Beethoven: Vier Klaviersonaten von 1801

Im Jahr 1801 komponierte Ludwig van Beethoven vier Klaviersonaten: op. 26 As-dur, op. 27 Nr. 1 Es-dur und op. 27 Nr. 2 cis-moll (auch unter dem Namen „Mondscheinsonate“ bekannt), deren Satzstruktur und -folge nicht mehr dem klassischen Sonaten-Muster der Sonate op. 22 B-dur, die ich hier vorgestellt habe, entspricht. Erst die „Pastoral-Sonate“ op. 28 D-dur folgt wieder dem „regelmäßigen“ viersätzigen Formprinzip der „klassischen“ Sonate. Wie nahe „The Hammersmith Pro“ von Sonic Couture dem Klang eines echten Konzertflügels kommt, kann man gerade an den „psychologischen Sonaten“, wie Edwin Fischer sie nennt, gut erkennen. Man höre und staune – hoffentlich.

Die alten MP3-Dateien, die ich auf dem „The Grand 2“ von Steinberg eingespielt und auf dieser Website veröffentlicht hatte, konnte ich nun löschen. Mit den gleichen MIDI-Dateien habe ich nun diese vier Sonaten auf „The Hammersmith Pro“ eingespielt und ein Video mit Visualisierung der Musik durch die Pianorolle des MIDI-Sequenzers angefertigt und auf YouTube hochgeladen – so spare ich gleichzeitig Web-Speicherplatz.  Die vier Videos findet der Leser am Schluss des Beitrages.

Edwin Fischer schreibt in „Ludwig van Beethoven – Klaviersonaten. Ein Begleiter für Studierende und Liebhaber“ (Hier die PDF der Vierten Vorlesung über diese vier Sonaten):

„Wir begegnen in dieser Sonate (er meint die As-dur-Sonate op. 26) zum ersten Mal einem jener Gebilde, die ich psychologische Komposition nennen möchte. Es sind das Formen, die besonders Beethovensche Seelenaussagen sind – und die eigentlich Übergangszustände seiner Entwicklung darstellen. Die Form ist darin scheinbar freier, ungewöhnlicher. Man täusche sich aber nicht: sie ist genau so motivisch durchgearbeitet und strengen Gesetzen unterworfen wie in anderen Sonaten.

Es ändert sich die Folge von Sätzen: Schnell, Langsam, etc., im Vergleich zu dem üblichen Sonatenschema, die psychologische Verkettung der einzelnen Sätze ist stärker, und die Ansprüche an den Nach-Dichtenden, Nach-Schaffenden, größer. Zu ihnen rechne ich also op. 26, 27, sowohl Nr. 1 wie Nr. 2, 78, 81 a, 101 und 109.“

1801 war das Jahr, als ihm mit Schrecken bewusst wurde, wie sehr seine Existenz als Musiker und kontaktfreudiger Mensch durch die zur Gewissheit werdende Schwerhörigkeit gefährdet ist. Seine totale Verunsicherung über seine Zukunftsmöglichkeiten beschreibt er in zwei Briefen an seinen Jugendfreund, den Arzt Franz Wegeler, aus dem Jahr 1801 und in seinem Heiligenstädter Testament von 1802. (siehe in der PDF Beethoven-Briefe aus 1801). In letzterem schreibt er „… schon in meinem 28ten jahre ge­zwungen Philosoph zu werden, es ist nicht leicht, für den Künstler schwerer als für irgend jemand …“ Es waren seine Existenznöte, die ihn dazu drängten Philosoph zu werden – auch in seiner Musik. Die Briefe und das Testament erklären alles! Edwin Fischer hat sich in seiner vierten Vorlesung, außer mit den genannten vier Sonaten, auch mit Beethovens Persönlichkeit beschäftigt – dessen Analysen muss und kann ich nichts Klügeres hinzufügen. Meine Interpretation der vier Sonaten möge für sich und hoffentlich auch für mich sprechen.

Etwas ungewöhnlich schnell mag vielleicht der vierte Satz (das Rondo nach dem Trauermarsch) in der As-dur Sonate op. 28 klingen. Aber wie anders soll man das scheinbar oberflächliche Geläufigkeitsrondo nach der Erschütterung des Trauermarsches verstehen als ein verzweifeltes Klammern an alltägliche Banalitäten um wieder sicheren Boden unter die Füße ´zu bekommen? Und trotzdem wird dem Traumatisierten die Wirklichkeit wie ein Spuk an seiner Wahrnehmung vorbeirauschen, weil eine reale Welt in der Vorstellung des Trauernden noch keine Zukunft hat und mit dem immer leiser werdenden Schluss in die „Stille der Nacht entschwindet“. (Ralph Waldo Emerson über die Naturgeschichte der menschlichen Trübsal in „Paint it, Black“).

Den Eingangssatz der „Mondscheinsonate“ spiele ich doppelt so schnell, wie man ihn gewöhnlich zu hören bekommt. Ich stütze mich dabei nicht nur auf mein Gefühl, sondern auf die Tempovorschrift Beethovens „alla breve“ auf die halben Noten bezogen (wie es in der Musiklehre üblich ist) und nicht wie es Carl Czerny und die meisten Interpreten deuten, auf die Viertelnoten bezogen. Der erste Satz der Sonate op 27. Nr. 2 schildert meiner Meinung nach kein Mondscheinidyll, sondern er ist ein Klagegesang. Aus der Stille der Nacht, in die der Schlusssatz der As-dur-Sonate op. 26 versank, steigt (in den Triolen) ein bebender, pulsierender Schmerz über dem ein verhaltener Klagegesang ertönt. Wer es braucht mag sich die Nacht mit fahlem Mondschein illuminieren, dann hat er wieder eine Mondscheinsonate.

András Schiff versteht das alla breve dieses Satz übrigens wie ich, wenn er nur nicht den ganzen Satz mit einem durchgehaltenen Pedal spielte, würde ich ihm ähnlichen musikalischen Geschmack zugestehen, doch dieser Tonbrei klingt einfach nur lächerlich, total verschmiert und viel zu laut: Moonlight sonata. Andras Schiff.

Der zweite Satz erinnert an glücklichere Zeiten, doch im dritten Satz verkehrt sich die Verzweiflung und Klage des ersten Satzes in Rebellion wider das Schicksal, nun greift Beethoven ihm in den Rachen. Ich spiele den dritten Satz im Interesse der besseren Auflösbarkeit seiner Klangkaskaden für das menschliche Ohr deutlich langsamer als ich ihn sonst höre, so wie ihn vermutlich Franz Liszt gespielt haben mag. Die Entschlossenheit, die dieser Satz zum Ausdruck bringt, kommt so viel besser zur Wirkung als durch wüste Wildheit, die nur noch lautes Geräusch macht.

Die letzte Sonate „Pastorale“ ist nun wieder fast eitel Freude und Sonnenschein, der zweite Satz allerdings berührt mich wie ein nachdenkliches Lächeln, das sich seiner weiter bestehenden Gefährdung bewusst bleibt.

Nachtrag: Aus der Biografie von  Alexander Wheelock Thayer „Ludwig van Beethovens Leben“ habe ich die Seiten mit dessen Besprechung dieser vier Sonaten kopiert. Neben der Tatsache, dass die Zuordnung konkreter Emotionen bei Musik der persönlichen Willkür Tür und Tor offen hält, je nach emotionaler Verfassung und erlebter Biografie von z.B. Edwin Fischer, A. W. Thayer oder meiner Wenigkeit, war  es für mich doch interessant zu erfahren, dass Beethoven beim ersten Satz der „Mondscheinsonate“ ein Gedicht von Seume „Die Beterin“ als Deutung vorschwebte, was er offensichtlich in einem verloren gegangenen Brief an G. L. Grosheim mitteilte. (siehe hier Seite 5507). Gehe ich davon aus, dass dieses Bild bei Beethoven auch hier mehr als Ausdruck der Empfindung als der (Ton)-Malerei gemeint ist, so liege ich meinem Gefühl, das der erste Satz „Adagio sostenuto“  der Sonate op. 27 Nr. 2  ein Klagelied sein müsse, so falsch nicht.


00:08 – 1. Andante
06:36 – 2. Scherzo. Allegro molto
08:58 – 3. Marcia funebre sulla morte d’un Eroe. Maestoso andante
14:39 – 4. Allegro


00:07 – 1. Andante – Allegro – Andante
04:33 – 2. Allegro molto e vivace
06:00 – 3. Adagio con espressione
08:33 – 4. Allegro vivace


00:07 – 1. Adagio sostenuto
04:48 – 2. Allegretto
06:41 – 3. Presto agitato


00:07 – 1. Allegro
07:43 – 2. Andante
14:52 – 3. Scherzo. Allegro vivace
16:53 – 4. Rondo. Allegro ma non troppo


 


 

 

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