Aphrodite’s Child – I want to live

Ich will leben! Ich will leben, wo noch zu ändern ist, was wir verbockt haben. Ich muss sterben in der Kälte, ohne die Wärme der Sonne. Warum sollte ich dort bleiben wo es Menschen gibt, die das hassen, was ich zum Leben brauche und dort abwarten, dass sie mich das Wie statt des Warum lehren und meine ganz persönliche Wahrheit in Lügen verwandeln? … Ich will zu leben versuchen, betrachten und verstehen, auch wenn ich das Leben eines Tages verlieren werde, ohne es verstanden zu haben!

I want to live
Where they’ll change what they have done
Yeah

I must die
cold and shunned by the sun
Yeah

Why should I stay
Where there are people that hate
The things I need
and making me wait
yeah

They will teach you the hows instead of the why’s
They will turn your truth into lies

I feel like crying
when I’m groping for a way

to stop it from going
cause I want it,
want it to stay
Yeah

They will teach you the hows instead of the why’s
They will turn your truth into lies

I want to live
try, look and understand
I needed you to take hold of my hand
and pull me up, yeah
I feel but I can’t, yeah
(Yes I do)
I want to, I want to live
Yes, I want to live yeah, yeah
To feel and…
[I’m gonna lose it, yeah]

Ich will leben! Ich will leben, wo noch zu ändern ist, was wir verbockt haben. Ich muss sterben in der Kälte, ohne die Wärme der Sonne. Warum sollte ich dort bleiben wo es Menschen gibt, die das hassen, was ich zum Leben brauche und dort abwarten, dass sie mich das Wie statt des Warum lehren und meine ganz persönliche Wahrheit in Lügen verwandeln? … Ich will zu leben versuchen, betrachten und verstehen, auch wenn ich das Leben eines Tages verlieren werde, ohne es verstanden zu haben!

Augenblicke der Klarheit zeigen uns, wie stark die Kräfte sind, die uns in den Maschen der Macht kultureller Zwänge zuweilen wie Marionetten mittanzen lassen. Und es wird einem Angst und Bange, dass wir uns aus diesen Kraftfeldern nie lebend befreien koennten, und erst mit unserem letzten Atemzug die Holzglieder klappernd diesen Verhaftungen entkommen, nun zwar „befreit“ aber sinn“frei“ liegenbleiben.

Nicht von den angeblich Mächtigen werden diese Maschen der Macht gewebt, in denen wir verhaftet leben, sondern jeder einzelne von uns webt an diesem Netz seiner Kultur und nur unser Glaube an dessen Macht über uns hält uns in ihm gefangen.
Zuerst glauben wir dies und das kraft unserer Erfahrungen über das Leben, das Universum und den ganzen Rest und erst dann zimmert sich unser logischer Verstand der Zweiwertigkeit daraus eine Ideologie, niemand aber wird von einer Ideologie überzeugt, glaubt er nicht an sie.
Die Macht unseres Glaubens ist weit größer als die Macht unseres Verstandes.
Wer oder was sagt uns, dass die Welt logisch zweiwertigen Gesetzen des „tertium non datur“ folgt? Scheint es nicht eher deshalb so, weil unser Verstand nur fähig ist, Zusammenhänge als zweiwertig logisch zu erkennen, als eine „Cartesische Ordnung der Gründe„? Zwar ist alles menschliche Denken zweiwertig und es wird, wie anzunehmen ist, in alle Ewigkeit so bleiben. Die Welt aber, deren sich unser Verstand theoretisch zu bemächtigen versucht, ist ontologisch mehrwertig. Eine trans-klassische Logik ist somit vor die vorerst widersinnig erscheinende Aufgabe gestellt, Mehrwertigkeit mit den Mitteln einer zweiwertigen Logik zu denken.
Die Aufgabe aber ist nicht so unmöglich, wie sie scheint. Wenn wir über das Wesen der Welt nachdenken, so ist die kritische Reflexion sich immer bewusst, dass sie stets nur einen Ausschnitt aus der Totalität des Wirklichen erfasst. Strikt theoretisch-formal denken bedeutet nun, dass durch unseren Verstand ein Ausschnitt aus der Gesamtheit des Wirklichen derart gewählt wird, dass er als ein zweiwertiges, in sich geschlossenes Modell betrachtet werden kann (Blogbeitrag: Unser Bild von der Welt). Die klassische Theorie nahm nun naiverweise an, dass diese modellhafte „Elementarkontextur“ sich ohne Bruch prinzipiell über das Ganze der Welt ausweiten ließe, selbst wenn dem endlichen menschlichen Bewusstsein dazu praktisch die Kräfte fehlten.

„Doch wozu dann Ideologie? Wem wäre mit solchem überflüssigen Aufwand gedient? Selbst wenn es (im Jahre 312) Konstantin gelungen wäre, seinen Untertanen die christliche «Ideologie» aufzuzwingen, hätte er deswegen nicht mehr und nicht weniger Gehorsam gefunden. Nichts ist banaler als der Gehorsam der Völker, ihr Respekt für die etablierte Ordnung, wie auch immer man diese legitimieren mag. Alle Gewalt kommt von Gott, wird man mit Paulus wiederholen, der christliche Kaiser regiert mit der Autorität Gottes, wird Vegetius sagen. Die heidnischen, christlichen oder islamischen Massen fanden sich spontan dazu bereit, den Kaiser, basileus oder Sultan zu verehren (und gleichzeitig verfluchten sie ihn insgeheim der Steuern wegen); es war nicht nötig, ihnen die Monarchie von einem Monotheismus abzuleiten oder durch eine Ideologie zu legitimieren, denn jeder loyale Untertan bringt seinem Herrscher von sich aus Respekt und Ehrfurcht entgegen (das gibt es noch heute hier und da: «Was für ein guter König!», konnte ich selbst in Bezug auf Hassan II. hören).

Die Liebe zum König, der Patriotismus und auch die Ehrfurcht vor Höhergestellten sind weder ein Teil der Religion noch aus ihr ableitbar. Ebenso wenig hat jedoch die Ideologie den Menschen diese Gefühle und Haltungen eingetrichtert, logisch gesprochen, gehen sie der Ideologie voraus. Sie folgen zwingend aus dem Gehorsam gegen die etablierte Ordnung, sie produzieren diesen Gehorsam nicht, sondern setzen ihn voraus; im Spektakel der Gesellschaft atmet man diese Haltungen ein wie den Sauerstoff, und zwar von Kindheit an. Die Geschichte erklärt sich aus dem Gelebten und Erlebten, das selbst unausgesprochen bleiben muss, nicht aus den schönen Phrasen, die ihm nachträglich angehängt werden. Wird der Gehorsam aber aufgekündigt, dann haben die ideologischen Phrasen keinerlei Gewicht mehr. Zitieren wir den scharfsinnigen Jean-Marie Schaeffer: Das Erlernen der sozialen oder politischen Regeln, das im realen Leben durch das Beispiel von Familie und Gesellschaft stattfindet, kann nicht durch Schulunterricht ersetzt werden. Der Versuch der Schule, alleine für die Erziehung mündiger Staatsbürger zu sorgen, muss dramatisch scheitern.

Die Juden – und ebenso wenig andere Völker – mussten nicht auf die Zehn Gebote warten, um nicht zu töten und zu stehlen, aber durch die Zehn Gebote wurde ihnen der Glaube, sie enthielten sich dieser Taten aus Gehorsam gegen die Gesetze, lieb und teuer. Kurz gesagt: Die sprachlose soziale Lebenswelt veranlasst und akzeptiert die Verbalisierungen der Ideologie, aber nicht umgekehrt: Eine Ideologie überzeugt nur Überzeugte. Wer heute fünfzig Jahre oder älter ist, konnte es selbst mitansehen: Die Entdeckung der Empfängnisverhütung war der Anlass für ein komisches soziologisches Experiment unter Echtzeitbedingungen. Vor dem Zeitalter der «Pille» war für die jungen Mädchen nichts selbstverständlicher als die nützlichen Werte der Reinheit, Keuschheit, Jungfräulichkeit und sexuellen Enthaltung; so lernten sie es bei ihren Kameradinnen, so waren die Sitten. Und welcher fortgeschrittene Geist hätte damals nicht die repressiven Moralvorstellungen der kapitalistischen Gesellschaft angeprangert? Es genügte das Auftauchen der Pille, und diese Tugenden verschwanden wie der Tau in der Sonne: in den Hütten ebenso wie in den Zwei-Etagen-Appartements. Ihr Verschwinden erschien uns so natürlich, dass es uns kaum auffiel, und so entging uns auch, dass es nicht die Moral der Tugendhaftigkeit gewesen war, welche Enthaltsamkeit eingetrichtert hatte, sondern sich Enthaltsamkeit – mangels Verhütung – zur Tugend aufgeschwungen hatte.“

[aus Paul Veyne: ALS UNSERE WELT CHRISTLICH WURDE – Aufstieg einer Sekte zur Weltmacht]



 

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