Das Geheimnis des perfekten Tages

Die zentrale Frage des Morgens ist: Wie viel mehr Sinn steckt im Aufstehen als im Liegenbleiben? Und hat nicht jeder Zustand seine Berechtigung? Seine Selbstverständlichkeit? Ein Hahn denkt nicht nach über das Aufstehen. Ihm ist es auch egal, dass er an den Füßen keine Federn hat. Ich habe ebenfalls keine Federn an den Füßen, stehe dennoch nur ungern auf.
Ich liege. Ich lebe. Ich fühle mich wohl. Ich weiß, dass diese Feststellung auf irgendeine Art und Weise den Eindruck erzeugt, mir fehle die Tiefe. Aber warum sollte man sich nicht wohlfühlen? Man kann das Leben auch als Glücksfall begreifen! Ich sehe die Welt als Lebensort und nicht als Sterbehospiz. Sie ist bunt. In Indien stehen Sadhus für 20 Jahre auf einem Bein, um den Göttern ihre unabdingbare Unterwerfung zu beweisen. Ich glaube: Wenn Gott gewollt hätte, dass wir auf einem Bein stehen, hätte er uns das zweite nur für Notfälle im Rucksack mitgegeben.

Klappentext zu
Dieter Nuhr
„Das Geheimnis des perfekten Tages“
zitiert

Auf der Suche nach der Begründung eines Freien Willens im Zusammenhang mit der Rhön  fand ich diese weisen Sätze bei Dieter Nuhr:

Gibt es überhaupt ein Ich? Oder ist unser ganzes Denken nur das Ergebnis körperlicher Abläufe, also bloße Simulation von Freiheit? Als Benjamin Libet sein berühmtes Experiment startete, an deren Ende nicht weniger als eine Revolution der Hirnforschung stand, nämlich die Erkenntnis, dass der Mensch erst handelt und das Hirn dann – im Nachhinein – rationale Begründungen für sein Tun generiert, hatte er wahrscheinlich gerade selbst die dritte Packung „Edle Tropfen in Nuss“ in sich hineingestopft. Schokolade ist Geistesnahrung, legt sich aber nachts zum Ruhen auf die Hüfte!
Wenn der freie Wille Illusion ist, die Welt zudem aus Teilchen besteht, die physikalisch und chemisch aufeinander reagieren, liegt der Verdacht nahe, dass alles bereits vorherbestimmt ist. Die Teilchenreaktionen sind in ihrer chaotischen Vielfalt für uns zwar nicht vorherzusagen, liegen aber im Grunde schon fest, da die Ursachen der Zukunft in der Jetztzeit liegen und nicht mehr veränderbar sind. Der Rest ist Abfolge von Aktion und Reaktion. Man könnte also, vorausgesetzt, es gäbe einen extrem leistungsfähigen Computer von der Größe mehrerer Sonnenmassen, jetzt schon ausrechnen, wer 2078 Rheinland-Pfälzischer Meister im Rhönradfahren wird. Einen solchen Computer gibt es nicht, schon weil niemand bereit wäre, etwas so Gigantisches zu planen, nur um die Rhönradergebnisse des Jahres 2078 zu erfahren. Nicht einmal die Bundesligaergebnisse der Jahre 2088 bis 2327 würden eine solche Investition rechtfertigen, es sei denn, man ist Besitzer eines Wettbüros. Und selbst die Lottozahlen vom nächsten Wochenende würden den Aufwand nicht wieder einspielen, auch wenn der Jackpot winkt.
An dieser Stelle werden amtliche Physiker Einwände erheben. Der Determinismus ist überholt! Was für ein Satz! Er macht auf jeder Party Eindruck – zumindest wenn Volljährige anwesend sind.
Tatsache ist: Der Determinismus missachtet die Quantentheorie, die besagt, dass eine genaue Berechnung von Raum und Zeit in der Zukunft schon deshalb nicht möglich ist, weil aufgrund der Quantenunschärfe niemals Ort und Zeit eines Teilchens genau festgestellt werden können. Will man die Zeitmessung verschärfen, verschwimmt der Ort und umgekehrt. Es wäre also selbst mit einem Computer, dessen Größe ein ganzes Paralleluniversum füllen würde, nicht möglich, die Zukunft vorherzusagen. Schon deshalb gibt es viel mehr Historiker als Propheten. Hellseher, die gute Ratschläge in Sachen Liebe oder Geldangelegenheiten geben, gelten zu Recht als Betrüger, es sei denn, sie sagen mir voraus, dass ich irgendwann mit der Tochter von Scarlett Johansson schlafen werde. Mir ist bekannt, dass Scarlett Johansson keine Tochter hat, aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Es sollte uns trösten, dass die Zukunft offen ist. Wir können sie selbst gestalten! Das ist gut, auch wenn diese Erkenntnis für junge Menschen bedeutet, dass sie morgen in die Schule müssen. Natürlich beruht die Gestaltung dessen, was da kommen mag, nicht auf freiem Willen. Schon die Schulpflicht setzt hier Grenzen.
John-Dylan Haynes hat eine interessante Studie veröffentlicht. Er konnte anhand der Aktivität zweier Hirnregionen vorhersagen, ob eine Versuchsperson einen Knopf mit ihrer linken oder ihrer rechten Hand betätigen würde – und zwar zehn Sekunden bevor die Aktivität bewusst gestartet wurde!
Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger als nicht viel. Es sagt nämlich aus, dass ein-und dieselbe Handlung von ein-und demselben Gehirn ausgelöst wird – und dass das Bewusstsein ebenso wie das Handeln dem Hirn entspringt. Meine eigenen Forschungen bestätigen dies: Immer wenn einem mir nahestehenden Menschen das Gehirn entfernt wurde, tat er gar nichts mehr, ganz so, als wäre er kaputt! Und häufig war er das auch!
Ohne Hirn ist der Mensch nur eine leere Hülse, ein Idiot! Und es gibt so viele davon! Sicher, der Mensch ist, auch wenn er ein Gehirn besitzt, nur allzu oft ein Vollidiot. Ohne Gehirn aber fällt es noch mehr auf! Wir kennen das aus dem Vormittagsprogramm von RTL2. Sätze wie „Ey, du Opfer, isch hau disch dein Fresse in dein Schnauze!“ sind gar nicht möglich, wenn ein Bewusstsein vorhanden ist. Natürlich kann man dann sagen: „Der kann nichts dafür, das ist sein Hirn.“ Das aber ist falsch und ein offensichtlicher Widerspruch, denn Hirn und Person sind ja identisch! Wenn das Hirn Schuld ist, kann also auch der Idiot dafür!
Es liegt daran, dass bei unserem Probanden da, wo denkende Menschen das Hirn haben, also einen Supercomputer, wie er wahrscheinlich im 36. Jahrhundert gebaut werden wird, bei unserer Testperson nur ein kleiner, verbogener Rechenschieber arbeitet. Aber dieser Rechenschieber ist seine Persönlichkeit! Deshalb weiß der Idiot: „16 x 32 isse scheiße, scheiße viel! Ey, scheiße Frage, wer will so Scheiße wissen?!“ Außer dem Lehrer niemand. Der aber ist auch nur ein Hirn mit Cordanzug und Kreide.
Daraus kann man eins lernen: Menschen, die einen mit dem Satz „Alder, deine Mutter ist schwul – korrekt!“ begrüßen, sollte man keine Rechenaufgaben stellen.


 


 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

zehn − sieben =