Die Ich-Illusion

Wer mit der Idee Dörners „Bauplan für eine Seele“ Probleme hat, weil sie ihm die hehre menschliche Seele durch Dörners technische Beschreibung dieses ungewissen, abstrakten Etwas, das er Seele nennt, in Form eines Konstruktionsplanes vermieste, dem wird sich hier geholfen.
Gazzaniga erklärt uns diesen „Konstruktionsplan“ auf andere Weise und kommt trotzdem zu den gleichen Schlussfolgerungen wie Dörner darüber, was uns Menschen, unsere Seele bzw. unser ICH, im Unterschied zu Tieren ausmacht: die Fähigkeit über uns selbst als Abstraktum, als Illusion, nachdenken, uns gewissermaßen von außen, aus der Sicht eines anderen betrachten zu können.
Da unser Tun durch Naturgesetze determiniert wird – es besteht jedenfalls keine Notwendigkeit andere Erklärungsansätze für unser ICH oder das, was wir Seele nennen, vorauszusetzen – stehen wir vor der Frage, ob wir dann für unser Tun überhaupt moralisch oder strafrechtlich verantwortlich gemacht werden können. Ja, wir sind verantwortlich dafür was wir tun, denn wir können zumindest zwischen den Möglichkeiten „Tu ich’s?“ oder „Tu ich’s nicht?“ entscheiden. In Wirklichkeit stehen uns jedoch immer wesentlich mehr mögliche Handlungsalternativen zur Verfügung – die Zukunft ist der offene Raum der Möglichkeiten, die wir heute ergreifen oder morgen auch verschmähen können – et vice versa! Weiterlesen

Das Prinzip „Glück“

BoD_B2-Bellebaum_17517-1-28Um glücklich zu sein, muss man schon eine Menge Glück haben. Es ist eine weit verbreitete Meinung, dass das Glück einen überrascht wie ein Lottogewinn. Der Einsatz ist oft relativ gering, das Ergebnis lässt auf sich warten, aber man darf die Hoffnung nie aufgeben. Ob der Glücksfall dann auch wirklich eintrifft, wissen wir nicht. Erzwingen können wir ihn jedenfalls nicht. Ob wir dann richtig glücklich werden, wissen wir auch nicht. Wir sind aber guten Mutes, dass uns dann, wenn uns keiner mehr in der Sonne stünde, dazu schon etwas Zufriedenstellendes einfallen würde. Etwas erfahrungsgesättigter ist die Überzeugung der meisten Menschen, dass man mit einem dauerhaften Glück in diesem Leben wohl nicht zu rechnen hat. Manche halten es – wie die sauren Trauben – gar nicht für erstrebenswert, weil ihnen das Leben dann eintönig vorkäme. Aber die meisten würden dieses Risiko gern auf sich nehmen, wenn das „Schweineglück“ in Form von Geld, Erfolg, Macht oder sonstiger Güter bei ihnen vorbeischauen würde.

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Gleich heut, gemein Schuft und exzessive Uneigennützigkeit

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Bildnis Walter Serners von Christian Schad

Gleichheit ist Ausdruck einer selbstverständlichen Demut. Wenn wir in einem Stau stehen, wo keiner mehr weiterkommt, erleben wir zuweilen unerwartete und beglückende Dinge. Da werden Decken ausgeliehen, Getränke geteilt, Erfahrungen ausgetauscht, entnervte Kinder von anderen getröstet. Warum? Weil wir schlagartig kapieren, dass wir alle gleich sind, dass es keine Rolle spielt, ob ich mit einem Porsche oder dem kleinsten Fiat im Stau stehe.

Gemeinschaft ist jedoch auch von großer Bedeutung für unser Zeiterleben. »Erst im Miteinander«, sagt der Hirnforscher Ernst Pöppel, »stellt der Mensch Gegenwart her, im Gespräch, beim gemeinsamen Feiern. Das gerät bei unserer auf Effizienz gepolten Zeit leicht aus dem Blick.« Gemeinschaft macht Lust aufs Geben, sogar aufs Verzichten, wenn Selbstlosigkeit als Glück empfunden wird; wen sie quält, der macht etwas falsch. Die Hausfrau, die, wenn ihr nach dem Essen die Tischgesellschaft dankt, seufzt, das sei schließlich ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit, fühlt sich als Opfer. Und die Opferrolle ist keine, die beglückt. »Die hauptsächlichste Gefahr der Ehe«, hat der eleganteste aller Zyniker, Oscar Wilde, gesagt, »liegt darin, dass man selbstlos wird. Selbstlose Leute sind farblos.«
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Und ein nachgeborener Geistesverwandter, der Schriftsteller Walter Serner, erklärte:
»Exzessive Uneigennützigkeit wirkt demoralisierend.« Vielleicht hatte er die Geschichte von Herrn Bermann vor Augen, der beim Begräbnis seiner Frau heftig weint. Aber Herr Knipis, seit Jahren Untermieter der Bermanns, weint noch heftiger. Schließlich hält der Witwer das Wehklagen von Knipis nicht mehr aus. Er legt den Arm um die Schultern des Schluchzenden. »Knipis, nehmen Sie’s doch nicht so schwer. Ich werde bestimmt wieder heiraten.«
aus Dr. med. Wilhelm Schmid-Bode
Maß und Zeit –
Entdecken Sie die neue Kraft der klösterlichen Werte und Rituale
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siehe auch meinen Blogbeitrag: Über Eitelkeit, Altruismus und Nächstenliebe.
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Das Leben ist kurz, und wir finden nie genug Zeit, unsere Weggenossen zu schikanieren. [Walter Serner]
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Bielefeld gibt es nicht

bielefeld gibt es nicht
oder Variationen über das Thema
 
Nicht die Dinge an sich bewegen uns, sondern die Bedeutung, die wir ihnen geben.
 
Von Dietrich Dörner haben wir aus dem Blogbeitrag „Bauplan für eine Seele“ und den darauf folgenden Beiträgen zum gleichen Thema lernen können, dass die Motive, die einen Menschen zum Handeln in und somit zur Wechselwirkung mit seiner Umgebung veranlassen, von seinen fünf Grundbedürfnissen veranlasst werden, als da sind: Existenzerhaltung, Sex, Gesellung, Bestimmtheit und Kompetenz. Ich verweise zur Definition dieser Begriffe auf den verlinkten Blogbeitrag, da ich darauf im Folgenden aufbauen will.
Diese fünf Grundbedürfnisse begründen zwar die Welt der Gefühle und Gedanken des Menschen, sind Grundlage jeder menschlichen Aktivität, ja der gesamten gesellschaftlichen Wirklichkeit, doch definieren sie weder eindeutig bestimmte Ziele noch Ursachen seiner tatsächlichen Handlungen in einer konkreten Situation. Diese biologisch fundierten Motive bilden aber den emotionalen Hintergrund, der dann im konkreten Handlungsprozess definiert, d.h. mit Bedeutungen ausgestattet wird, nämlich dann, wenn Akteure sozial anerkannte Werte schaffen und „subjektive Wertungen“ formulieren. Wie im Gefolge einer sozialen Wechselwirkung neue Bedeutungen und Tatsachen der  gesellschaftlichen Wirklichkeit konstruiert werden, hat Herbert Blumer in seinem Aufsatz „Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus“ dargelegt.

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Das Buch der Unruhe

Ich betrachte das Leben als eine Herberge, in der ich verweilen muss, bis die Postkutsche des Abgrunds eintrifft. Ich weiß nicht, wohin sie mich bringen wird, denn ich weiß nichts. Ich könnte diese Herberge als ein Gefängnis betrachten, weil ich gezwungen bin, in ihr zu warten; ich könnte sie auch als einen Ort der Geselligkeit ansehen, weil ich hier anderen Menschen begegne. Doch bin ich weder ungeduldig noch gewöhnlich. Ich überlasse die ihrer Neigung, die sich in ihr Zimmer einschließen, träge aufs Bett sinken und dort schlaflos warten, so wie ich auch die ihrem Treiben überlasse, die sich in den Salons unterhalten, aus denen Stimmen und Musik zu mir dringen und mich angenehm berühren. Ich setze mich an die Tür und berausche mich mit Aug und Ohr an den Farben und Tönen der Landschaft und singe langsam, für mich allein, undeutlich Lieder, die ich während des Wartens komponiere.

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Dem Apfeln von Aische

Lucas Cranach der Ältere: Adam und EvaAlso – die Geschichte in der Bibel über das Paradies, über Adam, Aische, die Schlange und den Apfel geht in scheißendeutsch so:

Die Schlange hatte weniger an, aber mehr drauf als alle anderen Tiere des Feldes, die Adonaj, also Gott, gemacht hatte. Sie sagte zu der Frau: »Also wirklich – hat Gott etwa gesagt: ›Ihr dürft von allen Bäumen des Gartens nichts essen‹«? Da sagte die Frau zur Schlange: »Von den Früchten der Bäume im Garten können wir essen. Nur von der Frucht des Baumes in der Mitte des Gartens hat Gott gesagt: ›Esst nicht von ihr und rührt sie nicht an, damit ihr nicht sterbt.‹« Die Schlange sagte zu der Frau: »Ganz bestimmt werdet ihr nicht sterben. Vielmehr weiß Gott genau, dass an dem Tag, an dem ihr davon esst, eure Augen geöffnet und ihr so wie Gott sein werdet, wissend um gut und böse.« Da sah die Frau, dass es gut wäre, von dem Baum zu essen, daß er eine Lust war für die Augen, begehrenswert war der Baum, weil er klug und erfolgreich machte. Sie nahm von seiner Frucht und aß. Und sie gab auch ihrem Mann neben ihr. Und er aß.
Und die Frau hieß Aische und war dem Tuss von Adam. Die ganze Geschichte und wie sie beide dann voll krass aus dem Paradies gefliegt, kannst du dir hier anhören:
 
aus
Was hängßu Kreuz, Alder? – Die Bibel für Integrationswillige“
auf Kanakisch! 😉

Liebe – was ist das?

77428614_1169628Über Liebe schwätzen? Entspannt euch, reden wir vorerst über Gefühle, besser: lassen wir uns von Dietrich Dörner erklären, was Gefühle überhaupt sind und ob auch die Liebe ein Gefühl ist. Besonders interessant wird dies für uns, weil Dörner ja eine Maschine baut, die mit allem, was er bisher an Sensoren und Regelkreisen in sie eingebaut hat, nur eine Maschine sein kann, sich also nur so verhält, als ob sie wie ein Mensch Hoffnung und Furcht, Lust und Unlust, Ärger, Wut und Angst, Panik und Streß empfinden könnte. Aber wir wissen es ja besser, da wir ihr Bauprinzip kennen und nichts Geheimnisvolles oder Großartiges darin entdecken können. Ein Mensch – wie stolz das klingt sagte Maxim Gorki, und nun eine solche Blasphemie: der Mensch nichts weiter als eine Maschine?

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Was ist Moral?

moralZur Einstimmung und Erbauung ein paar wirklich dumme Sprüche über die Moral und kluge Sprüche über jene, die Moral nur predigen:

Moralisten sind Leute, die sich jedes Vergnügen versagen, außer jenem, sich in das Vergnügen anderer Leute einzumischen. [Bertrand Russell]

Die Moral ist immer die Zuflucht der Leute, welche die Schönheit nicht begreifen. [Oscar Wilde]

Erotik ist die Überwindung von Hindernissen. Das verlockendste und populärste Hindernis ist die Moral. [Karl Kraus]

Moralisten sind Menschen, die sich dort kratzen, wo es andere juckt. [Samuel Beckett]

Erst kommt das Fressen, dann die Moral. [Bertolt Brecht]

Was aber ist Moral und zu welchem Zweck kam sie über und in uns? Zunächst: Moral wäre als faktisches Handlungsmuster oder Regelwerk menschlichen Miteinanders längst ausgestorben, würde sie das Zusammenleben der Menschen nur erschweren, nur zum Zweck von Schurigelei der Menschheit aufgezwungen worden.

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