Frédéric Chopin: Zwei Préludes op. 28

Laut Deutsche Grammophon (DG) ist diese meine Einspielung mit Samples eines Steinway Konzertflügels „The Hammersmith Pro“ zum Verwechseln gleich gut (oder auch gleich schlecht? ) einer mir unbekannten Einspielung dieses Stückes durch Mauricio Pollini und DG hat mir unterstellt, dass meine Einspielung mit der von Pollini identisch sei und meinen Einspruch gegen diese Unterstellung abgewiesen, wogegen ich nun wiederum Beschwerde eingelegt habe, die noch von irgendwelchen, offensichtlich völlig unmusikalischen Bürokraten bearbeitet wird .
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Der Beiname des Stücks nimmt Bezug auf eine von Chopins Partnerin George Sand überlieferte Episode, wonach Chopin in Abwesenheit seiner Familie wegen eines heraufziehenden Unwetters große Ängste ausgestanden haben soll. Aufgrund seiner Klangfarben und atmosphärischen Schwankungen (Des-Dur, Cis-Moll, Des-Dur) wurde das 15. Prélude häufig mit dieser Überlieferung Sands in Verbindung gebracht, insbesondere aufgrund der Ostinati, die das Werk durchziehen und beim Zuhörer leicht den Eindruck erwecken können, es handle sich um fallende Regentropfen. Chopin selbst hat diese Interpretation des Préludes jedoch nach bisherigen Erkenntnissen nie bestätigt. George Sand berichtet hierzu:

„Er kam sich vor, als wäre er in einem See ertrunken; schwere, eisige Wassertropfen fielen ihm im Takt auf die Brust. Als ich ihn aufhorchen hieß, denn man konnte tatsächlich den gleichmäßigen Takt von Tropfen hören, die auf das Dach fielen, bestand er darauf, das nicht gehört zu haben. Er wurde sogar ärgerlich, als ich von Tonmalerei sprach, und verwahrte sich heftig und mit Recht gegen solche einfältigen musikalischen Nachahmungen von akustischen Eindrücken.“

Der eine Mittelachse darstellende Ton as bzw. gis wird als Achtel unablässig wiederholt in jenem Des-Dur-Prelude (Nr. 15; Sostenuto, 4/4), das seit George Sands Bericht von seiner Entstehung im Winter auf Mallorca der völlig unzulängliche Beiname »Regentropfenprelude« verfolgt. Mögen die Repetitionen im A-Teil noch an dieses Naturbild erinnern — der erschütternde cis-Moll-Mittelteil lenkt die Assoziationen eindeutig ins Schicksalhafte. Was jetzt in manischer Besessenheit pocht und klopft, scheint Verhängnis oder gar Tod. Chopin war damals dem Zusammenbruch nahe. Wie dann vor dem Ende, als man ihn in England die Treppen hinauf tragen musste, hatte man den Schwerkranken auf Mallorca zum Hafen tragen müssen. Für den B-Teil wählte der Komponist das räumliche Bild eines näherkommenden, sich dann wieder entfernenden Trauerzuges. Ab dem Auftakt zu Takt 62 findet sich ein Zitat aus dem Bachchoral „O Haupt voll Blut und Wunden“ aus Bachs Matthäus-Passion: Chopin übernimmt Melodie und Harmonisierung der zweiten Textzeile „voll Schmerz und voller Hohn“, endet allerdings nicht auf der Moll-Tonika cis-Moll, sondern auf dem Tonika-Gegenklang A-Dur, leicht verschleiert durch den „Tropfen“ auf der großen Septime gis über A-Dur. Der Trugschluss wird hier im übertragenden Sinn durch die Textierung „Hohn“ überzeichnet. An seine düster aufsteigende, choralartige Baßlinie scheint später Tschaikowski in der „Pathetique“ zu erinnern; sie gewinnt an Eindringlichkeit, wenn sie vom ff zurückgeht und leise wieder nach cis-Moll moduliert. Nach zweimaligen wuchtigen Glockenschlägen erstrahlt dann im Diskant eine sehnsüchtige Fortführung, jetzt gar mit warmem Untergrund. Der Schmerz aber wirkt fort in den schneidenden Sekundvorhalten.
Unvergleichlich, wie Chopin dann aus der ermatteten Todesvision unvermittelt zurückfindet in den nun gleichsam tröstenden, glättenden Anfang. Wer wollte hier nur Regen hören!


Zitat aus
BENITA EISLER
Ein Requiem für Frederic Chopin

Das viermonatige Intermezzo von George Sand und Chopin auf Mallorca hat inzwischen ein mythisches Eigenleben entfaltet. Generell träumen Nordländer vom Süden gern als einer Insel, die etwas vom Paradies, aber auch Züge einer Fata Morgana an sich hat. Mallorca lockt mit dem Versprechen eines halb tropischen Paradieses, in dem es niemals Winter wird. Man zieht aus, das Wunder der Sonne anzubeten, das auch die unheilbar Kranken heilen kann, das ihnen Kraft, Gesundheit und Unsterblichkeit verleiht. In der Chopin-Mythologie indes steht die größte der Baleareninseln eher für die tückischen Wechselfälle des Klimas und für die auszehrenden Effekte der Schwindsucht, einer tückischen Krankheit, die den Künstler langsam, aber sicher dahinrafft. Chopin auf Mallorca – diese Konstellation wurde zum Sinnbild für die Hinfälligkeit alles Sinnlichen, Fleischlichen.
In Wirklichkeit war Mallorca aber jener Ort, an dem sich George Sand von der sexuellen Außenseiterin zur Mutterfigur wandelte – einer Beschützerin, von deren Fürsorge Chopin langsam, aber sicher abhängig wurde. Auf Mallorca fand sich Chopin, der im Exil Verwaiste, auf einmal in einem ödipalen Traum wieder: Er wurde zum favorisierten älteren Sohn, der mit seiner Mutter das Bett teilt.
Die beiden waren nicht wie romantische Liebende Hals über Kopf nach Mallorca geflüchtet. Erstmals gab Sand ihre an die Boheme gemahnende Verachtung für äußerliche Formen auf und beugte sich Chopins unnachsichtiger Korrektheit. Wie auf einer diplomatischen Mission reisten beide Parteien getrennt, Sand in Begleitung ihrer beiden Kinder und eines Dienstmädchens, Chopin in Begleitung des Bruders des spanischen Botschafters. Man traf sich in Perpignan.
Chopins erste Eindrücke von Palma de Mallorca waren in der Tat die eines Inselparadieses: »Ich bin inmitten von Palmen, Zedern, Kakteen, Oliven, Orangen-, Zitronen-, Feigen- und Granatapfelbäumen«, schrieb er seinem Freund und Faktotum Julian Fontana am 15. November 1838. »Der Himmel ist wie Türkis, das Meer wie Azur, die Berge wie Smaragde und die Luft wie Himmel. Den ganzen Tag Sonne…« Doch die Schlange, in Gestalt der örtlichen Bevölkerung, ließ nicht lange auf sich warten. Kaum hatte Sand das einzige Haus gefunden, das man auf der ganzen Insel mieten konnte, als sich Chopin prompt eine Infektion der Atemwege zuzog. Besuche durch drei lokale Ärzte führten nur dazu, dass sich die Kunde, seine Krankheit sei in Wahrheit eine Tuberkulose, auf der Insel verbreitete. (»Der Erste sagte, ich sei bereits gestorben; der Zweite, dass ich gerade dabei wäre zu sterben, und der Dritte, dass ich demnächst sterben würde«, schrieb Chopin sarkastisch an Fontana.) Nach einem kürzlich verabschiedeten spanischen Gesetz sollten mit dieser Krankheit Infizierte prompt isoliert werden und obendrein für die Kosten einer Verbrennung und Ersetzung aller Haushaltsgegenstände in der betreffenden Wohnung aufkommen. Die Feindseligkeit der Mallorquiner gegenüber diesen Ausländern, die nun als potenzielles Gesundheitsrisiko galten, wurde durch deren zweifelhafte Moral noch verstärkt und gerechtfertigt. Es wurde durchaus zur Kenntnis genommen, dass sie nicht zur Messe gingen. Und voller Abscheu erzählte man sich, dass sogar das kleine Mädchen dieser heidnischen Familie Hosen trug. Die Krankheitsüberträger wurden in die Abgeschiedenheit eines aufgelassenen Kartäuserklosters in Valldemosa verbannt, das malerisch zwischen Bergklippen lag. Dort waren die nächsten Nachbarn die Adler, die über ihren Köpfen kreisten.
Vorräte und Medikamente wurden den Ausgestoßenen zu exorbitanten Preisen verkauft. Das von einer örtlichen Köchin mit ranzigem Olivenöl zubereitete Essen fügte Chopins Lungenproblemen noch einen chronischen Durchfall hinzu. In dieser Situation kam es für ihrer aller Überleben entscheidend auf George Sands Kompetenz, Findigkeit und Durchhaltevermögen an. Hartnäckig kämpfte sie gegen alle menschlichen wie materiellen Hindernisse an. Sie übernahm das Kochen selbst, gab ihren Kindern Unterricht, und zwischendrin vollbrachte sie auch noch die übermenschliche Leistung, aus Paris Chopins Pleyel-Klavier nach Mallorca transportieren zu lassen. Sie hinkte weit hinter dem Zeitplan für die Fertigstellung ihres Roman Spiridion her, aber die Beanspruchung durch Haushalt, Unterricht und Krankenpflege ließ ihr einfach keine Zeit zum Schreiben.
Chopin arbeitete weiter, obwohl er krank, demoralisiert und ohne anständiges Klavier war. Schließlich war er in dieses primitive Paradies nicht als Urlauber gekommen, sondern um die Kraft zum Komponieren wiederzugewinnen. Vor der Abreise aus Paris hatte er sich, um einen unbegrenzten Auslandsaufenthalt finanzieren zu können, Geld geborgt: bei seinem Verleger, bei Freunden, sogar bei einem Bankier. Klavierstunden waren seine einzige regelmäßige Einkommensquelle gewesen, und ohne sie war er völlig vom Notenverkauf seiner Werke abhängig. Wenn er keine neuen Werke zustande bekam – solche, die er bereits verkauft hatte, und weitere, die er später verkaufen konnte -, drohte bei seiner Rückkehr eine noch höhere Verschuldung als zuvor. Er hatte nach Mallorca die vierundzwanzig unvollendeten Preludes mitgenommen, die später als op. 28 erschienen; dafür hatte er von Pleyel bereits einen Vorschuss von 500 Francs erhalten. (Pleyel hatte Chopin in dem — falschen – Glauben bestärkt, dass er bei ihm, seinem Freund, als Komponist besser aufgehoben sei als bei Schlesinger.) Außerdem hatte Chopin bei dem befreundeten Bankier Auguste Leo einen kurzfristigen Kredit in Höhe von 1500 Francs aufgenommen und als Sicherheit dafür die deutschen Rechte an seinen Preludes abgetreten.
Chopins Geschäfte mit seinen Verlegern – Schlesinger, Pleyel und anderen – zeigen uns übrigens eine unbekannte Seite des Komponisten. Zu den bereits vertrauten Images – Chopin als fragiler, hypersensibler Künstler, naiv und nicht von dieser Welt, oder Chopin als stolzer, reservierter, geheimnisvoller Dandy – kommt noch ein völlig anderer Chopin hinzu, einer, der zäh und schlau verhandelte, den Marktwert seiner Musik genau kannte und entschlossen war, den höchstmöglichen Preis zu erzielen. (Die Werke, die 1833 an Schlesinger gingen, waren eigentlich zuvor bereits an Aristide Farrenc, einen weniger bedeutenden französischen Verleger, verkauft worden, doch Chopin hatte einfach beschlossen, diesen Vertrag zu ignorieren.) Von nun an versuchte er in all seinen Geschäftsverhandlungen die Konkurrenz zu schüren, Angebote gegeneinander auszuspielen, um auf dem französischen Markt Höchstpreise zu erzielen, während er die Auslandsrechte (und die damit verbundenen Gewinne) meistens behalten wollte, um sie seinen deutschen oder englischen Verlegern direkt anzubieten.
Aus heutiger Sicht sind das ganz normale Geschäftspraktiken, wie sie alle Künstleragenten einsetzen. Doch Chopin wäre eigentlich der letzte Künstler gewesen, der sich selbst hätte vertreten sollen. Mit seiner geringen Frustrationstoleranz und seinen unkontrollierbaren Wutausbrüchen, zu denen sich noch ein bäuerliches Misstrauen gesellte, exponierte er sich in solchen Verhandlungen aufs Schlimmste. Wenn Schlesinger ihm seine Forderungen nicht erfüllte oder Arbeiten sehen wollte, für die er bereits einen beträchtlichen Vorschuss bezahlt hatte, bekam der Komponist hysterische Wutanfälle. Anderen gegenüber beschimpfte er den Verleger dann als »jüdischen Hund« und erging sich in Rachephantasien, was diesem Kerl alles passieren müsste, wenn es auf der Welt auch nur halbwegs gerecht zuginge.
Doch abgesehen von finanziellen Erwägungen wollte Chopin auf Mallorca auch aus eigenem Antrieb arbeiten; seine neue Umgebung erinnerte ihn ständig daran, dass seine Erlösung in der Arbeit lag. Da saß er nun also in einer ehemaligen Klosterzelle, die ihm als Schlaf- und Arbeitszimmer diente, »unfrisiert, ohne weiße Handschuhe, blass wie immer«. Wie er Julian Fontana am 28. Dezember 1838 schrieb, hatte seine Zelle »die Form eines hohen Sarges; das Deckengewölbe ist gewaltig, verstaubt, das Fenster klein, vor dem Fenster Apfelsinen, Palmen, Zypressen; gegenüber dem Fenster mein Bett aus Gurten … Neben dem Bett ein altes… quadratisches Klapppult, das mir kaum zum Schreiben dient.« Darauf war gerade genug Platz für einen Kerzenleuchter — »hier ein großer Luxus«, vermerkte Chopin leicht angesäuert. Auf einem Stapel vor sich hin modernder Papiere, die sein letzter Vorbewohner hinterlassen hatte, lagen jetzt seine eigenen »Kritzeleien« und sein abgenutztes Exemplar von Bachs Wohltemperiertem Klavier.
Die großartigen Präludien und Fugen des Barockmeisters, komplex und in ihrem Ablauf zwingend, gehörten zum Grundbestand seines musikalischen Lebens; er hatte die beiden Bände immer bei sich. Seit Warschauer Studententagen wurde zu Beginn seiner täglichen Übungen stets Bach gespielt. Auch dienten ihm die Präludien und Fugen vor Konzertauftritten zum Aufwärmen. Als Lehrer bestand er darauf, dass seine Schüler und Schülerinnen die Architektur dieser Werke genau studierten, besonders im Hinblick auf Bachs flüchtige Mittelstimmen, die sich im Kontrapunkt verbargen, auftauchten und wieder verschwanden. Überdies benutzte er beide Bände natürlich auch zu dem Zweck, den ihnen Bach ursprünglich zugedacht hatte: um die pianistischen Fähigkeiten zu erweitern, technisch wie physisch — kurz, um das ganze Spektrum des Instruments wirklich zu beherrschen.
Nach Mallorca mitgebracht hatte er, in unterschiedlichen Stadien der Vollendung, seine eigenen Präludien, die, als Opus 28 gesammelt, eine glänzende Hommage an Bach darstellten, aber auch eine Herausforderung: Sie waren ebenfalls dem chromatischen Prinzip verpflichtet, aber anders als bei Bach nach dem Quintenzirkel organisiert. In Valldemossa hatte Chopin die Arbeit an den Préludes fortgesetzt, aber auch andere Kompositionen in Angriff genommen – alles auf einem primitiven kleinen Klavier, das George Sand in Palma aufgetrieben und gemietet hatte. Die Bemühungen um dieses Instrument waren allerdings die reinste Lappalie gewesen im Vergleich zu den unglaublichen Anstrengungen, die die Beschaffung eines erstklassigen Instruments erforderte. Das schon lange sehnlichst erwartete Pleyel-Klavier aus Paris war am 21. Dezember im Hafen von Palma de Mallorca angekommen, aber erst drei Wochen später an der Klosterpforte. Tagelang hatte Sand betteln, drohen und kämpfen müssen, um das Klavier aus den Klauen habgieriger Zöllner zu befreien, die absurde Zollgebühren verlangten – 700 Francs, fast so viel, wie das ganze Klavier gekostet hatte.'““ Sand hatte diesen Betrag schließlich auf 400 Franc senken können. Als Nächstes musste der Transport dieses empfindlichen Instruments mit seinen Hunderten von beweglichen Teilen über den unwegsamen, acht Kilometer langen Bergpfad nach Valldemossa organisiert werden – auf einem Weg, der nach Ansicht Chopins als Bachlauf entstanden war und nur durch Lawinenfolgen als Transportweg überhaupt brauchbar war. Dass das Klavier nach dem Transport auf einem ungefederten Wagen heil und unverstimmt ankam, schrieb Chopin letztlich seinem Schutzengel zu. Es war ein Wunder.
Jetzt konnte er seine neuen Präludien endlich auch angemessen hören. Welche Stücke aus dem 24-teiligen Zyklus erst auf Mallorca entstanden, ist nicht mit Sicherheit zu klären. Musikwissenschaftliche Schätzungen schwanken zwischen vier und zwölf. Folglich käme es einer Überstrapazierung der dichterischen Freiheit gleich, wollte man in diesem Zyklus so etwas wie einen Genius Loci aufspüren. Schließlich wurden die einzelnen Preludes zu unterschiedlichen Zeiten konzipiert und nach einem übergeordneten Strukturprinzip — den zwölf chromatischen Schritten einer Tonleiter, dem Quintenzirkel und dem stetigen Wechsel von Dur- und Moll-Tonarten — zusammengefügt. Gleichwohl benutzten zwei berühmte Zeitgenossen Chopins, Baudelaire und Robert Schumann, denselben bildhaften Vergleich, um die in dieser Musik deutlich spürbare Katastrophenstimmung zu beschreiben. Sie sahen einen großartigen Vogel – frei, wild und mächtig – in der Luft kreisen und zu Boden stürzen: Baudelaire sprach von »einem Vogel mit leuchtenden Federn, der über den Schrecken eines Abgrunds kreist«, Schumann erschauderte vor »dem Ruin – einzelne Adlerfedern in wildem Durcheinander«.
Damit wären wir wieder bei Chopins ersten Eindrücken von Valldemossa, bei seinem Wort von der »Poesie, die hier alles atmet«, aber auch bei der Angst und Panik, die Chopin immer verspürte, wenn er sich isoliert glaubte. In ihrer Autobiographie erinnerte sich George Sand später an eine Nacht, in der sie mit Maurice bei Regen und Sturm von einer Einkaufsfahrt nach Palma verspätet zum Kloster zurückgekehrt war. Sie habe Chopin in tiefer Verzweiflung erstarrt und weinend am Klavier vorgefunden, eines seiner Preludes spielend. (Ob es sich dabei um das berühmte »Regentropfen-Präludium« aus op. 28 handelte, ist nicht sicher.) »Als er uns eintreten sah, fuhr er mit einem lauten Schrei in die Höhe; dann sagte er mit verwirrter Miene und fremder Stimme: >Ach, ich wusste es wohl, dass ihr tot wäret!<« In einer Art Alptraum hatte er gerade Sands gewaltsamen Tod visionär miterlebt. Ein andermal, als sie mit beiden Kindern von einer nächdichen Entdeckungsreise in den Klosterruinen zurückkehrte, »fanden wir ihn um zehn Uhr abends bleich, mit irren Blicken und gesträubten Haaren an seinem Klavier, und es vergingen mehrere Augenblicke, ehe er uns erkannte«.
Die Preludes von Opus 28, von denen einige nur so kurz sind wie kleine Skizzen, überschreiten wirkungsmäßig die Grenzen ihrer zeitlichen Ausdehnung bei weitem. Ob sie nun als Einzelstücke entstanden oder als Mosaiksteinchen eines größeren Ganzen, in der Dichte dieses Zyklus erreichte Chopin seine volle künstlerische Reife: im konzentrierten Ausdruck extremer Stimmungsschwankungen, die geradezu schwindelerregend wirken – von der einfachen Chromatik eines kindlich anmutenden Stückes bis zu stürmischen Passagen mit wüsten Dissonanzen.
Das zweite Prelude in a-moll, das nur 23 Takte umfasst, ist in der Literatur häufiger analysiert worden als jedes andere. Man hat dieses Stück als »beunruhigend und beunruhigt« charakterisiert oder darin eines der »unmöglichen Objekte« gesehen, an denen die Spätromantik besonders interessiert war. Disparates ist hier zusammengezwungen: In der Bassbegleitung kommt es zu harmonischen Zusammenstößen, auf die ominösen abfallenden Melodiefragmente folgen Pausen. Hier äußert sich anscheinend eine innerlich gespaltene Künstlernatur, hin- und hergerissen zwischen Körper und Geist, Klassik und Romantik. Grenzen werden der nackten Innenschau nur durch die mathematische Präzision gesetzt.
Andre Gide, selbst ein guter Pianist, erlebte dieses Prelude als Trauma, als innere körperliche wie psychische Verletzung. Die Gefuhlsintensität dieser Musik ließ ihn »etwas wie physischen Schrecken« verspüren. Die wiegende Bewegung aus den Wiederholungen der Bassbegleitung, in den beiden ersten Takten noch ohne Melodie, erinnerte Gide an die zwanghaften Schaukelbewegungen von Menschen mit schweren mentalen Störungen. Anders als das Ostinato der linken Hand in der späteren Barcarolle (op. 60), das an sanfte Wellenbewegungen des Wassers erinnert, haben die wiegenden Bassbewegungen am Beginn des a-moll-Preludes etwas Unheimliches, Ominöses.
Dieses Prelude verdankte seine Entstehung der Zerrissenheit in Chopins Innerem. Nach den Anstrengungen der Reise nach Mallorca hatte man ihn wie einen Aussätzigen nach Valldemossa verbannt. Dort war er zwar Teil eines intimen Familienlebens, das ihm Geborgenheit bieten wollte, doch er empfand die zärtliche Fürsorge eher als Anklage gegen die Grausamkeit von Krankheit und Schmerzen. Umgeben von Jugend, Gesundheit und Liebe, durchlitt er jede Abwesenheit der Geliebten als Vorahnung des Todes.

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