André Gide über Aufrichtigkeit

„Das Wort ,Aufrichtigkeit’,- schreibt André Gide in den Nouveaux Prétextes – „ist eins von denen, die zu verstehen mir am schwersten wird. Ich habe so viele junge Leute gekannt, die auf ihre Aufrichtigkeit pochten! . . . Manche waren anspruchsvoll und unerträglich, andere brutal; selbst der Ton ihrer Stimme klang falsch . . . Im allgemeinen hält sich jeder junge Mann für aufrichtig, der Überzeugungen hat und unfähig zur Kritik ist. Und wie oft wird Aufrichtigkeit mit sans-gêne[1verwechselt! . . . Nur die sehr banalen Seelen gelangen leicht zum aufrichtigen Ausdruck ihrer Persönlichkeit . . .“ Weiterlesen

Das Problem der menschlichen Natur

Dieser Tage ist mir in einem Oppelner Antiquariat ein interessantes Buch untergekommen – dessen Kauf kostete mich 1 (in Worten Einen) Euro – in dem ich meine Ahnung bestätigt fand, daß der individuelle Mensch, seine „Seele„,  ein Produkt der menschlichen Kultur ist, in die er hinein wächst. Wird ihm jede menschliche Gesellschaft verwehrt (wie z.b. bei den Experimenten des Stauferkaisers Friedrich II.), verkümmert er, ist hilfloser als jedes Tierbaby gegenüber den Einwirkungen seiner Umwelt.
Alles was den Menschen vom Tier unterscheidet, erlernt er erst durch die Gemeinschaft anderer Menschen. Das zeigen auch die Erfahrungen mit sogenannten „Wilden Kindern. Über diese und die Folgerungen, was am Menschen Natur und/oder Kultur ist, berichtet  das Buch „Die wilden Kinder“ von Lucien Malson, Jean Itard und Octave Mannoni, (suhrkamp taschenbuch 55), aus dem ich das Einführungskapitel als Appetithäppchen für an solchen Gedankengängen Interessierte zitieren werde:

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Von der Möglichkeit des Krieges

Man weiß aus der Verhaltensforschung über unsere nächsten Verwandten, den Primaten, dass Schimpansenhorden regelrecht Krieg gegeneinander führen. Die berühmte Schimpansenforscherin Jane Goodall hat sich besonders genau mit diesen Menschenaffen beschäftigt. Sie weiß, dass Schimpansen bei aller Intelligenz auch sehr zerstörerisch sein können. In Afrika beobachtete sie jahrelang einen echten Krieg zwischen zwei Schimpansenhorden. Er wurde sehr brutal geführt und endete damit, dass eine Gruppe ausgerottet wurde. „Hätten sie Feuerwaffen gehabt, ich vermute, sie hätten sie eingesetzt”, meint Jane Goodall. Wer zweifelt da noch an der nahen Verwandtschaft mit uns Menschen? Nur vollkommen ist sie nicht, denn nur wir Menschen verfügen – dank^^ unseres kollektiven Bewusstseins (kollektive Intentionalität nennt Searle den gleichen Sachverhalt hier), welches sich in unserer Sprache repräsentiert -, über die zweifelhafte Fähigkeit, die Notwendigkeit jedes beliebigen Krieges auch abstrakt begründen zu können. Eine so absurd handelnde Spezies kann unsere soooo vernünftige, menschliche Gesellschaft einfach nicht sein, denkst du? Leider doch, auch dazu ist unser Gesunder Menschenverstand fähig!

Peter Nàdas versucht zu erklären, warum Soldaten, die sich als Privatpersonen wahrscheinlich nie hassen und töten würden, einander dennoch guten Gewissens töten können:

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Der Wert der Religion

Ich habe einige Antworten von Kritias, Werner Heisenberg, Thomas Mann und Rolf Oerter auf  die Frage „Wozu Religion?“ zusammengestellt. Ihre Antwort lautet: Die Religion liefert die transzendente Begründung unserer Ethik, des „vernünftigen“ Miteinanders menschlicher Gemeinschaften. Trotz allen wissenschaftlichen Fortschritts liefern uns weder Physik, andere Naturwissenschaften oder die „Gesetze“ der Evolution eine logische Begründung konkreten moralischen Verhaltens. Unsere „Vernunft“ ist ein soziales Konstrukt, der menschliche Geist die Emergenz kollektiver symbolischer Wechselwirkung der von uns mit Bedeutung für unser Fühlen aufgeladenen Abstrahierungen unserer Sinneswahrnehmungen.
Unser Verständnis des Sinn von Religion hat sich jedenfalls seit der Zeit von Kritias nicht wesentlich erweitert. Wir glauben nun zwar, dass und wie man alle die praktischen Dinge der Wissenschaften und des sozialen Miteinanders, also Lernen lernt, aber das Verständnis dessen, wie man Gewohnheiten bildet, wie sich das, was man gesunden Menschenverstand nennt, in uns festsetzt, zu lernen wie man lernt zu lernen oder: „Wie kann man durch ein besonderes Lernen über die Konstrukte, den Habitus, die Gewohnheiten hinausgelangen?“ – das müsste aber ein neuer Beitrag versuchen zu beantworten …

Kritias – Über die Entstehung der Religion
Es gab einmal eine Zeit, da war das Leben der Menschen jeder Ordnung bar, ähnlich dem der Raubtiere, und es herrschte die rohe Gewalt. Damals wurden die Guten nicht belohnt und die Bösen nicht bestraft. Und da scheinen mir die Menschen sich Gesetze als Zuchtmeister gegeben zu haben, auf daß das Recht in gleicher Weise über alle herrsche und den Frevel niederhalte. Wenn jemand ein Verbrechen beging, so wurde er nun bestraft. Als so die Gesetze hinderten, daß man offen Gewalttat verübte, und daher nur insgeheim gefrevelt wurde, da scheint mir zuerst ein schlauer und kluger Kopf die Furcht vor den Göttern für die Menschen erfunden zu haben, damit die Übeltäter sich fürchteten, auch wenn sie insgeheim etwas Böses täten oder sagten oder (auch nur) dächten. Er führte daher den Gottesglauben ein [und sagte]: Weiterlesen

PSI oder Bauplan für eine Seele

PSI-Theorie (Dörner)Was ich nicht bauen kann, kann ich nicht verstehen.

Bauplan für eine Seele“ ist der Titel eines Buches von Dietrich Dörner. In diesem Buch versucht er die  „Seele“ als Regelsystem menschlicher Bedürfnisse → Motivationen → Handlungen mit dem Ziel nachzubilden: Wie könnte eine Maschine aussehen, die so fühlen, denken, wollen und handeln kann, wie der Mensch es kann? Er geht aus Gründen der Anschaulichkeit vom Regelprinzip der Dampfmaschine aus und erweitert es Schritt um Schritt um menschliche Fähigkeiten und fragt nach jedem Schritt, was diese Maschine bisher noch nicht kann und mit welchen Erweiterungen das Programm sich den Fähigkeiten des Menschen annähern könnte. Er will dabei die Funktionsweise des Gesamtsystems Seele nachbilden und nicht die neurologische Struktur des Gehirns. Man könnte sich auch vorstellen, dass das ganz anders realisiert werden könnte als auf der elektrochemischen Grundlage der Neuronen, z.B. mit Schaltkreisen aus Graphen. Schalter aus Graphen haben, wie die Neuronenverknüpfungen die Eigenschaft, dass ihre Übergangswiderstände mit der Häufigkeit ihres Einschaltens sinken. Deren Anwendung aber ist noch unbestimmte Zukunft….

Am besten lasse ich zunächst Dietrich Dörner selbst erklären, was er für Zielstellungen verfolgt. Das gesamte Interview kann unter dem Link auf das Heft herunter geladen werden, bevor ich über meine Meinung dazu schreibe. Weiterlesen

Aphrodite’s Child – I want to live

Ich will leben! Ich will leben, wo noch zu ändern ist, was wir verbockt haben. Ich muss sterben in der Kälte, ohne die Wärme der Sonne. Warum sollte ich dort bleiben wo es Menschen gibt, die das hassen, was ich zum Leben brauche und dort abwarten, dass sie mich das Wie statt des Warum lehren und meine ganz persönliche Wahrheit in Lügen verwandeln? … Ich will zu leben versuchen, betrachten und verstehen, auch wenn ich das Leben eines Tages verlieren werde, ohne es verstanden zu haben!

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The Rolling Stones – Paint It, Black

Paint It, Black habe ich das erste Mal während einer Hochzeitfeier in der Türkei gehört. Ein Alleinunterhalter spielte es auf seinem Keyboard, ich dachte, es sei Türkenpop, halt so ein Zwischending zwischen türkischer Folklore und westlichem Allerweltsmusikstil, auch unter nichtssagenden Namen „World“ oder „World Music“ bekannt.

Ein Junge, der schon den ganzen Abend abseits der Hochzeitsgesellschaft einsam in der Ecke saß, stand auf, ging alleine auf die Tanzfläche und tanzte, ganz in sich versunken – ein Sufi etwa? Nein, so erzählte er mir später: er liebte die Braut, aber sie wurde heute Abend mit einem anderen, dem sie schon als Kind versprochen war, verheiratet. Von ihm erfuhr ich die ganze Geschichte, des Liedes und die seine, nebenbei, wir wurden Freunde, aber nicht etwa weil er mir leid tat, das war vorher. Dies nun ist sein Lied – das Original von The Rolling Stones komponiert und gesungen: Weiterlesen

Wie fällt unser Gehirn Entscheidungen?

illusion-alte-oder-junge-frau-sehtestAbb.: Illusion junge oder alte Frau.

Die Vorgehensweise unseres Gehirns bei der Erkennung solcher Bilder ist die eines spontanen Symmetriebruchs. Die beiden vorhandenen Wahrnehmungsmöglichkeiten stellen einen symmetrischen, gleichberechtigten Zustand zumindest in unserem Unterbewusstsein dar. Unser Gehirn geht hier nach dem gleichen Entscheidungsschema vor, das uns auch aus ganz anderen Bereichen des menschlichen Lebens bekannt ist.
Fälle, in denen zwei oder mehr Handlungsalternativen vorgegeben sind, die genau gleich oder vergleichbar gut sind, gibt es zuhauf. Ständig sind Entscheidungen zu treffen: Ziehe ich die weißen oder die blauen Socken an, nehme ich noch einmal eine Tasse Kaffee oder nicht, lese ich diese Buchseite noch zu Ende oder nicht? Und so weiter. Zum Glück ist die Entscheidungsfindung in solchen kleinen Problemen bei den meisten Menschen durch den Alltag weitestgehend automatisiert. Trotzdem gibt es Menschen, die in solchen Zweifelsfällen ständig zwischen genau symmetrischen Alternativen zu stecken scheinen und sich nie für oder gegen etwas entscheiden können. Weiterlesen

Über Eitelkeit, Altruismus und Nächstenliebe

eitelkeit „Ich bin mir und nur mir selbst die Welt, die gesamte Wirklichkeit und ihr Ursprung!“

Ist das nun Eitelkeit oder die Wahrheit [Was ist Wahrheit?] über die Welt?
Es gibt gute Gründe für die erstere Annahme, die sich aus der Begrenztheit meiner Wahrnehmungen und dem unwiderstehlichen Drang, aus diesen Artefakten eine widerspruchsfreie (in sich konsistente) Weltanschauung zu konstruieren, ergeben.
Denn wie sollte ich auch anders sinnerfüllt [Vom „Sinn des Lebens“] leben können?
Und doch beschleichen mich/uns bei dieser Argumentation Zweifel:

„Sollte das wahr sein können angesichts all der vertrauenswürdigen Erfahrungen über eine Welt da draußen (die ich externe Wirklichkeit nenne), die ich mit vielen anderen Menschen teile und abgleichen kann?“ Weiterlesen

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