schweiz, betrat er sie. Franz Liszt komp. für die Wartburg die Legende von der Heiligen Elisabeth. Mit ihr wurde am 28. August 1867 unter Leitung des Komp. die restaurierte Wartburg eingeweiht; es war zugleich die 800-Jahr-Feier der Burg. Seit diesem Tage ist sie für das deutsche Volk zum Nationalheiligtum geworden. – Gegen das Ende des 19. Jh. erwachte auch in Eisenach endlich das Gefühl der Verpflichtung gegen den großen Sohn der Stadt: in Gottesdiensten erscheinen Bachsche Kantaten. Nicht viel früher lernte Eisenach die großen Chw. kennen: Johannes-Passion 1875, h-moll-Messe 1884 (ungekürzt zur Einweihung des Bachdenkmals unter Joseph Joachim), Matthäus-Passion 1885 (zum 200. Geburtstag Bachs). Besser erging es der Bachschen Org.-Musik; wohl alle Org. haben ihr Können durch Bachsche Fugen zur Geltung gebracht. Bemerkenswerte Spieler waren Julius Krauße (1866 bis 1890), Adolf Hempel (1890 – 1896), Camillo Schumann (1896 – 1913), Paul Hopf (1913 – 1943). – Die schnell wachsende Fremden- und Kongreßstadt wurde im 19. Jh. zum Anziehungspunkt vieler Künstler und Orch. Regelmäßig konzertierten die fürstlichen Kapellen Meiningen, Gotha, Weimar. Die Meininger (unter H. von Bülow, R. Strauß, Fr. Steinbach, W. Berger, M. Reger) sind in regelmäßigen Abonnementskonzerten nachzuweisen. Vor allem gab Reger in den Jahren 1911 – 1914 der Stadt ein reiches Musikleben. Hier fand (12. Oktober 1912) die Uraufführung seines Orch.-Liedes An die Hoffnung (Alt: Anna Erler-Schnaudt) statt. Unter den festlichen Ereignissen tritt das 27. Deutsche Tonkünstlerfest (19. bis 22. Juni 1890) hervor. Für die Erwerbung von Bachs Geburtshaus (seit 1868 durch C. H. Bitter mit einer Gedenktafel versehen) setzten sich 1905 Berliner Singakad. und Philharmonisches Orch. mit Bachs Passionen unter Georg Schumann ein. Anläßlich der Eröffnung des Bachhauses 1907 veranstaltete die Neue Bachges. das 3. Deutsche Bachfest. Von den für Eisenach im zweijährigen Turnus vorgesehenen Kleinen Bachfesten kamen drei zur Ausführung: 1911, 1913, 1917. Ihre Aufgabe war, Stil- und Klangfragen durch die Musikpraxis zu beantworten. Das umfangreichste Musikfest bildete die Musikpädagogische Woche (1927). – Von einheimischen Musikern des 19. Jh., die sich schöpferisch auszeichneten, sind zu nennen: Friedrich Kühmstedt (1809 – 1858, Oratorien Auferstehung und Triumph des Göttlichen, Oper Schlangenkönigin), sein Schüler Carl Müllerhartung (1834 bis 1908, Schöpfer des Heimatliedes »Thüringen, holdes Land)«, Camillo Schumann (1872 – 1946), Wilhelm Rinkens (1879 – 1933) und Siegfried Kuhn (1893 bis 1915), der zu den Opfern des ersten Weltkrieges gehört. Eugen d’Albert war 1888 als Eisenacher Bürger verzeichnet. – Der Zusammenschluß einheimischer Instrumentisten führte 1919 zur Bildung eines Städt. Orch., Dgt. (1922 – 1941) Walter Armbrust. Mit den Breslauer Philharmonikern, die 1946 nach Eisenach überwechselten, erhielt die Stadt ein Orch., das größeren Aufgaben gewachsen ist (Dgt. bis 1949 Peter Schmitz). Durch Vereinigung aller Thüringer Landeskirchen wurde Eisenach 1919 Bischofssitz. Damit rückte die Georgenkirche in den Mittelpunkt der Thüringer KM. 1925 wurde R. Mauersberger mit der Bildung eines Kirchenchores nach dem Vorbild der Thomaner beauftragt (Bach-Chor). Seit 1930 liegt das Kantorat bei E. Mauersberger, der zugleich Landeskirchenmusikwart ist. – Auch die Wartburg wurde in die Musikpflege einbezogen. Seit 1923 fanden Wartburg-Maientage mit Konzerten gastierender Orch. und Künstler statt (Bach-Aufführungen unter K. Straube und G. Ramin, Wagner-Aufführungen unter M. von Schillings und S. Wagner, neuere Musik unter P. Raabe u.a.). G. von Keußler brachte hier am 26. Mai 1929 sein Chw. Die Burg zur Uraufführung. P. Raabe führte zur 700jährigen Gedächtnisfeier für die einstige Landgräfin Liszts Heilige Elisabeth auf. – Das MCh.-Wesen ist in Thüringen noch lebendig. Es hatte 1847 in dem Liederfest des Thüringer Sängerbundes, das mit über tausend Sängern auf der Wartburg stattfand, einen Höhepunkt gefunden. Ein seit 1890 bestehender Arbeitergesangverein (Dgt. E. Dressel) besteht noch. Von 1920 bis zum zweiten Weltkriege faßte ein Coll. mus. (Leiter: C. Freyse) die einheimischen KaM.-Kräfte zusammen. Das Thüringer Trio (1919 – 1933; W. Rinkens, C. Freyse, später A. Kastl, A. Steinmann) erwarb weithin Ansehen. Seit 1946 besteht ein KaM.-Kreis für alte Musik (Leiter: L. u. K. Hooge). – Ob der Eisenacher Hof im Barock-Zeitalter eine Oper gehabt hat, ist nicht bekannt. Späterhin bestand keine ständige Oper. In dem 1878 der Stadt von Julius von Eichel geschenkten Theaterbau gastierten reichlich die Opernbühnen Meiningen, Gotha und Weimar. Seit 1947 besteht eine eigene Operette. 1951 wurde Eisenach Landestheater; eine eigene Oper ist eingerichtet. – Auf musealem Gebiete steht das Bachhaus mit seinen vielseitigen Erwerbungen, darunter eine historische Musikinstr.- Slg., im Vordergrunde. Die stimmungsreiche Gedenkstätte erfreut sich einer hohen Besucherfrequenz (Kustos seit 1922: C. Freyse). In der Nähe Eisenachs wurde der letzte große Bach-Fund getätigt, der als »Bach-Sammlung Manfred Gorkes« in die Literatur eingegangen ist. Das im Reuter-Haus untergebrachte Wagner-Museum (gegr. 1897) unterhält eine umfangreiche Musik-Bücherei (Dir. W. Greiner). Stadtarchiv und Kirchliches Archiv besitzen Abteilungen mit historischem Aktenmaterial zur Mg. Eisenachs. Aber die Reste der ehemals reichen Bestände hs. Musikwerke haben in auswärtigen Slgn. Aufnahme gefunden.
Literatur: Zacharias Rivander, Düringische Chronica. Von Ursprung und Herkommen der Düringer. ao. 1596; Nicolaus Rebhan, Historia Ecclesiastica Isenacensis, Hs. von 1621; Christiani Francisci Paullini Historia Isenacensis etc., Frankfurt a.M. 1698; J. Limberg, Das im Jahre 1708 lebende und schwebende Eisenach etc., Eisenach 1709; J. Chr. Olearius, Hall. Sax. Rerum Thüringiacarum Syntagma etc., Frankfurt u. Lpz. 1704; Fr. X. Wegele, Annales Reinhardsbrunnenses, Jena 1859; J. Kremer, Klösterliche Niederlassungen Eisenachs, Fulda 1905; J. Rothe, Düringische Chronik, hrsg. von R. v. Liliencron, Jena 1859; Th. Knochenhauer, Geschichte Thüringens (1039 – 1247), Gotha 1871; H. v.d. Gabelentz, Wissenschaftlicher Führer durch die Wartburg. München 1936; H. Nebe, Die Wartburg, Pößneck 1949; C. Freyse, Eisenacher Lokalforschungen, Akten des Bachmuseums 1923 – 1950; F. Rollberg, Eisenacher Lokalforschungen in Mitteilungen des Geschichtsvereins 1924 – 1936; C. Freyse, Eisenacher Dokumente, Lpz. 1923; U. Nicolai, Eisenacher Lokalforschungen in Wartburgland 1923 – 1933; C. Freyse, Hundert Jahre Musikverein, Eisenach 1936; O. Schröder, Das Eisenacher Kantorenbuch in ZfMw 1931.
Conrad Freyse
[Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Eisenach. Musik in Geschichte und Gegenwart, S. 19633 (vgl. MGG Bd. 03, S. 1209 ff.) (c) Bärenreiter-Verlag 1986]
Geisa
Über Geisa
Die Stadt Geisa hat dem umliegenden Ulstergrund seit dem Jahre 1699 den Namen gegeben: »Amt Geisa«: Damals wurde sie der politische Mittelpunkt des Landes. In wirtschaftlicher und kirchlicher Hinsicht geschah das bereits einige Jahrhunderte früher. Mit Vacha und Spahl betritt Geisa sehr früh die Geschichte des Landes. Abt Ratgar von Fulda erwarb diese Meiereibezirke für das Kloster zwischen 814 und 817. Es waren Königsgüter. Der Abt vertauschte dafür das Rheindorf Ibstadt an Ludwig den Frommen. Sehr groß kann diese Erwerbung des Klosters im Ulstertale nicht gewesen sein: ein einziges Dorf am Rhein wog sie auf. Im Retzbacher Vertrag, durch den Bischof Wolfger von Würzburg dem Abt Ratgar das kirchliche Zehntrecht von einigen Ulsterdörfern überließ, wird Geisa nicht genannt. Möglicherweise war Geisa damals so klein, dass Ratgar keinen Wert auf das kirchliche Zehntrecht über Geisa legte. Wir werden bei der Behandlung der Pfarrei Geisa noch eine tiefere Begründung dafür angeben können.
Das Klostergut ist bis zum 11. Jahrhundert weit über seinen ursprünglichen Umfang hinausgewachsen. Die Abgaben an das Kloster stiegen in dieser Zeit ganz beträchtlich an. Mitte des 1o. Jahrhunderts werden erstmals solche Abgaben bekannt. Geisa hatte damals an das Kloster zu liefern: 6 Fuder Bier und 14 Fuder Holz. Die Holzlieferung war zu jener Zeit die größte im Bereich der Abtei. In einem Verzeichnis des auswärtigen Klosterbesitzes aus dem 11. Jahrhundert, dem Klosterurbar, stehen aufschlussreiche Zahlen über den Landbesitz Fuldas in Geisa. Danach bestand der Geisaer Besitz aus vier »territoria« (Domänenbezirken), von denen ein jedes etwa 4o ha umfasst haben dürfte. Darauf arbeiteten 28 Liden (Freie), die als Pächter die Güter bewirtschafteten und dadurch in Abhängigkeit vom Kloster kamen. Daneben gab es 68 Huben von je 4 ha. Sie wurden von 54 freien Kolonen (Dreitags—Frönern) bearbeitet. Ferner besaß die Abtei 215 Mansen von je 4 ha, auf denen S5 Slawen beschäftigt waren. Zu alldem kamen ein Lehen von 37,5 ha, zehn Mühlen, die nur für das Kloster arbeiteten, und eine Mühle für das Dorf. Aus letzterem ergibt sich, dass das ganze Dorf damals Klosterbesitz war. Der Gesamtbesitz der Abtei in Geisa betrug also 1330 ha mit 28 Liden, 54 freien Kolonen und 55 Slawen: das sind 137 Männer. Wir können diese unbedenklich als Familienväter ansehen und bekämen damit ein Bild von der Größe der dortigen Bevölkerung im 11. Jahrhundert.
Geisa befand sich also im II. Jahrhundert ganz im Besitz des Klosters Fulda. Eine solche Entwicklung ist nur denkbar, wenn es anfänglich ein reines Klostergut war, dem alle Neuerwerbungen im mittleren Ulstergrund zufielen. Neue Siedler waren daher gezwungen, das Land vom Kloster gegen einen Ackerzins in Erbleihe zu nehmen. Damit aber kamen sie in Abhängigkeit von ihrem Grundherrn, was übrigens im frühen Mittel-alter von der Bevölkerung niemals als drückend empfunden wurde. Unter dem Krummstab lebten sie gut.
Aufschlussreich für die Bewirtschaftung des Landes in jener Zeit sind die Abgaben an die Abtei. An Naturalien waren zu liefern: Schweine, Schafe, Hühner, Roggen, Gerste, Hafer, Weizen; daneben Flachs, Leinen und Hemden. Auch Honig »floss« nach Fulda. Überraschend ist, dass die Kolonen ihren Schafzins auch in Eisen abtragen konnten. Die Eisengruben befanden sich im Arzberg (Erzberg), der zwischen Otzbach und Mieswarz liegt.
Der entscheidende Abschnitt der Geschichte Geisas beginnt unter der Regierung des Abtes Marquart I. (1150-1165). Er sicherte die Grenzen des Landes gegen seine kriegerischen Nachbarn ab durch einen Ring von Burgen. In diese strategische Sicherung wurde Geisa mit einbezogen und erhielt zwischen 1161 und 1185 Burg und Mauern. Die Ministerialen von Geisa, die 1138 mit Gerlach und Dietrich von Geisa bekannt werden, stellten wohl die ersten Burghauptleute. Es werden zwar auch von Spahl und Geismar Ringmauern bezeugt, doch waren das sicher nur Volksburgen. Infolge der günstigen Lage beherrschten der Rockenstuhl und Geisa sicher den Ulstergrund. Geisa, mit einer Burg versehen und von Mauern beschützt, zog die Umwohnenden stark an, besonders in kriegerischen Zeiten, so dass von jener Zeit an ein stetes Wachstum zu verzeichnen ist sowohl seiner Bevölkerung als auch seiner Wirtschaft. Seit 1302 heißt Geisa »civitas« (Stadt). 1340 verleiht ihr Abt Heinrich VI. von Hohenberg das Brau- und Schankrecht sowie das Vorrecht der Gewandschneiderei, was praktisch die Bestätigung des Stadt-rechtes bedeutete. Auch das Centgericht, das altgermanische Gericht, hielt in Geisa seine Gerichtstage ab. Heute noch erinnern die Steine auf dem Centgerichtsplatz am Gangolphiberg daran. Ein Teil dieser Centsteine diente den Schöffen als Sitz; die übrigen bildeten die Umfriedung, die keiner ungestraft durchbrechen durfte. Das Gericht konnte über Leben und Tod entscheiden. Der nahe Galgenberg gibt davon Zeugnis.
zitiert aus:
ADELBERT SCHRÖTER
LAND AN DER STRASSE
Die Geschichte der katholischen Pfarreien in der thüringischen Rhön
St. Benno Verlag GmbH Leipzig
Athanasius Kircher,
* 2. Mai 1601 in Geisa (Rhön), † 27. Nov. 1680 in Rom. Über seine Jugend ist wenig bekannt. Sein Vater, Johann Kircher, war Doktor der Philosophie und Theologie und besaß eine umfangreiche Bibl. J. Kircher vermittelte seinem Sohn die ersten Kenntnisse in der Musik. Nach Besuch der Elementarschule in Geisa ging A. Kircher auf die Jesuitenschule nach Fulda. 1618 trat er als Novize in den Jesuitenorden zu Paderborn ein und begann dort sein wiss. Studium in Logik und Physik, das er aber 1622 infolge der Ereignisse des 30 jähr. Krieges abbrechen mußte. Er führte seine Studien an den Ordensfilialen in Köln (Physik), Koblenz und Heiligenstadt/Eichsfeld (Mathematik und Sprachen) weiter. Um 1623 folgte er einem Ruf des Mainzer Kurfürsten und Erzbischofs Johann Schweikkart an dessen Aschaffenburger Hof. Von 1624 ab stud. er in Mainz Theologie; hier beschäftigte er sich mit orientalischen Sprachen und astronomischen Beobachtungen. Nachdem er 1628 zum Priester geweiht worden war und noch ein Probejahr in Speyer absolviert hatte, erhielt er einen Ruf als Prof. nach Würzburg und las an der Univ. über Mathematik, Philosophie und Orientalische Sprachen. 1631 mußte er mit seinen Ordensbrüdern vor den Schweden aus Würzburg fliehen und lehrte vorübergehend in Lyon und Avignon. 1633 erhielt er einen Ruf nach Wien als Mathematiker Kaiser Ferdinands III. Ehe er aber diese Stelle antreten konnte, wurde er an das Jesuitenkolleg in Rom als Lehrer für Mathematik, Physik und Orientalische Sprachen berufen. Gleichzeitig erhielt er (wahrscheinlich durch Vermittlung des an den orientalischen Wissenschaften sehr interessierten Senators Nicolaus Peiresc) noch den besonderen Auftrag, ein großes Werk über Ägypten zu schreiben. Nach einigen Jahren wurde Kircher von seiner Lehrtätigkeit entbunden und widmete sich nur noch seinen Forschungen und der Veröff. seiner großen Werke. Er blieb in Rom bis zu seinem Tode. Einige Reisen, die er von Rom aus unternahm (eine längere 1637/38 nach Malta, mehrere kürzere innerhalb Italiens) gaben ihm Gelegenheit zu wiss. Studien. Auf der Reise nach Malta fand er in der Bibl. des Klosters San Salvatore dei Greci bei Messina die von ihm später in der Musurgia veröff. Pindarmelodie. – Bildnisse Kirchers ersch. in seinem Werk China Monumentis … illustrata, Amsterdam 1667; bei Seng (1901); in Enciclopedia Italiana, Rom 1933 bis 1942. Bd. XX; bei Hauschild, Die erste Publ. der ind. Nagari in Wiss. Zs. der Friedrich Schiller-Univ. Jena V, 1955/56. 1921 gab Geisa, die Geburtsstadt Kirchers, Notgeldscheine mit seinem Bild heraus. Dort richtete man 1953 ein Athanasius Kircher-Heimatmuseum ein und setzte ihm 1954 ein Denkmal.
Kircher war einer der großen Universalgelehrten seiner Zeit wie Mersenne, Fludd oder Kepler. Im Rahmen seiner naturwiss., hist. und geographischen Interessen ist die Musik nur ein Teilgebiet. Hier wie in anderen Gebieten suchte er das gesamte Wissen seiner Zeit zusammenzutragen. Er bediente sich dabei der Mitarbeit von Fachgelehrten und Ordensbrüdern in aller Welt. Sein mus. Hauptwerk ist die Musurgia Universalis; als erw. Fassung des IX. Buches daraus ersch. die Phonurgia Nova. – In Kirchers Werken zeigen sich gewisse Parallelen zu den Schriften Mersennes, auf dessen Hauptwerk, Harmonie Universelle, nicht nur der Titel der Musurgia hinweist. Auch in Kirchers Werk tritt als Ergebnis seiner Erziehung und Ausbildung eine stark theologische Auffassung hervor, die in Verbindung mit ausgesprochen naturwiss. Denken zu einer kosmologischen Betrachtung der Musik mit ihrem Ausdruck in der Zahl im Sinne der Antike führt. Während jedoch Mersenne auf ak. Gebiet fortschrittlicher dachte als Kircher, übertraf letzterer ihn in der Weite der Darstellung. Kircher betrachtete entsprechend der ma. Lehre die Musik nicht als Kunst, sondern als eine Art mathematischer Wissenschaft und sah seine Aufgabe allein in einer wiss., rein objektiven Darstellung dieser Disziplin. Pädagogisch-praktische Ziele verfolgte er nicht. Notenbeisp. entnahm er u.a. den Werken von A.M. Abbatini, A. Agazzari, G. Allegri, G. Carissimi, G. Frescobaldi, J.J. Froberger, J. Gallus, H. Kapsberger, J.K. Kerll, D. Mazzochi, Cl. Monteverdi, C. Morales, P.F. Valentini. Ebenso kannte er außer den antiken und ma. Schriftstellern die Werke von Zarlino, Descartes und Mersenne. In der Darstellung der meisten Gebiete, der physikalischen Ak. (ak. Grundbegriffe, Physiologie des Stimm- und Gehörorgans, Schallreflexion, Schallfortleitung, Schallübertragung), der mus. Ak. (Tonberechnung, Intervalle, Konsonanz und Dissonanz), Instrk., MTh. (Imitation, Kanon, Fuge) brachte er wenig Neues, sondern faßte im wesentlichen Anschauungen der Antike, des MA. und teilweise seiner Zeit zusammen. Unter der »Musica moderna« verstand er jedoch nicht die Musik seiner Epoche, sondern die abendländ. Musik der verflossenen Jh. im Gegensatz zur »Musica antiqua«, der Musik der griech. Antike. Eigene Gedanken entwickelte er in der Darlegung der mus. Stilbegriffe, die er erstmals klärte und ordnete, sowie in den Ausführungen über die Musik fremder Völker, z.B. der Ägypter, auf die er im Oedipus Aegyptiacus besonders einging. Dieser Musik suchte er objektiv aus ihrem besonderen Wesen und ihrem eigenen Stil heraus gerecht zu werden. Auch die Erstveröff. der Musikzeichen-Tab. des Alypios ( s. MGG I, 401) sowie sein Interpretationsversuch byz. Neumen seien hier erwähnt. Die Echtheit der von ihm aufgezeichneten Pindarmelodie ist noch umstritten. – Kircher verblüffte seine Zeitgenossen durch überraschende Vorschläge und Experimente. So entwickelte er in der Musurgia Einrichtungen zur Schallübertragung über größere Entfernungen, ak. Abhör- und Überwachungsanlagen, Konstruktion von Musikautomaten und dergl., wobei jedoch ein gewisser Einfluß antiker und arab. Schriftsteller nicht zu verkennen ist. Die Vorliebe zum Automatisieren und Mechanisieren veranlaßte ihn zu der Konstruktion einer »arca musarithmica«, einer Komponiermaschine, die mit Hilfe mathematischer Kombinatorik unter Zugrundelegung der erkannten mus. Gesetze und Regeln das Komponieren ermöglichen sollte. Diese Maschine wurde sogar mehrfach gebaut. – Kirchers kosmologische Musikanschauung führte ihn zu der Erkenntnis eines Zusammenhangs zwischen Toncharakter und menschlichen Temperamenten, wobei der Konsonanz und Dissonanz entscheidende Bedeutung zukam. Er sah in der Musik im Sinne der Antike ein wichtiges Erziehungsmittel und entwickelte eine Art Musiktherapie, die er in der Ars Magnetica durch die Darstellung der magnetischen Eigenschaften und Wirkungen der Musik ergänzte. – Kirchers Ausführungen haften manche Mängel an. Dennoch gebührt ihm das Verdienst, für seine Zeit ein wirklich umfassendes Kompendium der Wissenschaft von der Musik geschaffen zu haben.
Werke. Aus der großen Zahl der gedr. u. ungedr. Schriften Kirchers (vgl. die Bibliogr. v. Sommervogel) werden nur diejenigen angeführt, die mus. Fragen behandeln: Magnes sive de Arte Magnetica, Rom 1641 2/1643, 3/1654; Musurgia Universalis sive Ars Magna Consoni et Dissoni, Rom 1650, 2/1662, 3/1690; Oedipus Aegyptiacus, Rom 1652ff.; Philosophischer Extract u. Auszug aus deß Welt-Berühmten Teutschen Jesuiten, Athanasii Kircheri v. Fulda Musurgia Universali, Schwäb. Hall 1662 (Übs. eines Tl. der Musurgia Universalis v. A. Hirsch); Phonurgia Nova sive Conjugium Mechanico-Physicum Artis et Naturae, Kempten 1673; Neue Hall- u. Thon- Kunst, Nördlingen 1684 (Übs. der Phonurgia Nova v. A. Cario).
Literatur: A. Behlau, Athanasius Kircher in Progr. des Kgl. Gymnasiums Heiligenstadt 1873/74, Heiligenstadt im Eichsfeld 1874; P. Karl Brischar SJ, A. Kircher in Kath. Stud., Würzburg 1877; H.G. Farmer, The Organ of the Ancients from Eastern Sources, London 1931; H. Gehrmann, J.G. Walter als Theoretiker in VfMw VII, 1891, 468ff.; E. Katz, Die mus. Stilbegriffe des 17. Jh., Phil. Diss. Freiburg 1926; O. Kaul, A. Kircher als Musikgelehrter in Aus der Vergangenheit der Univ. Würzburg, Fs. zum 350jähr. Bestehen der Univ., Bln. 1932, 363ff.; H. Ludwig, M. Mersenne u. seine Musiklehre (Beitr. zur Mf. IV), Halle u. Bln. 1935; M. Meibom, Antiquae musicae Auctores, Amsterdam 1652; J.L. Pfaff, Vita A. Kircheri in Examina Autumnalia in Lyceo et Gymnasio Fuldensi, Fulda 1831; A. Protz, Beitr. zur Geschichte der mech. Musikinstr. im 16. u. 17. Jh., Bln. 1940; G. Richter, A. Kircher u. seine Vaterstadt Geisa in Fuldaer Geschichtsbl. XX, 1927, 49-59; W. Richter, A. Kircher, Phil. Diss. Ffm. (in Vorb.); N. Seng, Selbstbiogr. des P.A. Kircher, Fulda 1901; C. Sommervogel, A. Kircher in Bibliothèque de la Compagnie de Jésus IV u. XI, Brüssel u. Paris 1893 u. 1932; F. Tutenberg, »Musurgia Universalis«. Zum 350. Geburtstag des A. Kircher in ZfM 113, 1952, 278ff.; C. v. Winterfeld, J. Gabrieli u. sein Zeitalter, Bln. 1834, Schlesinger; Wurzer, A. Kircher in Buchonia IV, Fulda 1829, 137ff. – Zur Pindarmelodie vgl. das in MGG V, Sp. 862ff., angegebene Schrifttum. Art. über Kircher finden sich außerdem in den Lexika v. Baker,Bernsdorf, Eitner, Fétis, Forkel, Gerber, Grove, Mendel – Reißmann, Moser, Riemann, Schilling, Sulzer sowie in ADB.
Wilhelm Stauder
[Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Kircher, Athanasius. Musik in Geschichte und Gegenwart, S. 41465 (vgl. MGG Bd. 07, S. 937 ff.) (c) Bärenreiter-Verlag 1986]
Aus dem Leben des Athanasius Kircher
Geisa ist die Vaterstadt des berühmten und gefeierten Jesuitenpaters Athanasius Kircher. Dieser Gelehrte und Forscher hat den Namen Geisa in der Welt bekannt gemacht. Das geschichtliche Bild der Stadt bliebe daher unvollständig, würden wir nicht auch des größten Mannes gedenken, der aus ihr hervorgegangen, des Mannes, der Stadt und Land noch heute mit dem Glanz seines unsterblichen Ruhmes überstrahlt.
Athanasius Kircher wurde am 2. Mai 1602 in Geisa als jüngster Sohn des Dr. Johannes Kircher geboren. Sein Vater hatte in Mainz studiert, den Doktorgrad erworben und darauf eine Professur an der Abtei Seligenstadt erhalten. Fürstabt Balthasar von Dermbach berief ihn als Rat nach Fulda und machte ihn zum Amtmann von Haselstein. Nach der gewaltsamen Absetzung Balthasars legte Johannes Kircher seine Ämter nieder und ging nach Geisa, wo er sich in Zurückgezogenheit der Wissenschaft und der Erziehung seiner sieben Kinder widmete. Die Familie Kircher war von einem tiefreligiösen Geist durchdrungen; die Tatsache, dass vier Söhne sich dem Ordensstand weihten, legt dafür beredtes Zeugnis ab.
Athanasius besuchte zunächst die Volksschule in Geisa; nebenbei unterrichtete ihn sein Vater in den Anfängen der Musik, der lateinischen Sprache, in Geographie und Mathematik. Bereits mit zehn Jahren fand er Aufnahme im Gymnasium der Jesuiten in Fulda. Unter den dortigen Lehrern wurde Pater Johannes Altinus sein besonderer Gönner. Ein hervorstechender Zug im Leben Kirchers ist seine Verehrung der aller-seligsten Gottesmutter. Das Elternhaus legte den Keim dazu, und Pater Altinus förderte sie mit liebevoller Hingabe an seinem begabten Schüler. Der Fürbitte Mariens schrieb Athanasius die Rettung aus vielen Gefahren zu. Als Schüler in Fulda unternahm er mit einigen Kameraden einmal eine Wanderung nach Aschaffenburg, um dort in der Residenz des Mainzer Kurfürsten einem Schauspiel beizuwohnen. Nach der Aufführung begab er sich allein auf den Rückweg; seine Mitschüler blieben vernünftigerweise bis zum anderen Morgen in der Stadt. Zwar erfüllte Athanasius damit genau und wohl auch etwas zu ängstlich den Befehl des Rektors, brachte sich aber damit in große Gefahr. Im Spessart verlor er so vollständig Richtung und Weg, dass er die Nacht auf einem Baum zubrachte. Die Angst ließ ihn keine Minute zur Ruhe kommen. Was ihm noch möglich war, war der Gebetsschrei an die himmlische Mutter um Rettung. Von Hunger, Durst und Müdigkeit stark angeschlagen, schleppte er sich beim Morgengrauen weiter. Aber Stunde um Stunde verrann, die Wildnis des Spessarts versperrte ihm jeglichen Hoffnungsblick. Die Angst griff härter und erbarmungsloser nach seinem Herzen, die Erschöpfung nahm ihm fast den Mut zum Weitergehen, und das Flehen zur Gottesmutter um Hilfe und Rettung erhob sich immer seltener, immer schwächer aus der gequälten Brust. Neun Stunden lang war er von Einsamkeit, Weglosigkeit und wildem Wald gefangen, da erst öffneten sich die Bäume zu einer Lichtung, und am Rande des Waldes gewahrte er Bauern auf einer Wiese. Von diesen erfuhr er, dass er noch zwei Tagereisen von Geisa entfernt sei. Die Bauern nahmen sich des verirrten Wanderers an, und zu Pferd erreichte er schließlich Heimat und Elternhaus wieder.
1618 trat Athanasius Kircher zu Paderborn in die Gesellschaft Jesu ein. Er hatte jedoch bei seinem Eintritt einen Leibesschaden verschwiegen, den er sich im Winter zuvor auf dem Eise zugezogen. Das Übel nahm aber derart zu, dass es den Obern nicht mehr verborgen blieb. Der Arzt erklärte das Leiden für unheilbar, und damit war seinem Bleiben im Orden ein Ende gesetzt. Das war für den jungen Novizen einer der härtesten Schläge seines Lebens. Er suchte letzte Hilfe bei Maria: Während der Nacht warf er sich vor ihrem Bilde in der Kirche nieder und beschwor die himmlische Mutter unter Tränen, ihn aus dieser Not zu befreien. Maria ließ ihn nicht vergebens bitten. Kircher berichtet in seiner Lebensbeschreibung, er habe sich getröstet gefühlt und freudig gestimmt; vom
Gebet sei er sofort zur Ruhe gegangen, und nach einem erquickenden Schlaf sei er am Morgen erwacht und vom Übel vollständig geheilt gewesen.
Nach dem Noviziat begann Athanasius in Paderborn seine philosophischen Studien. Die unsichere Lage dort, die durch die kriegerischen Einfälle des »tollen Christians «‘ ins Paderbornische verursacht worden war, vertrieb ihn 1622 nach Köln. Auf dem Wege dahin mussten er und seine Mitbrüder in der Nähe von Düsseldorf über den zugefrorenen Rhein setzen. Als sie in der Mitte des Stromes waren, brach das Eis unter ihren Füßen, und Athanasius, der die Spitze gehalten hatte, wurde auf einer schwankenden Eisscholle rheinabwärts getrieben und entschwand sehr bald den Blicken seiner Mitbrüder. Letztere gelangten mit einigen Mühen schließlich an das andere Ufer. Kircher war von ihnen aufgegeben worden. Er selbst aber hatte sich nicht aufgegeben; er empfahl sich, wie er es immer in solchen Fällen tat, der himmlischen Mutter, und dann ließen ihn Kühnheit und Mut das rettende Ufer erreichen. Der Totgeglaubte erschien wenige Stunden später auch im Kolleg, und die Ärzte staunten, dass ihm das eisige Bad auch nicht im geringsten geschadet hatte. In Köln studierte Kircher die naturwissenschaftlichen Schriften von Aristoteles und Albertus Magnus. Auch hier ließen ihn die Wirren des Dreißigjährigen Krieges nicht zur Ruhe kommen, und so wanderte er weiter nach Mainz, wo er seine Studien vollenden konnte. Die erste Lehrtätigkeit brachte ihn an das Jesuitengymnasium nach Heiligenstadt im Eichsfeld. Auf der Wanderung dahin, die über seine Heimatstadt Geisa führte, wurde er zwischen Marksuhl und Eisenach, im sogenannten Höllental, von schwedischen Marodeuren aufgegriffen, die ihn seiner Habseligkeiten beraubten und als einen papistischen Mönch aufhängen wollten. Sie schleppten ihn zwischen den Pferden und unter steter Mißhandlung zum nächsten Baum. Während das Seil an den Ästen befestigt wurde, warf sich der fahrende Magister Kircher auf die Knie und empfahl Gott seine Seele. Da geschah das Überraschende, auf das wir so oft im Leben von Athanasius Kircher stoßen. Er erzählt: »Doch siehe, in dem Herzen eines dieser Reiter regte sich das Gefühl des Mitleides. Mutig entriss er mich den Händen der wilden Rotte, gab mir das geraubte Eigentum zurück, bat mich um Verzeihung wegen des Geschehens und schenkte mir noch zwei Reichstaler als Zehrgeld. «
In Heiligenstadt erfand Kircher die Laterna magica, eine Vorstufe des Films. Nach einigen Jahren wurde er wieder nach Mainz berufen, wo er seine theologischen Studien beendete und 1628 die Priesterweihe empfing. Im Jahre darauf sehen wir ihn als Professor. an der Würzburger Universität. Er lehrte Mathematik, orientalische Sprachen, Philosophie und Theologie.
Die Schweden besetzten“ am 15. Oktober 1631 Würzburg und hoben das dortige Jesuitenkolleg auf. Die Insassen waren rechtzeitig aus der Stadt geflohen. Für Kircher begann ein unstetes Wanderleben, das ihn bis nach Frankreich führte. Er sah Lyon, kurz darauf Avignon und kam auf einer Reise nach Aix mit dem berühmten Gelehrten Peiresius zusammen, der dem jungen Kircher ein väterlicher Freund wurde und ihm die Berufung an das Collegium Romanum in Rom erwirkte. Hier in der Ewigen Stadt fand er die bleibende Stätte für seine großen wissenschaftlichen Arbeiten, die er in 44 Bänden, meist Quart- und Foliobänden, niederlegte. Seine Briefschaften umfassen drei dicke Briefbündel und zeugen von seinen weltweiten Beziehungen und seinem europäischen Ruf, der ihn mit der gesamten wissenschaftlichen Welt in Verbindung brachte. Sein Ansehen war so groß, dass Könige und Fürsten sich eine Ehre daraus machten, ihm die nötigen Geldsummen für seine naturwissenschaftlichen Unternehmungen zur Verfügung zu stellen. Der Kaiser ließ seine Werke vielfach drucken, oft in prachtvoll ausgestatteten Folianten. Bekannte Gelehrte und führende Geister des Jahrhunderts schätzten die Freundschaft mit ihm und rühmten sich, in Briefwechsel mit ihm zu stehen. Auf sein Urteil wurde gehört und geschaut, von ihm erbat man sich in zahllosen Fällen Gutachten über naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Fragen. Die drei Briefbündel legen Zeugnis dafür ab.
Athanasius Kircher ist durch die Spottschrift von Johann Burkhard Mencken (1715) schwer in Verruf gekommen. In satirischen, vielfach erfundenen Anekdoten werden darin die angeblichen Schwächen der Gelehrten jener Zeit, darunter auch die Kirchers, gegeißelt. Auch in neuerer Zeit ist es Kircher nicht gut ergangen. Das verschrobene Bild, das Mencken erdichtet hat, stand Modell für den Artikel über Athanasius Kircher in der Allgemeinen Deutschen Biographie von Adolf Ermann, einem Ägyptologen (1882). Man kann Kircher nicht von einem Wissenszweig her richtig beurteilen. Er war ein Universal-gelehrter, einer der größten Vertreter der Polyhistorie; er war zugleich Forscher, Denker, Sammler, Erfinder, Experimentator, Illustrator und Schriftsteller von geradezu unvorstellbarem Ausmaß, unglaublicher Vielseitigkeit und Fruchtbarkeit. Von ihm sagte Lichtenberg: »Wenn Athanasius Kircher die Feder in die Hand nahm, floss ein Foliant aus derselben.« Dieser Jesuit muss »als der letzte große Vertreter mittelalterlicher natur-wissenschaftlicher Gelehrsamkeit« betrachtet werden, der jedoch in seiner geistigen Haltung den kopernikanischen Durchbruch zur Neuzeit unter allen Wissenschaftlern seines Jahrhunderts am aufgeschlossensten bejaht hat.
Kircher hatte die tiefe Gläubigkeit, das Erbe seiner Heimat, bei allem Ruhm und aller Ehre bewahrt. In allen Dingen, in jeder Kreatur, in jeder Gesetzlichkeit suchte und fand er Gott, den Schöpfer und Herrn. Bis in sein hohes Alter bewahrte er seinen demütigen Glauben und seine kindliche Liebe zur seligsten Jungfrau. Auf dem wildromantischen Gelände des hohen Mentorella bei Tivoli hat er ein Marienheiligtum erbauen lassen, das heute noch steht. Kircher entdeckte dort im Jahre 1665 jene Stelle, wo nach der Legende ein Hirsch mit dem Kreuz im Geweih dem hl. Eustachius erschienen war. Kaiser Konstantin soll angeblich an dieser Stelle eine Marienkirche errichtet haben, aber davon fanden sich nur noch Trümmer, die von wildem Gesträuch überwachsen waren. Kircher begeisterte sich so sehr für diese Einöde auf dem Berggelände und sein verfallenes Heiligtum, dass er ein Büchlein verfasste über die Geschichte der Marienkirche auf dem Mentorella. Dieses sandte er an alle Fürsten und Könige, zu denen er Beziehungen hatte, und bat um Mittel zum Wiederaufbau des Heiligtums. Die Gaben flossen so reichlich, dass mit dem Wiederaufbau begonnen werden konnte, ja neben der Kirche entstand in den folgenden Jahren auch noch ein Kolleg der Gesellschaft Jesu. Kircher hat an diese Marienkirche buchstäblich sein Herz verloren. Auf ein Pergament schrieb er mit seinem Blute seine Weihe an die Gottesmutter und befestigte das Schriftstück an dem Marienbild der Kirche. Für sein leibliches Herz wünschte er sich eine Ruhestätte vor diesem Bild. Kircher starb am 27. November 168o in Rom. Sein Wunsch wurde erfüllt: eine Deckplatte vor dem Bildnis Mariens erzählt noch in unseren Tagen dem frommen Pilger: »Hier ruht das Herz Athanasius Kirchers zu den Füßen der seligen Jungfrau Maria, wie er es selbst sehnlichst gewünscht.«
Seine Heimatstadt Geisa hat sich in unserer Zeit ihres größten Sohnes wieder erinnert, ihm eine Gedenkplatte gewidmet und im Heimatmuseum durch den Museumsleiter Gustav Möller eine Kircher-Gedenkstätte eingerichtet. Im Rathaus der Stadt hängt das Bild von Kircher, und das Museum erhielt die im Besitz der Stadt befindlichen Werke des großen Gelehrten und Jesuiten aus Geisa.
zitiert aus:
ADELBERT SCHRÖTER
LAND AN DER STRASSE
Die Geschichte der katholischen Pfarreien in der thüringischen Rhön
St. Benno Verlag GmbH Leipzig
Ein Video meines Bruders Horst vom Karnevalsumzug in Geisa
Immelborn
Maximilian Dietrich Freißlich (Freislich, Fraißlich), get. 6. Febr. 1673 in Immelborn b. Bad Salzungen, † 10. Apr. 1731 in Danzig; sein Halbbruder Johann Balthasar Christian, get. 30. März 1687 in Immelborn, † 1764 in Danzig. – Der Vater Johann Weigold (Wigaläus) Freißlich (* 1619 in München, † 1689 in Immelborn) war von 1658 bis zu seinem Tod Pfarrer in Immelborn. Er hatte insgesamt 13 Kinder, von denen Brückner (s. Lit.) außer den beiden Danziger Kpm. noch zwei weitere Söhne als Musiker nennt: Johann Tobias (get. 20. Febr. 1675; Quintus und Org. in Salzungen) und Johann Wigaläus (get. 2. Apr. 1679; 1701 in den Rechnungen von St. Marien in Danzig als Musiker genannt). – Maximilian Dietrich Freißlich, der älteste Sohn Johann Weigolds aus dessen zweiter Ehe mit Elisabeth Margarete geb. Reymann, kam nach J. Mattheson bereits in jungen Jahren zu dem seit 1686 als Kpm. an St. Marien in Danzig wirkenden J. V. Meder. Da dieser ihn »ein Jahr lang in Kost und Behausung frey gehalten« (Mattheson), wird er aufgrund der in der Ordnung der Musik zur Pfarrkirchen von 1687 (abgedr. bei Rauschning, s. Lit., 282) festgelegten Verpflichtung des Kpm., vier Knaben aufzunehmen, als Sängerknabe nach Danzig gekommen sein. Gleichzeitig unterrichtete Meder ihn in der Kompos., »wie er eine Fuge und einen Contrapunct ausarbeiten müsse« (Mattheson). Nachdem Meder 1699 schuldenhalber aus Danzig geflohen war, wurde Freißlich sein Nachf. als Kpm. Damit oblag ihm in erster Linie die Figuralmusik an St. Marien, für die ihm durchschnittlich fünf Berufssänger, zehn Instrumentalisten und zusätzlich noch etwa fünf Schulkollegen (Lehrer) und vier Sängerknaben zur Verfügung standen. Außerdem hatte er bei festlichen Anlässen der Stadt im Danziger Gymnasium für die Musik zu sorgen. Nach Rauschning hat Freißlich am 24. Nov. 1707 in Danzig geheiratet. Die zu kleine Kirchenwohnung gab ihm, wie schon seinem Vorgänger, Anlaß zur Klage. 1715 reichte er infolge mangelnder Einkünfte ein Gesuch ein, nebenbei »das Brauwesen führen zu dürfen«. Trotz solcher, die Musikausübung hindernden Umstände versah Freißlich bis zu seinem Tode das Kpm.-Amt an St. Marien und nahm das mit diesem Amt verbundene Recht in Anspruch, die Musik zu allen Festlichkeiten, z.B. bei Hochzeiten und Begräbnissen, gegen Vergütung zu liefern. Diese Gelegenheitswerke und fast alle der üblicherweise bei solchen Anlässen verteilten Textdrucke sind nicht mehr erhalten.
Die Texte des Kantaten-Jg. von M. D. Freißlich zeigen den Umfang und die Gliederung der Musik für die Vor- und Nachmittagsgottesdienste an Festtagen. Die einzige erhaltene Kompos., das »Dixit Dominus«, ist fast durchweg im imitierenden Satz geschrieben und zeigt ein solides handwerkliches Können. Der Text bestimmt die Gliederung in sieben Tle., wobei chorische mit solistisch angelegten Tln. abwechseln.
Werke (nur die wenigen in Danzig, Biblioteka Polskiej Akademii Nauk, erh. Werke): Ps. 109 »Dixit Dominus« f. 2 Sopr., A., T. u. B. concertato u. ripieno (1726), hs. Part. u. St., Ms. Joh. 133; Texte Zur Kirchen-Music auff die sämtl. Fest-Tage durchs gantze Jahr In der Haupt- u. Pfarr-Kirchen zu St. Marjen in Dantsig Vom Advent 1708 biß dahin 1709 musiciret, Danzig, J. Z. Stolle (Musik nicht erh.); Die Freyheit in Banden, Hochzeitsmusik, nur Textdruck erh.
Franz Keßler
[Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Freißlich (Familie). Musik in Geschichte und Gegenwart, S. 24535 (vgl. MGG Bd. 16, S. 355 ff.) (c) Bärenreiter-Verlag 1986]
Johann Balthasar Christian Freißlich war der jüngste Sohn des Immelborner Pfarrers aus dessen dritter Ehe mit Katharina geb. Bachmann aus Salzungen. Vor der Übernahme des Danziger Kpm.-Amtes 1731 als Nachf. seines Halbbruders Maximilian Dietrich war er spätestens 1720, trotz gleichzeitiger Bewerbung G. H. Stölzels, zum Hofkpm. in Sondershausen ernannt worden. Hier komp. er bereits eine Matthäuspassion, die 1720 in Sondershausen und im gleichen Jahr auch in Danzig (St. Johann) aufgef. wurde. Nach Danzig muß Freißlich schon vor 1731 gekommen sein; das beweisen Eintragungen in den Kirchenbüchern von St. Marien, wonach ihm in Danzig 1730 eine Tochter und in den darauffolgenden Jahren noch vier weitere Kinder geb. wurden. Von seiner Kpm.-Zeit an St. Marien sind nur wenige Angaben überliefert. Ein Beschwerdeschreiben der Ratsmusiker von 1740 mit entsprechender Stellungnahme Freißlichs zeigt, daß er, wie sein Vorgänger, auf Nebenverdienste angewiesen war. Sein Schwiegersohn Friedrich Christian Mohrheim (1718-1780), der ihm in seinen letzten Lebensjahren als Vizekpm. zur Seite stand, wurde sein Nachfolger.
Rauschning nennt als kompos. Eigenart von J. B. Chr. Freißlich »die Bevorzugung des Weichen, Klagenden oder Lieblichen« mit dem Zurücktreten imitatorischer Arbeit. Seine melodischen und harmonischen Einfälle zeigen ital. Einflüsse. Als ausgesprochene Eigenart, die sich schon früher in Danzig entwickelt hatte, sind weitgespannte Koloraturen, besonders in der Baßregion, auffallend. Mit einer Überarbeitung der schon 1720 in Sondershausen entstandenen Matthäuspassion beteiligte sich Freißlich an der seit der Mitte des 17. Jh. bekannten Tradition, den Passionstext mit Einschüben lyrischer Dichtung mus. vorzutragen. Seine um 1750 neu komp. Brockes-Passion stellt nach Rauschning »das Beste des Freißlich’schen Schaffens dar«. Das Schwergewicht liegt dabei in ausdruckskräftigen Solopartien, die besonders in ariosen Rezitativen eine außerordentliche Farbigkeit und Lebendigkeit erreichen. Seine zahlreichen Kirchenkompos. und Gelegenheitswerke weisen ihn als den produktivsten und angesehensten Musiker seiner Zeit in Danzig aus.
Werke. A. In Danzig, Biblioteka Polskiej Akademii Nauk (Mss. u. Textbücher erh.). 1. Passionsmusiken (f. Soli, Chor u. Orch.): Passio Christi Matth. XXVI et seqq., Ms. Joh. 1; Passio Christi (B. H. Brockes), Ms. Joh. 20. – 2. Kirchenkantaten (meistens f. Soli, Chor u. Orch., auch f. Soli m. Orch. oder Instr., 1 Kant. f. 2 Chöre u. Orch.): »Christus ist um unser Sünde willen«, Ms. Joh. 10; »Das ist meine Freude«, Ms. Joh. 22; »Der Tod ist verschlungen in den Sieg«, Ms. Joh. 32; »Du angenehmer Fund« (1729), Ms. Joh. 16; »Ehre sei Gott in der Höhe«, Ms. Joh. 2; »Er ist darum f. alle gest.«, Ms. Joh. 5; »Ertönt ihr Hütten der Gerechten« (1741), Ms. Joh. 30; »Gnädiger Regen, himmlischer Segen«, Ms. Joh. 12; »Gott ist die Liebe«, Ms. Joh. 18; »Ich will den Herrn loben allezeit«. Ms. Joh. 36; »Jauchzet dem Herrn alle Welt«, Ms. Joh. 17; »Lobe den Herrn meine Seele«, Ms. Joh. 3; »Willkommen Erlöser«, Ms. Joh. 4; »Wünschet Jerusalem Glück« (1760), Ms. Joh. 9. – Von O. Günther Freißlich zugeschrieben: »Bestelle dein Haus«, Ms. Joh. 26; »Der Tod ist verschlungen in den Sieg«, Ms. Joh. 33; »Ehre sei Gott in der Höhe«, Ms. Joh. 23; »Ertönt ihr Hütten der Gerechten«, Ms. Joh. 31; »Fürchte dich nicht«, Ms. Joh. 21; »Hers, bedenke was du bist«, Ms. Joh. 24; »Jauchzet fröhlich, ihr Gerechten«, Ms. Joh. 296; »Taube des Himmels«, Ms. Joh. 29. – 3. Gelegenheitskantaten (meistens f. Soli, Chor u. Orch., auch f. Solost, m. Orch. oder Instr.): »Alles was v. Gott geb.«, Trauerkant., Ms. Joh. 27; »Auf Danzig, laß in jauchzenden Chören«, Jubiläumskant. (1754), Ms. Joh. 15; »Auf, ihr muntre Musensöhne«, Schulkant. (1753), Ms. Joh. 25; »Das nicht sehen, so wir lieben«. Hochzeitskant., Ms. Joh. 13; »Der Herr dein Gott sei gelobet«. Geburtstagskant. (1755), Ms. Joh. 19; »Der Herr ist m. dir«. Kürkant., Ms. Joh. 28; »Die Gnade des Herrn währet v. Ewigkeit«, dass. (1754), Ms. Joh. 6; »Durch mich regieren die Könige«, dass. (1755), Ms. Joh. 7; »Eilet, ihr beglückten Schiffe«, Kaffee- u. Teekant., Ms. Joh. 11; »Gedenke deinem Knechte«, Trauerkant. (1753), Ms. Joh. 35; »Gott sei uns gnädig«. Kürkant. (1756), Ms. Joh. 8; »Kinder der Musen«, Schulkant. (1749), Ms. Joh. 37; »Wo nicht Rat ist«. Kürkant., Ms. Joh. 14. – Von 14 weiteren Gelegenheitskant. nur Textbücher erh. – 4. Choräle (f. Chor u. Instr.): »Lobet den Herrn«, »Herr, straf mich nicht«, »Lobt Gott, ihr Christen allzugleich«, »Allein Gott in der Höh sei Her«, »Du bist der, auf den wir für u. für hoffen«, »Bewahr mich, Herr« u. »Nun laßt uns den Leib begraben«, Ms. Joh. 34; »Allein zu dir, Herr Jesu Christ«, Ms. Cath. f. 94. – Außerdem 1 Magnificat f. B.solo u. Instr., Ms. Joh. 443. – Seit 1945 verschollen sind eine unvollst. Matthäuspassion, die Choralbearb. »Ich ruf zu dir«, die Schulkant. »O ewige Weisheit«, die Gelegenheitskant. »Turbabor« u. 8 Choralsätze (v. O. Günther Freißlich zugeschrieben), Mss. früher ebenfalls in Danzig.
B. In Sondershausen, Kreisbibliothek (nach Auskunft der Wiss. Allg.-Bibl. Erfurt): ein fast vollst. Kant.-Jg. bis zum 26. Sonntag nach Trinitatis (ohne Weihnachts-, Oster- u. Pfingstfesttage), HSM 14 (1-36) u. HSM 15 (37-66); Ps. 100 »Jauchzet, jauchzet«, HSM 15 (67); 1 Kant. zum Fürstengeburtstag, 1 Serenada »Was hör ich«, 1 Brunnen-Kant, u. 1 Operina Die verliebte Nonne (unvollst.), HSM 15 (69-72). – Ferner nach B. S. Brook, The Breitkopf Thematic Catalogue … 1762-1787, New York 1966, Sp. 126, v. Freißlich eine Sonata a Clavicemb. obligato con Violino.
Literatur: J. Adlung, Anleitung zu der mus. Gelahrtheit, Erfurt 1758, Facs.-Ausg. hrsg. v. H. J. Moser, Kassel u. Basel 1953, BVK, 711; J. Bolte, J. V. Meder in VfMw VII, 1891, 46; G. Brückner, Pfarrbuch der Diöcesen Meiningen, Wasungen u. Salzungen in Neue Beitr. zur Geschichte deutschen Alterthums, 2. Lfg., Meiningen 1863, Gadow & Sohn, 645f.; E. Dadder, Joh. G. Goldberg in BJ 20, 1923, 59; G. Döring, Zur Geschichte der Musik in Preußen, Elbing 1852, F. W. Neumann-Hartmann, 59; EitnerQ; H. Engel, Art. Danzig in MGG II, Sp. 1906; ders., Musik in Thür., Köln-Graz 1966, Böhlau, 31ff.; GerberATL; O. Günther, Kat. der Hss. der Danziger Stadtbibl., Tl. 4 Die mus. Hss. der Stadtbibl. u. der in ihrer Verwahrung befindlichen Kirchenbibl. v. St. Katharinen u. St. Johann in Danzig, Danzig 1911; ders., Musikgeschichtliches aus Danzigs Vergangenheit in Mitt. des westpreuß. Geschichtsver. X, 1911, 22; Fr. Keßler, Die ev. KM. in Danzig z.Z. J. S. Bachs in Gottesdienst u. KM., 1969, 152-159 u. 201-207; G. Löschin, Geschichte Danzigs II, Danzig 1822, J. C. Alberti, 197; W. Lott, Zur Geschichte der Passionskompos. v. 1650-1800 in AfMw III, 1921, 292; ders., Zur Geschichte der Passionsmusiken auf Danziger Boden m. Bevorzugung der oratorischen Passionen, ebda. VII, 1925, 297-328; J. Mattheson, Grundlage einer Ehren-Pforte, Hbg. 1740, Neudr. hrsg. v. M. Schneider, Bln. 1910, Liepmannssohn, fotomech. Nachdr. Kassel usw. u. Graz 1969, BVK u. Akad. Druck- u. Verlagsanstalt, 218; Mendel – Reißmann; J. Müller- Blattau, Ost- u. Westpreuß. Musik im 18. Jh. in Jb. der Albertus-Univ. zu Königsberg/Pr. IV, 1954, 159; ders., Geschichte der Musik in Ost- u. Westpreußen, Wolfenbüttel-Zürich 2/1968, Möseler, 88; Neue Deutsche Biogr. V, Bln. 1961, Duncker & Humblot, 399f.; M. Pelczar, Art. Freißlich in Polski Slownik Biograficzny (Poln. biogr. Lex.) VII/2, hrsg. v. W. Konopczynski, Krakau 1948; H. Rauschning, Geschichte der Musik u. Musikpflege in Danzig (= Quellen u. Darstellungen zur Geschichte Westpreußens 15), Danzig 1931. – Mitt. aus Taufregister u. Kirchenbuch der Gemeinde Immelborn durch Herrn Pfarrer F. Sensenschmidt, Bad Salzungen.
Franz Keßler
[Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Freißlich (Familie). Musik in Geschichte und Gegenwart,
S. 24535 (vgl. MGG Bd. 16, S. 355 ff.) (c) Bärenreiter-Verlag 1986]
Meiningen
Musikgeschichte
I. Vorreformatorische Zeugnisse.
Seit etwa 1000 zum Bistum Würzburg gehörig, später Vorort der Grafschaft Henneberg, wurde Meiningen 1680 durch Herzog Bernhard I. zur Residenz des Herzogtums Sachsen-Meiningen erhoben, das bis 1918 bestand. Vorreformatorische Musikzeugnisse sind spärlich und beziehen sich mehr auf die Grafschaft Henneberg als auf die Stadt Meiningen. Cyriacus Spangenberg berichtet von hier über eine 1501 gehaltene Jubelfeier »mit grosser Solennität im Thurn mit singen, orgeln und stattlichem Geläute gar herrlich (cum omnibus Vicariis Chori, Clericis, Choralibus & Plebanis)«. Aus klösterlichem Besitz wies Ludwig Bechstein Missalien, ein Psalterium sowie ein in den Meininger Musikslgn. befindliches Trumscheit nach. Ein Bericht von E. Koch über die Ausbildung des Pagen »Künzlein« (1481) am Weimarischen Hofe zeugt ebenso für die mus. Interessen der hennebergischen Grafen. – Mit Andreas Ornitoparchus (»Ostrofranci Meyningensis«) und Paul Schedius Melissus (Mellrichstadt oder Mehlis) treten zu Beginn des 16. Jh. zwei hervorragende Persönlichkeiten der deutschen Mg. aus diesem landschaftlichen Bereich hervor.
II. Das 16. bis 17. Jahrhundert.
Die Reformation wurde 1543/44 in Meiningen und Henneberg eingeführt. Eine von J. Wolff mitget. und beschriebene seidengewirkte Tischdecke aus hennebergischem Besitz (1568) zeigt Musiziergruppen und Kompos. Über Schulchöre und Schulspiele liegen Berichte aus Meiningen und benachbarten Orten vor. Der Meininger Kanzler Sebastian Glaser war mit hervorragenden Musikerpersönlichkeiten wie St. Zirler und L. Schroeter befreundet. Von dem 1613 in Meiningen verstorbenen Komp., Stadtschreiber und »poeta laureatus« Johann Steuerlein sind eine im Landesarch. Meiningen aufbewahrte Trauermotette »Intereunt iusti« auf den Tod des Grafen Poppo von Henneberg und von Jakob Meiland zu Passionen aus den Chb. Schleusingen bekannt. 1546 wurde nach dem Bericht des Meininger Chronisten Güth »durch einen Orgelmacher von Nürnberg, Meister Niclaus Kopffen die Orgel aus dem Kloster zu Meiningen in die Stadtkirchen transferriret«, 1596 durch den »Orgelmacher von Erffurt Martin Sömmering umb ein gantz neues Orgel-Werck contrahiret«. Selbständiger Orgelbau ist vom 17. Jh. an bezeugt. Zeugnisse der mus. Praxis sind auch das Sendschreiben: de Hymnopoeos Hennebergenses von Ludovici und die 4bändige Lieder- Historie des Meininger Hymnologen J. Caspar Wetzel (* 1691).
III. Die Barock-Zeit.
Über die Blüte der »frühdeutschen Oper« in Meiningen berichtet E.W. Böhme eingehend. Ballett- und Komödienauff. sind ab 1677 bezeugt; ab 1691 fanden hier regelmäßig musikdramatische Darbietungen statt. Begünstigt durch den Schloßneubau der Elisabethenburg entstand in der Folge ein fruchtbarer Austausch mit auswärtigen Opernbühnen (Eisenach, Braunschweig, Gotha, Coburg). Als Leiter der sich weiterhin formierenden Hofkapelle sind W.C. Briegel, W. Mylius, G.C. Schürmann und der aus der Wechmarer Stammlinie kommende Begründer der »Meininger Bach-Linie«, Johann Ludwig Bach (ab 1703 als Hofkantor), bekannt. Infolge der dynastischen Verbindung zum Braunschweiger Hof wechselten Musiker aus Meiningen mit Braunschweig und umgekehrt (G.C. Schürmann, G. Körner), ebenso nach Stift Gandersheim (Bach, Freislich). Mit seinen Meininger Vettern stand J.S. Bach mehrfach in Verbindung; sein wiederholter Aufenthalt 1717 in Meiningen steht in einer vermutlichen Verbindung zur Dedikation der Brdbg. Konzerte. Bemerkenswerte musikdramatische Auff. waren (nach Böhme): Eintracht der Tugend (1703), Sieg der Liebe (1704), Galatea (1706), Telemach (1706, Schürmann), Jubel-Freude (1717, J.L. Bach) sowie zahlreiche Singspiele (»operetgen«), Ballette, Tafel- Musiken, Mus. Auftritt (1710) und Vier Jahres-Zeiten (1713). – Mit Meiningen verbunden war in jener Zeit die Org.- und Kantoren-Familie Meder (J.N. Meder, Kantor, Maternus Meder, Org., J.E. Meder, Kantor, J. Valentin Meder, Komp.). Im Dienste der Hofkapelle stand nach seiner Tätigkeit in Hildburghausen, Römhild und Durlach der Komp. J. Ph. Käfer. Die Reihe hervorragender Musikerpersönlichkeiten aus dem Meininger Hinterland weist seit der Reformation eine Fülle von Namen auf, die über ihren Heimat- und Wirkungskreis bekannt wurden.
IV. Vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart.
Nach vorübergehender Stagnation entwickelte sich unter Herzog Friedrich Wilhelm (1724-1746) die Hofkapelle weiter. Nachf. J.L. Bachs wurden ab 1731 der hervorragende Violinist G.F. Staude und später J. Th. Keyßner; unter Herzog Karl war Kammermusikus Johann M. Feiler tätig. Das Orch. galt als »vortrefflich«. Im Winter 1781 wurden zwanzig Konzerte veranstaltet. »Bei den Kammermusiken spielte Herzog Karl das Cello, seine Gemahlin Luise die Hf. und sein Bruder Herzog Georg die V.« (O. Güntzel). 1807 folgten regelmäßige Abonnementskonzerte und Gastspiele außerhalb. Unter Herzog Bernhard II. Erich Freund (ab 1821) und unter der Leitung des Kpm. E. Grund wurde die Kapelle auf 25 Mitgl. verstärkt und »als eine der besten Kapellen Deutschlands gerühmt« (Güntzel). Unter Kpm. Jean Josef Bott (1857-1865) folgten Konzerte großen Stils, unter Einschluß von Chormusik (Singakad., Singver.). Unter der Intendanz des Freiherrn Rochus von Liliencron wurde besonders klass. Musik getrieben. Mit J.J. Bott und Chr. F. Nohr, beide Schüler von L. Spohr, und in einer sich bildenden Traditionsgruppe von hervorragenden Cellisten wie J.J. Kriegk, J.F. Dotzauer, F. August Kummer und G. Knoop trat das virtuose Element hervor. Bedeutende Musikpädagogen wie J.M. Anding, Chr. K. André, D. Elster, J.P. Heuschkel (Hildburghausen, Lehrer von C.M. von Weber) und W. Chr. Müller (Wasungen, Meiningen, Bremen) vervollständigen das Bild einer starken Resonanz dieser mus. Tradition. Mit dem um eine ausgezeichnete Seminar-Musikpflege verdienten J.M. Anding verbindet sich die Vldf. Südthür. (Ludwig Bechstein, B. Spieß, Rudolf Baumbach und Andreas Zöllner, sämtl. Meiningen). – Die Oper erlebte nach ihrer frühbarocken Blüte einen zweiten Höhepunkt mit der Errichtung der bürgerl. Liebhabertheater-Ges. am 6. Sept. 1781 (als Auftakt Die Jagd von Hiller). Zu gleicher Zeit fanden auch im Schloß unter der Regie von Schillers Schwager Reinwald mus. Auff. statt, die durch Wandertruppen belebt wurden (u.a. Weber’sche Ges.). Unter Herzog Bernhard II. Erich Freund († 1866) wurde zwar der Neubau des Theaters 1831 mit Aubers Fra Diavolo eröffnet, jedoch im Jahre 1860 mit der Theaterreform Herzog Georgs II. die Oper aufgegeben. Umso wichtiger wurde nunmehr neben dem berühmten Schauspiel die Landeskapelle; »die Meininger« waren im späten 19. Jh. eines der bedeutendsten deutschen Orch. Nach der Berufung Hans von Bülows (7. Nov. 1880) zum Nachf. Emil Büchners setzte eine außerordentlich lebendige Tätigkeit ein. Künstler wie R. Strauss, Fritz Steinbach, W. Berger, M. Reger, S. Wagner, Richard Wetz, M. von Schillings wurden nach Meiningen verpflichtet. Das Orch. wuchs zeitweise auf über hundert Mitgl. Als Gastdgtn. waren L. Spohr, F. Liszt, R. Wagner und J. Brahms tätig. Eine Versammlung des Deutschen Tonkünstler-Ver. vom 20.-25. Aug. 1867 mit 157 auswärtigen Künstlern und unter der Protektion von F. Liszt erlangte geschichtliche Berühmtheit. Zahlreiche Meininger Musiker (z.B. der mit Brahms befreundete Klar.-Virtuos Mühlfeld) wurden von R. Wagner regelmäßig in sein Bayreuther Orch. verpflichtet. – In den mw. Slgn., die der um diese Entwicklung verdiente Ehrenbürger der Stadt Ottomar Güntzel († 1959) in Verbindung mit dem Theatermuseum und dem von Weimar nach Meiningen verlegten Max Reger-Arch. (beides im ehemaligen Schloß) ausbaute, ist ein reicher Schatz an Dok. und Erinnerungen zu diesem bedeutsamen Abschn. der deutschen Kulturgeschichte erhalten. Wertvolle Repertoire-Slgn. enthält das Arch. der Landeskapelle, die aus Wien im 18. Jh. kopiert wurden. – Heute (1960) verfügt Meiningen über ein lebendiges Musikleben, dessen Träger neben der Landeskapelle (Leitung: R. Reuter) auch die neuerrichtete Volksmusikschule, mit Außenstellen im Bezirk Suhl, ist.
Literatur (Ausw.): C. Spangenberg, Hennebergische Chronica, Straßburg 1599; J.S. Güth, Polygraphia Meiningensis, Meiningen 1676; G. Kraft, Die thür. Musikkultur um 1600 I u. II, Würzburg 1940; V. Hertel, Geschichte des Kirchenliedes in der Sachsen-Meiningischen Landeskirche = H. 35 u. 49 der Schriften des Ver. f. Sachsen-Meiningische Geschichte u. Landeskunde, Hildburghausen 1920f.; A. Humann, Analekten zur Sachsen-Meiningischen Kirchen- u. Schulgeschichte, ebda. 1918; B. Spieß, Volkstümliches aus dem Fränk.-Hennebergischen, Schleusingen 1869; L. Bechstein, Mitt. aus dem Leben der Herzöge zu Sachsen-Meiningen, Halle 1856; E. Koch, Musikpflege am Hofe der Grafen zu Henneberg in Meininger Tagebl. 1908, Nr. 257; H. Kretzschmar, Ein Abend bei den mus. Meiningern in Gesammelte Aufsätze, Lpz. 1910; Chr. Mühlfeld, Die Herzogl. Hofkapelle zu Meiningen in Neue Beitr. zur Geschichte des deutschen Altertums 23, Meiningen 1910/11; G.F. Schmidt, G.C. Schürmann, Leben u. Werke, Phil. Diss. München 1913; H. Poppen, 50 Jahre Meininger Mg. in Beitr. zur Geschichte des deutschen Altertums 34, Schmalkalden 1929; F. Stein, Festvortrag zur Musikpädagogischen Woche, Meiningen 1929, Ms.; G. Kraft, Mg. der Grafschaft Henneberg (1930), Ms.; E.W. Böhme, Die frühdeutsche Oper in Thür., Stadtroda 1931; O. Güntzel, Vom Werden u. Wirken der Meininger Landeskapelle in Festbuch zum Max Reger-Fest 1937; Chr. Mühlfeld, Musikerkat. des Landesarch. Meiningen, Ms.; G. Kraft, Mg. der Stadt Meiningen in Monographien zur thür. Mg., 1958.
Günther Kraft
[Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Meiningen. Musik in Geschichte und Gegenwart, S. 50142 (vgl. MGG Bd. 08, S. 1911 ff.) (c) Bärenreiter-Verlag 1986]
Rudolf Baumbach,
(Ps. Paul Bach), 28. 9. 1840 Kranichfeld/Ilm – 21. 9. 1905 Meiningen; Arztsohn, Vater Hofmedikus des Herzogs von Meiningen; 1850-60 Gymnas. Meiningen, 1860-64 Stud. Botanik Leipzig, Würzburg, Heidelberg, 1864 Dr. phil., Fortsetzung der Stud. in Freiburg/Br. und Wien zwecks Habilitation durch Vermögensverlust unterbrochen; Haus- und Schullehrer in Wien, Graz, Brünn, Görz, Pisa, Triest; gab dort auf Drängen s. Freunde 3 Bde. ›Enzian‹ mit eigenen Beiträgen heraus und wurde freier Schriftsteller, seit 1885 in Meinungen, 1888 Hofratstitel; Lebensende nach schwerer Krankheit. – Neben J. Wolff Vertreter der von den Naturalisten verspotteten ›Butzenscheibenlyrik‹ in verwässernder Nachfolge Scheffels, innerlich unwahrer, liebenswürdig-oberflächl. Lyrik und epigonaler Versepik von reimgewandter, melod. und rhythm. glatter Form und z. T. burschikosem Humor; am volkstümlichsten die ›Lindenwirtin‹ u. a. Studentenlieder.
WERKE: Samiel hilft!, Aut. 1867; Zlatorog, Alpensage 1877; Lieder eines fahrenden Gesellen, G. 1878; Trug-Gold, E. 1878; Horand und Hilde, Ep. 1878; Neue Lieder eines fahrenden Gesellen, G. 1880; Frau Holde, Ep. 1880; Sommermärchen, 1881; Von der Landstraße, G. 1882; Spielmannslieder, 1882; Mein Frühjahr, G. 1882; Abenteuer und Schwänke, En. 1883; Wanderlieder aus den Alpen, G. 1883; Das Lied vom Hütes, 1883; Der Pathe des Todes, Ep. 1884; Erzählungen und Märchen, 1885; Krug und Tintenfaß, G. 1887; Kaiser Max und seine Jäger, Ep. 1888; Es war einmal, M. 1889; Thüringer Lieder, 1891; Der Gesangverein Brüllaria und sein Stiftungsfest, E. 1893; Neue Märchen, 1894; Aus der Jugendzeit, En. 1895; Bunte Blätter, G. 1897.
LITERATUR: A. Selka 1924; E. Diez 1933.
[Autorenlexikon: Baumbach, Rudolf. Wilpert: Lexikon der Weltliteratur, S. 1194 (vgl. Wilpert-LdW, Autoren, S. 127 ff.) (c) Alfred Kröner Verlag ]
Ludwig Bechstein,
24. 11. 1801 Weimar – 14. 5. 1860 Meiningen, früh verwaist, 1818 Apothekerlehrling in Arnstadt, Meiningen und Salzungen, 1828 Stipendium des Herzogs Bernhard von Sachsen-Meiningen für s. ›Sonettenkränze‹. 1829 Stud. Philosophie, Geschichte und Literatur Leipzig, 1830 München, hier Verkehr mit Spindler, Pocci, Chezy, Duller und Maßmann. 1831 herzogl. Kabinettsbibliothekar in Meiningen, 1831 1. Bibliothekar der öff. Bibliothek, 1840 Hofrat, seit 1844 am hennebergischen Gesamtarchiv, 1848 Archivar ebda. – Leidenschaftsloser, z. T. trivialer Lyriker u. Erzähler aus Thüringens Land u. Geschichte; breite, spannungsarme hist. Romane; später Massenproduktion. Bedeutend als Sammler heim. Märchen und Sagen in echtem Märchenton und als Hrsg.
WERKE: Mährchenbilder und Erzählungen, 1829; Die Hilmons-Kinder, G. 1830; Erzählungen und Phantasiestücke, IV 1831; Arabesken, Nn. 1832; Novellen und Phantasiegemälde, II 1832; Grimmenthal, R. 1833; Der Fürstentag, R. II 1834; Novellen und Phantasieblüthen, II 1835; Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes, IV 1835-38; Gedichte, 1836; Fahrten eines Musikanten, Nn. III 1836 f.; Grumbach, R. 1839; Aus Heimat und Fremde, En. II 1839; Clarinette, R. III 1840; Deutsches Märchenbuch, 1845; Berthold der Student, R. II 1850; Deutsches Sagenbuch, 1853; Hainsterne, En. IV 1853; Der Dunkelgraf, R. II 1854; Neues deutsches Märchenbuch, 1856; Thüringer Sagenbuch, II 1858; Thüringens Königshaus, Ep. 1860. – Sämtl. Märchen, 1965, 1979 u. ö.
LITERATUR: T. Linschmann, 1907; K. Boost, Diss. Würzb. 1925.
[Autorenlexikon: Bechstein, Ludwig. Wilpert: Lexikon der Weltliteratur, S. 1238(vgl. Wilpert-LdW, Autoren, S. 132 ff.) (c) Alfred Kröner Verlag]
Tann
Auch wenn Tann nicht mehr zur thüringischen Rhön gehört, so liegt es doch hart an deren Grenze. Bei einem so klangvollen Namen musste ich eine Ausnahme machen, er war mit Johann Sebastian Bach immerhin, wenn auch nur weitläufig verwandt:
Johann Michael Bach, wurde am 9.11.1745 in Struth bei Schmalkalden als Sohn des Schirrmeisters Jakob Bach und Ottilie, geb. Weisheit, geboren. In Tann war er von 1767 bis 1778 als Kantor und Organist tätig, verschwand aus Tann obwohl (oder weil?) er Vater eines unehelichen Sohnes wurde. Er machte nach Percy M. Young ausgedehnte Reisen durch Holland, England, Amerika und war 1779/80 in Göttingen als Student der freien Künste eingetragen; 1781 war er an der Leipziger Universität immatrikuliert. 1782 bis 1793 war er dann wieder in Tann und heiratete die Mutter seines Sohnes. Weitere Stationen seines Lebens: Güstrow (dort komponierte er die weltliche Kantate „Heil dir, beglücktes Land“ zu Ehren des Herzogs von Mecklenburg), 1795/96 war in der Schweiz und wurde 1797 Professor in Elberfeld, dort starb er am 13.6.1820. Außer etlichen Cembalokonzerten und Kantaten schrieb er ein theoretisches Werk: „Anleitung zum General-Baß und der Tonkunst“.
Kommentare zu einer erschienen CD mit Kantaten (mit Musikbeispielen zum Reinhören) von ihm:
Westfälische Nachrichten 4.12.2000: „Eine echte Entdeckung. Nicht nur, weil in ihr zum ersten und vielleicht einzigen Mal ein Bach das lupenreine Idiom der Wiener Klassik spricht. Die Musik ist routiniert, aber kraftvoll komponiert, originell instrumentiert und darf mit dem Besten ihrer Zeit verglichen werden. Max inszeniert das alles sehr spannend, leidenschaftlich geradezu.“
Early Music Review 2 / 2001: „A wonderful insight into music off the beaten track during their lifetimes. JM makes exciting use of clarinets. A very fine disc, well worth having.“
[aus Gottfried Rehm: „Die Rhön in alten Zeiten“ ISBN 3-89906-389-9 und Percy M. Young: „Die Bachs 1500-1850“ VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1978]
Tiefenort
Johann Melchior Molter: Konzert für Trompete, 2 Oboen, Fagott D-dur – I. Allegro
Johann Melchior Molter, * 10. Febr. 1696 in Tiefenort/Werra im Fürstentum Sachsen-Eisenach, † 12. Jan. 1765 in Karlsruhe (»alt 69 Jahr« ). Er trat 1717 als Musicus in den Dienst des Markgrafen Karl Wilhelm von Baden-Durlach, heiratete am 12. Juli 1718 Maria Salome Rollwagen aus Hagsfeld b. Karlsruhe und wurde am 16. Okt. 1719 mit vollem Gehalt beurlaubt, um sich in Venedig »in der Musik mit Erlernung der ital. Manier, auch anderer Vortheil und Handgriffe mehrers zu habilitieren«. Im Juli 1720 schickte er von dort 6 Concerti an den bad. Hof mit der Bitte, seine Studien in Rom fortsetzen zu dürfen. Als J. Ph. Käfer 1722 aus dem Hofdienst schied, wurde Molter sein Nachf. als Kpm. der Hofmusik im alten Schloß zu Durlach und im neuen zu Karlsruhe. Der Ausbruch des poln. Thronfolgekriegs (1733) veranlaßte den Markgrafen, seine Residenz in Karlsruhe aufzugeben und die Hofmusik aufzulösen. Molter wurde unter Beibehaltung des »Capellmeister Praedicats« an den Hof von Sachsen- Eisenach entlassen, wo die Stelle des Hofkpm. durch den Tod J. A. Birckenstocks vakant geworden war. Anfang 1738 hielt er sich in Venedig, Ancona, Foligno und Rom auf. Nach GerberATL war er »um das Jahr 1741« wieder in Karlsruhe, was mit dem Zeitpunkt der Auflösung der Eisenacher Hofkapelle übereinstimmt. Nach den bad. Hofakten wurde er jedoch erst am 17. Febr. 1743 »wieder in Dienste angenommen«. Nachdem der junge Markgraf Karl Friedrich die Regierung angetreten hatte, forderte er von Molter einen Plan »von einer zwar nicht allzu großen, jedoch wohleingerichteten Capelle«, welcher im März 1747 mit einem Kostenanschlag von 6776 fl. genehmigt wurde. Da einige der 24 Musiker mehr als ein Instr. beherrschten, standen zur Ausw.: 8 V., 4 Va., 1 Vc. (auch Gambe), 2 Kb., 2 Fl., 2 Ob., 2 Klar., 3 Fg., 5 Trp., 1 Paukenspieler. Molter erhielt neben Naturalien 500 fl. Besoldung. Er versah sein Amt bis zu seinem Tode.
Schon als junger Musiker lernte Molter am markgräfl. Hof Werke der zeitgenöss. frz., oberital. und deutschen Opern- und Instr.-Musik kennen und blieb lebenslang den verschiedenen Einflüssen offen. Er beherrschte die frz. Kompos.-Technik ebenso wie die ital. und schloß sich in seinen späteren Schaffensjahren den Mannheimer Bestrebungen an. In den Ouvertüren finden sich gut gearbeitete Fugen, soweit er nicht nach dem Vorbild Rameaus das fugierte Allegro durch ein homophones in der Sonatenform ersetzt. Seine Solokonzerte ahmen in Form und Spieltechnik Vivaldi und Tartini nach. Thematik, Form, Dynamik und Instrumentation durchlaufen eine geschlossene Entwicklung von der frz. Ouvertüre und dem ital. Concerto grosso (s. MGG II, Sp. 1609 und 1612) zur drei-, vier- und fünfsätzigen Sinfonie mit zweithemiger Sonatenform im Geist der zeitgenöss. Mannheimer. Molter verstand es trefflich, nicht nur für die allgemein gebräuchlichen Streich- und Blasinstr. charakteristisch und gut liegend zu schreiben, sondern auch für die paarig besetzten Chalumeaux, die eben aufkommende Klar. (s. MGG VII, Sp. 1007, 1008), die Hf. (s. MGG V, Sp. 1574 und 1575) oder den seltenen Flauto traverso d’amore As. Nur die Behandlung des Cemb. bleibt im Solokonzert, nicht aber in den Sonaten mit obligatem Cemb., hinter der zeitgemäßen Spieltechnik zurück. Die Solokantaten (s. MGG VII, Sp. 571) sind vorwiegend für Sopr. auf ital. Texte und im Stil der Neapolitaner geschrieben. Geistl. Chor- und Solokantaten auf deutsche Texte sind nur in Skizzen und Fragmenten erhalten.
Johann Melchior Molter: Fagottkonzert g-moll
Werke (wenn nicht anders angegeben LB Karlsruhe). A. Vokal: Or. zum Karfreitag »Höchst schmerzensvoller Tag«, Ms. in Sondershausen, Kreisbibl., Hs. M. 18: 133; Kantaten Mss. 426-442.
B. Instr.: Esercizio studioso, cont. 6 Sonate a V. solo e Cemb. op. 1., Amsterdam o. J.; 2 Sinf. Es (nicht B wie EitnerQ angibt) u. D, Ms. Stb. LB Darmstadt, verbrannt, Incipit erh.; 2 Sinf. B u. D (2 V., Va., Bc.), Ms. Stb. Schwerin, 3811 u. 3811/1, Concerti, Concerti grossi, Ouv., Sinf., Sonate grosse, Son., Menuette u. Märsche in Orch.-, KaM. u. Bläserbesetzung in Mss. 299-425 u. 444-685 (Mss. 368 u. 369 identisch m. 370 u. 371, Ms. 425 identisch m. Rückseite 359), darunter Solokonz.: 3f. V., 1f. Vc., 9f. Fl., 1f. Fl. d’amore, 5f. Ob., 4f. Klar., 1f. Hr., 4f. Clarino, 1f. Cemb., 1f. Fl. u. Fg. (Ms. 353 identisch m. 355), 2f. Fg. (Ms. 358 enthält beide); bei 3 Konz. ist die Zuweisung an ein Soloinstr. unsicher, vermutlich: Ms. 323f. V., 328f. Klar., 341f. Fg.; Ms. 443 Choralvorspiele f. Org. Die Mss. sind teils antograph, teils Stb. Die Mss. 353-359, 424, 425, 668, 670, 685 dürften andern Komp. angehören. Die Hs. 70 Praktische Musik (b. EitnerQ irrtümlich Ms. 7) ist 1942 verbrannt (12 Konz. f. 2V.,Va.,Vc., Kb., 2 Ob.). In der UB Rostock sind 2 Concerti a 6 u. ein Conc. pastorale erh. (EitnerQ schreibt sie fälschlicherweise Johann Markus Molter zu, es gibt jedoch keinen Komp. m. diesem Namen)
Literatur: W. Bauer, Das Hoftheater zu Karlsruhe 1715-1810, Phil. Diss. Heidelberg 1923 (mschr.); H. Becker, Klar.-Konz. des 18. Jh. m. Vorw. in EdM 41, Wiesbaden 1957, B & H; EitnerQ (dort auch die ältere Lit.); H. Engel, Das Instr.-Konz., Lpz. 1932, 95 u. 164; G. Frotscher, Geschichte des Orgelspiels u. der Orgelkompos. II., Bln. 1936, Hesses Verlag, 1117; GroveD, 5/1954; F. Hermann, Thematisches Verz. der Werke J. M. Molters, Ms.; L. Schiedermair, Die Oper an den bad. Höfen des 17. u. 18. Jh., Lpz. 1913, B & H, Sonderdruck aus SIMG XIV, 2-4; E. Schmitz, Geschichte der Kant. u. des geistl. Konz., I, Geschichte der weltl. Solokant., Lpz. 1914, 251f.; D. Hussey, Clarinets and the Musical Glasses in The Listener v. 23. Dez. 1954 (über die Auff. des Klar.-Konz. G [Ms. 302] in der BBC); s. auch Lit. des Art. Karlsruhe, ferner MGG III, Sp. 1082, IV, Sp. 351, VI, Sp. 1264 u. 1265, VII, Sp. 1077. Briefliche Mitt. v. BM, Hess. LB Darmstadt, Mecklenburgische LB Schwerin, UB Rostock, Kr.-Bibl. Sondershausen; mündliche Mitt. u. Hss.-Verz. der Bad. LB Karlsruhe; Akten aus dem Generallandesarch. Karlsruhe u. des ev. Kirchengemeindeamts Karlsruhe.
Friedrich Hermann
[Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Molter, Johann Melchior. Musik in Geschichte und Gegenwart, S. 51553 (vgl. MGG Bd. 09, S. 446 ff.) (c) Bärenreiter-Verlag 1986]
Vacha
Georg Witzel (Wizel, Wicelius), * 1501 in Vacha (Rhön), † 16. Febr. 1573 in Mainz. Witzel stud. in Erfurt (1516/17) und Wittenberg (1520). Nach sehr kurzem Studium wurde er durch den Bischof von Merseburg zum Priester geweiht und erhielt ein Vikariat in seiner Heimatgemeinde Vacha. Da er sich aber Luther zuwandte und sich verheiratete, verlor er 1524 sein kirchl. Amt und wurde zunächst Stadtschreiber in Vacha. Durch Vermittlung des luth. Predigers J. Strauß in Eisenach erhielt er Pfarrstellen in Wenigen- Lupnitz und in Niemegk. Nach eifrigem Kirchenväterstudium wandte er sich jedoch wieder von Luthers Lehre ab und wurde kath. Prediger in Eisleben (1533). Sein erfolgreiches Eintreten für die kath. Sache in vielen polemischen Schriften verschaffte ihm einen Ruf nach Dresden an den Hof des Herzogs Georg von Sachsen. Hier wirkte er für die Reunion beider Konfessionen. Nach dem Tode Herzog Georgs folgte er einem Ruf des Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg. Wegen der schnellen Fortschritte des Luthertums in den brdbg. Landen mußte er Ende 1540 Berlin verlassen und fand eine neue Stelle als Rat des Abtes Johann von Henneberg in Fulda. Als solcher nahm er an mehreren Reichstagen teil. 1553 lehrte er an der Univ. in Mainz und wurde von Ferdinand I. zum kais. Rat ernannt. 1561 promovierte er zum Dr. theol., und Maximilian II. gewährte ihm eine jährl. Pension.
Das umfangreiche schriftstellerische Werk des vom Humanismus geprägten Reformtheologen Witzel (über 150 Schriften) diente vor allem der Pastoraltheologie (Predigten, Schriften über den Katechismus) und den Kirchenväterstudien. Als bedeutender Hymnologe wirkte er mit an der Wiederbelebung des ma. deutschen Kirchenliedes in den kath. Gemeinden und an der Übs. lat. Hymnen für den deutschen Volksgsg. Schon das GsgB. von M. Vehe bringt einige Übs. aus seiner Feder. Drei seiner eigenen pastoralliturg. Schriften, das Deutsch Betbuch (1537), die Odae Christianae (1541) und der Psaltes Ecclesiasticus (1550) enthalten wichtige hymnologische Beitr., vor allem die letztere mit dem Text zu 24 älteren Kirchenliedern und den Mitt. über ihre Einordnung in die vorreformatorische Liturgie.
Werke (außer den rein theologischen Schriften; keine enthält Noten): Deutsch Betbuch allen Gottsförchtigen zu heyl, an tag außgangen, o. O. 1537 (darin Bl. 191-206: Etliche Christliche Gesenge, Gebette vnd Reymen f. die Layen Georgii Wicelij); Odae Christianae. Etliche Christliche Gesenge, gebete vnd Reymen f. die Gotsförchtigen Layen Georgii Wicelij, Mainz 1541, gedr. bei Fr. Behem; Ecclesiastica Liturgia. Wie sich der gemein Christen Lay der Latinischen Missen zu besserung sein selbs gebrauchen künde …Item Hymnologium Ecclesie. Das ist Lobgesänge der Catholischen Kyrchen zur täglicher Vesperzeit durchs gantze Jar verdeudtschet, Köln 1545, P. Quentell; Verdeutschte Kyrchgesenge. Die Sequentz oder Prosen, so die Latinische kyrch bey der Liturgy oder Messe, in Gottlöblichem brauch durchs gantz iar hat vnd helt, verstendlich gedolmetschet, Köln 1546, J. Quentell; Vespertina Psalmodia. Die Funffzig Vesperpsalmen, so die Hl. Kyrche Gottes alle tage durch die wochen offentlich zu singen vnd zu lesen pflegt, Köln 1549, J. Quentell; Psaltes Ecclesiasticus. Chb. der Hl. Catholischen Kirchen Deudsch jtzundt new ausgangen, Köln 1550, verlegt durch J. Quentell, gedr. bei Fr. Behem, Mainz.
Literatur: Ph. Wackernagel, Bibliogr. zur Geschichte des deutschen Kirchenliedes, Ffm. 1855, 175f., 234f., 571f., 591-593; ders., Das deutsche Kirchenlied v. der ältesten Zeit bis zu Anfang des 18. Jh., I, Lpz. 1864, 757, 760, 835ff., u. V, 1877, 923-931; W. Bäumker, Das kath. deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen I, Freiburg 1886, 65f., 129-132; N. Paulus, Art. G. Witzel in Lex. f. Theologie u. Kirche, Freiburg 1928ff.; J. Lortz, Die Reformation in Deutschland, Freiburg 3/1940, 221-225; W. Trusen, Georg Witzel, Phil. Diss. Göttingen 1950 (mschr.); ders., Art. G. Witzel in Lex. f. Theologie u. Kirche X, 2/1965, Sp. 1205f.
Walther Lipphardt
[Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Witzel, Georg. Musik in Geschichte und Gegenwart, S. 81387 (vgl. MGG Bd. 14, S. 749 ff.) (c) Bärenreiter-Verlag 1986]
Wasungen
Johann Valentin Meder,
Johann Valentin Meder: Matthäus-Passion – Höret das Leiden
* (get. 3.) Mai 1649 in Wasungen (Werra), † Ende Juli 1719 in Riga; seine Brüder David Bernhard, Geburts- und Sterbedaten unbekannt, Johann Friedrich, * (get. 9.) Okt. 1639 in Wasungen, † 29. Dez. 1689 daselbst, Johann Nikolaus, Geburts- und Sterbedaten unbekannt. Maternus, Geburts- und Sterbedaten unbekannt. Vielleicht von einem der Genannten abstammend: Johann Gabriel, Geburts- und Sterbedaten unbekannt. – Johann Valentin Meder war ein Sohn des Wasunger Kantors Johann Erhard Meder und jüngster von fünf Brüdern. Er stud. 1669 in Leipzig, dann in Jena, war 1671 Sänger in Eisenach und Gotha, 1673 zu Bremen, 1674 zu Lübeck, wo sich Buxtehude in sein ergiebiges Stammbuch eintrug. Von hier aus besuchte er seinen Bruder in Kopenhagen, wurde 1679 Kantor am Gymnasium zu Reval (nach Davidsson 1674-1679 in Reval) und ist 1685/86 ohne Amt in Riga nachweisbar. 1686 wurde er als Nachf. B. Erbens Kpm. an St. Marien in Danzig. 1688 heiratete er Constantia Fink. 1695 führte er in Danzig eine deutsche Oper Nero auf; das Textbuch gehörte zu N.A. Strungks gleichnamiger Leipziger Oper, aus der Meder auch einige Musik-Nrn. übernahm. 1699 bat er den Rat vergeblich um Erlaubnis, eine zweite Oper, Die wiederverehligte Coelia, aufzuführen; daher bot er sie nahebei in Schottland (Westpreußen) an, was ihn das Wohlwollen des Danziger Magistrats kostete. Meder wich 1699 schuldenhalber aus Danzig und ging über Braunsberg nach Königsberg, wo er 1700 Domkantor wurde. Noch im selben Jahr erhielt er die Leitung des Domchors und das Org.-Amt an der Domorgel in Riga. Hier schrieb er viele Gelegenheitswerke; in einer Trauermusik bearbeitete er wunschgemäß Frobergers »Memento mori«, lehnte aber weitere derartige Arr. aus Stilgründen ab. Seinen Notennachlaß übergab der Sohn, der Notar Erhard Nikolaus Meder, 1719 dem Rat des damals schwed. Riga. Er bestand aus 37 Part. und 93 Kirchenstücken (darunter Messen, Magnificats, Passionen, geistl. Konzerte, sämtl. verschollen).
In seinen erhaltenen Werken ähnelt Meder an stilistischer Spannweite dem Vokalmeister Buxtehude: in der Passion dem »Popularbarock« zugewandt, nähert er sich in dem Konzert »In tribulatione« dem »romant. Barock« (Ph. Spitta, Moser): schon die Ausdrucksintensität der Instr.-Einl. hier wie in manchen geistl. Konzerten zeigt starke Gegensätze: schwere, langsame Synkopenketten, dann peitschende Punktierungen im Vivace, teilweise mit Doppelechos (p. pp). In der textlichen Gestaltung zeigt er sich als beachtenswerter Ausdrucksmusiker, stilistisch seinem Vorgänger, Balthasar Erben, nahe. Die Verspottung des »poln. Prachers« gehört in die Polemik nach Art der Beer-, Printz-, Kuhnauschen Präzedenzstreite wider das Bettelmusikantentum.
Werke. A. Opern: Nero (G.C. Corradi nach Carlo Pallavicino), Libretto Danzig StB, Musik verschollen; Die wiederverehligte Coelia, Libretto ehem. Petersburg, Kais. Bibl., Musik verschollen; Die befreyete Andromeda, Ballettoper, verschollen.
B. Geistliche Werke: Passionsor. nach Matthäus, DStB Berlin Mus. Ms. autogr., z.Z. verlagert; »In tribulatione invocavimus«, Solokant, f. Sopr., 4 V., Fg., Bc., ebda. Mus. 30 236; dass. f. Sopr. u. Bc. (Bibl. Wolfenbüttel Ms. 294); Musicalischer Dialogus auf bevorstehendes Hl. Weyhnachtsfest, 1686, verschollen; »Wünschet Jerusalem Glück« u. »Preise, Jerusalem«, 2 Mot. »auf den Kühr-Tag musiciret« f. je 3 Orch. u. 2 Chöre, 1686 u. 1687, Danzig StB Ms. 4038; Kürmusik zur Ratswahl am 17. März 1698; »Gott, der du wehlst die Regenten auf Erden« f. 3 Chöre, Textbuch ebda., Oe 18, Musik verschollen; Motetto concertato: »Singet, lobsinget m. Herzen u. Zungen« f. Solo-Sopr., A., T., B., Ripienchor, 2 V., Va., Vc., 2 Ob., Fg., ebda. Ms. Joh. 192; »Ach Herr, mich armen Sünder«, Choralkont. f.C., A., T., B., V. discordato, 2 Va., Violone, ebda. Ms. Joh. 191; Himmlische Valet Music: »Herzlich tut mich verlangen« (»Valet will ich dir geben«) f. Sopr., A., T., B., V. dulcisono, 2 Va., Vc., Violone, 2 Fl. dolci, 2 Ob., Fg., Org., ebda. Ms. Joh. 194; Andächtige Communion Musique: »Meine Seel säuffzt u. stöhnet«, »fatta di Riga, 29. 7br. 1714« 1. 4 v., 5 Viole, 2 Ob., Fg., ebda. Mus. Joh. 193; 2 geistl. Lieder, 1698, verschollen; 6 geistl. Lieder, verschollen. In Uppsala, UB, Slg. Düben, Vokalmusik i handskrift: »In principio erat verbum« f. Sopr., 2 V., Bc., Sign. 85:27; »Gott hilf mir« f.B., 4 V., Bc., Sign. 61:5; »Leben wir, so leben wir dem Herrn« f. Solosopr. u. Chor, Sopr., A., T., B., 2 V., Va. da gamba, Vc. u. Bc., Sign. 61:6; »Quid est hoc, quod sentio« f. Sopr., A., B., 2 V., Va. da gamba, Bc., Sign. 61:7; »Sufficit nunc Domine« f. 2 Sopr., V., 4 Va. da gamba, Bc., Sign. 61:8; »Vox mitte clamorem« f. 2 Sopr., T., 3 V., Bc., Sign. 61:9; »Die höllische Schlange« (EitnerQ unter »Begrüßet seystu holdseelige«) f. 2 Sopr., T., B., 2 V., 2 Va. da braccio, Violone, Bc., Sign. 28:4; »Ach Herr, strafe mich nicht« f. Solosopr., 2 V., Violone, Bc., Sign. 28:5; »Gott, du bist ders.« f. Sopr., T., B., 2 V., Alt-Va., 2 Clarini vel Trombone, Vc., Bc., ad lib.: Timpani, Sign. 28:6; »Gott, mein Herz ist bereit« f. 2 Sopr., B., 2 V., Alt-Va., Baß-Va., Bc., ad lib.: 2 Ob., Fg., Sign. 28:7; »Jubilate Deo« f. Solo-B., V., Clarino, Bc., Sign. 28:8; »Wie murren denn die Leut im Leben also« – »Rigae d. 3. Octob: 1684« in Dialogo, A., B., 2 V., 2 Va., Fg., Bc., Sign. 28:9.
C. Weltliche Werke: Der Poln. Pracher m. seiner aus einem alten Babilonischen Weidenstock zugehauenen, m. verschiedenen ausgedörreten Aals- (Bolte: Kalbs-)häuten geflickten, m. dritthalb Paar verrosten Eisernen Seiten bezogenen u.m. einem an einem alten Fingerhut hengenden Feder Kiel gespielten Pandur, nebst seinen erbärmlich schön singenden Discantisten Pachole in einen Musicalischen Concentum v. 5 Instr. formiret, 1689, Danzig StB, Ms. Joh. 190; »Vor- Jahrs Erstlinge«, Gratulationskompos., gedr. Riga 1685, Uppsala UB, Personal verser över enskilda, in 2° 1680-89 [Vegesack]; Trio Chaconne f. »Dessus«, »2 Dessus«, B.u. »Clavecyn« (Bearb. aus den verschollenen Capricci?), ebda., Instr. i handskrift 56:6; Capricci f. 2 V.u. Org.-Begl., gedr. Danzig 1698, nach Mattheson, verschollen.
Literatur: J. Bolte, J.V. Meder in VfMw VII1891; ders. in SIMG I, 1899; ders., Das Danziger Theater im 16. u. 17. Jh., Hbg. 1895 (= Theatergeschichtliche Forschungen XII); A. Davidsson, Musikbibliogr. Beitr. in Uppsala Universitets Årsskrift IX, Uppsala/Wiesbaden 1954: Gerber ATL; O. Günther, Musikgeschichtliches aus Danzigs Vergangenheit in Mitt. des Westpreuß. Geschichtsver. 1911; ders., Kat. der Hss. der Danziger Stadtbibl., Tl. 4 Die mus. Hss. der Stadtbibl. u. der in ihrer Verwaltung befindlichen Kirchenbibl. v. St. Katharinen u. St. Johannis in Danzig, Danzig 1911; W. Lott, Zur Geschichte der Passionsmusiken auf Danziger Boden m. Bevorzugung der oratorischen Passion in AfMw VII, 1925; J. Mattheson, Grundlage einer Ehrenpforte, Hbg. 1740, Neudr. v.M. Schneider, Bln. 1910; Miscellanea Musica I; H.J. Moser, Die Musik der deutschen Stämme, Wien/Stg. 1956; H. Rauschning, Geschichte der Musik u. Musikpflege in Danzig, Danzig 1931.
Christiane Engelbrecht
[Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Meder (Familie). Musik in Geschichte und Gegenwart, S. 50032 (vgl. MGG Bd. 08, S. 1887 ff.) (c) Bärenreiter-Verlag 1986]
Johann Valentin Meder – Ciaconne
David Bernhard Meder war um 1672 angesehener Org. an der Frauenkirche in Kopenhagen; Johann Friedrich erbte das Kantorenamt seines Vaters in Wasungen; Johann Nikolaus war um 1671 Kantor in Salzungen; Maternus hatte eine Org.-Stelle in Meiningen inne, war 1672 in Rothenburg und nahm 1680 die Wasunger Orgel ab.
Johann Gabriel Meder aus Erfurt war seit etwa 1755 in Amsterdam als Musiklehrer und Dir. der Winterkonzerte tätig. Wohl für diese schrieb er (nach Gerber ATL) seine Kompos.
Werke: Je sechs Sinf. à 8 op. 1, op. 2, op. 3 (um 1786); 3 Sinf. à 12 (1782); Symph. périodique à 8, Amsterdam o.J.; 3 Symph. f. großes Orch., op. 10, Bln. o.J., Hummel; 6 Marches f. Orch., Bln. o.J.
Literatur: J. Bolte, J.V. Meder in VfMw VII1891; ders. in SIMG I, 1899; ders., Das Danziger Theater im 16. u. 17. Jh., Hbg. 1895 (= Theatergeschichtliche Forschungen XII); A. Davidsson, Musikbibliogr. Beitr. in Uppsala Universitets Årsskrift IX, Uppsala/Wiesbaden 1954: Gerber ATL; O. Günther, Musikgeschichtliches aus Danzigs Vergangenheit in Mitt. des Westpreuß. Geschichtsver. 1911; ders., Kat. der Hss. der Danziger Stadtbibl., Tl. 4 Die mus. Hss. der Stadtbibl. u. der in ihrer Verwaltung befindlichen Kirchenbibl. v. St. Katharinen u. St. Johannis in Danzig, Danzig 1911; W. Lott, Zur Geschichte der Passionsmusiken auf Danziger Boden m. Bevorzugung der oratorischen Passion in AfMw VII, 1925; J. Mattheson, Grundlage einer Ehrenpforte, Hbg. 1740, Neudr. v.M. Schneider, Bln. 1910; Miscellanea Musica I; H.J. Moser, Die Musik der deutschen Stämme, Wien/Stg. 1956; H. Rauschning, Geschichte der Musik u. Musikpflege in Danzig, Danzig 1931.
Christiane Engelbrecht
[Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Meder (Familie). Musik in Geschichte und Gegenwart, S. 50032 (vgl. MGG Bd. 08, S. 1887 ff.) (c) Bärenreiter-Verlag 1986]
Melchior Vulpius
Chant Claire Chamber Choir – „Es Ist Ein Ros Entsprungen“
(bis in die Schleusinger Zeit Fuchs, so mitunter noch während des Weimarer Kantorats), * um 1570 (das in der älteren Lit. vertretene frühe Geburtsdatum um 1560 ist nicht haltbar) in Wasungen b. Meiningen (Grafschaft Henneberg), bestattet 7. Aug. 1615 in Weimar. Bis zum Jahre 1588 sind über Vulpius, der aus einer armen Handwerkerfamilie stammte, keinerlei Nachrichten erhalten. Wahrscheinlich besuchte er zunächst die Stadtschule von Wasungen und wurde hier auch von J. Steuerlein unterrichtet. 1588 war Vulpius »Condiscipulus« von Chr. Th. Walliser in Speyer und vermittelte diesem die »Musicae poëticae principia« (M. Sebitz, 317); im Frühjahr 1589 begab er sich abermals »nach Speier seine bucher von dannen abzuholen« (Brief Th. Schallers vom 4. März 1589). Über den Wasunger und Speyerer Schulbesuch hinaus scheint Melchior Vulpius (im Gegensatz zu seinem Bruder Martin, der »gratis« in Jena stud.) keine wiss. und mus. Ausbildung genossen zu haben; jedenfalls ist ein Univ.-Studium weder nachweisbar noch angesichts seines nur langsamen späteren beruflichen Aufstiegs und der sich nur allmählich bessernden armseligen wirtschaftlichen Verhältnisse wahrscheinlich. So liegt auch der Nachdruck in empfehlenden Schreiben des Wasunger Hofpredigers A. Scherdiger ganz auf des Vulpius »herlicher Musicalischer vena« (21. Febr. 1589), auf dem »guthen Kerl … quem adhuc syncerum in religione esse intheligo« (20. Mai 1589), während von einem auszeichnenden Bildungsweg nie die Rede ist. – Nach seiner Heirat (vor dem 20. Mai 1589) erhielt er zunächst eine Anstellung als außerplanmäßiger Adjunkt des Quintus beim Lateinunterricht der Sexta am Gymnasium in Schleusingen. Wie seine Kollegen, führte auch er, der »Inferius non ordinarius«, dessen Leistungen »ihm proportionaliter seiner muhe, non ordinarie verlohnet« wurden, Nebenamt und Nebentitel: er war »der Componist« und hatte geistl. Lieder und Motetten für den Schleusinger Gottesdienst zu schreiben. Im Jahre 1591 erscheint Vulpius, inzwischen mit dem Amt des »Cantor choralis« betraut, als »Sextus ordinarius« in den Kastenrechnungen, also nun an letzter Stelle des Lehrerkollegiums. 1592 wurde ihm auch das Amt des »Cantor figuralis« übertragen, 1594 ein eigener Adjunkt beigegeben. Seit 1592 war Vulpius demnach Sextus, beiderlei Kantor und Komp. in einer Person. Aus dem Jahre 1595 stammt die erste Nachricht über einen (verschollenen) Druck von Motetten des Vulpius. Bereits am 13. Febr. 1591 hatte er vom Leipziger Rat zwei Taler für einen diesem dedizierten (nicht identifizierten) »Cantus« erhalten (R. Wustmann, Mg. Leipzigs I, 205). Auf die Schleusinger Zeit könnte nach H. H. Eggebrecht (Mf III, 1950, 144) auch schon die ursprüngliche Fassung der Matthäus-Passion zurückgehen. – Aus den noch immer recht bescheidenen Verhältnissen in Schleusingen wurde Vulpius im Herbst 1596 als Nachf. W. Zirckels in das Weimarer Stadtkantorat berufen, das er bis zu seinem Tode innehatte. Waren die erhaltenen Schriftstücke über Persönlichkeit und nähere Lebensumstände schon für die bisherige Zeit rar, so fehlen sie für die Dauer des Weimarer Wirkens fast völlig. Es ist jedoch nicht zu bezweifeln, daß das Leben des »dienstfleißigen« (Ev. Sprüche II, Vorr.) Kantors von nun an wirtschaftlich gesichert, »ruhig und gleichmäßig« (A. Aber, 137) verlief. Im Jahre 1601 stellte Vulpius einen erfolgreichen Antrag auf kursächs. Rechtsschutz seiner Interessen an der Veröff. »etlicher muteten zu 6. 7. 8. vnd mehr stimmen … aus den Psalmis Davidicis vnd den gewöhnlichen Sontags Evangelien« (s. MGG XIII, Taf. 61), die er 1602 und 1603 als Tl. I und II der Cantiones sacrae im Druck herausgab; 1611 wurde ihm dieses Privileg auf weitere zehn Jahre verlängert und zugleich auf »ein Neues wercklein deuzscher Sonntäglicher Ev. Sprüche« sowie auf »alle künfftige seine compositiones« ausgedehnt.
In der mg. ereignisreichen Zeit um und nach 1600 steht der Schulmann, Kantor und Komp. Melchior Vulpius als der »Inbegriff des reinen Bewahrers« (H. H. Eggebrecht, Schneider-Fs., 88). Gewiß haben die vielfältigen kompos. Anregungen des beginnenden 17. Jh. auch in seinem Werk ihren Niederschlag gefunden. Die mehrchörige Anlage vieler der bis zu 18st. Cantiones sacrae wie die häufig angestrebte mehrchörige Wirkung oder die wachsende Bevorzugung dominantisch-harmonischer Bildungen ermöglichen eine geschichtliche Einordnung ebenso sicher wie die hohe Zahl neuer Andachtslieder im Kantional von 1609 oder das Fortfallen veralteter Notenzeichen und die Revision der Ligaturen-Lehre in der Neufassung des Faberschen Compendiums. Wesentlicher indes sind jene Züge in seinem Werk, die auf die reformatorischen Bemühungen um eine schlichte und »auch an denen Orten, da die Cantoreien schwach« (Ev. Sprüche I, Vorr.), leicht aufführbare KM. zurückweisen. Die zahlreichen (meist geringst.) Aliter- Sätze in der Passion, der Magnificat-Slg. und den Kantionalien, die (für die Hälfte der Sonntage vorliegenden, in der St.-Zahl stets unterschiedenen) Doppelkompos. biblischer Texte im Motettenwerk sind wohl gerade auch unter solcher Zielsetzung entstanden; die Andeutungen psalmodischer Deklamation in einigen Motetten, die weitgehende Abhängigkeit der Passion von den berühmten Vorbildern J. Walters und J. Meilands oder das gänzliche Fehlen von Gb. und selbständigen Instrumental-St. weisen Vulpius als einen konservativen, im Dienst der traditionsbewußten kirchl. Musikpflege abseits der Zentren aufgehenden Kleinmeister aus. Steht er, was die mg. Bedeutung betrifft, also im Schatten der großen Zeitgenossen, so hat er mit rund 400 Kantionalsätzen und 192 (überkommenen) Motetten (einschließlich der Magnificat-Kompos.) dennoch einen wichtigen Beitr. zum Standardrepertoire der Kirchen- und Schulchöre seiner Zeit geleistet; dank der etwa 35 ihm zugeschriebenen Kirchenliedmelodien gilt er als »einer der gesegnetsten Melodisten« der ev. Kirche (H. J. Moser, Die ev. KM., 87). In zahlreichen Neuaufl. und Abschr. seiner Kompos. wie in ehrenden Erwähnungen und Empfehlungen im Schrifttum des 17. Jh. manifestiert sich eine langanhaltende Popularität und Wertschätzung.
Werke. A. Kompositionen (chronologisch nach Druckjahren; die nach EitnerQ angeführten Drucke sind vernichtet oder verschollen): Druck einiger Mot., Erfurt 1595 oder früher (verschollen); Pars prima Cantionum sacrarum cum sex, septem, octo, et pluribus v. concinnatarum, Jena 1602, S. Richtzenhan, 2/1610; Pars secunda selectissimarum Cantionum sacrarum, ebda. 1603, 2/1610, 3/1611; Kirchen Geseng vnd Geistliche Lieder D. Martini Lutheri vnd anderer frommen Christen, so in der Christl. Gemeine zu Weymar … 4-5 v., mehrentheils auff zwey oder dreyerley art, mit besonderm fleis contrapunctsweise, Lpz. 1604, H. Birnstiel (2 der hierin mehrst. gesetzten Liedweisen sind Vulpius zuzuschreiben), 2. Aufl. Ein schön geistlich GsgB., Jena 1609, J. Weidner (31 der hierin mehrst. gesetzten Liedweisen sind Vulpius zuzuschreiben); Canticum Beatissimae Virginis Mariae 4-6 u. mehr St., Jena 1605, Chr. Lippold; Felicibus connubiis … Schärfii 8v., ebda. 1608 (EitnerQ); Auspicatissimis nuptiis … Joh. Poppi, civis Vinariensis … et Mariae … Langii, Jena 1609, J. Weidner; Epigramma quo nuptiis Dn. Joan. Fliegelii … per musicos numeros … congratulabatur Joh. Gebawer, Liegnitz 1609, N. Sartorius (aus Cantiones sacrae I m. neuem Text; EitnerQ); Opusculum novum selectissimarum Cantionum sacrarum 4-8 v., Erfurt 1610, M. Wittel; Erster Theil Deutscher Sontäglicher Ev. Sprüche vom Advent biß auff Trinitatis 4v., Jena 1612, J. Weidner, 2/1615, 3/1619; Das Leiden vnnd Sterben Unsers Herrn Erlösers Jesu Christi, auß dem heiligen Evangelisten Matthäo 4v., Erfurt 1613, M. Wittel; Der ander Theil Deutscher Sontäglicher Ev. Sprüche v. Trinitatis biß auff Advent, 4 u. mehr St., Jena 1614, J. Weidner, 2/1617, 3/1619, 4/1622; Nuptiis Ebaldo-Langianis 12v., ebda. 1614 (EitnerQ).
B. Theoretische Schrift: Musicae Compendium latino-germanicum, M. Heinrici Fabri … aliquantulum variatum ac dispositum, cum facili brevique de Modis tractatu, Jena 1610, J. Weidner, 2/1614, 3/1620, 4/1624, 5/1626, 6/1636, 7/1653, 8/1665.
Ausgaben. A. Kirchenliedweisen und Kantionalsätze: A. André, Lehrbuch der Tonsetzkunst I, Offenbach/Main 1832, J. André; C. v. Winterfeld, Der ev. Kirchengsg. I, Musikbeil., Lpz. 1843, B & H; ders., Zur Geschichte hl. Tonkunst I, ebda. 1850 (Dedikation des Kantionals v. 1604); L. Erk u. Fr. Filitz, Vierst. Choralsätze, 1. Theil, Essen 1845, Bädeker; G. v. Tucher, Schatz des ev. Kirchengsg., 2. Theil, Lpz. 1848, B & H; C. F. Becker, Kirchengsge. berühmter Meister, H. II u. IV, Dresden o. J., W. Paul; J. H. Lützel, Kirchl. Chorgsge., Zweibrücken 1861. J. Ch. Herbart; G. Rebling, Slg. deutscher ev. Kirchengsge. in Musica sacra XIII, hrsg. v. G. Bock, Bln. 1862. Bote & Bock; L. Schoeberlein u. Fr. Riegel, Schatz des liturg. Chor- u. Gemeindegsg., 3 Bde., Göttingen 1865-1872, V & R; L. Schoeberlein, Musica sacra f. höhere Schulen, ebda. 1869; J. Zahn, Die Melodien der deutschen ev. Kirchenlieder I-IV, Gütersloh 1889-1891, Bertelsmann; Fr. Zelle, Ein feste Burg ist unser Gott in Wiss. Beil. zum Jahresber. der Zehnten Realschule (Höhern Bürgerschule) zu Berlin, Ostern 1895, Bln. 1895, R. Gaertner; ders., Ein feste Burg ist unser Gott II, ebda. 1896; R. Heyden, Weihnachtsliedsätze, Kassel 1929, BVK; R. Gölz, Chor-GsgB., ebda. 1934; E. Mauersberger, 4. Singh. des Thür. Landesverbandes ev. Kirchenchöre, Eisenach 1937; Hdb. der deutschen ev. KM. I, 2. Tl., Göttingen 1942, V & R; H. H. Eggebrecht, Phil. Diss. (s. Lit.), Notenanh.; Ev. Kirchen-GsgB. – B. Motetten (einschließlich der Magnificat-Kompos.): Fr. Rochlitz, Slg. vorzüglicher Gsg.-Stücke I, 2. Tl., Mainz, Paris, Antwerpen 1838, Schott; J.-Napoleon Ney, Fürst v. der Moskova, Recueil des morceaux VI, Paris o. J., Pacini; C. F. Becker, Kirchengsge. berühmter Meister, Dresden o. J., W. Paul; ders., Mehrst. Gsge. berühmter Componisten des XVI. Jh., ebda. o. J.; J. Chr. Weeber u. Fr. Krauss, Kirchl. Chorgsge., H. III, Stg. 1857, G. Ebner; L. Schoeberlein, Musica sacra; Hdb. der deutschen ev. KM. II, 1. Tl., Göttingen 1935, V & R; H. H. Eggebrecht, Phil. Diss. (s. Lit.), Notenanh.; ders., Melchior Vulpius, Sonntägl. Evangeliensprüche f. das Kirchenjahr (1612), Kassel u. Basel 1950, BVK; ders., 2 Mot. in Concordia Motet Series, Series B, Saint Louis, Missouri 1953, Concordia Publishing House; H. Nitsche u. H. Stern, Melchior Vulpius, Deutsche Sonntägl. Evangeliensprüche v. Advent bis Trinitatis 1612, Stg. 1960, Hänssler; A. Sutkowski u. A. Osostowicz-Sutkowska, The Pelplin Tablature. A Thematic Catalogue in Antiquitates Musicae in Polonia I, Warschau u. Graz 1963, Polish Scientific Publishers Warszawa u. Akad. Druck- u. Verlagsanstalt (nur Incipits). – C. Passion: Hrsg. v. K. Ziebler, Kassel 1933, BVK. Literatur: M. Sebitz, Strassburgischen Gymnasii Christliches Jubelfest … 1638 Celebrirt vnd begangen, Straßburg 1641 (Appendix, 317f.: Biogr. Wallisers); C. v. Winterfeld, Der ev. Kirchengsg. I, Lpz. 1843, B & H; ders., Zur Geschichte hl. Tonkunst I, ebda. 1850; FétisB; E. E. Koch, Geschichte des Kirchenlieds u. Kirchengsg; 1. Haupttheil, Bd. II, Stg. 3/1867, Chr. Belser; EitnerQ; J. Richter, Zwei aufgefundene Passionsmusiken in MfM XI, 1879, 71ff.; ders., Mitt. über ein Druckex. der Matthäus-Passion v. Melchior Vulpius, ebda. XII, 1880, 189; A. Bähre, Christoph Thomas Walliser in Fs. zur Feier des 350jähr. Bestehens des Prot. Gymnasiums zu Straßburg, 1. Tl., Straßburg 1888, Heitz, 355ff.; O. Kade, Die ältere Passionskompos., Gütersloh 1893, Bertelsmann; J. Zahn, Die Melodien der deutschen ev. Kirchenlieder V u. VI, ebda. 1892 u. 1893; S. Kümmerle, Encyklopädie der ev. KM. III, ebda. 1894; A. Aber, Die Pflege der Musik unter den Wettinern u. wettinischen Ernestinern, Bückeburg u. Lpz. 1921, C. F. W. Siegel; Fr. Blume, Die ev. KM. in BückenH, Potsdam 1931, Athenaion, Kassel 2/1965, BVK; H. J. Moser, Geschichte der deutschen Musik I, Stg. u. Bln. 4/1926, Cotta; ders., Die mehrst. Vertonung des Evangeliums, 1. Tl., Lpz. 1931, B & H; ders., Heinrich Schütz, Kassel 2/1954, BVK; ders., Die ev. KM. in Deutschland, Bln. u. Darmstadt 1954, Merseburger; R. Gerber, Das Passionsrezitativ bei Schütz u. seine stilgeschichtlichen Grundlagen, Gütersloh 1929, Bertelsmann; Hdb. der deutschen ev. KM., hrsg. v. K. Ameln, Chr. Mahrenholz, W. Thomas u. C. Gerhardt, Bd. I, 2. Tl., u. Bd. II, 1. Tl., Göttingen 1942 u. 1935, V & R; G. Kraft, Die thür. Musikkultur um 1600 I, Würzburg 1941, Triltsch; H. H. Eggebrecht, Melchior Vulpius, Phil. Diss. Jena 1949 (mschr.); ders., Melchior Vulpius in MuK 20, 1950, 158ff.; ders., Die Matthäus-Passion v. Melchior Vulpius (1613) in Mf III, 1950, 143ff.; ders., Die Kirchenweisen v. Melchior Vulpius in MuK 23, 1953, 52ff.; ders., Das Leben des Melchior Vulpius in Fs. Max Schneider, Lpz. 1955, Deutscher Verlag f. Musik, 87ff.; W. Braun, Zur Passionspflege in Delitzsch unter Christoph Schultze in AfMw X, 1953, 158ff.; M. Jenny, Melchior Vulpius: Uns ist ein Kind geboren in Der ev. Kirchenchor 59, 1954, 24ff.; S. Fornaçon, Hinunter ist der Sonnen Schein in Jb. f. Hymnologie u. Liturgik I, 1955, 118ff.; W. Lueken u. O. Michaelis, Lebensbilder der Liederdichter u. Melodisten in Hdb. zum Ev. Kirchen-GsgB. II, 1. Tl., Göttingen 1957, V & R; W. Blankenburg, Geschichte der Melodien des Ev. Kirchen-GsgB. Ein Abriß, ebda. II, 2. Tl., 1957; ders., Der gottesdienstliche Liedgsg. der Gemeinde u. Der mehrst. Gsg. u. die konzertierende Musik im ev. Gottesdienst in Leiturgia IV, Kassel 1961, Stauda; O. Brodde, Ev. Choralkunde, ebda.; H. D. Metzgefr u. H. Stern, Melchior Vulpius. Zur 400. Wiederkehr seines Geburtsjahres in Württ. Blätter f. KM. 27, 1960, 90ff.; H. Pohlmann, Die kursächs. Komp.-Privilegien in AfMw 18, 1961, 155ff.; ders., Die Frühgeschichte des mus. Urheberrechts (ca. 1400 bis 1800), Kassel 1962, BVK; briefliche Mitt. der Musikbibl. der Stadt Leipzig, der Staats- und UB Hamburg, der DStB Berlin u. der RISM-Zentralstelle Kassel.
Fritz Reckow
[Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Vulpius, Melchior. Musik in Geschichte und Gegenwart, S. 79116 (vgl. MGG Bd. 14, S. 45 ff.) (c) Bärenreiter-Verlag 1986]
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