Buxtehude: Präludium e-moll BuxWV 142

Ich habe das Präludium e-moll BuxWV 142 von Dieterich Buxtehude mit Samples der Riegerorgel des Großen Saals im Konzerthaus Wien (Vienna Konzerthaus Organ) eingespielt.

Man kann vielleicht Buxtehude auf Grund des kaleidoskopartigen Charakters der meisten seiner Orgelpräludien und -toccaten für Ritalinbedürftig halten, wie ich es in diesem Beitrag über das Präludium E-dur zwinkernden Auges getan habe. Aber man kann seine Präludien auch völlig anders verstehen, nämlich als musikalische Rhetorik, wie sie im 16 und 17. Jahrhundert von Joachim Burmeister (1564-1529) und Christoph Bernhard (1627-1692), der Kantor in in Hamburg war, propagiert wurde. Versucht man die Struktur von Buxtehudes Präludium e-moll auf diese Weise zu begreifen, dann kommt plötzlich Sinn in das kaleiodoskopartige, scheinbare Chaos der freien und gebundenen Abschnitte seiner Partitur. Leon W. Couch III tat das in seiner Abhandlung „Musical Rhetoric in Three Praeludia of Dietrich Buxtehude„. Seine Analyse habe ich meiner Interpretation dieses Präludiums in  e-moll zugrunde gelegt und die einzelnen Abschnitte im Video dem entsprechend beschriftet. Zur musikalischen Figurenlehre verweise ich die des Englischen nicht ausreichend mächtigen auf einen Eintrag bei Wikipedia „Figur (Musik)“ und auf einen  kritischen Aufsatz von Janina Klasen „Musica Poetica und musikalische Figurenlehre – ein produktives Missverständnis„.

Das Präludium beginnt mit einem ungebundenen Exordium, danach fogt die erste Confirmatio (Der eigentlich argumentierende Teil der Rede, in dem der Redner für die Glaubwürdigkeit seiner Sache argumentiert) mit Fuge 1, zwei freien Takten und der großartigen, in strahlender Sebstgewissheit und Strenge glänzenden Fuge 2. Die darauf folgende Widerlegung (Confutatio) stellt wieder alle errungene Sicherheit in Frage, zu der in einem weiteren Anlauf einer Confirmatio mit Fuge 3 im fünften Abschnitt Anlauf genommen wird. Diese kontrapunktisch „laxe“, doch energische Fuge ist eine Gigue, sie endet mit kurzem Aufschwung und löst sich danach schnell in einer Concerto-Form auf. Der kapriziöse Charakter der Lombardischen Rhythmen ganz am Ende scheint auf die Canzona-artige erste Fuge zurückzuweisen [Couch].

Mir fällt hierzu ein Vergleich mit der Struktur des Schlußsatzes von Beethovens Neunter ein, er beginnt ebenfalls mit einer Confutatio zu den vorhergehenden drei Sätzen dieser Sinfonie. Die eigentliche Confirmatio bei Beethoven ist dann meines Erachtens erst der fugierte instrumentale Abschnitt mit der Tenorarie „Froh wie seine Sonnen fliegen“ (vergleichbar mit der Rhetorik von Buxtehudes Fuge 3). Was danach bei Beethoven folgt, erscheint mir allerdings keineswegs als Siegeshymne, sondern eher als Taumel, so wie ein krampfhafter Selbstbetrug, ein sich in den Kopf hämmern „Es muss gut werden, verdammt noch mal, auch wenn’s schwerfällt daran zu glauben!“ – dagegen erscheint mir doch Buxtehudes rhetorisch-musikalische Argumentation entschieden erdnaher und menschlicher.

Die folgende Aufnahme des Präludiums e-moll BuxWV 141 habe ich mit Samples der historischen Orgel in Forcalquier eingespielt.

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