Yourcenar über geistige Einsicht

thomas-carlyle»Jede geistige Einsicht[1] stützt sich auf willkürliche Fundamente; Jede Lehre, die sich bei den Massen durchsetzt, muß der menschlichen Dummheit Vorschub leisten: es käme auf das gleiche heraus, wenn Sokrates morgen zufällig den Platz von Mohammed oder von Christus einnähme. Aber wenn dem so ist, warum auf das leibliche Wohl und auf die Wonnen der Übereinstimmung verzichten? Es dünkt mich, als hätte ich all das schon seit Jahrhunderten erwogen und nochmals erwogen. …
Jeder von uns ist sein einziger Lehrer und sein einziger Jünger. Die Erfahrung fängt jedesmal wieder bei Null an. «
Zitat aus dem Roman „Die schwarze Flamme“ von Marguerite Yourcenar.
So wie Marguerite Yourcenar mit diesem Zitat kann man die Essenz des Beitrages „Bielefeld gibt es nicht”, auch in Knappe Worte fassen, der mit dem weisen Satz endete:

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Yourcenar über die Freiheit

Man ist nicht frei, solange man Wünsche hat, solange man etwas will, etwas fürchtet, vielleicht solange man lebt. Die lästige Hülle, die gewaschen, gefüttert, im Ofenwinkel oder unter dem Fell eines toten Tieres erwärmt, abends wie ein Kind oder ein blöder Alter ins Bett gebracht werden mußte, dient wider Willen der gesamten Natur und, schlimmer noch, der Gesellschaft der Menschen als Geisel.

Marguerite YourcenarDie schwarze Flamme”.
Roman („L’Oeuvre au Noir“).
Dtv, München 2003

Man ist nicht frei, solange man Wünsche hat, solange man etwas will, etwas fürchtet, vielleicht solange man lebt, sagt Frau Yourcenar. Man fühlt sich nur dann frei, wenn wir unsere Grund-Bedürfnisse befriedigen können, steht hier im Blog. Ist „Man“ denn dann nicht nur der Geist oder Wille, den es ohne den Körper und seine Bedürfnisse gar nicht gäbe? Damit beißt sich doch die Katze „Freiheit“ in den Schwanz!
Naja, der Begriff (absoluter) Freiheit, der von Frau Yourcenar – unterschwellig – gedacht wird, würde bedeuten, dass man, um „frei“ zu sein, auch frei von sich selbst, seinem Körper, sein müsste.
Sinnliche Erfahrungen kann ich jedoch nur durch die (Sinnes-)Organe des Körpers machen, der Geist oder Verstand ordnet ihm Bedeutungen hinsichtlich meines Wohl oder Wehe zu, um mit meinem Körper angemessen darauf reagieren zu können. Ohne sinnliche Erfahrungen des Körpers wäre mein Gehirn nur eine Daten verarbeitende Maschine, für die diese Daten vollkommen ohne Belang für sie selbst, ohne Glückszustände aber auch ohne Leid wären. Warum sollte dann dieses Gehirn für „Die Seele“ belanglose Daten (Wahrnehmungen, Seelenzustände, Handlungsmuster)  verarbeiten?
Nur die Gedanken sind frei, so fanden wir es schon im Beitrag „Dialiektik der Wahrheit” heraus: „Es gibt nichts, was wir uns nicht vorstellen könnten. So absurd und unglaublich ein Gedanke auch sein mag, so sehr er jeder Logik und jedem Naturgesetz widerspricht oder der Menschheit als nutzlos erscheint – in dem Moment, in dem er gedacht wurde, ist er wahr geworden!
Aber wenn wir daran denken, was wir selbst tun sollten, dann sind die Gedanken egoistisch, auf den eigenen Vorteil bedacht, selbst wenn sie den Umweg über Altruismus und Nächstenliebe nehmen.


Es geht nicht darum, das Ego zu heilen, sondern davon zu genesen, nicht darum, das Ich zu erlösen, sondern sich davon zu befreien. Jedes Ego ist abhängig, immer. Wenn es keine Abhängigkeit mehr gibt, gibt es kein Ego mehr. Philosophieren heißt, sich lösen lernen.

André Comte-Sponville:
Woran glaubt ein Atheist? Spiritualität ohne Gott.
Zürich 2008, S. 219


Nun folgt das vollständige Zitat aus dem historischen Roman „Die schwarze Flamme”:

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