Wolfgang Amadeus Mozart: Adagio h-moll KV 540 (Orgeltranskription)

Eingespielt mit Samples der Riegerorgel im Großen Saal des Konzerthauses Wien (Vienna Konzerthaus Organ).

Weder der Kompositionsvermerk 1787 des Stockholmer Autographs noch der Eintrag in das Eigenverzeichnis unterm 19. 3. 1788 werfen ein Licht auf die Entstehung. Mozart wird nicht verfehlt haben, es seiner Schwester vorzulegen, als er Anfang August 1788 ihr seine „neuesten Kompositionen“ übersandte. Erstmals veröffentlicht wurde es posthum 1795/96 bei Artaria.

Der sonatisch gehaltene Satz beginnt mit einer schmerzerfüllten, ausdrucksvollen 2taktigen Klage der solistisch einsetzenden Oberstimme. Eindrucksvoll ist der sfp-Einsatz der dissonierenden Begleitstimmen mit dem unverkennbaren „Pathetique“-Motiv des Tenors. Seufzer antworten, untermalt von den absinkenden Sechzehntelterzen der Unterstimmen. Mit quartettmäßigem Stimmentausch wird die Klage vom Baß wiederholt. Auf der Suche nach einem Weg aufwärts erreicht die Antwort die Dominante von D-dur. Das Thema II in D-dur, der Unterstimme an vertraut, vereint auf engstem Raum vertraute Elemente: Begleitet von dem Sechzehntelmotiv intoniert der Baß ein aus der h-moll-Klage umgebildetes zuversichtliches Durakkordmotiv, dem noch im selben Takt an Stelle des Seufzers die aufwärtsgerichtete Antwort folgt, deren beschleunigte Fortspinnung zur Dominante von D-dur auf strebt. Ein seelenvoller Abgesang (Takt 15), der Wehmut nicht entbehrend, verbreitet Ruhe, den der dem Baß an vertraute Epilog (Takt 19) bestätigt.

Rasche Modulation führt zum h-moll des Anfangs zurück bzw. weiter zur Durchführung. Hier wird in freundlichem G dur das Thema I angestimmt, das sich zunächst aller Klage begibt. Deshalb unterbleibt die Seufzerantwort. An ihrer Stelle erscheint in der Oberstimme im selben G-dur und mit Richtungsgegensatz das Thema II. Aber schon im 4. Durchführungstakt erweist sich, daß die Heiterkeit trog. Die Seufzer des Eingangs sind wieder da. Aus dem hellen Durlicht des Fortediskants werden wir unvermittelt in die Mollschattenregion des Pianissimobasses versetzt. Im schmerzlichen fis-moll erhebt sich die alte Klage, wieder vom „Pathetique“-Motiv sekundiert. In genialer Umkehrung wird, was eben Hoffnung war, in Leid verkehrt: In Durchführungstakt 7 f. erscheint der vormalige aufsteigende Durakkord des Themas II in abwärts gewendeter Mollgestalt. Gleichzeitig wird in unerhört kühner Harmonik, indes die Seufzer dem Tiefpunkt zustreben, nach g-moll kadenziert. Auf dem Ton g setzt die Endphase der Durchführung ein. In eindringlichster Steigerung wird dreimal die Eingangsklageweise, jeweils um einen Ton erhöht, zuletzt im Diskant, gebracht, so daß wir uns unversehens im h-moll der Reprise befinden. In diesen h-moll-Bereich wird nun auch das Thema II einbezogen und auch für den Abgesang und Epilog gibt es kein Entrinnen daraus. Die Coda läßt der rinnenden Zähre freien Lauf. Dann freilich, nachdem die Tränen immer heftiger rannen, blinkt, nach St. Foix’ schönem Wort „ein Strahl des Trostes“ auf: Pianissimo in H-dur endet in den Tiefen der wundersame Karfreitagssatz.

Den letzten Urgrund dieses eindringlichen Satzes kennen wir nicht. Auch Bernhard Fischers Studie in Band III des Neuen Mozart-Jahrbuchs 1943 mußte sich mit seinem Versuch, in die Mollprovinzen Mozarts einzudringen bescheiden. Aussichtsreicher dürfte der Vergleich mit verwandten Einzelsätzen sein, über deren Absicht wir besser unterrichtet sind. Solche Verwandtschaft besteht einerseits zu der d-moll-Fantasie der ersten Hälfte des Wiener Jahrzehnts und andererseits zu den beiden f-moll-Fantasien für Spielwerk (vgl. W. A. Mozart: Fantasie f-moll KV 594 (für Orgel) und W. A. Mozart: Fantasie f-moll KV 608 (für Orgel)). Alle drei Werke sind offenkundig Gedächtnismusiken. Im Falle der einen f-moll-Fantasie ist dies ausdrücklich bezeugt. Um eine Gedächtnismusik solcher Art dürfte es sich auch bei dem h-moll-Adagio handeln. Ein gewisser objektivierend-darstellender Zug, wie er den drei Fantasien eignet, liegt auch hier vor. Mozart, der im Schicksalsjahr 1787 den Verlust seines Vaters, den der Freunde Graf Hatzfeld und Dr. Barisani sowie den des verehrten Meisters Gluck zu betrauern hatte, eignete die Leiderfahrung, solche Gedächtnismusik mit tiefem Gehalt zu erfüllen, so daß seine Trauermusiken an Echtheit alle zeitgenössischen Zweckkompositionen gleicher Bestimmung weit hinter sich lassen. Nie ist Mozart größer, als wenn er in solch knapp bemessene Formen ein Ungeheueres an Gehalt gießt.

zitiert aus
Hanns Dennerlein
„Der unbekannte Mozart – Die Welt seiner Klavierwerke”

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